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Von FritzMüller 241 Haeckelina gigantea. £in Protist aus der Gruppe der Monothalanden. * Von Emil Bessels 265 Zur Lehre von der Struktur der Zellen. Von C. Frommann. . . . 280 Ueber die Entwickelungsgeschichte von Helix. Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie und Phylogenie der Pulmonaten. Von Dr. Hermann von Jhering * 299 Ueber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. Von Dr. W. ü. Focke 889 Die.Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Von Ernst Haeckel . 402 rntersvchniigen zur yergleiehenden Anatomie Miisknlatur des Kopfskelets der i'yelostomeD» Von Dr. Paul Ffirbriii^er , Assiitont am iMthologiielMuuUomiMkca Institiit zm Jciui. (Hi«m Tal I— m.) Vorwort. Diese Arbeit ist folgender Maassen entstanden: Im Sommer vorigen Jahres brachte Herr Hofrath Professor W. Müller, Director des hiesigen pathologisch • anatomischen In- stituts von einer Reise nach Schweden einige Exemplare von My- xine glutinosa mit, die er im Momente einer eigenthümlichen in den Verlauf der Kaufunction fallenden Zungenstellung in Weingeist getödtet Der Anblick der aus der Mundhöhle hervorgetretenen, mit Zähnen bewaffiieten Zungenlappen erinnerte sofort an einige Zeilen von Gunerus, die Jon. Müller in seiner vergleichenden Anatomie der Myxinoiden *) citirt, deren Richtigkeit er aber nicht anerkennt, weil er nicht vermocht, durch Experimente an todten Exemplaren von Bdellostoma heterotrema, das er in der Bildung der Zunge und ihrer Adnexa mit Myxine vollkommen identificirte, eine gleiche Stellung der Zunge zu Stande zu bringen. Prof. Müller veranlasste mich damals, durch genaue Unter- suchung der die Locomotion der Zunge bedingenden Skelettheile und Muskeln den scheinbaren Widerspruch der beiden Beobachter zu lösen. Die Präparation der Muskeln verlangte eine nähere Leetüre der Arbeit Jon. Müller's, insbesondere des Vergleichs der Kaufunction der Myxinoiden mit jener der Petromyzonten. Dies führte zur Untersuchung der der Kaufunction vorstehenden Mus- 1) Theil I S. 188 Anm. 1. — S. ausserdem § 2 dieser Arbeit Anm. 17. Bd. IX, N. F. IL 1 2 Paul Fürbringer, kein der Petromyzonten, im Verlauf welcher sich manche interes- sante Anknüpfungspunkte zwischen beiden Bepräsentanten der Cyclostomen ergaben und gern folgte ich den Wünschen vom Prof. Müller, die Untersuchungen auf eine vergleichende Studie der Muskulatur des Eopfskelets der Cyclostomen auszudehnen. Eine in dieser Zeit von meinem Bruder, Dr. Max Fürbringer, Prosector in Heidelberg veröffentlichte Arbeit, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskulatur enthaltend, gab zugleich die Bichtschnur der Art des Vergleichs der Muskeln, welcher unter Beseitigung der functionellen Bedeutung der Mus- keln als Yergleichungspunkt , auf den Beziehungen der Muskeln zu den Skelettheilen, zu den anliegenden Weichtheilen und auf der Innervation durch bestimmte Nerven wurzelt. Die Beibehaltung der functionellen Beziehungen der Muskeln, die selbstverständlich nirgends als Vergleichungspunkt benutzt wurden, hat vielleicht der Einheitlichkeit der Arbeit einiger Maassen Eintrag gethan, ein Besultat, welches nicht zu vermeiden war, hätte man nicht auf den ursprünglichen Zweck der Arbeit Verzicht leisten wollen. — Object der Untersuchungen waren nur die von der Trigemi. nusgruppe und den Augenmuskelnerven (deren Zugehörigkeit zum Trigeminus noch nicht erwiesen*) innervirten Muskeln. Die Arbeit zerfällt in einen descriptiven und einen verglei- chenden Theil. Ersterer betrachtet in 5 Paragraphen Skelet, Muskeln und Nerven von Myxine glutinosa, Petromyzon marinus, fluviatilis und Planeri ^), letzterer giebt in 2 Paragraphen den spe- ziellen Vergleich der in Frage stehenden Muskeln innerhalb der Cyclostomen- Abtheilung , so wie einige allgemeinere Beziehungen zu den Muskeln und Nerven der Fische, in Sonderheit der Selachier. Herr Hofrath Professor W. Müller hat mir zu meinen Unter- suchungen zahlreiche Exemplare vorzüglich conservirter Myxinen und Neunaugen gütigst zur Verfügung gestellt, mir fast sämmtliche literarischen Hülfsmittel gewährt und mich in meinen Untersuchun- gen selbst vielfach mit seinem Bath unterstützt. Die Untersuchung von Petromyzon marinus hat Herr Hofrath Professor Gegenbaur durch freundliche Ueberlassung von 2 Exemplaren ermöglicht. Ich erachte es als eine angenehme Pflicht, beiden Herren meinen ergebensten Dank auszusprechen. 2) Nach GEasKBAüB umfassen die Aagenmuskelnerven die motorischen Wurzeln der beiden vordem Aeste des Trigeminus. S. § 5 Anm. 4. 8) Anunocoetes Planeri ist nur im vergleichenden Theüe berücksichtigt. Die Maskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 3 Von der reichen Literatur der Cyclostomen habe ich nur mit folgenden Monographien mich eingehender vertraut gemacht und sie mit in den Bereich meiner Betrachtungen gezogen: Rathkb*): 1) Bemerkungen über den Innern Bau der Pricke (Danzig 1825). 2) Bemerkungen über den innem Bau des Quer- ders und kleinen Neunauges (Halle 1827). Born *) : üeber den innem Bau der Lamprete (HEUßiNGER'sche Zeitschrift, Eisenach 1827). Mayer *) : üeber den Bau von Petromyzon marinus (Analecten für vergleichende Anatomie, Bonn 1835). JoH. Müller ^) : Vergleichende Anatomie der Myxinoiden (Ber- lin 1835 u. 1840). Schlemm und D'Alton®): Nervensystem von Petromyzon mari- nus (Müller's Archiv, Berlin 1838), 4) Rathke giebt in seiner ersten Arbeit eine sehr wenig ausführliche nnd namentlich in Bezug auf Ursprung und Insertion sehr ungenaue Beschreibung- Etwas sorgfältiger ist das Skelet behandelt, während das peripherische Nerven- system äusserst kurz gefasst ist und sich auf eine ganz dürftige, zum Theil falsche Darstellung der stärksten Aeste beschränkt. Die Augenmuskefaierven und eine Menge äusserst wichtiger, relativ kräftiger Trigeminuszweige hat er ganz übersehen. Ungleich genauer und ausführlicher erscheint seine zweite Arbeit. 5) Enthält zahlreiche Berichtigungen der Irrthümer Rathke's. Die Be- schreibung des peripherischen Nervensystems, zwar ungleich ausführlicher als die Rathiob's, birgt doch noch immer viele Ungenauigkeiten imd falsche Be- obachtungen. 6) Diese Arbeit bringt in einer sehr dürftigen und fehlerhaften Darstel- lung von Skelet und Muskulatur mehrfache Irrthümer Rathkb's wieder zum Vorschein, nachdem sie bereits im Jahre 1827 von Born berichtigt worden waren. Die Deutung der Skeletabschnitte und Muskeln ist zum Theil höchst abenteuerlich. 7) Joe. Müller hat in dieser voluminösen Arbeit u. A. Skelet, Muskulatur and Nerven von BdeUostoma heterotrema bis auf die kleinsten Gebilde aus- führlich und sorgfUltig beschrieben ; der Schluss auf einen „ganz gleichen Bau*' der Myzine ist gerade in Hinsicht auf Skelet und Muskeln nicht aUenthalben richtig. Auch in der Darstellung der „Zungenmuskulatur** von Petromyzon marinus finden sich einige aUerdings nur das Detail betreffende Differenzen. — Die Deutung des Skelets der Cyclostomen bildet zu einem grossen Theile die Grundlage meiner Arbeit. 8) ScRLBMM und D'Alton geben die ausfohrlichste, wenn auch noch lange Dicht erschöpfende nnd fehlerfreie DarsteUung der Nerven von Petromyzon marinus. Merkwürdiger Weise ist die Innervation gerade der grössten Muskel - complexe übersehen worden. Auch m der Beurtheilung einzelner Augenmus- keln herrschen falsche Ansichten. 1* 4 Paul Fttrbringer, da die Ergebnisse der übrigen Arbeiten •), so weit sie die Mus- kulatur des Kopfskelets betreffen, in den erwähnten Monographien theils aufgenommen theils berichtigt sind. Ausserdem wurden für den vergleichenden Theil besonders die Lehrbücher von Stannius und Gegbnbaur zu Rathe gezogen, sowie Vetter's Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Kiefer- und Kiemenmuskulatur der Fische (Jena 1874) und Lan- gerhans' Untersuchungen über Petrom. Planeri (Freiburg 1873) berücksichtigt. ^A^. I>escriptiver Tlieil. § 1. Eopfskelet ') vom Myxine und Petromy zon. (Fig. 1. 2. 8. 16. 17.) Bei Myxine wie Petromyzon*) besteht eine continuirliche Ver- bindung des Craniums mit dem Visceralskelet*), ein Verhalten, das sich, wenigstens für das Palatoquadratum, bei Lepidosiren und Chimaera wieder findet. 1. Graninm. Bei Beiden besteht das Cranium aus einem vom an die Nasen- kapsel grenzenden, hinten unmittelbar in das Rückenmarksrohr übergehenden Schädeldach und einem dem hintern Abschnitt des- 9) GuNBBUs (1765) deutet die Zuiigenlappeii der Myxine als Kiefer und doTi grossen Muskelkörper der Zunge als Luftröhre. — Rstzitb (1790) weist zuerst auf die Aebnlichkeit der „Kiefer" von Myxine und Petromyzon hin. — Abildoaard (1792) erkannte zuerst die Luftröhre des Gunerus richtig als Muskeln, welche die „Kiefer" bewegten, ebenso Bloch. — Home (1816) deutet die 2 Zahnreihen richtig als der Zunge, nicht den Kiefern angehörig. — Be- Tzius (1826) giebt die erste ausführlichere Beschreibung des Nervensystems der Myxine. ~ 1) Dieser Paragraph, der mehr der Orientirung in der Nomenklatur dienen soll, leistet auf jede ausführliche Darstellung der Skelettheile Verzicht, welche von JoH. MüLLEB bereits auf das Genauste beschrieben sind. 2) Die Bezeichnung Petromyzon gilt, wo nicht das Gegentheil angegeben, für Petrom. marin., fluv. und Plan, zusammen. 3) Nur von Kiefer- und Zungenbeinbogen verstanden. Die Muskulatur des Kopfskelets der ('yclostomen. 5 selben entsprechenden kurzen (bei Myxine gespaltenen) Basilar- theil (Fig. 1. 2. 17 B), der seitlich die Gehörkapseln (Gk) ange- lagert hat und nach vorn und lateralwärts die beiden ersten Vis- ceralbogen (I, II) entsendet. Nach vorn setzt sich der Basilartheil bei Petromyzon, nachdem ihn der Nasengaumengang perforirt (Fig. 1 7 x) in den Vomer (V) *) fort, der seinerseits wieder Beziehungen zum Kieferbogen zeigt und nach vorn in das voluminöse Ethmoid (E) *) übergeht. Bei Myxine finden sich Vomer und Ethmoid wie- der, aber als discrete Abschnitte, indem ersterer durch Entwicke- lung des Nasengaumenganges ausser Contact mit dem Basilartheil gekommen, eine voluminöse mit ihren vordem Abschnitt mit dem Palatinum (s. u.) zusammenhängende dünne Platte*) darstellend, das Ethmoid aber, zu einem kurzen cylindrischen SkelettheiF) re- ducirt, von dem vordem Abschnitt der Vomerinplatte durch die vordere Quercommissur der Palatina getrennt erscheint. Bei Bei- den, Myxine wie Petromyzon, lagert die Nasenkapsel resp. das Nasenrohr auf Vomer und Ethmoid. 2. Tisceralskelet. Bei Beiden bietet das Visceralskelet so beträchtliche Abwei- chungen vom allgemeinen Typus, wie Dm ein Theil der Selachier repräsentirt, dar, dass man die Cyclostomen, als durch den Mangel des Visceralskelets und seiner Derivate ausgezeichnet, der Gnatho- stomen gegenüber gestellt hat. Doch lassen sich bei Beiden aus dem complicirten Bau der Skeletstücke, welche als Stützorgane für den vordem Abschnitt des Digestionstractus fungiren, Bildungen sondern, die nur auf das Visceralskelet bezogen werden können, deren Complicationen abgeleitet werden müssen aus den mannig- 4) Rathkb: Gaumenbein. Müllsb: Knöcherner Gaumen, dessen Homologie mit dem Vomer er aber eigens angiebt (S. 162). 5) RATm^B: Thränenbein. Bobn: Nasenbein. Matbb: Stirnbeinknorpel. Mülleb: Hintere Deckplatte des Mundes. Huxlbt: Etbmovomerinplatte (RATZBL'sche Ucbersetzuug d. Anatomie d. Wirbelthiere Ö. 106). 6) Mölleb: Gaumenplatte, die er gleich jener von Ammocoetes („die noch an der Basis cranii hinten angewachsen*^) im 6. Kapitel (S. 160 u. 101) als Uomologon des Vomer beurtheilt. 7) Müllbb: Schnauzenstütze, für deren Homologie mit der Ethmoidplatte von Petromyzon er 8. 112 die Beweise bringt. 6 Paul Fürbringer, fachsten Anpassungen, welchen das Eopfskelet der Cyclostomen erlegen ist. Jedenfalls ist eine Anzahl von Zwisehenformen , so wohl zwischen beiden Repräsentanten der Cyclostomen als zwischen ihnen und den Selachiern ausgefallen. Die Umbildung des Visce- ralskelets ist namentlich bei Myxine durch zahlreiche secundäre Anpassungen zu einem so hohem Grade gediehen, dass es nicht mehr statthaft erscheint, die Myxinoiden lediglich als Repräsen- tanten einfach niederer Formen (als der Selachier) zu bezeichnen, sondern vielmehr als Repräsentanten einer Abtheilung, im Bereich welcher durch zahlreiche eigenartige Differ.enzirungen die Charaktere einer sehr frühen Form theils zu Grunde gegangen theils verwischt sind. Ein Gleiches gilt, wenn auch in viel geringerem Grade, von den Petromyzonten. Die gegen- seitige Stellung von Myxinoiden und Petromyzonten anlangend, so müssen im Allgemeinen höhere Diflferenzirungen nach Maass- gabe des allgemeinen Wirbelthiertypus den Petromyzon- ten zugeschrieben werden. Anscheinend einfachere Formen müssen hier zum grössten Theil als Reductionen der myxinenartigen Dif- ferenzirungen gedeutet werden. Das Visceralskelet von Petromyzon und Myxine zeichnet sich im Allgemeinen durch rudimentäre Entwickelung des Kieferbogens aus, der unter vollständigem Mangel des Unterkieferstücks sich auf die Existenz von Palatoquadratum und Andeutungen einiger Derivate derselben beschränkt. Bei Myxine wird der Kieferbogen angetroffen in Form einer im Bereich des vordem Gehörkapselabschnitts von der Schädelbasis entspringenden Spange (I) % die nach vorn 2 Fortsätze bildet, einen medianen und lateralen; letzterer bildet die Grundlage des Auges, den Arcus subocularis (As). Mit diesen vordem Fortsätzen des Quadratums verbindet sich unter Vermittelung zweier weicher Commissuren die Gaumenleiste (P), welche, die Incisur zwischen den beiden Fortsätzen vorn zu einem längsovalen Loch •) abschlies- send, sich nach vorn und medianwärts erstreckt und in der Mit- tellinie mit der der andern Seite durch eine Quercommissur ver- schmilzt, die das Ethmoid von der Vomerinplatte trennt. Von dem vordem äussern Ende der Gaumenleiste entspringt ein nach vorn und aussen strebender Fortsatz, der Processus spinosus (Ps) *^) 8) Müllbb: Flügelfortsätze der Basis cranii, die Träger der Gaumenleisten. 9) Müllbb: Erste Lücke an der W^urzel der Gaumenleisten. 10) Müllbb zählt diesen Fortsatz unter den Mundknorpeln auf. Die Muskulatur des Kopfskelete der Cyclostoxnen. 7 welcher mit dem später zu erwähnenden Tentakelkranz zusammen- hängt. Ob die Gaumenleiste dem Palatinum allein oder einem Complex von Palatinum und Pterygoidea entspricht, lässt sich nicht nachweisen ^ '). Nach hinten schliesst das Palatoquadratum ohne sichtbare Grenze (die ungefähr den punktirten Linien auf den Abbildungen entsprechen muss) an die obern Abschnitte des Zungenbein- bogens an. Bei Petromyzon findet sich der Kieferbogen ebenfalls als Spange, der von der Schädelbasis entspringt, wieder. Jedoch be- schränkt er sich hier auf die Bildung des subocularen Bogens (As)''), welcher das Auge trägt und seinerseits nach vorn in das stark reducirte Homologon der Gaumenleisten (P) übergeht, wel- ches mit einem kurzen vordem Stachelfortsatz (x) '') ausgestattet medianwärts und nach oben strebt, um mit Ethmoid und Vomer zu verschmelzen. Während die Configuration des Kieferbogens noch keinen Schluss auf die gegenseitige Stellung der beiden Repräsentanten gestattet, bietet der Zungenbeinbogen Verhältnisse, die die Ab- theilung der Petromyzonten zur höhern stempeln. Während näm- lich bei den Myxinoiden noch keine Gliederung in Hyomandibulare und Hyoidstück besteht, finden wir dieselbe bei den Petromyzonten schon deutlich ausgesprochen. Der Zungenbeinbogen derMyxine (H) zeigt einen complicirten Bau , wie er bei keinem andern in dieser Hinsicht untersuchten Wirbelthiere angetroffen wird. Er entspringt dicht hinter dem Kieferbogen ebenfalls mittelst einer kurzen Spange (11)'^), bildet nach vorn 2 Fortsätze, welche an den hintern Abschnitt des Kie- ferbogens anschliessend mit letzterem ein ziemlich umfängliches 11) MüLLBB stellt 8 Möglichkeiten auf, nach denen die Qaumenleisten ,,cutwcder Pterygoidea, Maxillaria und Intermaxillaria zusammen, oder Pala* tiua und Pterygoidea, oder endlich Gaumenbeine^* sind. 12) Rathke: Untere Knorpeltafel des äcbädels. Born: Jochbogen. * Matsb : Schläfenbeinknorpel. MüLLBB: Fortsetzung der Schädelbasis. Huxlxt: Unterer Quadratabschnitt des subocularen Hogens. 18) Bobh: Gaumenbein. Matbb : Jochbeinknorpel. Mülleb: Fortsatz des Gaumens. HüXLET : Gaumenflügelbeinabschuitt. 14) Müllxb: Verbindung des Schlundkorbes mit der Gehörkapsel. S Paul Fürbriüger, läögsovales Loch'*) begrenzen. Nach hinten sendet er 2 durch eine kurze Quercommissur verbundene Fortsätze ' •), von dem obern derselben entspringt eine Spange '^), welche in nach vom concavem Bogen herabsteigt, um mit dem Skeletapparat für die die Zunge bewegenden Muskeln zu verschmelzen. Dieser mächtige, die ven- tralen Enden beider Zungenbeinbogen verbindender Abschnitt kann als nichts Anderes, als eine in Anpassung an die colossale Ent- wickelung der der Locomotion der Zunge vorstehenden Muskula- tur eigenthümlich diflferenzirte Copula gedeutet werden. Er ist hergestellt von 6 Lamellen (Gl) '®) und einem mächtigen hintern Fortsatz (Ct)'*). Erstere zeigen sich in 2 hinter einander liegende Reihen gruppirt, von denen die erstere 4, die letztere 2 umfasst Die einzelnen Stücke beider Reihen sind gegen einander beweglich. Das hintere Endstück erscheint in Form eines dorsal rinnenförmig ausgehöhlten nach vorn mit den hintern Copularlamellen verbun- denen nach hinten frei und spitz endenden Abschnitts. Von der Yerschmelzungsstelle des ventralen Bogenendes mit der hintern Lamelle entspringt noch ein unansehnlicher dünner, nach oben und hinten strebender Fortsatz (p) ^), welcher als der hintern Copular- lamelle angehörig betrachtet werden muss. Ausserdem finden sich eine weite Strecke hinter dem hintern Ende des Copularendstücks 2 isolirte, über einander lagernde längsgestellte in die Muskulatur eingesprengte (s. § 2) Skeletplättchen, die jedenfalls ursprünglich mit der Copula verbunden, durch die dazwischen geschobene Mus- kulatur losgelöst worden sind. Nach vom verbindet sich die Co- pula mittelst eines bei Myxine bindegewebigen (bei Bdellostoma knorpligen) Stranges (y) mit dem Tentakelkranz. Ausserdem besitzen bei Myxine die von 2 mächtigen Dupli- caturen der Mundschleimhaut hergestellten Zungenlappen ein be- sonderes Stützskelet, bestehend in je 2 durch laterale Commissuren zusammenhängenden Knorpelplatten, einer vordem ovalen (Vzk) und einer hintern leistenförmigen (Hzk)*'). Der Zungenbeinbogen der Petromyzonten wird fast aller 9 15) Mülleb: Zweite Lücke im Anfaug des Schlundkorbes. 16) Mülleb: Oberer und uuterer Fortsatz des öchlundkorbes. 17) Mülleb: Grosses Zungenbeinhorn. 18) Mülleb: Zimgenbeinknochenstücke. 19) Mülleb: Knorpeliger Kiel des Zimgeubeius. 20) Mülleb: Kleines Zungenbeinhorn. 21) lieber die Abweichungen des Baus dieser Knorpel zwischen Myxine und Bdellostoma s. § 2 Anm. 15. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 9 GomplicatioDen, wie sie bei Myxine bestehen, baar angetrofifen, aber höher differenzirt, indem er bereits eine Gliederang im Hyomandi- bulare^*) und Hyoidstüek '') aufweist. Ersteres (Hm) entspringt dicht hinter dem Kieferbogen von der Schädelbasis als nach unten und aussen gerichtete Spange, deren unteres Ende mit dem Hyoid- stück articulirt. Dieses (Hs) erscheint in Form eines längsgestell- ten Plättchens. Das ganze System der Copularstücke findet sich hier auf einen dreieckigen Knorpel reducirt (G)'^), welcher aber seine Beziehungen zum Hyoidstück verloren hat durch mächtige Entwickelung des hintern Zungenstützknorpels , der sich zwischen Gopula und ventrales Ende des Zungenbeinbogens gedrängt hat Das innere Stützskelet der Zunge weist hier wieder die bei- den vordem ovalen Platten**), allerdings in sehr reducirtem Zu- stande auf (Vzk). Der hintere Zungenknorpel der Myxine ist hier zu einem langen, Muskeln zum Ansatz dienenden Skeletstück (özk)^«) diflferenzirt. — Der Innenfläche des Zungenbeinbogens erscheint bei Myxine das Stützskelet des Schlundsegels angelagert, welches letztere den Abschluss der hintern Oeffnung des Nasengaumenganges besorgt Es besteht der Apparat jederseits aus einem längs verlaufenden horizontalen Theil (Ph, Fig. 2)*') der mittelst seines vordem Endes mit dem Zungenbeinbogen articulirt und mit dem der an- 22) Kathks: Hinterer Stachelfortsatz des Schädels. Born: Griffelfortsatz. Mayeb : Schulterblattknorpel. Mülleb: Absteigender Fortsatz der Schädelbasis. Huxlbt: Stylohyal. 28) Hateb: Schlüsselbeiuknorpel. Mülleb: Knorpelplatte des absteigenden Fortsat/es der Schädelbasis. 24) Rathkb: Herzförmiger Zungenknorpel. Bobn: Zungenknorpel. Matbb: Dolchförmiger Zungeubeinknorpel. Mülleb: Zungenbein. 25) Kathkb beschreibt die beiden getrennten Platten als „gabelförmigen Zungenknorpel". Matbb: Lippenknorpel der Zungenspitze. Mülleb: Knorpliger Zungenstiel, dessen Homologie mit dem hintern Zungenknorpel der Myxine er eigens angiebt (Cap. I S. 224). 26) Rathkb: Schwertförmiger Zungeuknorpel. Matbb: Ciabelförmiger Zungenknorpel. Mülleb: Knorpliger Zungenstiel. IIüzlet: Zungenknorpel. 27) Mülleb: Hauptstück des Schluudsegcls. 10 Paul Fttrbringer, dem Seite durch einen Querbügel (Ptr)**) verbunden erscheint. Letzterer trägt wieder ein complicirtes Gerüst von dünnen Längs- und Querspangen. Ebenso findet sich auch bei den Petromyzon- ten im Niveau des Hyomandibulare Her Stützapparat eines Schlund* segeis, das dem Abschluss des Bronchus vom Rachen vorsteht, aber keineswegs als Homologon des Schlundsegels der Myxine be- urtheilt werden darf (s. d. im vergleich. Theile). Er wird herge- stellt von 2 durch eine Quercommissur verbundenen ovalen Platten (Fig. 24 x), welche bei Petrom. fluv. und Planeri ausserdem eine Anzahl nach vom gerichteter fingerförmige Fortsätze tragen. Ausserdem besteht bei beiden Repräsentanten der Cyclostomen ein System von dem Schädel vorgelagerten Skeletstücken , das je- doch aus später zu erörternden Gründen (s. im vergleich. Theile) als eigenartige Bildung der Myxinoiden wie Petromyzonten zu- kommend beurtheilt werden muss und sich weder innerhalb der Cyclostomenabtheilung noch mit den Labialknorpeln der Fische vergleichen lässt. Bei Myxine erscheint es als halbringförmiger den vordem Obern Mundrand bildender Tentakelkranz (C, Fig. 1), welcher jederseits 3 Tentakelknorpel (Tj, Tj, T3) ^^) tragend, zwischen dem 1. und 2. sich von Bandmasse unterbrochen zeigt, in der Mittel- linie mit dem Ethmoid, an der Basis des 2. Tentakelknorpels mit dem Proc. spinosus der Gaumenleiste und an der Basis des 3. Tentakelknorpels durch ein Band (y Fig. 1. 3) mit der Copula verbunden'®) zeigt. Ein 4. Tentakelknorpel (T4) erscheint ausser Zusammenhang mit dem Tentakelkranze. Bei den Petromyzonten wird ein mächtiges Vorknorpel-System angetroffen, bestehend aus 3 voluminösen und 2 kleineren Ab- schnitten. Erstere stellen dar einen vordem ringförmigen Knorpel (Ca, Fig. 16)^'), einen an den hintern Rand dieses anschliessenden 28) Müllbb: Mittelriemen des Schlundsegels. 29) MüLLSB beschreibt den 2. Tentakel, weil er bei der Ansicht von der Seite über dem ersten liegt, als 1. und letztem als 2. Tentakel. 30) Bei BdeUostoma bestehen hier nach Müller noch eine geringfügige Abweichungen betreffs des Zusammenhangs des Tentakelkranzes mit den vor- dem Gopularlamellen. 31) Rathkb: Vorderer Ringknorpel mit Griffelfortsatz. Bobn: Zwischenkiefer mit Oberkiefer. Mateb: Vorder- und Unterkieferknorpel mit Griffelfortsatz. Mülleb: Lippeuring mit stielförmigem Anhang. HüXLET fasst sämmtliche Vorknorpel als „accessorische Lippenknorpel*^ zusammen. Die Maskulatar des Kopfskelets der Cyclostomen. H halbringformigen (Cs) ") und einen diesem folgenden paarigen rhom- benförmigen Knorpel (Cr) ^'). Die beiden letzten werden zum Theil vom Ethmoid überdacht Die beiden kleinen Knorpel bilden einen dem Bingknorpel anlagernden Proc. spinosus (Ps) und eine kleine dem halbringförmigen Knorpel angelagerte Platte (Cl) '*). Sämmt- licbe Yorknorpel stehen durch Bandmasse mit einander im Zu- sammenhang. Der Nachweis, dass die Vorknorpel und der Tentakelkranz vor- deren Kiemenbögen entsprechen, kann nicht mehr geführt werden. §2. Mttsknlatnr des Kopfskelets von Myxine glutinosA. Die Muskulatur des Kopfskelets von Myxine glutinosa ') kann man bezüglich ihrer Ursprungs- und Insertionsverhältnisse *) in folgende Gruppen scheiden: I. Muskeln des Tentakelkranzes und des Nasenrohrs. IL Muskeln des Kieferbogens. III. Muskeln des Zungenbeinbogens und der Zunge. IV. Muskeln, welche den Kieferbogen mit dem Zungenbein- bogen verbinden. V. Muskeln des Schlundsegels. I. Hlaffkeln de« Tentakelkranz«« und des Naseiirohrfl. 1) Tentacularis posterior (Tp. Fig. 7). 2) Tentacularis anterior. 32) Rathke: Hinterer Ringknorpel. Bobn: Pflugschar. Matsb: 01)erkiefer und Gaumeufortsatz (d. i. das vordere »chnabel- förmige Ende). Müllkb: Vordere Deckplatte des Mundes. 88) Kathkb: Tafelförmiger Knorpel. Mayeb: Gaumenbeiiikuorpel. Mullsb: Hintere Seitenleiste des Mundes. 34) Rathke: Seitentheil des Zungenbeins. Mateb: Hornfortsatz des Oberkiefers. MüLLBB: Vordere Seitenleiste des Mundes. 1) Die meisten dieser Muskeln hat J. Müllxb nur an Bdellostoma be- schrieben. Nur, wo beträchtlichere, sofort in die Augen fallende Abweichun* gen nach Form und Verlauf bestanden , , hat er eine nähere Schilderung auch jener der Myxine gegeben. 2) Aus practischen , später sich ergebenden Gründen ist im descriptiven Theile diese Scheidung der Eintheilung nach der Innervation vorgezogen. 12 Pa'iJ Fürbringer, 3) Tentaculo-ethmoidalia (To. Fig. 4). 4) Transversus oris. 5) Nasalis (N. Fig. 7). 6) Ethmoideo-nasalis. Meist unansehnliche Muskeln, welche bis auf den Tentacularis post. sämmtlich vom Ophthalmicus innervirt werden. Letzterer wird als Abschnitt des Seitenrumpfmuskels von einem Ast des ersten Spinalnerven versorgt. 1. Tentacularis posterior. MüLLBR : Zurttckzieher der Tentakel «). Ziemlich breiter platter Muskel, an der Seite des vordem Kopfabschnitts subcutan gelegen. Er entspringt von der gemein- samen Aponeurose der beiden Dorsalportionen des Seitenrumpf- muskels, dessen vorderer Rand in die untern 2 Drittel des Ur- sprungs ziemlich genau einpasst. Seine Fasern verlaufen nahezu parallel nach vorn, um sich terminal in 3 zusammenhängende Por- tionen zu sondern, eine obere, mittlere und untere. Die obere und untere inseriren sich, schräg auf- resp. abwärts steigend, an der Aussenfläche der Basis des 2. resp. 3. Tentakelknorpels, wäh- rend die mittlere Portion mit einem dünnen bogenförmigen Sehnen- streif als vorderem Rande abschliesst. Function. Zieht den 2. und 3. Tentakel zurück. 2. Tentacularis anterios. Kleiner schlanker Muskel am vordersten Rande der Mund- öflfnung. Entspringt von der Basis des 4. Tentakelknorpels. Seine Fasern ziehen um die Innenseite des 3. Tentakels, hier mit diesem abhärent, um nach vorn und oben sich wendend, ihre Insertion mittelst einer kurzen dünnen Sehne an der Basis des 1. Tentakel- knorpels zu finden. Function. Nähert den 1. und 4. Tentakel einander, wirkt zugleich (bei fixirtem 4. Tentakel) als Zurückzieher des 1. Tentakels. 8) Nach J. MuLLBB entspringt der Muskel bei Bdellostoma an der Gau- menleiste. (?) Auf der Abbildung bietet er sich bedeutend in seiner Breite reducirt dar durch Wegfall des untern Abschnitts. Dem entsprechend erschö- pfen sich auch seine Bündel in einer obern und untern Portion, von denen erstere bei Bdellostoma sich an die beiden ersten Tentakel heften soll. Bei Myxine besitzt der 1. Tentakel einen^besondern kleinen Muskel (Tentac. ant.), den MüLLEB nicht anflihrt. Gegen eine secundäre"" Ablösung des letzteren vom Tentacularis post. spricht seine Innervation durch den Ophthalmicus. Jeden- falls ist er von Müllisb übersehen worden. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 13 3. Tentacolo-etlimoldaUs. Mülleb: Compressor oris*). Massig kräftiger, kurzer Muskel, hinter vorigem, über der Schleimhaut des Mundes gelegen. Entspringt vom vordersten Ab- schnitt des Ethmoids, um sich mit seinen nach unten und aussen verlaufenden Fasern, zwischen dem Tentacularis ant. und Copulo- tentaculo-coronarius hindurchtretend an dem innem Umfang der Basis des 3. Tentakelknorpels zu inseriren. Function. Zieht den 3. Tentakel nach oben und median- wärts und kann, wenn letzterer durch den Gopulo-tentaculo-coro- narius) fixirt ist, die Mundöfinung in ihrem obern Abschnitt etwas verengen. 4. TransYenns oris*). Massig kräftige Muskelmasse von eigenthümlichem Faserver- lauf, zum Theil in eine dreieckige Lücke zwischen dem Tentacu- laris ant und Tentaculo - ethmoidalis einpassend. Seine Bündel sind kurz" und, durch Vermittlung einer ziemlich derben Fascie einerseits am Integument, andrerseits an der Mundschleimhaut sich anheftend, radienartig gegen die Axe der Mundhöhle gerichtet. Von dem medianen dem vordem Ende des Ethmoids anlagernden Abschnitt des Muskels zweigen sich in der Gegend der Basis des Tentakels einige kleine Muskelbündel unter mehr flachem, wage- rechten Verlauf nach unten ab, um quer vor und unterhalb des Ethmoids verlaufend in die gleich gelegenen Bündel der andern Seiten unmittelbar überzugehen. Function. Die Contraction der senkrecht gestellten kurzen Fasern wird eine Verdünnung des Muskels (durch Verkürzung der seine Dicke herstellenden Elemente) zur Folge haben, welche mit einer Flächenvergrösserung des Muskels (durch Volumenzunahme der Dicke der Bündel) d. i. einer Erweiterung der Mundhöhle in ihrem obern vordem Abschnitt Hand in Hand gehen muss. Die 4) MüLLBB erwähnt eine deu beiderseitigen Muskeln gemeinsame Quer- commissur. Letztere gehört aber dem Transversus oris an. Somit fiftUt auch für diesen Muskel die Function eines Mundschlusses durch sphincterartige Compression fort, wie sie Mullbb angiebt. 5) Müller thut dieses Muskels bei Bdellostoma keine Erwähnung. Die Zutheilung der Quercommissur an den vorigen Muskel, so wie die aUerdings nicht so leichte Isolirbarkeit des letzteren von diesem lässt vermuthen, dass MüLLXB unter der Bezeichnung „Compressor oris'* beide Muskeln zusammen- gefasst trotz des ganz verschiedenen Faserverlaufs. 14 PauI F&rbringer, gleichzeitig Steifung der Mundböhlenwand schafft einen nothwen- digen Factor für das Ansaugen des Thiers, indem es dem Druck des umgebenden Mediums einen Widerstand setzt, genügend, um eine Einbuchtung der Wand in das Innere der Mundhöhle zu ver- hüten. — Die Wirkung der kleinen Quercommissur wird sich kaum in einer seitlichen Compression der obersten Abschnitte der Mund- höhle äussern können. Vielmehr macht die in die Gegend der Basis des 1. Tentakels fallende Abzweigung derselben, so wie die Adhärenz mit letzterem es wahrscheinlich, dass eine gegenseitige Näherung der beiden ersten Tentakel die Function der Quercom- missur repräsentirt. 5. Nasalis. Mülleb: Zurückzieher der Nasenöffnung *). Schwacher schlanker Muskel, subcutan gelegen, mit seinem lateralen Bande an den medianen des Tentacularis post. anschUes- send. Er entspringt von dem seitlichen Abschnitte der Nasen- kapsel, läuft, dem seitlichen umfang des Nasenrohrs unmittelbar aufgelagert, gerade nach vom, um sich an dem ersten ifasenrohr- knorpel zu inseriren, hier mit der Insertion des folgenden Muskels verschmelzend. Function. Zieht die äussere Nasenöflfhung zurück, verkürzt dadurch das Nasenrohr. 6. Ethmoideo-Basalis. MtTLLBB: Compressor narium. Kleines dünnes Muskelbündelchen, das am vordem Ende des Ethmoids entspringt, bogenförmig um den lateralen Rand der Basis des 1. Tentakels läuft und sich zugleich mit dem Nasalis am seit- lichen Umfang des vordem Nasenrohrendes zu inseriren. Function. Drückt den ersten Tentakel gegen das Nasen- rohr und schliesst so bei doppelseitiger Wirkung die Mündung der- selben. II. lüiMkeln des Kieferboipens« 7) Palato-ethmoidalis superficialis (Pes, Fig. 4 5). 8) Palato-ethmoidalis profundus (Pepr, Fig. 4 5 6). 9) Quadrato-palatinns (Qp, Fig. 9). 10) Palato-coronarius (Pc, Fig. 6 9). 6) Bei BdeUostoma entspringt der Muskel nach Müllbb's Angaben von der Gaumenleiste und heftet sich an den queren Mnndknorpel (d. i. obersten Abschnitt des Tentakelkranzes). Die Muskalatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 15 Werden bis auf den Palato - ethmoid. superfic, der einen Ast des Ophthalmicus erhält, vom Ram. externus des Maxillaris innervirt. 7. Palato-ethmoidalis snperflcialis. Müller: Zurfickzieher der Schnauzenstütze. Kräftiger Muskel, grösstentheils unter dem Tentacularis post. verlaufend. Er entspringt breit von der hintern Hälfte der Gau- menleiste und zum Theil vom seitlichen Umfange des Schädels^) derart, dass seine oberflächlichen und medianen Bündel sich von diesem, seine tiefen und lateralen sich von jener sammeln. In leichter Gonvergenz verlaufen die Fasern nach vorn, oben und medjanwärts, um sich breit an der Seitenfläche des Ethmoids, etwa im Bereich dessen mittleren Drittels zu inseriren. Function. Bewirkt bei doppelseitiger Action eine Dorsal- flexion des Ethmoids und in Folge dessen eine Zurückziehung des obern Mundrandes, so dass der Gaumenzahn nunmehr die vor- derste Stellung behufs Erfassens der Beute einnimmt. 8. Palato-ethmoidaUfl proftmdiis. Müllxb: M. pyramidalis. Kurzer, aber ziemlich kräftiger Muskel, der unter dem vori- gen gelegen, seinen Ursprung an dem seitlichen Umfange des Eth- moids im Bereich dessen hinterer Hälfte ninmit. Seine Fasern ziehen, nur ganz leicht convergirend nach hinten, unten und late- ralwärts, um breit ^) an dem medianen Rande des vordem Gau- menleistenfortsatzes bis an dessen Basis zu inseriren. Bisweilen greifen einzelne Fasern noch auf die Gaumenleiste selbst über. Function. Comprimirt bei doppelseitiger Wirkung die Mund- höhle seitlich, indem er den vordem Gaumenleistenfortsatz median- wärts zieht und den Tentakelring seitlich einbuchtet. 9. Qnadrato-palatlnns. Mülleb: Anzieher des Schlundkorbes*). Ziemlich starker dreieckiger Muskel, dessen ventrale Fläche von der Mundschleimhaut überzogen, dessen dorsale zum Theil 7) Dieser Ursprung fehlt nach Müllxr bei Bdellostoma. 8) Bei Bdellostoma hat der Muskel eine dreieckige Form, indem er dorch starke Gonvergenz der Fasern eine langgezogene AnsatEspitse erhalt, die am vordem Ende des Ganmenleistenfortsatzes sich festheftet. 9) MüLLSB lässt diesen Muskel bei Bdellostoma von der Gamnenleiste ent- springen und am Schiandkorb (Quadratum) sich inseriren, womit die erw&hnte Function (Anzieher des Schlundkorbes) im Einklang steht Bei Myxine macht 16 Paul Fürbringer, von dem folgenden Muskel gedekt ist. Seine Basis entspringt am seitlichen Rande des subocularen Bogens des Quadratums. Die Fasern ziehen, ziemlich stark convergirend nach vorn und median- wärts, um in eine sehr dünne aponeurotische Sehne überzugehen, welche am lateralen Umfang des vordem Gaumenleistenabschnitts ihren Ansatz findet Function. Beugt die Oaumenleiste gegen das Quadratura, zieht dadurch den obern Mundrand nach hinten und unten, wo- durch die vordere Mundöffnung unter starker Verkleinerung in einen dreieckigen Raum (mit nach oben stehender Basis) verwan- delt wird. 10. Palato-coronarias. Mülleb: Zurückzieher des Mundrandes oder der Mundknorpel. Zweiköpfiger •®) Muskel von der Stärcke des vorigen. Sein innerer Kopf entspringt vom medianen Rande des hintern Ab- schnitts der Gaumenleiste, sein äusserer vom lateralen. Zwischen beiden Köpfen verläuft derRam. ext. des Maxillaris, um sich kurz vor der Vereinigung beider auf die dorsale Fläche des Muskels zu schlagen. Letzterer läuft als einfacher Muskelbauch über die Sehne der vorigen nach vorn und aussen, um mittelst kurzer kräf- tiger Sehne mit dem bandartigen Verbindungsstück der vordem lateralen Copularlamelle und der Basis des 3. Tentakelknorpels, also dem untern Abschnitt des Tentakelkranzes zu verschmelzen. Function. Zieht den untern Mundrand nach oben und hinten. 111« JHimkelii des Zunffeiibeinlioipens und der Zunfipe« 11) Copulo tentaculo-coronarius (Ctc, Fig. 4 6). 12) Copulo -ethmoidajis (Ce, Fig. 4 6). 18) Hyo-copulo-glossus (Hcgl, Fig. 4 13). 14) Copulo-glossus superficialis (Cgls, Fig. 5 8). 16) Copulo-glossus pro-fundus (Cgipr, Fig. 5 8). 16) Copulo-copularis (Cc, Fig. 8 12 13 14 15). 17) Longitudinalis linguae (LI, Fig. 12 13 14 15). 18) Perpendicularis (P, Fig. 15). die starre Fixation des kräftigen Quadratum gegenüber der Beweglichkeit der nachgiebigen Oaumenleiste, namentlich aber das Bestehen einer doppelten biegsamen Commissur zwischen beiden Skeletabschnitten die Annahme noth- wendig, dass die suboculare Insertion als Punctum fixum fungirt, ein Verhalten, dessen auch Müllsb von Myxine speziell Erwähnung thut. 10) Bei Bdellostoma, wo der Muskel im Wesentlichen denselben Verlauf hat, fehlt nach Müllbb der bei Myxine deutlich diskrete Ursprung mit 2 Köpfen. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 17 Grösstentheils kräftige, lange Muskeln, welche sämmtlich vom Maxillaris und zwar die ersten beiden von dessen Ram. externus, alle übrigen vom Ram. internus innervirt werden. 11. Gopolo-tentacttlo-coronarins. Müllbb: Zweiköpfiger Herabzieher des Mundes. Schlanker langer Muskel am untern und seitlichen Mundrand, dessen innere Fläche zum grössten Theile von der Mundschleim- haut überzogen ist. Entspringt vom innem Bande der lateralen, und vom äussern Rande der medianen Copularlamelle, so wie von dem beide verbindenden sehnigen Streif. Seine Fasern verlaufen zunächst nach vorn und etwas nach oben. Dabei inseriren sich die untern Bündel am hintern Bande der Basis des 4. Tentakel- knorpels, während die obern weiter ziehen und von neuen Muskel- bündeln, welche sich vom vordem Bande der Basis des 4. Tenta- kelknorpels sammeln, verstärkt werden, ein Verhalten, das sich an der Basis des 3. Tentakelknorpels wiederholt, so dass dem Muskel 3 Köpfe ^*) zukommen. Die Endinsertion selbst findet am hintern Rande des Tentakelkranzes statt von der Basis des 4. Tentakels an bis zu jener des 2. Tentakels, wo der Muskel in Form einer schmalen Spitze ausläuft. Function. Zieht bei doppelseitiger Wirkung den untern Abschnitt des Tenkelkranzes zurück. Bei Fixation des obern Ab- schnitts des Kranzes können die beiden vordem Köpfe den 3. und 4. Tentakel aufwärts ziehen. 12. Copolo-etlimoidalls. Mülleb: Herabzieher der knöchernen Schnauzenstütze. Langer, wenig kräftiger Muskel, dessen innere Fläche grössten- theils von der Mundschleimhaut gedeckt ist. Entspringt unter dem vorigen vom vordem Ende der lateralen Copularlamelle. Seine Fasern ziehen bogenförmig unter dem vordem Qaumenleisten- fortsatz nach oben und vorn, um sich unter dem Palato-ethmoi- dalis superfic. und vor dem Palato-ethmoidalis profund, am Eth- moid zu inseriren. Function. Comprimirt, indem er die vordem Copularlamel- len und das Ethmoid einander nähert, die Mundhöhle. 11) Bei BdeUostoma ist dieser Muskel nur zweiköpfig, indem ihm die Ver- st&rJmng vom 4. Tentakelknorpcl mangelt. Auch ist die Länge seiner Inser- tion daselbst ziemlich beträchtlich redudrt. Bd. IX, N. F. IL 2 ScTfLi JB iif EoÄ^ Ä«^ 4. TestakeitEorp^fe- Die nfen^ea Fas^r: i-< Xi; dem er die Einbuchtung des Tentakelringes nach innen durch Herabziehen des vordem Gaumenleistenfortsatzes aufhebt. Anders, wenn der fixirte Gaumenleistenfortsatz die Rolle des Punctum tixum übernimmt. Dann wird der Muskel die lateralen Gopular- lauiellen einander medianwärts nähern (bei doppelseitiger Wirkung) und somit die Mundhöhle seitlich comprimiren. Hierdurch schafft er für die Passage der Zungenplatten in der Mundhöhle günstige Bedingungen (s. d. Function v. N. 15). 20. Hyo-copnlo-palatiims. Mülleb: Vorderer Yorzieher des Zungenbeins. Viel breiterer und kräftigerer Muskel als der vorige. Er ent- springt vom vordem Gaumenleistenfortsatz, die Lücke zwischen dem Ursprung des vorigen und dem vordem Ende des Palatinums ausfüllend, meist mit einigen Bündeln auf letzteres selbst noch übergreifend ^*). Seine Fasem laufen stark divergirend nach unten m 23) Mülleb lässt aUe Muskeln dieser Gruppe au der Copula ihren Ur- sprung nehmen und am Kieferbogen sich inseriren, trotzdem letzterer als Pun- ctum fixiun fungirt. 24) Bei einigen Exemplaren findet sich noch ein hinterer Abschnitt des Muskels, von parallel laufenden Bündeln hergestellt, welche an der Fascie (los Copulo-quadrat. profund, (s. Fig. 5) entspringen und nach unten und hin- ten allmählich spurlos mit den vordem Bündeln yerschmelzen. — Bei Bdelio- storoa inserirt sich dieser Muskel an dem „vordem Ende der Gaunieiileisten^S , ^ein „Ursprung** (s. Aum. 23) scheint hier etwas reducirt zu sein , indem er die vordere laterale Copularlamelle nicht mehr erreicht und vom Hyoid nur ,>uoch etwas'* cntspiingt 28 P*ttl Fürbringer, und rückwärts um sich breit am hintern Viertel der lateralen Co-' pularlamelle, ferner an der hintern in deren ganzer Ausdehnung, endlich am vordem Rande der untern Hälfte des Hyoids zu in- seriren. Von seiner Function gilt zunächst dasselbe wie von jener des vorigen Muskels, mit der Maassgabe, dass die Hauptaction in einer Vorwärtsbewegung der Copula d. i. des untern Mundrandes zu suchen sein wird. 21. Copnio-qnadratiu superficialis^). Mülleb: Hinterer Yorzieher des Zungenbeins. Etwas länger, aber schmäler als der vorige, hinter diesem la- gernd. Entspringt am untern Rande des Quadratum, zum Theil auch noch von der Fascie des Gopulo-quadratus profundus. Seine Fasern laufen, nur wenig divergirend nach hinten und unten, um ihren Ansatz am seitlichen Umfang des Endstücks der Copula zu nehmen, etwa im Bereich deren 2. Viertel. Function. Unterstützt den vorigen in seiner Wirkung. 22. Copnlo-qnadratns profundus. Müller: Zurückzieher des Zungenbeins. Flacher, breiter, nicht unkräftiger Muskel, grösstentheils unter dem vorigen gelegen , mit seiner medianen Fläche theilweise an die Schleimhaut des Mundes angrenzend. Entspringt am untern Rande des Quadratums in dessen ganzer Ausdehnung, ausserdem noch vom obern und vordem Abschnitt des Zungenbeinbogens. Seine Fasern ziehen leicht bogenförmig nach unten und vorwärts, ziemlich parallel laufend, um sich am lateralen Rande der latera- len Copularlamelle fast in ganzer Ausdehnung und an dem der hintern in Bereich des vordem Drittels zu inseriren. Function. Zieht, als Antagonist der 3 vorigen Muskeln, den vordem Mundrand rück- und aufwärts und erweitert die Mund- höhle seitlich auf Kosten ihrer Höhe (s. N. 15). — 25) Diesen Muskel habe ich bei einzelnen Exemplaren nur in Form eines ganz unansehnlichen grösstentheils durch Bindegewebe repräsentirten Streifs, bei einem gar nicht angetroffen. — Bei Bdellostoma, wo er constant vorzu- komraen scheint, ist er in seiner „Insertion** (s. Anm. 23) bedeutend nach Tom geschoben, indem er sich am Rande der Gaumenleiste anheftet. Aus demsel- ben Grunde hat er auch seine Beziehungen zur Fascie des Copulo-quadratus profund, verloren. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 29 V. MtuAkeln des l^chlaAddeyela. 23) Velo-quadratus (Vq, Fig. 9). 24) Velo-spinalis (Ysp, Fig. 9). Ersterer erhält einen Zweig vom Bam. ext. des Maxillaris^^). 23. Yelo-qnadratQs. Müllbb: Anzieher des Schlundsegels '^j. Massig kräftiger Muskel von rhomboidaler Gestalt, ausgezeich- net durch die Grobheit seiner Bündel. Entspringt zum grössten Theil vom Quadratum von der hintern Grenze der Gaumen- leiste bis nahe an die Basis der Gehörkapsel; einige Fasern grei- fen noch auf den seitlichen Band der Vomerinplatte über. Der Muskel zieht schräg nach aussen und rückwärts, um seine Inser- tion am Schlundsegelhalter zu finden und zwar vom Köpfchen (Apophysis muscularis Müllbr's) herab bis zum Ursprung der Querspange. Die Insertion beschreibt im Allgemeinen ein dorsal- wärts convexen Bogen, derart, dass der Muskel an seiner ventra- len Fläche eine rinnenförmige Auskehlung'^) darbietet, die be- sonders deutlich in hintern Abschnitt des Muskels hervortritt. Im Bereich dieser Rinne bildet die überziehende Schleimhaut eine flache Duplicatur. Function. Zieht die Schlundsegelhalter, mithin das Schlund- segel selbst (bei doppelseitiger Wirkung) gegen die Nasengaumen- öflhung an, welche hierdurch geschlossen wird. 26) Den Nerr far den anansehnlichen Velo-spinalis habe ich nicht finden können, wenn er nicht einem Äusserst dflnnen Fftdchen, das sich vom Muskel- ast des ersten Schlundsegelmuskels ablöst, dessen Natur ich nicht einmal mit Hülfe des Mikroskops habe erkennen können, entspricht Mvlleb hat ihn so- gar bei dem grössten Exemplare dieser Gattung (Bdellostoma heterotrema) übersehen. 27) MvLLXB erw&hnt 2 Insertionsportionen dieses Muskels, von denen die erste ihren Ansatz an der Apophysis muscularis , die andere am Halter des Schlundsegels findet. Bei Myxine ist die Insertion ganz continuirlich ; somit wird auch für Myxine die Function einer lateralen Portion als Antagonisten der medianen wegfallen müssen. Auch der Ursprung des Muskels zeigt nach der Abbildung Mvllsb's keine Differenzen bei Bdellostoma, indem er hier zum grössten Theil von der Gaumenleiste stattfindet. Die Reduction der knorp- ligen starren Vomerinplatte von Bdellostoma zu einer dflnnen biegsamen La- melle bei Myxine erkl&rt, warum bei letzterer nur ein ganz geringer Theil der Maskelbündel vom Vomer seinen Ursprung nimmt. 28) Auf der Abbildung, wo das Muskelstratum auseinander gezogen, kaum angedeutet. ^Q Paul FürUringer, 24. Telo-gpinalis. Müllrb: Spanner des Schlundsegels. Kleiner schmaler Muskel, der vom Köpfchen des seitliche; Schlundsegelhalters entspringend rück- und medianwärts läuft, U3 sich am lateralen und untern umfang der Wirbelsäule eine kunt Strecke hinter den Gehörkapseln zu inseriren. Function. Zieht das Köpfchen des Schlundsegelhalters nac': einwärts und hinten, somit den Halter selbst nach vorn und au>^ sen. Dadurch wird das Velum seitlich gespannt. — Ich schliesse hier einen rudimentären vom Schädel entsprin- genden und am Zungenbeinbogen sich inserirenden, vom Facialh innervirten Muskel an, da er in die genannten Gruppen sich nich' unterbringen lässt. 25. Cranio-hyoideus. Mülleb: Erster Schhmdconstrictor»). Unansehnliches Muskelbündel, dessen Fasern vom seitlicher Umfang des Schädels dicht hinter der Gehörkapsel entspringen, in leichtem Bogen abwärts unter den obem Abschnitt des Zungen- beinbogens aber über dessen untern hintern Fortsatz tretend zwi- schen dem oberflächlichen und tiefen Copulo-quadratus hindurch- ziehen, um sich am vordem Rande des Hyoids, nahe dessen An- satz an die Copula zu^ inseriren. Eine Function dieses kleinen Muskels wird gegenüber der Fixation des Hyoids an der mächtigen Copula kaum in Frage kommen. Seine Existenz giebt jedoch wichtige Anhaltspunkte für die Annahme einer secundären Verschmelzung des Zungenbeinbogens mit dem Schädel. Höchstwahrscheinlich ist er ein Rudi- ment eines Muskels der der Locomotion des Zungen- beinbogens gegen das Cranium vorgestanden zu einer Zeit, wo eine freie Beweglichkeit jenes mit diesem bestand. Mit der Verschmelzung des Bogens ein Mal mit dem Schädel, . das andere Mal mit dem mächtig entwickelten Copular- apparate musste in Folge der Unmöglichkeit der Bewegung des Bogens gegen den Schädel eine Rückbildung des betreffenden Mus- kels erfolgen. — 29) Diese Bezeichnung ist nicht zulässig, da der Schlundverengerer vom Vagus innervirt wird. Vorliegender Muskel hat mit der Schlundmuskulatur gar Nichts zu thun. Letztere s. im vergleichenden Theile. — Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 31 §3. Trigeminnsgrappe Ton Myxine glatinosa. 1) Trigeminus '). Der Stamm des Trigeminus verlässt die Schädelhöhle durch eine hinter dem Foramen opticum gelegene ovale Oefinung und zerfallt sofort in 2 Hauptäste, den Ramus superior s. Ophtbalmicus und den Ramus inferior s. Maxillaris. Ersterer tritt über den subocularen Bogen des Quadratoms, letzterer geht unter dem- selben hinweg. I. Ophthalnicu« (I, Fig. 4)«). Verläuft über dem subocularen Bogen nach vom und lateral- wärts, giebt zunächst dicht hinter seinem Ursprünge ab den 1) Ram. cutan. sup. post (1, Fig. 4. 7). Dringt sofort direct nach aussen und oben, die sehnige Inscription zwischen der Dorsalportion des Seitenrumpfmuskels und dem Tentacularis post. durchbohrend. Auf diese Weise gelangt er unter die Haut, die er im Bereich des seitlichen Eopfumfangs versorgt, ziemlich pa- rallel mit dem Ram. cutan. sup. ant. verlaufend. Seine Aeste können bis in die Gegend des 3. Tentakels verfolgt werden. Der Stamm des Ophtbalmicus tritt hierauf unter dem Opti- cus') hinweg, um sich in folgenden Zweigen zu erschöpfen: 2) Ram. cutan. sup. ant. (2, Fig. 4. 7). Verläuft nadi oben und lateralwärts gegen die innere Fläche des Tentacularis posL, durchbohrt diesen Muskel, ohne ihm Zweige zu geben (s. §2, I) und gelangt ebenfalls unter die Haut an die Seitenfläche des Schädels, wo er sich über dem Cutan. sup. post. verbreitet. Ein- zelne Endästchen dringen bis gegen die Basis der beiden ersten Tentakel. 1) Der Trigeminus ist von J. Müllbb an BdeUostoma heterotrema sehr erschöpfend beschrieben worden. Da er von dem der Myxine nur in sehr wenigen Punkten abweicht, bietet die vorliegende Beschreibung wenig Neues, durfte aber nicht unterbleiben, um den durch die abweichende Nomenklatur und die Verschiedenartigkeit der Zusammenfassung der einzelnen Zweige be- dingten Schwierigkeiten der Orientirung vorzubeugen. Sie trägt hauptsflchlich der Muskelinnervation Rechnung. 2) Müller: Obere Aeste, welche über der Gaimienleiste bleiben. Er fiasst den Cutan. sup. post. als selbstst&ndigen Ast auf und beschreibt den fibrigen Stamm als Ram. sup. ant 8) Bei BdeUostoma läuft der Stamm des Ophtbalmicus Hb er den Opticus. 32 Pft^ Fürbringer, 3) Ram. nasalis (3, Fig. 4). Schlägt sich nach innen und oben, um sich an der Nasenkapsel und dem Nasenrohre zu ver- zweigen. Nach Abgabe dieses Zweiges tritt der Stamm zwischen den Nasalis und den Palato-ethmoid. superfic. dicht neben dem Nasen- rohre nach vorwärts, um weiter abzugeben 4) einen dünnen Muskelzweig zum Nasalis (4, Fig. 4) an des- sen hintersten Abschnitt eintretend, 5) einen kräftigeren Muskelzweig (5, Fig. 4), der, weiter nach unten verlaufend, in die ventrale Fläche des Palato - ethmoidalis superfic. eintritt und sich in diesem auflöst *) und 6) einen langen dünnen Zweig (6, Fig. 4), die Fortsetzung des Stammes, der an der Seite des Nasenrohrs nach vom läuft und, nachdem er den vordersten Muskeln des Tentakelkranzes und des Nasenrohrs (Tentacul. ant, Tentaculo-ethmoid., Transvers, oris und Ethmoideo-nasal.) Zweige gegegeben, an der Basis des 1. Ten- takels und an der vordem Nasenöffnung endet. — lä. maxillari« (II, Fig. 9. 13). Tritt unter dem subocularen Bogen des Quadratum nach vom und lateralwärts, um alsbald in 2 Aeste, einen äussem und Innern zu zerfallen*). A. Ramus externus (in Fig. 18). Zerfällt fast in gleichem Niveau mit der Abgangsstelle des Ram. int. in 3 Aeste, einen vordem, mittleren und hintem. a) Ramus anterior (7, Fig. 9. 13). Tritt zwischen die beiden Ursprungsköpfe des Palato-corona- 4) Bei Bdellostoma scheint dieser Zweig zum Theil der Endverbreitung des letzten zu übernehmen. W^cnigstens lässt Mülleb den Ram. sup. vom Ram. sup. ant. den Zurückzieher des Mundes und die „oberen kleinen Mund- muskeln^' versorgen und oberflächlich au der Nasenöffnung enden. 6) MüLLBB beschreibt die Aeste des Maxillaris als „Aeste, welche unter der Gaumenleiste sieb verbreiten'^ luid sondert diese in vier: 1) Ram. inf. ant. 2) Rami palatini. 8) Ram. hyoideo-dentalis. 4) Ram. lingualis. Von diesen entspricht nur der Ram. lingualis unserm Ram. int.; alle übrigen sind als Ram. ext. zusammengefasst worden, um im vergleichenden Thcile Schwierigkeiten der Orientirung auszuweichen. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 33 rius *), nm in einen oberflächlichen stärkeren und tiefen schwächeren Zweig zu zerfallen. 1) Ramus superficialis (8, Fig. 4). Ziemlich kräftiger Nerv, der sich nach Vereinigung der beiden Köpfe auf die dorsale Fläche des Palato-coronarius schlägt, einen nach unten und vorn verlaufenden Muskelzweig an den Gopulo-palatinus abgiebt und nach innen von» vordem Gaumenleistenfortsatz und seinen Mus- keln vorwärts läuft, unter den Tentacularis post. gelangt und hier in eine schwankende Zahl (2 — 4) von Endzweigen zerfallt, die im 2. und 3. Tentakel enden. 2) Ramus profundus (9, Fig. 6). Versorgt in seinem Ver- laufe zwischen den beiden Köpfen des Palato-coronarius dieselben mit mehreren dünnen Zweigen, verläuft hierauf zwischen Gaumen- leiste und Ram. superfic. nach vom und gelangt unter den Palato- ethmoidalis prof., dessen ventraler Fläche er einen Zweig zuschickt. Die Fortsetzung des Stammes zerfällt endlich in 2 Zweige, von denen der eine den Copulo-tentaculo-coronarius und Copulo-eth- moidalis^), der andere die Haut in der Gegend des 4. Tentakels versorgt •). b) Ramus medius^). Zerfällt in 2 Gmppen von Zweigen, von denen die eine die Gaumenschleimhaut, die andere den Quadrato-palatinus und die Muskulatur des Schlundsegels versorgt 1) Rami palatini'^^). Zahlreiche feine Aestchen, welche so- fort in den Schleimhautüberzug der Gaumenleisten und Vomerin- platte eintreten, im Allgemeinen nach hinten, vorn und median- wärts steuern und zum Theil sich bis nahe an die vordere Ver- schmelzungsstelle der Gaumenleisten verfolgen lassen ' '). 6) Bei Bdellostoma durchbohrt nur der tiefe Ast den Palato-coronarius, während der oberflächliche an dessen äusserer Seite vorwärts läuft. 7) Von MiTLLSB nicht besonders angeführt. 8) Auf der Abbildung nicht dargestellt. 9) Müller: Rami palatini, trotzdem nur ein Theil derselben diesen ent- spricht. 10) Auf der Abbildung nicht dargestellt. ^ 11) MüLLXB ist es bei Bdellostoma heterotrema gelungen, einen dieser sen- siblen Aeste durch „die fibröse Haut zwischen mittlerer Gaumenplatte und seitlicher Gaumenleiste'* bis in die Gegend des Gaumenzahns zu verfolgen; er läset ihn zum Theil im Gaumenzahn selbst enden. Bei Myxine verschwanden die meisten dieser Aeste sehr bald unkennbar in der Schleimhaut, und war es mir nicht möglich, trotz dauernder Behandlung mit verdünnten Lösungen von Add. pyrolignos. die Angaben Müllbb's auch für Myxine zu bestätigen. Bd. IX, N. F. IL 8 34 PauI Fürbringer, 2) Rami musculares. Zwei dflnne Fädeben, von dena der eine sich nach hinten schlägt, um sich im Yelo-quadratus r. verästeln (10, Fig. 9) der andere um das Quadratum nach auss^! zieht, um in den Quadrato-palatinus einzutreten (11, Fig. 9). Be einigen Exemplaren schien mir der erstere auch ein Fädchen ai den Velo-spinalis abzugeben''). c) Ramus posterior (12, Fig. 9. 1%)"'). Breiter, kräftiger Nerv, der sich um die ventrale Fläche iö Quadratums nach aussen schlägt und den Quadrato-palatinus ii dessen ganzer Dicke durchsetzt. Nach unten und lateralwäzt:^ verlaufend giebt er einen kräftigen Ast ab, der vorwärts laufend sich in den Copulo-quadratus einsenkt. Der Stamm selbst durch- bohrt den Hyo-copulo-glossus an der Grenze zwischen Sehne und Muskelbauch, ohne jedoch dem Muskel selbst Zweige zu geben ^% und begiebt sich hierauf wieder nach oben, in dem Haftband und zwar in dessen medianer Lamelle verlaufend, um die Schleimhaut und Zähne der Zunge zu versorgen ^^). B. Ramus intemosM) (IP Fig. 9. 18). Sehr langer aber weniger kräftiger Nerv, als der Ram. eit Er schlägt sich um den ventralen Umfang des Quadratums zwischen dem Quadrato-palatinus und Velo - quadratus nach unten , hinten und lateralwärts und gelangt zwischen den Copulo-quadratus pro- fund, und die Schleimhaut. Hier giebt er ab 1) Ram. pro Hyo-copulo-glosso (13, Fig. 13), der fast senkrecht gegen die ventrale Fläche des Hyo-copulo-glossus her- absteigt, sich nahe dem lateralen Bande des Muskels sich in die- sen einsenkend. 2) Ram. pro Copulo-glosso superfic. et profund. '^j (14, Fig. 5. 13), der gegen den obern Rand des Hyo-copulo-pala- 12) S. § 2 Anm. 26. 18) Müllbb: Hyoideo-dentalis. 14) MüLLBR lässt auch den Hyo-copulo-glossus einen Zweig vom Ram. post. erhalten, so day dieser Muskel doppelt (s. u. Ram. int.) innervirt wird. 15) Ausserdem zweigt sich bei Bdellostoma Yon der Fortsetzung des Stam- mes noch ein Zweig ab, der gegen den untern Mundrand läuft Weder diesen^ noch den Muskelast .für den Hyo-copulo-glossus habe ich bei Myxine beob- achtet. 16) Müllbb: Ram. lingualis. 17) Nach Müllbb stammt dieser Zweig bisweilen aus dem Ram. ext. and zwar aus dessen hinterm Zweige. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 35 tinas verläuft, diesen Muskel nach seinem Ursprünge vom Hyoid und seinem obem Rande durchbohrt, auf seiner lateralen Fläche abwärts läuft, ohne ihm Zweige zu geben und endlich sich in 2 Zweige spaltet, einen starkem medianen und einen schwächern lateralen. Letzterer versorgt den Copulo-glossus superfic, ersterer den Copulo-glossus prof., mit je einem Endzweig in seine beiden Köpfe eintretend. • Der Stamm des Ram. int. geht über der dorsalen Fläche des IHyo-copulo-glossus weiter nach hinten und medianwärts, giebt nahe «dem Ansatz des Hyoids an der Copula einen 3) Ram. pro lingua (15, Fig. 13) ab, der in die Schleimhaut der Zungenplatten an deren thinterm Umfang eintritt, und gelangt selbst auf die dorsale Fläche des Endstücks der Copula (16, Fig. 13. 15) und weiter rückwärts in den Hohlraum der Copulo-copu- laris, zwischen dessen dorsaler Innenfläche und derFascie verlau- fend. Hier giebt er ab einen 4) Ram. ant. pro Copulo-copulari (17, Fig. 15), der sich im vordem Abschnitt des Muskels verästelt, und verläuft wei- ter nach hinten, mit dem der andern Seite leicht convergirend, mit welchem er sich nach Abgabe einer oder mehrerer Querana- stomosen, etwa im Bereich der Spitze des Copula-Endstücks ver- einigt**). Der gemeinsame Stamm (18, Fig. 15) läuft zwischen der dorsalen Raphe des Copulo-copularis und dessen innerer Fas- cie weiter nach hinten, nach beiden Seiten successive eine schwan- kende Anzahl von 5) Rami post. pro Copulo-copulari (19, Fig. 15) mit nach hinten und unten gerichtetem Verlauf abgebend. Weiter nach hinten zerfällt endlich der gemeinsame Stamm in 2 Endäste, deren jeder als 6) Ramus pro Longitudinali linguae et Perpendi- culari (20, Fig. 15) sich in den Schenkel des Longitudinal. seiner Seite einsenkt, denselben mit mehreren Zweigen versieht und mit dem Rest und der medianen Fläche des Schenkels hervortretend sich im Perpendicularis verästelt. — 2) Facialis (VH, Fig. ö. 6). Dünner Nerv, noch nicht von der Stärke der obem Hautäste des Trigeminus. Er verlässt die Schädelhöhle durch eine kleine 18) Bei einem Exemplare nnterbUeb die Verschmelzung in einen gemein- samen Stamm; desto reicher fielen hier die Queranastomosen aus. 8* 36 P^ FOrbringer, OeSnuDg in der Seitenwand des Craniiims dicht Tor dem vorder Um&ng der Gehörkapsel **). Er tritt zunächst in nach unten im hinten gerichtetem Verlauf unter die vordem obem Abschnit: des Zungenbeinbogens , wendet sich, unter diesem heirvortretene am vordem Bande des Cranio-hyoideus nach unten und vorwän und giebt sofort 2 dünne Fädchen nach hinten und rückwärts at 1) BauL cutaneus^O, der^ber den Cranio-hyoideus ver- läuft, durch den vordem Abschnitt des Seitenrumpfmuskels drinr und sich in der Haut sehr bald verliert; 2) Bam. pro Cranio-hyoideo an dem vordem Umfang d& Muskels in diesen eintretend. Der Stamm des Facialis verläuft hierauf zwischen dem ober- flächlichen und tiefen Copulo-quadratus weiter nach vorwärts unc unten, um nahe dem hinteren Bande des Hyo-copulo-palatinm abermals 2 dünne Zweige^*) abzugeben: 3) Bam. pro Gopulo-quadrato süperfic.'*) nach hinten zur medianen Fläche des Muskels verlaufend, 4) Bam. pro Hyo-copulo*palatino, sich nach rückwärts schlagend, um an der hintern Kante des Muskels einzutreten. Die Fortsetzung des Stammes verläuft endlich als dünner Faden auf der Innenfläche des Hyo-copulo-palatinus nach vom, tritt am vor- dem Bande dieses Muskels auf die Aussenfläche des Copulo-pala- tinus, um sich mit mehreren Zweigen in der Haut bis zur Gegend des 3. und 4. Tentakels zu verbreiten. Einige dieser Zweige ver- binden sich hier mit den Endverzweigungen des Bam. cutan. sup. post. vom Ophthalmicus*'). 19) Vor dem Austritt aus der Schädelhöhle schien er Müller ein Aest- chen in das Labyrinth abzugeben (s. § 5 Anm. 23). 20) Auf der Abbildung nicht dargestellt. Mülleb hat diesen Zweig nur vermuthet. 21) Auch diese Zweige sind von Mülleb nicht mit Gewissheit erkannt» trotzdem sie bei Bdellostoma heterotrema verhältnissmässig kräftig gewesen sein müssen. 22) Bei den Exemplaren , wo ich diesen Muskel rudimentär entwickelt oder überhaupt nicht angetroffen, fehlend. 28) Von Mülleb übersehen. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 37 Schema der MuskelinnerTation. i) Triffeminiifl* I. Ophtkalmiciui. Tentacular-ant. (N. 2). Tentaculo-ethmoid. (N. 3). Transversus oris (N. 4). Nasalis (N. 5). Ethmoideo-Dasal. (N. 6). Palato-ethmoid. superfic. (N. 7). U. MaxUlaris. A. Ram. ext Palato-ethmoid. prof. (N. 8). Palato-coronarius (N. 10). Quadrato-palatin. (N. 9). Velo-qaadrato-palatin (N. 23). Velo-spinalis ? (N. 24). Copulo-tentac-coronar. (N. 11). Gopulo-ethmoid. (N. 12). Copulo-palatin. (N. 19). Copulo-quadratus proftind. (N. 22). B. Ram. int Hyo-copulo-gloss. (N. 13). Copulo-gloss. superf. (N. 14). Copulo-gloss. prof. (N. 15). Copulo-copularis (N. 16). LoDgitudinal. linguae (N. 17). Perpendicular. (N. 18). Gopulo-quadrat superf. (N. 26). Hyo-copulo- palatin. (N. 20). Cranio-hyoid. (N. 25). 3g Panl Fürbringer, §4. Muskeln des Kopfekelets der Petromyzonten. Die Muskeln des Kopfskelets der Petromyzonten sondern sich in ähnlicher Weise wie jene der Myxine nach ihren Ursprungs- und Insertionsbeziehungen in 5 Gruppen: I. Augenmuskeln. II. Muskeln der Vorknorpel. ni. Muskeln des Zungenbeinbogens und der Zunge "). IV. Muskeln des Schlundsegels. V. Pharynxmuskeln *). I. Aud^eniiiuskeln (F. 19. 20)*). 1) Bectus Buperior (Rb). "4 — r 2) Rectus posterior (Rp)v, ^/ 8) Rectus inferior (Ri). ^ a - 4) Rectus anterior (Ra). ~ . ^.^^^ 6) Obliquus anterior (Oa). 6) Obliquus posterior (Op). Sämmtlich kleine, platte, bis auf den letzten von der Seiten- wand des Schädels entspringende Muskeln , bei Petromyz. fluviat. und Planeri*) in Folge starker Divergenz der Fasern mit breitem Insertionsrande versehen, bei Petromyz. marin, nur leicht diver- girend und in Folge dessen verhältnissmässig schmäler, aber stärker. Innervation: Der Obliquus post.*) wird vom Trochlearis, der Beet. post. und inf. vom Abducens, die übrigen vom Oculo- motorius innervirt. ^ 1) Muskeln des Kieferbogens existiren bei den Petromyzonten nicht. 2) Die Pharynxmuskulatur der Myxine (die nicht Yom Trigeminus, sondern vom Vagus versorgt wird) s. im vergleich. Theil. 3) Meines Wissens bisher nur von Ratbke angeführt. Letzterer hat zwar alle 6 gesehen, beschreibt aber den Rect. ant. als schrägen Muskel und lässt ihn gleich dem Obliq. ant. vor dem CJebergang des Palatinum in den Bubocu> laren Bogen entspringen. • 4) Da sich hinsichtlich der Muskulatur keine nennenswerthen Differenzen zwischen Petromyz. fluviat. und Planeri ergeben, wird weiter unten stillschwei- gend unter der Bezeichnung „Petrom. fluviat." Petrom. Planeri mit einbegrif- fen. £benso werden nirgends Petrom. fluviat. und marinus eigens angeführt, wenn nicht charakteristische Abweichungen hinsichtlich der Muskeln oder Nerven bestehen. ^ 5) Ueber die Homologie der Augenmuskeln namentlich der Obliqui s. unter ,) Augenmuskelnerven*' (§ 5). Es erschien praktisch, dieselbe weder hier noch im vergleichenden Theile abzuhandeln, soncfern ßie mit den Augenmuskelnerven im Zusammenhange zu betrachten. Die Maskolator des EopfskeleU der Cyclostomen. 39 1. Rectiu snperipr. Entspringt von der Seitenfläche des Schädels, etwas hinter und unter dem Foramen opticum. Seine Fasern verlaufen nach oben und aussen^), um am obem Umfang des äussern Bulbus- randes seine Insertion zu finden. Function. Dre}it den Bulbus nach oben. 2. Rectiu peiterior. Entspringt dicht hinter und unter dem Ursprünge des vorigen, der seinen obem Rand etwas deckt 0. Seine Fasern laufen nach aussen und etwas rückwärts, um sich am hintern Umfange des äussern Bulbusrandes zu inseriren. Function. Dreht den Bulbus nach hinten. 3. Reeiiu Inferior. Nimmt seinen Ursprung dicht unter jenem des Rectus post. und verläuft über den Obliquus post. (bei Petrom. fluv. vom untern Rande des Rect. post. etwas gedeckt) lateralwärts zugleich etwas nach hinten und unten, um sich am untern und hintern Abschnitt der äussern Bulbuscircumferenz zu inseriren. Function. Wendet die äussere Bulbusfläche nach unten, zugleich etwas nach hinten. 4. Rectus anterior. Entspringt in beträchtlicher Entfernung von den Ursprüngen der 3 vorigen Muskeln unterhalb und etwas vor dem Foramen opticum, da, wo die Vomerinplatte die Schädelbasis nach aussen überragt. Seine Fasern verlaufen bei Petrom. marin, unter dem Obliq. ant diesen kreuzend nach vom, um am vordem Umfang des äussern Bulbusrandes sich festzuheften. Bei Petrom. fluv. ist der ganze Ursprung und untere Abschnitt des Muskels vom Obliq. ant gedeckt. Function. Wendet den Bulbus nach vom. 6) Auf der Abbildung (Fig. 19) ist die Ursprungsportion des Muskels nach unten umgeschlagen um den Eintrit des Oculomot. und dessen Lagebeziehungeu zum Ophthalmicus anschaulich zu machen. Auch vom Rectus post. existirt nur noch die Ursprungsportion, um den Ram. recurrens des Facialis nicht zu verdecken. 7) Dies gilt von der Ansicht der Muskeln in ihrer natürlichen Lage, nach- dem der Bulbus exsürpirt # 40 Pft^ Fürbringer, 5. ObUqans anterior. Der grösste Augenmuskel, der . nach oben und vorn vom Ur- sprünge des vorigen, ziemlich in gleicher Höhe mit dem Foramen opticum, aber weit vor diesem entspringt. Bei Petrom. mar. ver- laufen seine Fasern den Beet. ant. kreuzend nach hinten und unten, zugleich etwas lateralwärts , um sich dicht vor der Insertion des Rect inf., am untern Abschnitt der vordem Bulbuscircumferenz festzuheften. Bei Petrom. fluv. verläuft er mit stark divergirenden FaseiTi, den Rect. ant. zum grössten Theil deckend, nach unten und aussen, eine breite dünne Insertionsaponeurose bildend, die ihren Ansatz am untern und vordem Abschnitt des äussern Bulbus- randes findet, die hinteren Parthien der Insertionen vom Rect. int. und Obliq. post. deckend. Function. Bei Petrom. marin, dreht der Muskel den Bul- bus um seineSehaxe nach vorn, eine Wirkung die bei Petrom. fluv. in Folge der nach vorn ausgebreiteten Insertion zum gröss- ten Theil verloren geht. Hier wird der Bulbus unter leichter Rotation um die Sehaxe nach vorn und unten gedreht werden. 6. Obllqaus posterior. Kleinster Augenmuskel mit parallel verlaufenden Fasern, die von der vordem Fläche der hintern von einer sehnigen Membran hergestellten Orbitawand entspringen und nach vorn und unten ziehend am untern Umfang des äussern Bulbusrandes sich inse- riren. Bei Petromyz. marin, wird der Muskel vom Rect. inf., bei fluviat. vom Rect. post. und inf., sowie zum Theil noch vom Obliq. ant. gedeckt. Function. Dreht den Bulbus um seine Sehaxe nach hinten. II. Maskeln der Vorknorpel. 7) Aiiuularis (Ae, Am, Ai, Fig. 23, 25). 8) Annulo-glossus (Agl, Fig. 27. 28). 9) Spinoso-semiaunularis anterior (Öpsa, Fig. 25. 27. 28). 10) Spinoso-semiaunularis posterior (Spsp, Fig.25.27. 28). 11) Spinoso-copularis (Spc, Fig. 25. 27. 28). 12) Semiannularis (S, Fig. 23). 13) Hyomandibulari- semiannularis (Ems, Fig. 22. 23. 24). U) Basilaris (B, Fig. 33. 25. 27. 28. 29). Innervirt werden der Basilaris und die Spinoso-Muskeln vom Rani, internus, die übrigen vomRqfi. externus des Maxillaris. Die MuBkalatar des Kopfskelets der Cyclostomen. 41 7. Anniüaris. Rathkb: Vordere Kopfspeicheldrüse •). Bork: Fleischige Lippe*). Matbb: Knorpliger Muadtrichter *). Mächtige, den vordern Mundrand bildende Muskelmasse, welche aus 3 Schichten von verschiedenem Faserverlauf hergestellt wird. a) Annularis externus, die äusserste, aus Längsfasern bestehende Schicht. Sie entspringt von der äussern Kante des Ringknorpels in dessen ganzer Circumferenz. Ihre Fasern ver- laufen gerade nach vom, senkrecht gegen den vordern Mundrand, um hier ihre Insertion am Integument zu finden. Am seitlichen Umfang zeigt sich die Schicht jederseits von den Sehnen der vor- dern Ventralportion des Seitenrumpfmuskels und des Annulo- glossus durchsetzt, welche letztere ihre Insertion am Bingknorpel finden. Function. Verkürzt die Mundhöhle, indem sie den vordern Mundrand nach hinten zieht. b) Annularis medius, das mächtigste Stratum mit senk- rechtem Verlauf die Bündel. Letztere entspringen von der Innen- fläche der äussern- Schicht und verlaufen senkrecht gegen die Axe der Mundhöhle, um sich an der Aussenfläche der folgenden Schicht anzuheften. Von seiner Function gilt dasselbe wie von jener desTrans- versus oris der Myxine (s. § 2 N. 4). c) Annularis internus. Dünnste Schicht, deren Fasern ringförmig um die Mundhöhle zwischen dem vorigen Stratum und der Mundschleimhhaut verlaufen. Function. Verengt die Mundhöhle. Das günstigste Verhalten für das Ansaugen des Thieres ist gegeben in der gleichzeitigen Gontraction der 1. und 3. Schicht, wodurch die Mundhöhle auf das geringste Volumen verengt wird, und der consekutiven (nachdem der Mundrand an die Saugfläche adaptirt ist) Erweiterung der Mundhöhle unter gleichzeitigem Ab- schluss derselben nach hinten durch die Zunge*)). Die Erweite- 8) Rathks deutet die Mittelschicht dieses Muskels als Speicheldrüseoge- webe. Die andern Schichten erkennt er als Muskelfasern, localisirt sie aber falsch, indem er die Ringfasem der iMisseru Fläche der „Drüse^S die Längs- fasern der inuern zuertheilt. Trotzdem Bobh den Irrthum Ratbxs's berichtigt, auch die mittlere Schicht als Muskel beschreibend, lässt Matsb 8 Jahre später den Muskel auf seinen Abbildungen als Ökeletabschnitt figuriren und beschreibt ihn als ,,knorpligen Mundtrichter*^ 9) S. d. Function des Longitudinalis linguae (N. 22). 42 Pftnl Fttrbringer, rung besorgt die mittlere Schicht, welche zugleich die Steifüng der Mundwände übernimmt und sie dadurch befähigt dem Druck des umgebenden Mediums Widerstand zu leisten. 8. Annalo-giossus. Bathkb: Anzieher des Knorpelrioges. Ma^sr: Hyo-maxillaris 10). Müllbb: Langer Yorzieher der Zunge. Entspringt mittelst runder langer Sehne dicht neben der In- sertion der ventralen Portion des Seitenrumpfinuskels am seitlichen Umfang des Bingknorpels gleich dieser die Aussenschicht des An- nularis schief durchsetzend. Seine Fasern ziehen, einen langen spindelförmigen Muskelbauch bildend, nach hinten und medianwärts, gleichzeitig etwas nach unten, um ihre Insertion zwischen Gopulo- glossus rectus und Hyo-glossus am untern Rande des hintern stiel- fSrmigen Zungenknorpels zu finden. Der Muskel liegt dicht unter der Ventralportion des Seitenrumpfmuskels. Function. Stösst den Zungenstiel und somit die Zunge selbst nach vorn. Bei fixirtem hintern Zungenknorpel zieht er den Ringknorpel nach hinten. 9. Spinoso-semlannalaris anterior. Rathkb: Der obere Muskel des Grüfelfortsatzes. Mateb: Theil der äussern Portion des Stylo-maxillaris? ■>) Kurzer, nicht unkräftiger Muskel. Entspringt von der Ober- fläche des halbringförmigen Knorpels und zwar von dessen vorderer äusserer Ecke, so wie von der Aussenfläche des dem halbringförmi- gen Knorpel angehörigen Seitenknorpel. Seine Fasern laufen, ziemlich stark divergirend, nach hinten und unten, um sich an der äussern Fläche des Stachelfortsatzes vom Ringknorpel zu inseri- ren. Der hintere Abschnitt des Muskels wird von den mehr quer verlaufenden Fasern des folgenden Muskels gedeckt. Function s. u. dem folgenden. 10. Spinoso-semlannnlaris posterior'^). Etwas breiter als der vorige, mit eigenthümlichem Faserver- lauf. Entspringt hinter dem vorigen von der Oberfläche des halb- 10) Matsb lässt den Muskel durch Herabziehen des Bingknorpels den „Mundtrichter" verengen. 11) S. u. Spinoso-copularis (N. 11). 12) Von Rathke und Maybb anscheinend mit N. 9 zusammengefasst (s. u. N. 11). Die Muskulatur des Kopfskeleta der CycloBtomen. 43 mondfonnigen Knorpels. Seine Fasern stehen am vordern Ab- schnitt des Muskels auf der Ursprungsfläche senkrecht und schlagen sich nach unten und innen um den hintern Band des vorigen, um am äussern Umfang des Stachelfortsatzes ihre Insertion zu senden, das hintere Drittel des vorigen Muskels deckend. Die andern Fasern ziehen nach hinten unten und medianwärts, um sich eben- falls am lateralen Rande des Stachelfortsatzes bis an dessen Spitze zu inseriren. Einige von diesen letztem Fasern erreichen nicht die Insertionsstelle und heften sich an der eignen Fascie des Muskels fest >»). Function. Zieht gleich dem vorigen Muskel den Stachel- fortsatz nach vom und oben (s. d. Function des folgenden Muskels). 11. Spinoio-eopolaris. Rathkb: Ausstrecker des Ringknorpels. Matsb: Innere Portion des Stylo-maiiUaris ? >*) Müllbb: Oriffelzungenbeinmuskel. Wenig kräftiger, platter Muskel von viereckiger Gestalt. Die Fasern entspringen beiPetrom. fluviat vom seitlichen und hintern Umfang des vordern Querstabes der Copula und ziehen, zwischen dem Annulo-glossus und der Sehne des Gopulo-glossus rectus einer- seits, dem Copulo-glossus obliquus andrerseits hindurchtretend, stark divergirend nach hinten, lateralwärts und aufwärts, um ihre Insertion am medianen Rande des Proc. spinosus zu finden. Bei Petrom. marin, entspringt der Muskel mittelst breiter Aponeurose von der lateralen Kante der ganzen Copula, und laufen die Fasern des Muskels dementsprechend mehr parallel. Von der Aponeurose findet sich bei Petrom. fluv. noch ein hinterer Abschnitt (Fig. 28, x), der an der Spitze der Copula inserirt, aber vom hintern Rande des Muskels durch eine dreieckige Lücke geschieden ist Function. Zieht den Proc. spinös, medianwärts und nach unten gegen die Copula. Bei gleichzeitiger Wirkung seiner Anta- 18) Seine Beziehungen zum Basilaris s. u. letzterem (N. H), 14) Matbb beschreibt unter dem Stylo-maxillaris einen Muskel, der mit einer äussern Portion von der äussern Fläche des Stachelfortsatzes ent- springt und sich an dem „Unterkiefer'* d. i. unterem Abschnitt des Ringkuor- pels ansetzt und mit einer innem Portion von der innem Fläche des Proc. spinös, entspringt und an den „Hom- und Gaumenfortsatz des Oberkiefers sowie den Oberkiefer selbst** geht (s. Osteologie). Jedenfalls soll die innere Portion unseni Muskel vorstellen ; dann ist aber die Insertion falsch angegeben. Mit der äussern fasst Maysb wahrscheinlich die beiden Spinoso-semiannulares zusammen. 44 ^^ Fürbringer, gonisten (N. 9 u. 10) wird durch alle 3 Muskeln der Stachelfort- satz und mit ihm der Ringknorpel nach vorn gestossen. In letz- terem Sinne sind sie also Antagonisten vom Annulo-glossus. 12. Semlaimalaris. Müller : Zusammenschnürer des Mundes. Kleiner, platter, dreieckiger Muskel, zwischen Mundschleimhaut und der Innenfläche des halbringförmigen Knorpels verlaufend. Entspringt breit von der Innenfläche des letzteren etwas nach aussen von der Medianlinie. Seine Fasern laufen stark convergi- rend nach unten und etwas medianwärts, ziemlich parallel der In- nenfläche des halbringförmigen Knorpels, treten über die Sehne des Copulo-glossus obliquus und gehen in eine schlanke Sehne über, die in der Gegend des vordem Randes der Copula mit jener der andern Seite verschmilzt unter gleichzeitiger Adhärenz mit der Copula. Function. Flacht die obere Wölbung des halbringförmigen Knorpels ab, comprimirt somit den hintersten Abschnitt der Mund- höhle, ein Verhalten, das besonders günstig auf den Abschluss dieser gegen den Pharynx für das Saugegeschäft wirkt (s. u. N. 14 und N. 22). 13. Hyomandibnlari-semlannnlaris. Mateb: Retrahens veli palatini"). Langer spindelförmiger Muskel, der zwischen dem Pharyngeus und der Pharynxschleimhaut verläuft, von dem vordem Umfang des Hyomandibulare entspringt und mit convergirenden Fasern nach vorn und etwas lateralwärts zieht, eine lange dünne Sehne bildend. Letztere inserirt sich unter fächerförmiger Ausbreitung am hintern Bande des halbringförmigen Knorpels etwas nach aus- sen von der Medianlinie, hier Adhäsionen mit dem vordersten Innern Abschnitt des Pharyngeus (s. d.) darbietend. Function. Zieht den halbringförmigen Knorpel und somit den vordem Bingknorpel rückwärts, derart, dass der obere vordere Mundrand zurückgestellt wird, eine Einrichtung, welche letzteren für die Ansaugefläche accommodirt. 15) Weil er das „Gaumensegel* d. i. den vordersten innern Abschnitt des Pharyngeus (s. d.) rückwärts und aufwärts zieht, welche Bewegung, kaum be- merkbar, nur eine passive ist, indem beim Zurückziehen des hintern Rundes des halbringförmigen Knorpels das erwähnte Segel sich mit jenem rückwärts bewegend an der Innenfläche der Vomerinplatte abwärts gleitet Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 45 14. Basilaris. Rathke: Hintere grössere Kopfspeicheldrfise '*). Bobn: Muskel, welcher den Speichelsack aufnimmt i*). Mateb: Biventer'*). Müllbb: Grosse Muskelmasse der untern Mundwaud. Mächtige, grösstentheils den Boden der Mundhöhle und das Pharynx bildende Muskelmasse mit sehr complicirtem Faserverlauf, namentlich in ihren vordem Abschnitten, wo eine Dififerenzirung in mehrere mit den Vorknorpeln in bestimmte Beziehungen tre- tenden Abtheilungen stattgefunden. Sie wird hergestellt jederseits von einem platten, ovalen, schräg von oben und aussen nach un- ten und innen gestellten Körper mit gewölbter äusserer unterer und concaver innerer oberer Fläche. Erstere erscheint nach Ab- trennung der ventralen Portion des Seitenrumpfmuskels und der Muskeln der Copula und Zunge in ganzer Ausdehnung. Die beiderseitigen medianen Ränder des Muskels stellen für den hintern stielförmigen Zungenknorpel die seitlichen Wände eines Canals her, dessen Decke vom Boden des Canals für die -Sehne des Longitudinalis linguae (s. u. N. 22), dessen Boden von einer ähnlich gebildeten mit der ungewöhnlich derben und festen Fascie des Muskels continuirlich zusammenhängenden brückenartigen Ver- bindung der untern Kanten hergestellt wird. Nach hinten wenden sich die medianen Ränder des Muskels bogenförmig nach aussen und oben um den hintern stumpfen Rand zu bilden, der dem vordem Rand des Hyo-hyoideus ant. (s. u. N. 15) anliegt. In seinem hintern und obern Abschnitte zeigt sich der Mus- kel in seiner ganzen Dicke durch die Orbita unterbrochen, derart, dass hier ein von der vordem und untern Orbitalwand begrenzter halbkreisförmiger Defect (Fig. 25, x) besteht 16) Rathkx hat den Ilauptkörper dieses Muskels gleich der Mittelschicht des Annularis als Speicheldrüse beschrieben, den Drüsenschlaach selbst als Hohlraum der Drfise, welche einen von dieser abgesonderten Stoff enthielte. Den Querschnitt der Muskelfasern hat er mit der Schnittfläche einer kömigen Drüse identificirt. Bobn war der erste, der den Irrthum Rathkb^s aufdeckte und den eigentlichen „Speichelsack*^ nebst seinem Ausführungsgange richtig beschrieben und abgebildet hat. — Matxb lässt den Muskel von der „Scapula, dem Joch- bogen, dem Gaumenbein sowie dem Gaumenfortsatz des Oberkiefers*' (s. Osteo- logie) entspringen und sich „theils am Stimknorpel, theils am Gaumen- und Hornfortsatz des Oberkiefers, theils am Kopf des grossen Zungenbeinknorpels" inseriren, trotzdem aber im Stande sein, Zungenbein, Oberkiefer und Stimknor- pel zurückzuziehen. Paul Fürhringer, Fast die ganze innere Fläche des Muskels wird vom Pharyn- |s dorsalwärts gedeckt. Der vordere Abschnitt des Muskels zeigt sich in mehrere durch die Vorknorpel unterbrochene Abtheilungen zerlegt, als deren vor- derste man die beiden Spinoso - semiannulares (s. u. N. 9 u. 10) ansprechen kann. Im Niveau des untern Orbitalrandes etwas nach innen von diesem zeigt sich der Muskel in ganzer Dicke durchsetzt von einem im Ganzen eiförmigen Drüsenkörper mit flachlappiger Ober- fläche, dessen unterer und oberer umfang in den centralen Parthien nur von der Fascie des Basilaris überzogen erscheint. Der Aus- führungsgang dieser Drüse (Fig. 25, y) entsteht von ihrem vordem Ende und läuft direct nach vorn, zunächst noch in der Muskel- substanz, um sich allmählich der Fascie zu nähern. Endlich durch- bohrt er diese und verläuft an der Aussenfläche des vordersten Abschnittes des Muskels, zwischen ihm und dem Copulo-glossas obliquus, um über einen Zweig vom Ram. int des Trigeminus tretend, in die Mundhöhle auszumünden. Die Mündestelle ist durch eine kleine Papille markirt, welche sich dicht am vordem Rande des untern Ringknorpelabschnitts findet, etwas nach aussen und ventralwärts vom untern Zungenlappen. Der Faserverlauf des Basilaris ist folgender: In seinem hintern Abschnitt besteht der Muskel aus im Allgemeinen senk- recht auf beide Fascienblätter (äusseres und inneres) gestellten, mit diesen untrennbar verbundenen kurzen Fasem, welche am hintern Rande des Muskels eine der Configuration derselben ent- sprechende bogenförmige Anordnung darbieten. In der Umgebung des Drüsenkörpers gewinnen die Muskelbündel eine compressor- artige Anordnung, indem sie denselben seitlich in bogenförmigem Verlauf umfassen. Weiter nach vorn zeigen die Fasem mehr und mehr einen theils longitudinalen , theils radienförmig gegen die Flächen des Ethmoids und rhombenförmigen Knorpels gerichteten Verlauf, der am vordersten Abschnitt wieder einer queren Rich- tung der Fasem Platz macht Man kann hier zwanglos 5 durch die Vorknorpel geschiedene Portionen unterscheiden, von denen die erste (Fig. 25, Bj) am hintem Abschnitt der Seitenfläche des Ethmoids sich inserirt, sich mit ihrem medianen Umfang an der lateralen des vordem Endes der Dorsalportion des Seitenrumpf- muskels legend. Die Fasern dieser Portion entspringen zum gröss- ten Theil von dem Abschnitt der Fascie des Basilaris, welcher die vordere Orbitalwand darstellt Nach hinten und unten geht Die MuBkuIatur des Kopfskelets der CycloBtomen. 47 ein grosser Theil der Muskelfasern unmittelbar in den Haupt- körper des Basilaris über. Die vordem Bündel gehen, nach vorn concave Bogen beschreibend in die hintern und obern Abschnitte der zweiten Portion über. Diese wird in ihrem obern innem Abschnitt vom Ethmoid gedeckt, während ihre untere Fläche den vordem Theil der concaven Fläche des Basilaris bildet. Ihre Fasem verlaufen im Allgemeinen bogenförmig nach innen und vorn, um an der ganzen Aussenfläche des rhombenförmigen Knorpels ihre Insertion zu finden. Die dritte Portion (Fig. 25 Bs), mit mehr von aussen nach innen verlaufenden Fasem findet ihre In- sertion an der Oberfläche des hintern Abschnitts vom halbring- förmigen Knorpel dicht hinter dem Spinoso-semiannularis post., ferner an der ligamentösen Verbindung zwischen dem hintern Rande des halbmondförmigen Knorpels und dem vordem des rhom- benförmigen, endlich an letzterem selbst Die vierte und fünfte Portion sind die Spinoso-semiannulares, die sich ganz vom Haupt- körper abgegränzt haben und selbstständig geworden sind. Function: Die wesentlichste Wirkung des Hauptkörpers des Muskels scheint die Herstellung einer starren unnachgiebigen Wand für den Pharynx zu ^in, die beim Saugen des Thieres den Druck des äussern Mediums genügenden Widerstand zu leisten vermag. Es gilt also von diesem Muskel dasselbe für den Pha- rynx, was das mittlere Stratum des Annularis für die Mundhöhle leistet. Den nöthigen Abschluss der Pharynxhöhle nach hinten besorgt der Pharyngeus post. (s. u. N. 29). Eine specielle, der Speicheldrüse dienende Function, bestehend in der Compression derselben, übemehmen die erwähnten Bündel des Muskels in unmittelbarer Nachbarschaft des Drüsenkörpers. Die 3 ersten vordem Portionen des Basilaris stehen einer ganz abweichenden Function vor. Sie erweitem nämlich, indem sie das Ethmoid nach oben, den halbmondförmigen und rhom- benförmigen Knorpel nach oben resp. nach aussen ziehen, die unter den betreffenden Knorpel gelegenen Abschnitte der Mund- höhle und des Rachens*^). 17) Ueber die Grenze zwischen Mundhöhle und Pharynx 8. d. Function des Longitudinal. ling. (N. 22). 46 Pftul Fürbringer, 111. lüaskeln des Zun^enbeiiiboi^ena und der Zange. . 15) Hyo-hyoideus anterior (Hha, Fig. 27. 28). 16) Hyo-hyoideus posterior (Hhp, Fig. 22. 28. 24. 27—33). / 17) Hyo-branchialis (Hbr, Fig. 27. 28). ' 18) Hyo-glossuB (Hgl, Fig. 27. 28. 29). ^ 19) Hyomandibulari-glossus (Hmgl, Fig. 22. 23. 24. 8i>). 20) Copulo-glossus rectus (Cglr, Fig. 27. 28). 21) Copulo-glossus obliqaus (Cgio, Fig. 23. 26. 27. 28). >^ 22) Longitudinalis linguae (LI, Fig. 80 — 83). •^ 23) Liugualis proprius (Lpr, Fig. 23). 24) Tendino-glossus (Tgl, Fig, 28. 30). Innervirt werden sämmtliche vom Ram. int. des Maxillaris. 15. Hyo-hyoideus anterior. Kleiner, unpaarer Muskel, ^der einen ventralwärts convexen Bogen beschreibt und seine Insertionen unter leichter Convergenz der quer verlaufenden Fasern beiderseits am äussern Abschnitt des Hyoidstücks, zum Theil auch von der Articulationsstelle des letztem mit dem Hyomandibulare findet. Er bedeckt die Muskeln des hintern Zungenknorpels, gränzt mit seinem vordern Kande an den hintern des Basilaris und deckt mit seinem hintern von oben und vom nach unten und hinten abgeschrägten Rande den ent- sprechend gestalteten vordern des Hyo-hyoideus post. Function. Unterstützt den folgenden Muskel, dessen vor- derste Portion er darstellt. 16. Hyo-hyoldeos posterior. Bathkb: Aeusserer Theil des Zungenbrustmuskels >*). Matsb: Aeussere Portion des Sternohyddeus. Mülleb: Bohr des grossen Zungenmuskels. Sehr kräftiger, ringförmiger Muskel, welcher den vordem Ab- schnitt des Longitudinalis linguae (s. N. 22), so wie den hintern des Hyo-glossos sammt der Spitze des hintern Zungenknorpels umfasst. Er besteht aus 2 Hälften, einer ventralen und dorsalen. Beide beginnen in ihren vordern Abschnitten jederseits von dem Hyoid- stück und zwar die ventrale von dessen hinteren Umfange, die dorsale von seinem medianen Rande in ganzer Ausdehnung. Wei- terhin finden beide Portionen jederseits ihre Anheftung auf der obern resp. untem Fläche einer vom Hyoidstück nach hinten ab- 18) Rathkb lässt diesen Muskel aus Läugsfasern bestehen , obwohl mau auf Querschnitten schon mit freiem Auge ganz deutlich den ringförmigen Ver- lauf erkennt. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 49 gehenden bandartigen Raphe. Indem nun letztere nach hinten allmählich sich verschmälert, werden auch die Insertionen schmä- ler und entfernen sich terminal von einander nach hinten diver- girend; dementsprechend geht die Raphe an der Divergenzstelle beider Portionen in eine dreieckige, senkrecht gestellte, im Niveau der Enden der beiden Portionen mit freiem, schräg nach unten und hinten verlaufendem Rande endende aponeurotische Membran über (Fig. 31, x). Die dorsale Portion selbst endet mit breiter, die ventrale mit schmaler Spitze, erstere im Niveau der 3. äus- sern Kiemenö£fnung, letztere etwas weiter nach hinten. Das vordere Ende der ventralen Portion wird, wie schon er- wähnt vom hintern Rand des Hyo-hyoid. ant. gedeckt, jenes der dorsalen Portion reicht weiter nach vom, um beträchtlich ver- schmälert im Niveau des vordem Endes des Hyoidstücks zu enden, dem Longitudinal. ling. aufliegend, kurz bevor dieser in seine Sehne übergeht. Somit bietet die dorsale Portion von oben ge- sehen die Form einer Spindel dar, deren vorderes Ende beim Anblick der ventralen von unten her vermisst wird. Auf dem Querschnitt erscheint das muskulöse Rohr in der dorsalen und ventralen Mittellinie dicker als im Bereich des Ur- spmngs beider Portionen von der Raphe. Dies setzt nothwendig ein successives Entspringen von Fasern auf der äussern Fascie voraus, ganz ähnlich wie bei dem homologen Muskel der Myxine (s. § 2 N. 16). Die ventrale Portion verdickt sich nach hinten in der Rich- tung von oben nach unten sehr erheblich, derart, dass ein Quer- schnitt kurz vor dem Ende derselben (s. Fig. 33) bereits einen grossem Höhen-, als Breitendurchmesser aufweist. Dies hängt zusammen mit der Gonfiguration der Longitud. linguae, der hier ventralwärts rinnenförmig ausgekehlt sich darbietet. Zugleich zei- gen die ventralen Ränder der Rinne des Longitud. im hintern Abschnitt des Hyo-hyoid. post. Adhäsionen mit der aus der Raphe hervorgegangenen aponeurotischen Membran (Fig. 33, x). Der ganze Muskel liegt in einer von glatter Membran ausge- kleideter entsprechend gestalteter Höhle zwischen beiden Kiemen- reihen frei; nur die ventrale Fläche zeigt sich mit dem vordem Abschnitt der ventralen branchiale Längscommissus etwas adhärent. Die Function des Muskel^ s. unter jener des Longitud. lin- guae (N. 22). Bd. IX. N. P. ir. 50 P&ui FürbriDger, 17. Hyo-branchlalis »). Ebenfalls platt und klein. Entspringt jederseits vom seitlichen Rande der vordersten Spitze der ventralen Längscommissur des sog. äussern Eiemengerüstes. Seine Fasern convergiren nach aussen und vorn verlaufend und bilden eine schmale Sehne, welche mit der des Hyo-hyoid. ant. fest verbunden hinten und nach aussen vor jener sich inserirt, zum Theil auf das Hyoman- dibulare selbst übergreifend. Der Muskel liegt dem vordem Ab- schnitt der Ventralportion des Hyo-hyoid. post. unmittelbar auf. Function. Gomprimirt den Pharynx im Niveau des Hyoid- Stücks, indem er die ventrale Längscommissur des Kiemengerüstes nach oben zieht. 18. Hyo-glossns. Bathke : Muskel der Knorpelplatte des hinteren Stachelfortsatzes. Mayer: Cleido-hyoideus. Mülleb: Karzer Vorzieher der Zange. Kurzer, aber ziemlich breiter Muskel, der jederseits durch seine unter leichter Divergenz nach hinten und medianwärts ver- laufenden Fasern den hintern Zungenknorpel mit dem Hyoidstück resp. der Fascie des Basilaris verbindet. Bei Petrom. fluviat. be- steht er aus 2 Portionen, einer vordem kurzen und hintern lan- gem. Letztere entspringt am medianen und untern Rande des Hyoidstücks in dessen ganzer Länge und heftet sich an den untern Rand des hintern Abschnitts des stielfbrmigen Zungenknorpels. Die vordere Portion entspringt schmal von der Fascie des Basila- ris nahe der Speicheldrüse und findet ihre Insertion dicht vor jener der hintern Portion am untern Rande des hintem Zungen- knorpels. Bei Petrom. marin, beschränkt sich der Urspmng auf das Hyoidstück (Vgl. Fig. 27 28) ; es ist also die vordere Portion hier einfach ausgefallen. Function. Zieht den hintern Zungenknorpel und somit die Zungenlappen selbst nach vom. 19. Hyomandlbalari-glossiu. Rathke: Oberer Zurückzieher der oberen Zangenlappen. Mateb: Omohyoideus *). Mülleb : Paariger Zarückzieher der Zange. 19) Rathke lässt diesen Muskel „vom Anfange des Brustbeins zu den seitlichen KopfdrQsen verlaafen^^ 20) Nach Mateb sollen sich die Sehnen dieses Muskels kreosen and an. Die Muskalatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 51 LaDger, nicht unkräfdger Muskel, der in seinem ganzen Ver- laufe zwischen dem Pharyngeus und der BAchenschleimhaut frei und beweglich liegt. Er entspringt von dem vordem Umfang des Hyomandibulare. Seine Fasern laufen vorwärts und etwas nach innen, um sich an dem lateralen Umfang der Sehne des Longitu- dinal. linguae im Niveau ihrer Theilungsstelle zu inseriren. Hier wird er gleichzeitig von dem kleinen Tendino-glossus dorsalwärts gedeckt. Function die des Longitudinalis linguae, w. s. 20. Gopulo-glossus rectos. Matbb: Chondrohyoideus. Mülleb: Innerer Vorzieher der Zunge. Ziemlich langer schmaler Muskel, welcher bei Petrom. marin, von der hintern Spitze der Copula entspringt, hier mit dem Copu- lo-glossus obliquus fest verwachsen, bei Petrom. fluviatilis seinen Ursprung vom ganzen seitlichen Rande des hintern Fortsatzes der Copula mittelst einer aponeurotischen Sehne nimmt, welche den Copulo-glossus obliquus, zum Theil auch den Spinoso-copularis ventralwärts deckt (Vgl. Fig. 27 u. 28). Seine Fasern laufen ge- rade nach hinten, um sich am untern Rande des hintern Zungen- knorpels, dicht vor der Insertion des Annulo-glossus anzusetzen. Seine Function fällt mit der des Hyo-glossus (N. 18) zu- sammen. 21. Gopulo-glogsiu obliquos. Matb: ChondrogloBSus. Mulleb: Vorzieher der Zange ^O- >). Kleines Muskelbündel, das von der dorsalen Fläche des Pha- ryngeus nahe dessen hinterm Rande, etwas nach aussen von der Raphe entspringt. Seine Fasern verlaufen schräg nach unten und hinten, um sich an der äussern obern Fläche des Schlundknorpels zu inseriren. 24) Matsb Iftsst diesen Muskel von der Krenzungsstelle der Sehnen des Stemo - und Omohyoideus Entspringen. Rathkb hat ihn gleich dem vorigen abersehen. 25) Matbb beschreibt den Schlondsegelapparat als Larynx, bezeichnet die knorpligen Grundlagen als Giesskannenknorpel. Rathkb lässt diesen Muskel vom Hyomandiboli^e entspringen. 56 Pftttl Fürbringer, Function. Zieht die Schlundknorpel bei doppelseitiger Wirkung nach oben und aussen, hebt also das Schlundsegel und macht somit die Passage zwischen Bachen und „Bronchus'^ frei. 26. y^o-hyomandibularis internus. Noch kürzer als der vorige. Entspringt vom hintern Umfang des Hyomandibulare und läuft aufwärts, um sich an die innere untere Fläche des Schlundknorpels zu inseriren. Function. Der Muskel ist der Antagonist des vorigen. 27. Telo-hyomandibnlaris extemns*). Schmales Bündel, das vom hintern Umfange des Hyomandi- bulare nahe dessen Ursprung vom Schädel entspringt, um die äus- sere Fläche des Pharyngeus post. (s. N. 29), diesen kreuzend, nach hinten zieht und sich an die obere äussere Fläche des Schlund- knorpels ansetzt Function. Entfernt bei doppelseitiger Wirkung die Schlund- knorpel von einander, spannt dadurch das Scfalundsegel, unterstützt also den Velo-pharyngeus. %\ Pharynxniuskeln« 28) Pharyngeus (Ph, Phe, Phi, Fig. 22. 23. 24. 26). 29) Pharyngeus posterior (Php, Fig. 24). Innervirt durch den Ram. int. des Maxillaris. 28. Pharyngeus >^). Platter, den Pharynx vom Niveau des hintern Randes des halbmondförmigen Knorpels bis zum Hyomandibulare umschlies- Sender Muskel mit eigenthümlichem , vorherrschend ringförmigem Faserverlauf, dessen Innenfläche von der Rachenschleimhaut resp. dem Hyomandibulari-glossus und rsemiannularis gedeckt wird, des- sen äussere Fläche der obern und Innern des Basilaris, so wie der Innenfläche des Vomer und rhombenförmigen Knorpels anliegt. £r 26) Von Mater und Kathke übersehen. 27) Rathke beschreibt diesen Muskel als aus 2 Lagen bestehend, von denen die vordere schräg nach hinten und unten, die hintere schräg nach voiii und hinten, im hintern Abschnitt direct nach unten verlaufen soll. Den vor> dem und innern Abschnitt des Muskels bezeichnet er- gleich Mateb als Gau- mensegel. Letzterer fertigt den Muskel trotz seines complizirten Baues seiir kurz ab, als aus ,,schiefen Muskelfasern^^ bestehend, die „gegen die Mittr kegelförmig couv«rgiren*\ Den dorsalen vordem Abschnitt scheint er unter dem Namen Constrictor isihmi faucium zusammenzufassen; wenigstens placirt er ihn über den Retrahens veli palatini d.i. denllyo-mandibulari-semiaouulavi». Die Muskulatur des Kopfskeleis der Gyclostoxnen. 57 entspringt beiderseits in gerader horizontaler Linie von dem me- dianen Rande des Basilaris genau an der Ursprangsstelle der Sehnenscheide des Longitudinalis linguae bis rückwärts zumHyo- mandibulare, dicht vor weichem er mit scharfem hintern Rande abschneidet, während der vordere Rand am hintern des halbring- förmigen Knorpels absetzt. Die Fasern verlaufen im Allgemeinen bogenförmig nach oben; sie zeigen in verschiedenen Abschnitten des Muskels ein eigen- thümliches Verhalten. £s zeigt sich nämlich zunächst der vor- derste Abschnitt des Muskels hergestellt von 2 Stratis, einem In- nern (dem „Gaumensegel' Rathkb's und Maibb's) und einem äus- sern, welche beide vollständige Ringe bilden, indem sie dorsalwärts ohne eine Spur von medianer Raphe mit einander verwachsen. Von diesen beiden Stratis ist das innere (Phi, Fig. 22) schmal und schneidet mit scharfem Rande nach hinten ab. In dem vordersten Abschnitt zeigt es Adhäsionen mit der fächerförmig ausgebreiteten Sehne des Hyomandibulari-semiannulare, um sich mit ihr gemein- schaftlidi an den hintern Rand des halbringförmigen Knorpels zu inseriren. Ein grosser Theil der Fasern geht jedoch nach vorn in eine breite Aponeurose (Fig. 22, x) über, welche in die liga- mentöse Verbindung zwischen der dorsalen Fläche des halbring- förmigen und dem vordem Abschnitt des rhombenförmigen Knor- pels unmittelbar übergeht. In seinem medianen ventralen Ab- schnitt zeigt sich das innere Stratum bedeckt von Fasern, welche im Allgemeinen vom Ansatz der Sehne des Hyomandibulari-semi- annularis medianwärts und nach innen ausstrahlen und sich an die Ringfasern der weiter nach unten gelegenen Parthien des Pharyngeus (bei y, Fig. 22) anschliessen. Das äussere Stratum (Phe, Fig. 22 und 26), welches der Innenfläche des rhombenförmigen Knorpels grösstentheils anliegt und ^ich nach hinten unmittelbar in den Faserverlauf der Haupt- masse des Pharyngeus fortsetzt, wird hergestellt von ringförmigen Fasern, welche von der Innenfläche des rhombenförmigen Knorpels (Fig, 29) entspringen. Die innere Fläche dieses Stratums zeigt sich verstärkt durch eine Faserlage, welche unter vorherrschendem bogenförmigem Läugsverlauf (mit medianwärts gerichteter Gonve- xität) gegen die dorsale Raphe steuern. Letztere beginnt im Niveau der Verschmelzungsgrenze des Vomers mit dem Ethmoid und zeigt sich mit ersterem und der Schädelbasis bis zum hintern Rande des Hyomandibulare ziemlich fest verbunden. Die von ihr im. Bereich der Vomerinplatte aufgenommenen Fasern weichen in ihrer 58 PaoI Ffirbringer, Richtung mehr und mehr nach hinten aas, so dass sie nnter spi- tzem Winkel auf die Baphe stossen (anf der Abbildung nicht dar- gestellt), ein Verhalten, das eingeleitet ist von der erwähnten Ver- stärkungslage auf der innem Fläche des äussern Stratums, deren Fasern allmählich nach hinten einen mehr ringförmigen Verlauf einschlagen , in die Hauptmasse des Muskels continuirlich über- gehend. Im hintern Abschnitt zeigt der Pharyngeus auch im dor- salen Abschnitt wieder den einfachen ringförmigen Faserverlauf. Bei einigen Exemplaren fand sich noch eine 2. Verstärkungs- parthie des äussern Stratums, der Innenfläche der ersten aufliegend und aus einfachen Längsfasern von schwankender Länge bestehend. Function. Der Muskel verengt den Pharynx bis zum Niveau des Hyomandibulare, er ist also der eigentliche Schlundschnürer. Das innere vordere Stratum dient dem Abschlüsse der Mundhöhle nach hinten, indem es bei nach rückwärts gestellter Zunge sich fest an die dorsale Flächen der beiden seitlichen Lappen an- schmiegt. Die Längsfaserlagen werden eine nur schwache Wirkung entfalten können, bestehend in der Verkürzung des Schlundrohrs im dorsalen Abschnitt 29. Pharyngens posterior. Mayer: Constrictor glottidis. Schmaler Muskel, welcher den Pharynx im Niveau des Schlund- segelapparates umfasst, vom hintern Rande des vorigen durch die Bereite des Hyo-mandibulare getrennt. Er entspringt beiderseits von der Fascie des Hyo-hyoid. post. nahe dessen vorderem Ende- Seine Fasern ziehen bogenförmig dorsalwärts und nach innen, um sich mit jenen der andern Seite durch Vermittlung einer ziemlich breiten dorsalen Raphe zu vereinigen. Function. Schliesst den Pharynx im Niveau des Schlund- segelapparates. § ö. Angenmuskelnerven u. Trigeminusgrnppe der Petromysonten. 1) Augenmuskelnerveii (Fig. 19). Oealomotoriiui 1) (III). Tritt mit dem Opticus durch eine gemeinsame Oefifnung in der Seitenwand des knorpligen Schädels (x), vom eigentlichen Fe- 1) Rathks hat die Augenmuskelnerven vergebens gesucht; nur in einer kleinen Oeffhung hinter dem For. optic traf er einen „sarten Nerrenfaden, Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomeo. 59 amen opticum durch ein ligamentöses Septum geschieden, in die iugenhöhle, ziemlich in der Mitte zwischen Foramen optic. und 1er Austrittsstelle für Trigeminus, Trochlearis und Abducens und n gleicher Höhe mit beiden. Der kurze Stamm theilt sich in sinen stärkern vordem und schwachem hintern Ast. 1) Kam. ant, ziemlich lang, läuft nach vom, aussen und unten unter dem Opticus und Ophthalmicus gegen die äussere Fläche des Obliquus anterior (inferior) 2), in den er in mehrere Aeste gespalten eintritt. Ein Theil der Fasern verzweigt sich in diesem Muskel, der andere durchbohrt ihn, um sich im Rectus anterior (internus) zu verästeln. unzweifelhaft den Ocuiomotorius^* an. — Bobn beurtheilt deu Oculomotorius als den yereinigten Oculomot. und Trochlearis; er soll neben dem Opticus, durch dieselbe OefTuung mit ihm in die Orbita treten (?). — bcHLSMx und D^^LTOK beschreiben diesen Nerven als Trodilearis und seine Zweige als untern und obem Ast. 2) Die eingeschalteten Bezeichnungen gelten von den Verhftltuisseu bei deu übrigen Wirbelthieren. — äCHLEMM u. D*Alton beurtheilen den Obliquus ant. als Uomologon des Obliquus sup. und den Obliquus post. als Homologon df 8 Onliquus inf. der übiigen Wirbclthiere. Das ist falsch. Nur der Obliquus ant. kann dem Obliquus inf. und nur der post. dem sup. entsprechen: Der Obliq. inf. fast sämmtlicher Wirbelthiere entspringt medianwärts vom untern Orbitalraud uud verläuft lateralwärts, der Obliq. post. der Petromyzonten entspringt aber am hintern (d. i. äussern) Umfange des Orbitalrandes und ver- läuft nach vorn (d. i. medianwärts). Er kann also unmöglich dem Obliq. inf. entsprechen, wohl aber der Obliq. ant. der Petromyzonten , welcher am vordem (d. i. medianen) Orbitalrand entspringt und rückwärts (d. i. lateral- wärts) verläuft, also dieselbe lüchtung wie der Obliq. inf. hat. äteUt man sich vor, dass der Ursprung des Obliq. ant. abwärts bis zum untern Orbitalrand ge- wandert, so hat mau einen Muskel, der genau dieselben Insertionsverhältnisse und denselben Verlauf wie der Obliq. inf. bietet. Andrerseits kann der Antago- nist des Obliq. ant, der Obliq. post. nur dem Obliq. sup. entsprechen. Hier rouss man sich vorstellen, dass die Insertion nach oben gewandert ist. Dann hat man einen Muskel der nach hinten (d. i. lateralwärts) verläuft, wie der Obliq. sup. Die Augenmuskeln von Chimaera (Calorhynchus) arctica bieten in Bezug auf Ursprung und Verlauf eine merkwürdige Uebereinstimmung mit jenen von Petromyzon marinus dar (a. Staknius' periph. Nervensystem der l^'ische, Taf. I, 1* ig. 1). Auch hier ist der Ursprung des Rect. int. weit nach vorn von denen der anderen Recti gerückt. Der Obliq. inf. hat einen ganz überein- stimmenden Verlauf mit dem Obliq. ant. von Petromyzon. Nor der Obliq. sup. ist eine beträchtliche Strecke weit nach vorn gerückt, so dass er nahezu den Verlauf den Obliq. sup. der übrigen ^Wirbelthiere einhält. Hätten Schlbmm u. D' Alton die Augenmuskeln von Chimaera gekannt, so hätten sie nimmer den Obliquus ant. mit dem Obliq. sup. der Übrigen Wirbelthiere verglichen. (S. Anm. 3). 60 PauI Fürbringer, 2) Ram. post. bei Weitem kürzer, geht direct nach aussen, um sich im Rectus sup. zu verzweigen, an dessen medianer Fläche, nahe dem Ursprung eintretend. Troehlearis (IV)»). Langer dünner Nerv, der mit dem Trigeminus und Abducens verbunden ^) aus einer gemeinsamen Oeffnung im knorpligen Schä- 3) Von BoBN überBehen. Schlemm und D'Alton beschreiben ihn als Ram. post. des Trigeminus und bezeichnen ihn als Oculomotorius, ein Irrthum, der aus der Beurtheilung des Obliq. post. als inf. (s. Anm. 2) entspringt. 4) Leider habe ich die Frage, ob der Trochlearis einen Ast des Trigemi- nus darstellt oder nur eine Jnxtaposition beider Nerven vorliegt, aus der Unter- suchung der cerebralen Ursprünge nicht nachweisen können, da bei beiden Exemplaren von Petromyzon marinus das Gehirn sich im Zustande vorgeschritt- ner Maceration befand, derart, dass sämmtliche Gehirnnerven sich bei dem Versuche, sie in das Innere des Gehirns zu verfolgen, sich dicht an ihren Ur- sprüngen vom Gehirn ablösten. Eine Prüfung der Verhältnisse bei Petromyz. fluviat. war mir wegen der Kleinheit des Objects trotz vorzüglicher Conser- virung und grösserer Lupen unmöglich. Die Untersuchung des gemeinsamen Stammes im Bereich der Austrittsstelle durch die Schädelwand ergab, wenn man vorsichtig unter der Lupe die dem Trochlearis angehörigen Fasern vom Stamm ventralwärts abspaltete, dass erstere einen vom Hauptstamme des Tri- geminus etwas abweichenden Verlauf darboten, ebenso dass, bei gleichen Mani- pulationen, die dem Abducens angehörigen Fasern nicht genau die Richtung der Fasern des Trigeminusstammes zeigten. Viehnehr schien der am ober- flächlichsten gelegene Trochlearis den unter ihm liegenden Abducens nach hinten zu kreuzen (s. Fig. 19) und letzterer mit dem Trigeminusstamm gleich von seinem Beginn an zu divergiren. Möglich übrigens, dass dieser Faserverlauf einen durch die Misshandlung des Stammes mit Skalpell und Pinzette erzeugten künstlichen repräsentirt, zumal da der Mangel der Fixation des centralen Endes des Stammes am Gehirn leicht Verzerrungen und Verlagerungen der einzelnen Faserbüjidel gestattete. — Ein zwingender Grund, Trochlearis und Abducens als Zweig des Trigeminus zu beurtheilen, liegt zunächst nicht vor : Die Angaben Htbtl's und Mülleb's, dass bei Lepidosiren und Lepidosteus die Augenmuskelnerven vom Trigeminus abtreten, bedürfen noch der Bestätigung. Die Beobachtungen Fi- schsb's, dass bei Salamandra und Triton der Oblq. sup. von einem Zweige des Ophthalmicus innervirt wii'd und bei den meisten Anuren der Nerv for den Beet. ext. aus der Bahn des Trigeminus tritt, deutet Fibchbb selbst dahin, dass er wie Stannius (das peripherische Nervensystem der Fische, Rostock 1849, S. 19) „eine blos secundäre Verschmelzung ursprünglich, d. h. im Fötal- zustaude getrennter Nerven annimmt und mit Recht gegen die angenommene organologische Verwandtschaft beider Nerven protestirt.** Nach Stanhius „treten bei Silurus glanis die Wurzeln des Trochlearis und Abducens sogleich an den Trigeminus heran, so dass man die Nerven für Zweige des Bam. primus des Trigeminus halten muss , wenn man nicht ihre Wurzeln und Ur- spruugsstättcn untersucht hat.*^ Den Bemühungen Stakkiüs gelang es über, die Wurzeln aller drei Augennmskelnervcu au ihren allgemein charakteristischen Die MuBkulatur des Kopfskeleta der Cyclostomen. 61 del in die Orbita tritt, nach unten und lateralwärts verläuft und sich im Obliquus post. (sup.) verzweigt. Abdvcen« (VI)»). Kräftiger und kürzer als der Trochlearis, aber schwächer als der Oculomotorius. Tritt mit dem Trochlearis und Trigeminus aus einer Oeffhung in der seitlichen Schädelwand in die Orbita (s. Anm. 4), läuft noch vom unten und aussen und theilt sich in einen langem untern und kurzem obem Ast: 1) Ram. in f. läuft vom Beet. post. bedeckt nach unten und aussen gegen die obere Fläche des Rect. inf., um sich in diesem Muskel zu verästeln. 2) Ram. sup. tritt nach aussen verlaufend in den Rect. post. (ext.), an dessen hinterer Fläche eindringend. — 2) Trigeminus. Der kurze mächtige Stamm tritt unterhalb des Trochlearis und Abducens in die Orbita, die gemeinsame Oeffnung fast ganz ausfallend. Er theilt sich alsbald in 2 Hauptäste®), den Ramus superior s. Ophthalmicus und den Ramus inferior s. Maxillaris. UrspningBSt&tteD isolirt aufEufinden. Stanmiub selbst glaubt daran, dass eine „sehr sorgftltigc Untersuchung) der Nervenwurzeln bei den Petromyzonten den gesonderten Ursprung der betreffenden Augenmuskelneryen nachzu. weisen vermöcbte*^ — Abgesehen von diesen erwähnten „scheinbaren Ano- malien*' bieten alle Wirbelthiere, so viel in dieser Hinsicht untersucht sind, die Augenmuskelnerven in di^cretem Zustande dar, geson- dert entspringend und gesondert zu den betreffenden Muskeln verlaufend. 5) Von BoBM, der den Oculomotorius als Abducens beschreibt, übersehen* — ScHLBifH u. D'Alton!: Ram. ant. des Trigeminus. 6) Rathkb hat den ophthalmicus als Hauptast ganz übersehen. Der übrige Stamm spaltet sich nach ihm in 3 Aeste, von denen der 1. sich hauptsächlich in der „Speicheldrüse** (d. i. M. basilaris) ver- breitet, der 2. den Schlundkopf versorgt und in der Zunge endet, der 8. unterhalb der untern Wand der Augenhöhle hervortritt, einen star- ken Zweig an den „Schwimmmuskel" (d. i. Seitenrumpfmuskel) und die „eigent- lichen Muskeln des Kopfes** giebt und endlich sich in 2 Zweige theilt, welche den untern und obem Theil der „Lippe** versorgen. Der obere der letzten beiden Endäste ist aber der Ophthalmicus, den Rathkb also mit Maxillaris- ästen verschmelzen läset. Der Zweig, der nach Rathxs die vorderste Parthie des Seitenrnmpfmuakels versorgt, ist ein Ast eines Spinalnerven, den Rathkx aus dem Trigeminus hervorgehen lässt. — Boss besdireibt ebenfalls 8 Haupt- 62 Paul Fürbringer, I. OpMhalmteufl (Vi, Fig. 18. 19. 21. 28). Rein sensibler Natur'^). Wendet sich nach vorn zwischen die vordere Insertion der Dorsalportion des Seitenrumpfmuskels und die Orbita über den Opticus und Oculomotorius mit seinen Muskeln verlaufend. In fast horizontaler Richtung lagert er all- mählich der Seitenfläche des Ethmoids dicht an^). Nahe der vor- dem Grenze giebt er 1 oder 2 Rami nasales (Rn, Fig. 19 u. 21) an die Nasenkapsel, sowie mehrere dünne theils nach unten und vorn (y, Fig. 19 u. 21) theils dörsalwärts steuernde Aestcben, welche das hier reichlich vorhandene Bindegewebe zwischen Sei- tenrumpfmuskel und Ethmoid versorgen, zum Theil auch bis ins Integument dringen^). Die Fortsetzung des Stammes behält in fast unveränderter Stärke die horizontale Richtung nach vorwärts bei, um etwa im Niveau des vordem Endes der Dorsalportion des Seitenrumpfmuskels in 2 oder 3 Aeste zu zerfallen, die in diver- gentem Verlauf sich in eine sehr Variante Zahl von kleineren Zwei- gen theilen. Letztere verästeln sich sämmtlich in dem Integument des vordem und obern Kopfabschnitts und den Lippenfäden '**). Einer dieser Endzweige verbindet sich constant mit der Endfortsetzung des Facialis (Fig. 18, x), welcher hier oberflächer läuft, derart, dass eine Scheidung beider Nerven im gemeinsamen Stamm unter der Lupe nicht mehr möglich ist Letzterer verzweigt sich gleich den übrigen Endzweigen des Oph- äste des Trigeminus, von denen der I. dem Ophtbalmicus , der 2. und 3. dem Maxillaris entsprechen. — Schlemm u. D'Alton, welche die ausführlichste aber immer noch nicht erschöpfende und mit mannigfachen Fehlern behaftete Be- schreibung des Trigeminus geben, unterscheiden ebenfalls 3 Äeste, von welchen der 1. dem Ophtbalmicus entspricht. 7) Nach BoBN sowie Schlemm u. D'Alton ist der Ophtbalmicus gemischt (s. Anm. 9 u. 10). 8) Hier beschreibt Bobn eine kleine Knorpelleiste am Ethmoid, durch welche der Ophthalm. treten soll. Ich habe dieselbe nirgends wahrgenommen. 9) Schlemm u. D'Alton lassen einige dieser Zweige in die vorderste Par- thie des Seitenrumpfmuskels treten. 10) Nach Schlemm u. D'Alton sowie nach Bobe verbreiten sich die £nd- äste ,4n Haut und Muskeln der Lippe**. Auch nicht einen Endfaden habe ich trotz genauster Verfolgung in die Muskelsubstanz der Annularis sich einsenken sehen. Vielmehr traf ich (nach Ablösung des Integuments) stets auf abgeschnit- tene Enden. Allerdings erscheint unterhalb der Verzweigung ein neues Ver- &stelungsgebiet, das sich zum grössten Theile in den Muskel einsenkt. Da.8- selbe gehört aber keinem Nerven an, sondern ist die Endverbreitung einer Arterie, wie die Besichtigung irgend eines Querschnitts unter Controle der Lupe sofort ergiebt. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 63 thalmicus im Integument bis zur vordern Circiimfereiiz der Mund- öffhung. %i. JHAxlllarifl (Y, Fig. 21 u. 23). Bedeutend stärker als der Opfathalmieus, sehr kurz, nach vom und unten vom gemeinsamen Stamm abtretend. Er zerfilUt sehr bald in 2 Hauptäste, den Ramus extemus und Ramus internus, welche beide sich unter den subocularen Bogen begeben. A. Bamns extemus (i, Fig. 21. 23). Theilt sich sofort wieder in 3 Aeste, einen Haut-, Gaumen- und Muskelast. 1) Ramus cutaneus (2, Fig. 18. 21. 23)")- Der stärkste, rein sensibel, etwa von der Dicke des Ophthalmicus. Tritt nach vom aussen und unten, sich mit dem über ihn weglaufenden Fa- cialis unter spitzem Winkel kreuzend. Er dringt zwischen den subocularen Bogen und den unter diesem lagemden Muskelbündeln des Basilaris auf die Aussenfläche des letzteren, nur von der Ven- tralportion des Seitenrumpfmuskels bedeckt. Weiterhin läuft er parallel mit dem Process. styloid. des Ringknorpels über die Aus- senfläche der Spinoso-semiannulares , hier in 2—4 Hauptäste von nahezu parallelem Verlauf zerfallend. Diese schlagen sich über den obem Rand der Ventralportion des Seitenrumpfinuskels um sich sämmtlich, ganz nach Analogie des Ophthalmicus, in dem In- tegument der untern und seitlichen Parthie des vordem Eopfab- schnitts bis in die Bartfäden hinein zu verästeln '^). 2) Ram. palatinus^^). Sehr feines Aestchen, das sich in der Schleimhaut unterhalb des Vomer und Palatinum sehr bald verliert 3) Ram. muscularis (3, Fig. 21. 23. 25)'*). Schwächer, als der Ram. cutan. Er verläuft nach vom, giebt bald einen nach aussen und oben laufenden Zweig an die erste, dem Ethmoid auf- lagemde Portion des Basilaris ab, um die Fascie des Basilaris durchbohrend auf dessen lateraler Kante, den Muskelbündeln dicht 11) Bork: Endast des Ram. second. Trigemini. — Sohlimv u. D'Alton Bam. secondos Trigemini. 12) BoBN erwähnt gleich Sohluoi n. D'Alton eine Innervation der 9,Lip- penmuskeln^* durch diesen Nerv. Ein genaue Verfolgung der terminalen Aest- chen hat ausnahmslos eine Endigong im Integument ergeben (s. Anm. 10). 18) Auf ^er AbbUdnng nicht angegeben. 14) BoBK : Zweig des Bam. secund. Er soll im Schwimmmuskel enden. — ScHXLXM n. D'Altox: Aensserer Zweig des Ram. tert. Trigemini. g4 P^ Farbringer, auflagernd, nach vorn zu treten. Kurz nachdem er die Fascie durchsetzt, giebt er eine schwankende Zahl kürzerer und längerer Zweige ab, welche in den Basilaris treten. Von diesen Zweigen zeichnet sich einer constant durch seine Grösse und seinen Ver- lauf aus. Er tritt nämlich steil nach unten und etwas nach vorn, um unter dem Boden dem Orbita, vom Ram. cut. gedeckt, in den Muskel, selbst einzutreten und sich in ihm nach vorn zu verästeln, so dass er leicht von der Ventralfläche des Basilaris aus zugäng- lich ist'*). — Der Stamm des ßam. musc. dringt selbst im Ni- veau des hintern Randes des halbringförmigen Knorpels zwischen der 2. und 3. Portion des Basilaris, beiden Zweige gebend, nach aussen und unten, so dass er auf der Ventralseite, beim Aufheben des Process. spinosus mit seinen Muskeln sichtbar wird (Fig. 25). Hier spaltet er sich in 3 Aeste, welche in divergentem Verlauf in die 3 Spinoso-Muskeln eintreten. B. Hamas internus (4, Fig. 23). Stärker als der Ram. ext. Zerfallt sofort in einen vordem und hintern Zweig. 1) Ramus anterior (5, Fig. 21. 23. 26). Kräftiger Nerv. Verläuft zunächst auf der Fascie des Basilaris nach vorn, dicht an der Theilungsstelle vom Ramus posterior den a) Ram. pharyngeus post. (6, Fig. 23. 26) abgebend. Derselbe verläuft gleich dem Stamm des Ram. ant. auf der Aus- senfläche des Pharyngeus nach vom (Fig. 26), von Strecke zu Strecke Aestchen in diesen absetzend und sich so erschöpfend. Etwa im Niveau der Grenze zwischen Vomer und Ethmoid giebt der Ram. ant weiter ab den b) Ram. recurrens (7, Fig. 22. 23. 30)'*). Dünner aber sehr langer Nerv von eigenthümlichem Verlauf. Er beschreibt im Allgemeinen eine lange nach vom spitz ausgezogene Schlinge. In seiner Richtung nach vorn und medianwärts liegt er der Aus- senfläche des Pharyngeus dicht an, auf der Fascie des Basilaris verlaufend. Da wo die fächerförmige Verstärkungsparthie des 15) Nach ScHLEMK u. D- Alton „scheint ^sich ein kleines Aestchen in der Speicheldrüse selbst zu yerlieren'^ Ich habe dies nicht bestätigen können. Sollte nicht eine Verwechslung mit dem oben beschriebenen vordem Muskel- zweige vorliegen? Die allerdings im Beginn seines Verlaufs der Speicheldrüse zusteuernde Richtung spricht dafür. 16) Von BoBN übersehen. Schlbhm u. D'Alton: Zweig des innem Astes vom Ram. tert Trigem. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 65 innern Pharyngeusstratums mit ihrem hintern Rande an die Haupt- masse des Pharyngeus anschliesst (y, Fig. 22), dringt der Nerv durch die Ringfasern und erscheint jetzt auf der Innenfläche des vordem innern Pharyngeusstratums, hier an dieses einen kleinen nach aussen und vom verlaufenden Zweig (Fig. 22) abgebend. Die Fortsetzung des Ram. recurrens perforirt dicht vor dem vordem Rande des innern Stratums dasselbe noch einmal, um wiederum auf der Aussenfläche desselben zu verlaufen. Unter die Seiten- lappen der Zunge tretend versorgt er zunächst mit je einem klei- nen Aestchen den Tendino-glossus und Lingual, propr. (Fig. 23), sowie mit einer schwankenden Zahl die Schleimhaut und Zähne sämmtlicher Zungenlappen, um dann in engem Bogen plötzlich sich nach rückwärts zu wenden, an der Innenfläche der Sehnen- scheide des Longitudinalis linguae dicht neben dem der andern Seite verlaufend (Fig. 30), ohne mit ihm durch Queranastomosen zusammenzuhängen. An dem vordem Ende der dorsalen Portion des Hyo-hyoideus post. erhalten der Hyo-hyoideus und Hyo-bran- chialis je einen dünnen Faden '^), und der Nerv divergirt von nun an mit dem der andern Seite, indem ein jeder sich an der Innen- fläche des Hyo-hyoid. post. längs der Raphe hält, hier stellenweise Schlingen bildend, von denen, ebenso wie vom Stamme selbst Muskeläste zu beiden Portionen des Hyo-hyoid post. abgehen, während die Fortsetzung des Stammes ziemlich plötzlich in lange dünne Fäden zerfallt, die sich, nach rückwärts laufend, im Longi- tudinal. ling. bis zur Spitze verästeln*^). — Etwa im Niveau des hintern Randes des rhombenförmigen Knorpels giebt der Ram. ant weiter ab den c) Ram. pharyngeus anterior (8, Fig. 23). Ziemlich kräf- tiger Nerv, der sich constant in 2 Zweige theilt, einen innern starkem (auf der Abbildung abgeschnitten), der sich in den vor- deren Abschnitten des Pharyngeus und der Pharynxschleimhaut 17) Auf der Abbildung nicht dargestellt 18) ScHLEMii u. D' Alton lassen den Nerven bereits „in der Zunge" enden; seine Fortsetzung iu die Sehnenscheide haben sie ül>erEchen. Dass ihnen die Nerven für die beiden grössten Muskeln entgangen sind, erklärt sich eines- theils aus dem unverhältnissmässig dünnen Querschnitt der Nerven gegenüber dem Volumen der Muskeln, anderntheils aus der Schwierigkeit der Verfolgung der Nerven im Bereich der Schlinge, wo eine so innige Verschmelzung mit dem benachbarten Bindegewebe statt hat, dass nur die sorgfältigste Prftpara- tion unter der Lupe und unter (vontrole durch das Mikroskop Garantie für die Bichtigkeit des wahren Verlaufs giebt. B4. IX, N. F. IL 5 66 P&nl FOrbringer, verästelt, und einen äussern dünneren, der das vordere innere Stratum des Pharyngeus versorgt. d) Bam. muscular. pro Semi-annulari (9, Fig. 23), der letzte und schwächste Zweig des Ram. ant., den dieser in der Höhe des Ursprungs des Tendino-glossus abgiebt Er verästelt sich nach aufwärts und aussen verlaufend im Semiannularis und der diesen bekleidenden Mundschleimhaut. Die Endfortsetzung des Ram. ant. selbst läuft als e) Ramus perforans (10, Fig. 23. 25)'*) dicht auf der Fascie des vordersten Basilarisabschnitts gerade nach vom, zieht dann in flachem Bogen nach aussen unter die Sehne des Copulo- glossus obliquus und über den Ausführungsgang der Speicheldrüse (z, Fig. 25) tretend, und durchbohrt endlich den Ringknorpel in seiner ganzen Dicke schräg von innen nach aussen, um sich nach Abgabe einer schwankenden Zahl von Aestchen für die Mund- schleimhaut und ihre Zähne, sich in zahlreichen Zweigen für die drei Schichten des Annularis zu erschöpfen*'*). 2) Ramus posterior (11, Fig. 23)**)- Bedeutend schwä- cher als der Ram. ant., von eigenthümlichem Verlauf. Er wendet sich sehr plötzlich unter rechtem Winkel vom Stamm ab, um nach unten, medianwärts und nach hinten zu verlaufen. Er ver- sorgt zunächst mit je einem Aestchen den Hyomandibulari-se- miannularis und den Pharyngeus post., verläuft dicht am vordem Rande des letzteren Muskels, hier einige feine Fädchen an das Schlundsegel mit seinen Muskeln abgebend. Kurz vor dem Ur- sprung des Pharyngeus löst sich der Muskelzweig für den Hyo- mandibulari-glossus (12, Fig. 22. 23) ab, der zwischen Pharyngeus und der Fascie des Basilaris im Bogen nach vom und lateralwärts verläuft, in die ventrale Fläche des Muskels eintretend. Bald nach Abgabe dieses Zweiges dringt die Fortsetzung des Ram. poßt um 19) Bobn: Endast des Ram. tert. Trigemini. Schlemm u. D'Alton: Ram. int. Trigemini. 20) Schlemm u. D'Alton lassen den Nerven durch den Ringknorpel treten, um die „faserige Substanz zwischen Mundschleimhaut und äusserer Muskcl- schicfat zu versorgen^^ Offenbar verstehen sie unter der äussern Muskelschicht den Annularis ext., unter der faserigen Substanz aber den Annularis med., den auch Rathke und Mayer nicht als Muskel erkannt. Es erhellt zugleich, dass ScHLBMM u. D'Alton auch der Annularis int. entgangen. Eine einfache Ver- folgung der Endäste lässt mit Leichtigkeit die Innervation aller 3 Schichten erkennen. 21) Trotz des mächtigen Verbreitungsgebietes von Born u. Schlbmm u. D'Alton übersehen. Die Muskulatur dos Kopfskelets der Cyclostoroen. 67 die Aussenfläche des Hyoidstücks nach unten und vorn, um auf die ventrale Fläche des Basilaris zu gelangen (13, Fig. 27). Hier wendet er sich nach vorn und medianwärts, um den Hyo-glossus, die beiden CJopulo-glossi und den Annulo-glossus zu versorgen **). — 3) Facialis (VII, Fig. 18. 19. 21). Wenig kräftiger, rein sensibler Nerv. Tritt mit dem Acu- sticus durch eine Oeffnung in die Gehörkapsel"), durchbort den vordem Umfang derselben schräg nach unten und vorn, um dicht an der Aussenfläche derselben den 1) Ramus recurrens (Rr, Fig. 19. 21)**) abzugeben, der sich in nahezu horizontalem Verlauf nach rückwärts um die Aus- senfläche der Gehörkapsel schlägt, um mit dem Ramus lateralis des Vagus, nahe dessen Abgang von letzterem zu verschmelzen. Die Fortsetzung des Stammes verläuft weiter nach vorn und lateralwärts, zwischen Auge und subocularem Bogen, sich mit dem Hautaste des Ram. ext. Trigem. unter spizem Winkel kreuzend, über ihn tretend. Kurz vor der KreuzungssteUe giebt er den 2) Ramus posterior (Rp, Fig. 21)'*) ab, welcher nach hinten, aussen und unten verlaufend zwischen der dorsalen und ventralen Portion des Seitenrumpfmuskels unter die Haut dringt, in dieser sich zwischen Auge und 1. Kiemenloch verästelnd. 22) Die Aeste für diese 4 Muskeln treten ausnahmslos an der dorsalen Fläche der letztern ein. Auf der Abbildung sieht man sie auf der ventralen Fläche sich einsenken. Ebenso ist der Ast für den Gopulo-glossus obliquus, der zwischen Basilaris und Copulo-glossus rectas verläuft, etwas nach aussen verlegt, um seinen Verlauf sichtbar zu machen. 23) Nach Schlemm u. D*Alton soll innerhalb der Gehörkapsel ein Fädchen vom Facialis zum häutigen Sacke des Vestibulums abgeben, ein Verhalten, das von Ketsl (Gehörorgan d. Cyclostomen, in den anatom. Studien v. Hassb, 1873, XI), nach welchem einzelne Aeste an den Vestibularsäckchen sich verbreiten, bestätigt wird. Ich habe diese ausserhalb des Zwecks der Arbeit liegenden Beziehungen nicht näher untersacht. 24) BoBK : Ram. post, der sich mit dem Accessorius verbinden soll, „da, wo or als eigner Nerv vom gemeinsamen Stamme mit dem Vagus und dem ersten Kiemennerven abgeht". Schlemm u. D^Alton: Kam. post.; soll sich mit dem Vagus u. Glossopharyngeus verbinden, aus welcher Verbindung der Ram. late- ral, entstehen soll. Ausserdem haben Schlemm u. D'Alton einen kleinen Ast beschrieben, der vom äussern Umfange der Schlinge entspringend den Seiten- maskel versorgen soll, (t) Ich habe diesen Ast niemals gesehen. 25) Von BoBN überhaupt nicht, von Schlemm u. D'Alton in seiner End- verbreitung nicht angegeben. 6* 68 Paö^ Fürbringer, Kurz nachdem der Facialis den Trigem. gekreuzt, bei einigen Exemplaren schon vorher, bildet er ein lang gestrecktes, spindel- förmiges, plattes Ganglion (z, Fig. 19. 21)**), das erst im Niveau der vordem Bulbuscircumferenz endet. Der Nerv schlägt sich hierauf über die 1 . Portion des Basilaris aus der Orbita unter das Integument des seitlichen Eopfabschnitts, um hier zahlreiche, zum Theil nach rückwärts steuernde Hautäste '^) abzugeben, diesämmt- lieh oberflächlicher liegen, als die benachbarten des Ophthalmicus und des Hautastes vom Ram. ext. Trig. Der vorderste Endzweig verbindet sich constant mit einem Zweige des Ophthalmicus (s. d.). Schema der Muskelinnervation. i) Ocalomatorfufl« Rectus superior (N. 1). Rectus anterior (internus) (N. 4). Obliquus anterior (inferior) (N. 5). t) Troehlearifl. Obliquus posterior (superior) (N. 6). 3) /^bdacens. Rectus posterior (extemus) (N. 2). Rectus inferior (N. 3). 4) Trl^eminuB. L Ophtbalmicns. Sensibel. n MaxlUarls. A. Ramus extemus. Spinoso-semiannularis anterior (N. 9). Spinoso-semiannularis posterior (N. 10). Spinoso-copularis (N. 11). Basilaris (N. 14). 26) Von BoKN abersehen, von Schlbmm u. D' Alton als „eigenthümliches bandartig plattes Geflecht'' bezeichnet — Die mikroskopische Untcrsachimg lässt zahlreiche Ganglienzellen erkennen. 27) BoBN lässt den Facialis im Schwimmmuskel enden. Die MuBkolatar des Eopfskelets der Cyclostomen. gg B. Ramus internus. Annularis (N. 7). Annulo-glosBus (N. 8). Semiannularis (N. 12). Hyomandibulari-semiannularis (N. 13). Hyo-hyoideus anterior (N. 15). Hyo-hyoideus posterior (N. 16). Hyo-branchialis (N. 17). Hyo-glossus (N. 18). Hyomandibolari-glossus (N. 19). Copnlo-glossus rectus (N. 20). Gopulo-glossus obliquus (N. 21). Branchio-glossus (Longitud. linguae.) (N. 22). Lingualis proprins (N. 23). Tendino-glossus (N. 24). Velo-pharyngeus (N. 25). Velo-hyomandibularis internus (N. 26). Velo-hyomandibularis externus (N. 27). Pharyngeus (N. 28). Pharyngeus posterior (N. 29). Sensibel. !D. V^ergfleielieiiLder Theil. §1. Augenmuskeln. Der Rückbildung der Augen der Myxinoiden entspricht ein gänzlicher Schwund ihrer Bewegungsorgane und deren Nerven. Bei Petromyzon und Ammocoetes ') bestehen 4 Recti und 2 1) Durch meine UntersachuDgen der Kopfmuskolatur von Ammocoetes habe ich grösstentheils nur die Angaben Rathkb^s bestätigen können. Es beschränkt sich hier die Muskulatur, welche nach Abtrennung des Soitenrumpfrouskels am Kopf sich darbietet, abgesehen von den Muskeln des äussern Kiemengerttstes auf die Muskulatur der beiden „Lippen**, den SchlundschnOrer, die Muskulatur des 70 Pftul Fürbringer, Obliqui') von denen diese durch ihren oberflächlichen Ursprung vor jenen ausgezeichnet sind. Ein gleiches Verhalten finden wir bei den Fischen, wo die schiefen Augenmuskeln nahe dem Orbital- rande, die geraden in dem Grunde der Augenhöhle oder in einem in dieselbe mündenden Knochencanale unterhalb der Schädelbasis ihren Ursprung nehmen^). Die Innervation der Augenmuskeln anlangend besteht bei den Petromyzonten (s. d. Innervationsschema § 5, am Ende) die Eigen- thümlichkeit, dass, während der Oculomotorius der Fische sämmt- liehe Augenmuskeln mit Ausschluss des Rect. ext. und Obliq. sup. versorgt, hier der Rect. inf. nicht vom Oculomotorius, sondern vom Abducens innervirt wird, so dass also der Abducens 2 Augenmus- keln versorgt Dieses Verhalten ist vielleicht dahin zu deuten, dass der Beet. int. den vereinigten Beet int. und Beet inf. ent- spricht^) und dass in gleichem Maasse, wie diese beiden Muskeln sich späterhin in 2 gesondert, der Beet inf. mit dem Beet ext verschmolzen, einen einzigen durch den Abducens innervirten Mus- kel vorstellend. Aehnlichen Abweichungen vom allgemeinen Innervationsschema begegnen wir bei den ürodelen, speziell bei Salamandra und Tri- ton, wo der Oculomotorius neben dem Obliq. inf. nur den Rect. int und inf. versorgt, während der Nerv für den Obliq. sup. auch den Beet, sup, innervirt ScMuudsegels und die Augenmuskeln (von Kathke nicht angeführt). Letztere^ äusserst unansehnlich und zart, schienen mir nach Lage und Verlauf von deneu der andern Petromyzonten keine nennenswerthe Abweichung darzubieten. Die Augenmuskelnerven sind mir in der relativ dicken Lage schwarzen Pigments welche die Innenfläche der Orbita auskleidet, vollständig entgangen, ebenso der Facialis. Den Trigeminus glaube ich in stark reducirtem Zustande in Form eines dünneu Fadens wiedergefunden zu haben, welcher sich zum Theil in die Lippen- und Pharynxmuskulatur , so wie in den Schlundsegelapparat verlor (s. u.). 2) Ueber die Deutung der Obliqui von Petromyzon siehe § 5, Anm. 2. 3) Diese und spätere Angaben über Muskeln und Nerven der Fische stam- men fast ausnahmlos aus Stannius' Hundbuch der Anatomie der Wurbelthiert* und s. peripherischen ^Nervensystem der Fische. 4) Dafür spricht auch die coustant beobachtete bmei-vation des Kect. iut. durch 2 Zweige des Oculomotorius in welche derselbe .schon vor Eintritt in den Obliq. inf. zer^lt (s. Fig. 19). Die Muskalatur des KopÜBkelets der Cyclostomen. 71 § 2. Trigeminusgmppe ^). 1) Ram. ophthalmicus. Während der Ophthalmicus von Bdellostoma und den Petro- myzonten in Uebereinstimmung mit dem Verhalten bei allen übri- gen Wirbelthieren über den Opticus hinwegtritt, verläuft er bei Myxine unter demselben. Der Schlüssel zur Erklärung dieser scheinbar einzig dastehenden Anomalie giebt die Beobachtung, die ich an mehreren Exemplaren von Myxine gemacht, dass nämlich der Ophthalmicusstamm unter dem rudimentären Bulbus bei einem Exemplar sogar an der äussern Fläche desselben gelagert sich darbot, ein Verhalten, das bei Bdellostoma bereits so weit gediehen,, dass der Ophthalmicus den Bulbus resp. den Opticus überlagert hat Jedenfalls entspricht der Opticus sammt Bulbus, als der Wanderung fähig, einer spätem Bildung als der Trigeminus. — Der Ophthalmicus der Myxinoiden führt motorische Elemente (vergl. die Muskelinnervationsschemata von Myxine und Petro- myzon, § 3 und 5 am Ende), welche bereits den Petromyzonten abhanden gehen (vergl. dag. die Angaben Schlehm's und D'Alton's über den Ophthalm. § 5, Anm. 10 u. 12), so dass der Ophthal- micus aller übrigen Wirbelthiere nur sensible Elemente besitzt. Die vom Ophthalmicus innervirten Muskeln der Myxinoiden sind Muskeln des Nasenrohrs und Tentakelkranzes, die bei den Petromyzonten ausgefallen sind. Die Innervation von Muskeln des Tentakelkranzes durch den Ophthalmicus gegenüber jener der Vorknorpelmuskeln von Petromyzon durch den Maxillaris verbietet, Tentakelkranz der Myxinoiden und Vorknorpel der Petromyzonten als homologe Bildungen anzusprechen. Merkwürdiger Weise erhält auch der Palato-ethmoidal. super- fic. einen Zweig vom Ophthalmicus, während der profund., eben- falls ein Muskel, der einen Schädelabschnitt mit einem Derivat des Kieferbogens verbindet, vom Maxillaris innervirt wird. Es wäre denkbar, dass der Ursprung des Muskels, der mit einer Por- 1) In diesem Paragraphen sind die sensibeln Elemente des Trige- minus und Facialis mit berttcksiciitigt. Au» diesem Grunde bin ich bei der Feststellung der Homologien von Muskeln, anstatt Muskelgruppen zu* sammensufassen, von den Nerven ausgegangen, deren Homologie ich zu einem grossen llieile sowohl innerhalb der Cyclostomenabtheilung als auch ausser- halb derselben mit in den Bereich meiner Betrachtungen ziehen musste. 72 ^^^ Fflrbringer, tion bei Myxine das Cranium betrifft, ursprünglich auf den Schädel beschränkt gewesen und mit seiner voluminöseren Entwickelung allmählig auf die benachbarte Gaumenleiste übergegriffen, ein Ver- halten, das bei Bdellostoma dahin geführt, dass der Muskel aus- schliesslich von letzterer entspringt. Was die sensibeln Elemente des Ophthalmicus anlangt, so müssen die beiden Bami cutanei sup. und die Endfortsetzung des Ophthalmicus der Myxinoiden als Aequivalente des Hauptstammes des Ophthalm. der Petromyzonten beurtheilt werden. Die Verbin- dung eines seiner untern Aeste mit der Endfortsetzung des Facia- lis übernimmt bei den Myxinoiden der Bam. cut. sup. post. Aehn- liche Verbindungen mit den sensiblen Zweigen des Facialis be- stehen bei den Fischen, welche den Ophithalm. bald aus 2 geson- derten Strängen, bald aus einfachem Stamm bestehend aufweisen. Der Bam. nasal, der Myxinoiden findet sich bei Petromyzon wieder, aber entsprechend der Bückbildung des Nasenrohrs in be- deutend reducirtem Zustande. Er wird bei keinem übrigen Wir- belthier vermisst. Ausserdem finden sich bei Petromyzon einige unansehnliche Aestchen, welche am vordem Umfang der Orbita vom Ophthal- micus entspringend zum Theil dorsalwärts bis ins Integument drin- gen und jedenfalls als Homologa der Br. frontales der Fische zu beurtheilen sind. Myxine weist sie noch nicht auf. Giliarnerven gehen den Cyclostomen ab. * 2) Bamus maxillaris Trig. und Facialis^). A. Yergleicbong innerhalb der Cyclostomenabtheilnng. 1) Maxillaris. Bei Myxinoiden wie Petromyzonten ist der Bam. maxillaris vom Ophthalmicus durch den Arcus subocularis geschieden Bei Beiden zerfällt er in einen Bam. ext. und Bam. int. Bei den Myxinoiden innervirt der Bam. ext. des Maxillaris fast sämmtliche Muskeln des Eieferbogens (s. u. Facialis), ausser- 2) Die Umbildungen, die der Rani, maxill. Trig. u. Facialis der Cyclosto- men in Anschluss an die zahlreichen eigenartigen Differenzirungen der Muskeln des Yisceralskelets, namentlich des Zungenbeinbogens eingegangen, sind so be- trächtlich, dass an eine sofortige Vergleichung der Nerven und ihrer Muskeln mit den Fischen nicht zu denken war. Vielmehr erschien es noth wendig, zu- nächst durch den Vergleich innerhalb der Cyclostomenabtheilung einige gemein- same Gharactere zu sondern, die eher eine Feststellung von Homologien mit den Fischen, besonders einigen öelachiern, gestatteten. Die MuBkalatur des Kopfskelets der Cyclostomen. . 73 dem die Muskulatur des Schlundsegels und 2 Muskeln, welche die Copula mit dem Ethmoid resp. dem Tentakelkrauz verbinden. Bei Petromyzon erschöpfen sich die motorischen Aeste des Ram. ext. in der InnervcCtion des Basilaris^) und Spinoso-copularis. Da bei Petromyzon der rudimentäre Kieferbogen keine Mus. kein besitzt, ebenso wenig eine dem Schlundsegel der Myxinoiden homologe Bildung besteht (s. u. Ram. int) so bleiben von den vom Ram. ext. innervirten Muskeln der Myxinoiden nur der Co- pulo-tentacularis und der Copulo-ethmoidalis für den Vergleich übrig und diese lassen sich sehr wohl als Homologa des Spinoso- copularis von Petromyzon deuten. Bei den Myxinoiden wie bei Petromyzon findet der Ursprung an der Copula statt, bei Beiden besteht ein dorsalwärts gerichteter Verlauf, nur hat bei Petromy- zon, wo dem Ethmoid der Charakter eines ausgiebiger Bewegun- gen fähigen Skeletstücks abhanden geht und auch keine dem Ten- takelkranz entsprechende Bildung besteht, ein Abschnitt des Vor- knorpelsystems, der Proc. spinös, des Ringknorpels, zur Insertion dienen müssen. Der Vorstellung, dass beide Muskeln bei Myxine, welche dicht neben einander entspringen und grösstentheils dicht neben einander verlaufen, mit der Zeit in einen Muskel ver- schmolzen sind, steht Nichts im Wege. Der Basilaris muss als eine dem Vorknorpelsystem eigen- thümliche und deshalb den Myxinoiden fremde Bildung beurtheilt werden. Bei Ammocoetes, wo die Vorknorpel noch nicht entwickelt sind und die Rudimente des Kieferbogens ^) nicht Muskehd zum 3) Die beiden Spinoso-semiannulares sind hier in den Basilaris mit einge. rechnet, da sie nur vordere Abtheilungen dieses Muskels dai'stellen und als solche auch von demselben Zweige des Kam. ext. (Rani. musc. s. § 5) inner- virt werden. 4) Als einzige auf das Visceralskelet reducirbare Bildung wird bei Ammo- coetes eine der Schädelbasis anlagernde dünne paarige Knorpelleiste angetrof- fen, von der es nicht mehr nachgewiesen werden kann, ob sie dem Maxillare, Pterygoideum oder Palatinum der Fische entBpricht. (S. Müllkb^ vergleich. Anat. der Myxinoiden, 1. Theil Seite 160). Nach Langebhanb (Untersuchungen über Tetrom. Plan., Freiburg 1878) entsprechen die vordem Abschnitte der Leiste dem harten Gaumen und Keilbeinkörper, die hintern dem Körper des Occipi- tale. — Der von Lanosbhans vermittelst Maceratiou des Ammocoetesskelets in Salpetersäure entdeckte dünne lateralwärts strebende Knorpelfortsatz vor der Gehör kapsei, der nur der Anlage des Zungen beinbogeus entsprechen kann, ist im Texte nicht erwähnt worden, da er Muskeln weder zum Ursprung noch zum Ausatz dient. 74 Paui Fürbringer, Ansatz dienen, enthält der Ram. ext. des Maxillaris keine moto- rischen Elemente. — Die sensibeln Zweige des Bam. ext. anlangend, so werden bei den Myxinoiden angetroffen 1) solche für das Integument am vordem Mundrand und die Tentakel (Endäste des Ram. ant. s. § 3). 2) solche für die die Ventralfläche der Vomerinplatte und der Palatinumleisten überkleidende Schleimhaut (Br. palatini) und 3) solche für die Schleimhaut und Zähne der Zunge. Bei Petromyzon ^) finden sich die beiden ersten wieder, doch haben sich die Hautäste in einen mächtigen Bam. cutan. gesam* melt, dessen Ausbreitungsgebiet eine jenem des Ophthalmicus nahe kommende Ausdehnung erlangt hat. Die Br. palatini erscheinen rückgebildet und nur durch einen unansehnlichen Bam. palatinus repräsentirt. Die Zweige für Schleimhaut und Zähne der Zunge sind ganz in Wegfall gekommen (s. u. Bam. int.). — Der vorwiegend motorische Bam. int des Maxillaris stellt bei den Myxinoiden einen einfachen Stamm vor, der bei Petro- myzon sich in einen vordem und hintern Ast gesondert hat. Bei den Myxinoiden innervirt der Bam. int. des Maxillaris nur Muskeln des Zungenbeinbogens und der Zunge. Desgleichen besteht das Innervationsgebiet des Bam. int. bei den Petromyzon- ten zum grössten Theil aus Muskeln des Zungenbeinbogens und der Zunge (s. d. Innervationsschemata § 3 u. 5 am Ende) ; ausser- dem umfasst es aber noch die Muskulatur des Pharynx und Schlundsegels, so wie endlich den Annularis und Semiannularis. Es erhellt hieraus zugleich, dass das Schlundsegel der Myxi- noiden, dessen Muskulatur der Bam. ext. innervirt, kein Homologen des Schlundsegels der Petromyzonten sein kann*). Eine Pharynxmuskulatur besteht allerdings bei den Myxinoi- den, doch ist diese dem Pharyngeus der Petromyzonten •) keines- wegs vergleichbar. Ersterer nimmt seinen Anfang erst da wo der Pharyngeus^) endet, nämlich im Niveau des Hyoidstücks. Die Muskelfasern entspringen bei Myxine im vordersten Abschnitt am seitlichen Umfange des Endstücks der Copula, weiter hinten an 5) Ueber den Verlauf des Ram. ext. bei Ammocoetes konnte nichts Siche- res ermittelt werden. 6) 6) Ueber die Muskulatur des Schlundsegels und Pharynx bei Ammocoe- tes 8. w. u. 7) In die Bezeichnung Pharyngeus ist hier der Pharyngeus post. mit ein- gerechnet. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomeu. 75 der lateralen Fläche des Fasele des Copulo-copularis (Fig. 12, x) in dessen ganzer Ausdehnung bis zum vordem Kande der ersten Kiemenconstrictoren. Die Insertion der nach oben, hinten und medianwärts, im vordersten Abschnitt fast senkrecht aufwärts ver- laufenden Fasern, welche das Schlundrohr seitlich umfassen, findet statt in einer längs verlaufenden Linie au der ventralen Fläche der Chordascheide, dicht neben dem Ursprung des Seitenrumpf- muskels^). Abgesehen aber von diesen Lage- und Verlaufsauo- malien verbietet die Innervation dieses Muskels durch den Barn, pharyngeus des Vagus ihn als Homologon des Pharyngeus der Petromyzonten zu deuten. Dass der Annularis und Semiannularis von Petromyzon als ursprünglich dem Pharyngeus angehörige Bildungen zu beurtheilen sind, dafür spricht 1) die submucöse Lagerung aller drei Muskeln 2) die Innervation aller drei durch einen Nervenast (vorde- ren Zweig des Rani, int.) 3) die Anordnung der Mund- und Rachenmuskulatur bei der Jugendform, dem Ammocoetes. Hier findet sich der Annularis int und Semiannularis wieder in Form einer Ringmuskelschicht, welche der Schleimhaut der Mundhöhle angrenzend nach hinten und unten an die Ringmuskelschicht des Constrictor pharyngis an- schliesst. Ausserdem bestehen an der ventralen Fläche der „Un- terlippe*' 2 schräge sich durchkreuzende Muskelstrata, welche zum Theil in die Muskulatur der „Oberlippe'* einstrahlend nach hinten und unten dem Schlundschnürer auflagern. Der Annularis ezt ist bei Ammocoetes vertreten durch eine Längsfaserschicht, welche sich vom vordem Mundrand bis zum Schlundschnürer erstreckt. Auch eine Mittelschicht des Annularis findet sich bei Ammocoetes < in Form relativ kräftiger, schräg nach oben und vom verlaufen- der Bündel, [welche zum Theil mit den erst erwähnten schiefen Fasern zusammenhängen. Somit wird es sehr wahrscheinlich, dass mit Entwickelung der Vorknorpel bei Petromyzon eine Sonderung des ursprünglich ver- schmolzenen Stratums in 3 hinter einander liegende Muskeln Platz gegriffen hat. Unentschieden muss es bleiben, ob die Längsfasern des Pharyngeus aus den hintern Abschnitten der Längsmuskel- schicht von Ammocoetes sich entwickelt haben. 8) Bei Bdellostoma fehlt nach Müllbb ein hinterer reichlich 2 Drittel des ganzen Muskels betragender Abschnitt YoUständIg ; der vordere Abschnitt bie- tet C'ontiuuitätstrennungeu dar, ko dass Mdllbb ihn in rortioueu sondert. 76 Pau^ FOrbringer, Rechnet man also, wie billig, den Annularis und Semiannularis dem Pharyngeus zu und sieht man aus den genannten Gründen von diesem und der Muskulatur des Schlundsegcls ab, so redu- ciren sich die Muskelinnervationsschemata des Kam. int für Myxine und Petromyzon folgender Maassen: Myxine. Petromyxon. ,, , , . 4 Hyo-hyoideus ant. Copulo-copularis ^tt v -j ^ ^ f Hyo-hyoideus post. Longitud. ling. LoDgitud. ling. Perpendicalaris ., . , . t Annulo-glossus Copulo-glossus «upi. iri 1 , ^ ^ ^ f Copulo-glossus rect. Copulo-glossus prof. Copulo-glossus obliq. Uyo-copulo-glossus Hyomandibulari-glossus Hyomandibulari-semiann alar. Hyo-brancbialis Tendino-glossus. Hier springt zunächst die übereinstimmende Bildung des Co- pulo-copularis und des Hyo-hyoideus^) in die Augen. Dass beide Homologa sind, unterliegt keinem Zweifel. Bei Myxine wie Petro- myzon stellt der Muskel einen Hohlkörper dar, in dessen Binnen- raum der Longitudinalis linguae lagert, dessen vorderer Abschnitt den Beginn des Ganais für die Sehne des letzteren umfasst. Selbst die Anordnung der Ringfasem auf dem Querschnitt ist bei Beiden eine gleiche. Bei Beiden verläuft der zugehörige Nerv an der Innenfläche des Muskels und strahlt, nachdem er ihn innervirt, in den Longitud. ling. aus. Dagegen bestehen Abweichungen in der Grössenentwickelung und den Insertionsbeziehungen. Während der Copulo-copularis in seinen vordem Abschnitten am Endstück der Copula entspringt und inserirt, findet die Anheftung und der Ursprung des Hyo-hyoideus am Hyoidstück statt. Die Reducüon der Copula bei Petromyzon und deren Loslösung vom ventralen Ende des Zungenbeinbogens, sowie das Auftreten eines Hyoidstücks bei Petromyzon in der Gegend des Ursprungs des Copulo-copularis erklärt dies. Diese geänderten Insertionsverhältnisse geben eben- so eine Erklärung für das abweichende Verhalten der Raphe, die bei Myxine in der Mediane bei Petromyzon seitlich lagern. Wäh- rend die unpaare Copula Anlass gab zur Entwickelung einer dor- salen und ventralen Raphe konnte das paarige Hyoidstück nur je ein laterale entsenden. Das Volumen des Copulo-copu- 9) Da der Ilyo-hyoid. ant. mir eine vordere Portion des Hyoid. post. re- präsentirt sind beide der Kürze halber als Uyo-Uyoideus zusammengefa&Bt. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 77 laris erscheint bei Petromyzon ziemlich beträchtlich reducirt, der- art, dass, während bei Myxine der Muskel, an die Innenffäche des Seitenrumpfmuskels anschliessend und von der ventralen Fläche der Chordascheide nur durch das Schlundrohr getrennt, die Kiemen nach rückwärts verdrängt und sich bis zum hintern Ende des Longitud. ling. erstreckt hat, dei* Hyo-hyoideus zwischen beiden Kiemenreihen Platz gefunden hat, nur die vordem Abschnitte des Längsmuskels uuischliessend. Dementsprechend hat sich auch die sackartig das hintere Ende des Longitud. ling. umschliessende, mit der Raphe zusammenhängende Fascienkappe des Copulo-copularis bei Petromyzon zu einer dreieckigen aponeurotischen Lamelle mit freiem hintern Rande rückgebildet. In gleicher Weise begegnet man in dem Longitud. ling. der Petromyzonten zahlreichen durch Anpassung erworbenen Differen- zirungen des Längsmuskels der Zunge der Myxinoiden. Die un- verkennbar gleiche Anlage beider hat sich erhalten in der genau übereinstimmenden Innervation, in der gleichen Beziehung zu den benachbarten Weichtheilen (Hohlmuskel und Nerv) in der gleichen Insertion, endlich in der übereinstimmenden Structur (Doppel- fiederung und langer Endsehne) des Muskels. Der Ursprung des Muskels bietet Abweichungen. Bei den Myxinoiden hat die Exi- stenz des Perpendicularis , die ihrerseits wieder durch das Vor- handensein der beiden Knorpelplättchen als Ursprungs- undlnser- tionsstelle erklärt ist, für den Longitud. ling. auf eigenthümliche Weise das Punctum fixum geschaffen, derart, dass die hintersten Enden beider Hälften des Muskels jenseits des Perpendicularis mit einander verschmelzen konnten (s. im beschreibenden Theil, § 2). Bei Petromyzon dagegen hat einmal der Wegfall jener beiden, höchstwahrscheinlich ursprünglich der Copula angehörigen Skelet- abschnitte und in Folge dessen des Perpendicularis, das andere Mal der Umstand, dass der Muskel vermöge seiner nach hinten sich verjüngenden Form zwischen den Kiemenreihen (die bei Myxine nach hinten verdrängt worden sind) den knorpligen Herz- beutel und die benachbarten mit demselben in continuirlichem Zu- sammenhange stehenden Abschnitte des äussern Kiemengerüstes hat erreichen können, beträchtliche Aenderungen des Ursprunges zur Folge haben müssen, so zwar, dass ein ursprünglich dem Zun. genbeinbogen angehöriger Muskel seinen Ursprung von Abschnitten der hintersten Bogen des äussern Kiemengerüstes genommen hat Weniger in die Augen springend ist die Homologie der Co- pulo-glossi bei beiden Bepräsentanien der Cyclostomen. Hier 78 Paul Fflrbringor, sind im Anschluss an die Reduction und Wanderung der Copula bei den Petromyzonten nicht unbeträchtliche Umbildungen einge- treten. Doch haben sich als gemeinsame Charaktere abgesehen von der Innervation die übereinstimmenden Ursprünge, so wie die Beziehungen zu den anliegenden Weichtheilen (oberflächliche La- gerung an der Ventralseite unmittelbar unter der Rumpfmusknla- tur) im Allgemeinen erhalten. Den Verlauf der Fasern dagegen anlangend hat die Umbildung des hintern Zungenknorpels; der Myxinoiden in einen langen Skeletabschnitt, so wie die Rückbil- dung der Copula, deren hinteres Ende bei den Petromyzonten vom hintern Ende des hintern Zungenbeinknorpels sogar nach. hinten überragt wird, für den Copulo-glossus rectus einen geradezu entgegengesetzten Verlauf geschaffen, während der Copulo-glossus obliquus im Allgemeinen seine Richtung nach vorn beibehalten hat Zur Lösung der Frage, welchem Copulo-glossus der Petromyzonten der Copulo-glossus superfic. und welchem der Copulo-glossus pro- fund, entspricht, geben die Verhältnisse bei Petromyz. marin, keine , die bei Petromyz. fluviat. * sehr wichtige Anhaltspunkte. Während nämlich dort die Ursprünge der beiden Muskeln an der Copula derartig verschmolzen sind, dass man über oberflächlichere und tiefere Lagerung kein Urtheil gewinnen kann, documentirt sich bei Petromyz. fluviat, wo der Copulo-gloss. rect. in seinem Ur- sprünge weit nach vorn greift und den obliq. zumTheil deckt, unzweifelhaft ersterer als oberflächlicher Muskel und somit dem Copulo-gloss. superfic. der Myxinoiden homolog. Unerklärlich bleibt dabei nur die Wanderung derLisertion vom vordem auf den hin- tern ZungenknorpeL Dem Copulo-gloss. rect. ist höchstwahrscheinlich der Annulo- glossus als lateraler Kopf, der vom Ringknorpel entspringt, zuzu- rechnen. Die Innervation durch denselben Nervenast, der über- einstimmende Verlauf und die Verwachsung beider Muskeln im Bereich ihrer Insertion sprechen dafür. Es restirt von der durch den Ram. int des Maxillaris inner- virten Muskelgruppe bei den Myxinoiden nur noch der Hyo-copulo- glossus und dieser findet sein Homologon im Hyomandibulari-glos- sus der Petromyzonten. Bei Beiden lagert dieser Muskel gröss- tentheils unmittelbar unter der Schleimhaut Der Ursprung er- scheint bei Petromyzon etwas reducirt indem er sich auf den obern Abschnitt des Zungenbeinbogens (Hyomandibulare) beschränkt. Der Verlauf der Fasern ist im Allgemeinen derselbe geblieben, aber die Insertion hat beträchtliche Umbildungen bei Petromyzon Die Muskulatur des Kopfskelets der Gyclostomen. 79 erfahren. Während dieselbe bei den Myxinoiden hauptsächlich an der Gopula geschieht, und die Sehne nur einen Ausläufer in Form des Betinaculums zum Zungenlappen schickt, ist die Insertion an der Copula bei Petromyzon ganz ausgefallen und hat das Haftband sich nach und nach zur Insertionsportion des Muskels di£ferenzirt, welche aber bei P.etromyzon nicht mehr die Zunge erreicht, son- dern dicht vor dieser an der Sehne des Longitud. ling. ihre An- heffcung gefunden hat — Der Hyo-glossus muss als ein den Petromyzonten eigenthüm- licher Muskel gedeutet worden , der mit der Differenzirung des Zungenbeinbogens in Hyomandibulare und Hyoidstück und der bedeutenden Verlängerung des hintern Stützknorpels der Zunge aufgetreten ist. Ebenso müssen als den Myxinoiden fremde Bildungen der Lingualis, Tendino-glossus und Hyomandibulari-semiannularis be- urtheilt werden. Fraglich ist, ob der Hyo - branchialis einen selbstständigen Muskel repräsentirt , oder vielmehr dem Hyo-hyoid. zuzurechnen ist. Die übereinstimmenden Ursprungs- und Innervationsverhält- nisse sprechen für Letzteres; der Verlauf der Fasern und die In- sertion am äussern Kiemengerüst dürften als minder wichtige Mo- mente dieser Ansicht nicht hinderlich sein. — Bei Ammocoetes ist ein Zungenbeinbogen noch nicht entwickelt (s. Anm. 4). Das und der Mangel von Muskeln, welche den Zun- genzapfen bewegen, erklärt es, warum der Bam. int, so weit er Muskeln des Zungenbeinbogens versorgt, nicht besteht Wohl aber wird bereits ein dem Schlundsegel von Petromyzon vergleichbarer Apparat in Form zweier lappenförmigen Schleimhautduplicaturen '^) an der Grenze zwischen Bachen und Kiemenhöhle mit eingespreng- ten sich kreuzenden Muskelfasern ohne skeletöse Grundlage ange- troffen. — Was die sensiblen Elemente des Bam. int bei den Myxinoiden anlangt, so beschränken sich diese auf den Bam. pro lingua. Bei Petromyzon erscheint derselbe wieder als Zweig des Bam. recur- rens; ausserdem treten hier mehrere Zweige für die Mundschleim- haut und deren Ossificationen , die Hornzähne, sowie für die Pha- rynxschleimhaut vom Bam. int ab. — 10) Von Rathkjb ausführlich beschrieben und abgebildet. Ueber seine In- nervation 8. § 1 dieses Theils, Anm. 1. 80 Paul Fürbringer, 2) Facialis. Bei beiden Repräsentanten der Cyclostomen durch seine ge- ringe Stärke und seinen übereinstimmenden Austritt (zwischen Trigeminus und Acusticus) ausgezeichneter Nerv. Während er bei den Myxinoiden 3 Muskeln des Zungenbein- bogens versorgt (siehe das Innervationsschema, .§ 3 am Ende) von denen zwei am Kieferbogen, einer am Granium entspringt, bietet der Facialis der Petromyzonten sich als lediglich sensibler (der Ram. recurrens führt dem Ram. lateral, n. vagi nur sensible Ele- mente zu) Nerv dar. Es werden also der Copulo-quadrat. superfic, der Hyo-copulo-palatinus und Granio-hyoideus der Myxinoiden als den Petromyzonten fremde Muskeln beurtheilt werden müssen; dass sie hier in Wegfall gekommen, erklärt sich zum Theil aus dem Mangel eines Kieferbogens als muskeltragenden Abschnitts. Unerklärlich bleibt dagegen die verschiedenartige Innervation der beiden Copulo-quadrati durch Trigem. und Facialis. — Der nach hinten und rückwärts verlaufende Ram. cutan., so- wie die mit dem Ram. cutan. sup. post. des Ophthalmicus Ver- bindungen eingehenden Verzweigungen des Stammes bei den My- xinoiden erscheinen bei Petromyzon wieder, und zwar ersterer als Ram. post., während die Fortsetzung des Facialisstammes durch seine Verbreitung im Integument und seine Verbindung mit dem Ophthalmicus die Charaktere der Endverzweigung des Facialis der Myxinoiden wiederholt. Der Ram. recurrens und das Ganglion müssen als den Myxi- noiden fremde Bildungen beurtheilt werden. B. Yergleichnng mit den Selachiern. Leider liegen zur Zeit ausführlichere Untersuchungen über die Muskeln des vordem Visceralskelets der Fische nur von drei Re- Präsentanten der Selachier, Heptanchus, Scymnus und Acanthias, vor^*), während die Muskeln der vordem Visceralbogen der andern durch den Besitz einer voluminöseren Gopula ausgezeichneten Haie (Nictitanten, Scyllien, Rhinodonten u. s. w.) so wie von Ghimaera und Lepidosiren (gerade die auslaufenden Abtbeilungen der Holo- cephali und Dipnoi scheinen in Bezug auf die Gonfiguration ihres 11) VsTTEs: Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Kiemen- und Kiefermuskulatur der Fische (Jena 1874). 1. Theil. — Die Angaben Cuvibb's über die Kiemenmuskeln von Perca fluviatilis, also eines einzigen Repräsen- tanten der Unterordnung einer den Selachiern ungemein fern stehenden Teleo- stier- Ordnung (Acanthopteri) blieben unberücksichtigt. Die Muikulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. 32 Visceralskelets und die Verschmelzung desselben mit dem Schädel, sowie durch andere mannigfache Einrichtungen sich als die Nächst- verwandten der Cyclostomen erhalten zu haben) meines Wissens noch nicht zum Gegenstand eingehender Untersuchungen^') ge- macht worden sind. Ich beschränke mich daher bei dem Versuche eines Vergleichs der von der Trigeminusgruppe innervirten Muskeln des Visceral- skelets (da der Ophthalmicus von den Selachiern an nur sen- sible Elemente fahrt, wird nur vom Maxillaris und Facialis die Bede sein können) auf die Abtheilung der Selachier. Aus Grün- den, die später von selbst sich ergeben werden, weiche ich hierbei von dem frühern Verfahren etwas ab und suche, anstatt von den Nerven auszugehen, zunächst Muskelgruppen zusammenzufassen, so weit sie sich den von Vktteb") unter Zugrundelegung derGEOEN- BAus'schen Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wir- belthi^e (3. Heft) aufgestellten Systemen einordnen Hessen. Zunächst erscheinen bei den Myxinoiden als Muskeln, die durch ihre gemeinsamen Charaktere ^^) an die 1. Hauptgruppe, speziell die Untergruppe a (s. Anm. 13) erinnern, folgende: 12) Von HüMPHBT's Monographie^ über die Muskulatur von Mustelus ist aus Gründen, welche Vbttbb in der Einleitung seiner Arbeit giebt, abgesehen worden. 13) Vbttib sondert, der Terminologie 6eg£kbaüb*s folgend, die Muskula- tur der Visceralbogen der Selachier in 4 Hauptgruppen: 1. Oberflächliche Ringmuskulatur (Constrictor arcuum visceralium). 2. Obere Zwischenbogenmuskeln (Interarcuales). 3. Mittlere Beuger der Bogen (Adductores arcuum visceralium). 4. Ventrale Längsmuskulatur (Coraco-brachiales). Die erste Hauptgruppe scheidet er wieder in 4 „gesonderte Differenzirungen" : a. Oberflächlicher Constrictor b. Kiemenscheidewandmuskeln c. Heber des Oberkiefers d. Heber und Vorwärtszieher des Schultergürtels. — • Zunächst musstc hier von der 4. Hauptgruppe ganz abgesehen werden, weil sie nicht dem System der Hirnnerven, sondern dem der Spinalnerven an- gehört. Die Untergruppen anlangend musste b, c und d ausser Acht gelassen werden, da den Cydostomen ein Oberkiefer und Schultergürtel ganz abhanden geht, und ebenso wenig eine den Einrichtungen der Selachier entsprechende Anordnung neben einander bestehender äusserer und innerer Visceralbogen an- getroffen wird. Somit werden im Text nur die 8 ersten Hauptgruppen und unter der ersten nur Qruppe a berücksichtigt werden. 14) Wie bereits im Text erwähnt ist hierbei zunächst von der Innervation abgesehen. Auf das Verhalten der Nerven wird erst nach abgehandeltem Ver- gleich eingegangen worden. Es wird sich dabei ergeben, zum Theil vermöge B4. IX, n. F. II. 6 82 PauI Farbringer» Palato-ethmoidalis (prof.) ^^) Copulo-ethmoidalis Cranio-hyoideus Copulo-copularis bei den Petromyzonten Spinoso-copularis (Homologon des Copulo-ethmoidalis) yo- yoi . I ^jjQ^jQiQga^ ^^^ Copulo-copularis) Hyo-branchialis (dem Hyo-hyoideus angebörig? s. o.) Es lassen sich nämlich für die Untergruppe a (Constrictor super- fic.) der Selachier als gemeinsame Merkmale'^) aufteilen: 1) für den dorsalen Abschnitt: Ursprung an einem Schädel- abschnitt (resp. einer von diesem ausgehenden Dorsalfascie , im Allgemeinen ventralwärts gerichteter Verlauf der Fasern und Inser- tion an einem Visceralbogen (resp. dessen Derivate); 2) für den ventralen Abschnitt: Ursprung an einem (der ventralen Längsmuskulatur angehörigen) ventralen Sehnenstreif, im Allgemeinen dorsalwärts gerichteter Verlauf der Muskelfasern und Insertion an einem Visceralbogen. Zunächst besitzen der Palato-ethmoidal., der Copulo-ethmoida- lis und der Cranio-hyoideus sämmtlicbe Charaktere des Constrictor superficialis dorsalis der Selachier, denn sie verbinden den Schädel resp. einen Schädelabschnitt mit einem Visceralbogen resp. dessen Derivate, und der Faserverlauf ist ventralwärts gerichtet. Zu diesen Muskeln muss auch der Spinoso-copularis der Petro- myzonten gerechnet werden, denn er ist, wie wir gesehen haben, höchst wahrscheinlich als Homologon des Copulo-ethmoidalis zu beur- Rückschlusses von Muskelgruppen auf die innervireiideu Nerven, dass Trigemi- nuB und Facialis der Gyclostomen nicht in einer Weise gesondert sind, wie sie die Einrichtungen bei den Selachiem repräsentiren. 15) lieber die muthmaassliche Stellung des Palato-ethmoid. superfic. und die Gründe, warum dieser Muskel hier nicht berücksichtigt worden ist, siehe im vergleich. Theile unter Ophthalmicus. 16). Das speziellere Verhalten ist kurz folgendes: Der erste Constrictor superfic. dorsal, entspringt am Schädel und inserirt am Quadratum also am Kieferbogen, der zweite entspringt am Sch&del und der oberflächlichen Dorsalfascie und inserirt tbeils am Oberkiefer (u. etwas am Unterkiefer) theils am Hyomandibulare (und etwas am Hyoidstück) also an Eieferbogen und Zungenbeinbogen. Der zweite ventrale Constrict. superfic. (der 1. nicht vorhanden) entspringt vom ventralen Sehnenstreif und inserirt theils am Unterkiefer, theils am Hyoid- stück, also an Kiefer- und Zungenbeinbogen. Die Muskulatur des Kopfskelets der Cyclostomen. g3 theilen, trotzdem er seine Beziehungen zum Schädel als ürsprungs- stelle verloren hat. Dagegen sind ihm als Merkmale, die er mit den angefahrten Muskeln und dem Constrictor superfic. der Selachier gemein hat, der Verlauf der Fasern und die oberflächliche Lage, sowie die Insertion an einem Derivat eines Visceralbogens geblieben. Die übrigen, dem ventralen Abschnitt des Constrictor super- ficialis der Selachier vergleichbaren Muskeln bieten noch zahlrei- chere, durch secundäre Anpassungen bedingte Abweichungen von dem Verhalten bei den Selachiern dar. Am meisten hat noch der Hyo-hyoideus ant. der Petromyzonten in seinem ringförmigen, bei- derseits dorsalwärts gerichteten Verlauf, seiner oberflächliche Lage- rung und seiner Insertion am Zungenbeinbogen die Charaktere eines ventralen Constrictor superficialis beibehalten. Der ventrale Seh- nenstreif als Ursprung ist hier durch die Verschmelzung des ur- sprünglich paarigen Muskels verschwunden. Aehnliche Verhältnisse wie der Hyo-hyoideus ant. bildet der paarige Hyo-branchialis. Hier übernimmt ein Abschnitt der ventralen Längscommissur des äus- sern Kiemengertistes die Rolle des ventralen Sehnenstreifs. Der Hyo-hyoid. post. dagegen weist höchstens in den vordersten Ab- schnitten seiner ventralen Portion Anklänge an das Verhalten eines ventralen Constrictors auf. Der grösste Theil des Muskels hat als eine Bildung, welche ihre Beziehungen zum Schlundrohr und Vis- ceralskelet längst aufgegeben hat und in den Dienst einer speziellen Einrichtung, der Locomotion der Zunge getreten ist, so tief greifende Modificationen erlitten, dass er nur schwer erkennbare Merkmale einer ursprünglich gleichen Anlage darbietet. In noch höherem Grade gilt dies von dem Homologon des Muskels bei den Myxinoiden, dem Copulo-copularis. Hier sind durch zahl- reiche eigenartige Diflferenzirungen die Charaktere eines oberfläch- lichen Constrictors fast bis zum Unkenntlichen verwischt. Man muss daher den Versuch aufgeben. Gründe heranzuziehen, die doch nur den Werth der Vermuthung haben können, dafür, ob und in wie weit die Muskeln, denen nur noch der ringförmige Verlauf der Fasern und die relativ oberflächliche Lage als Spuren gemein- samer Anlage geblieben sind , in der Einrichtung einer seitlichen (Petrom.) und medianen (Myx.) Raphe ursprüngliche Insertions- und Ursprungsbeziehnngen, oder secundäre Anpassungen zeigen, endlich, ob die dorsalen Abschnitte der Muskeln dem primitiven Verhalten des dorsalen Abschnitts eines Constrictor superfic, wie er bei den Selachiern angetrofifen wird, direct vergleichbar sind, trotzdem die Beziehungen zum Scblundrohr, das ja bei den Cyclo- 84 Paul Fttrbringer, stomen über ihnen lagert, aufgegeben sind, oder aber als ganz neue der Cyclostomenabtheilung eigenthümliche Bildungen ange- sprochen werden müssen. — Für die 2. Hauptgruppe der Muskulatur des Visceralskelets der Selachier, die Interarcuales (s. Anm. 13) lassen sich als ge- meinsame Merkmale zusammenfassen : Ursprung an einem Visceral- bogen, im Allgemeinen nach vorn gerichteter Verlauf, Insertion an dem nächst vordem Bogen. Mit derartigen Eigenschaften be- haftete Muskeln werden bei Petromyzon, wo ein Muskel tragender Eieferbogen nicht besteht, nicht angetroffen, bei den Myxinoiden dagegen drei: der Copulo-palatinus, der Hyo-copulo-palatinus und der Copnlo-quadratus (superficialis) *'^). Alle drei verbinden in im Allgemeinen nach vorn gerichtetem Verlaufe den Zungenbeinbogen resp. ein diesem angehöriges Skeletstück (Gopula) mit dem Kiefer- bogen resp. dessen Derivaten. Das primitive Verhalten des Ur- sprungs vom vordem Bande des Visceralbogens hat sich nur noch in der hintersten Portion des Hyo-copulo-palatinus erhalten. Die colossal entwickelte Gopula musste für die vordere Portion dieses Muskels, sowie für die Ursprünge der beiden andern Muskeln für den Bogen seljbst eintreten. Die 3. Hauptgruppe endlich, welche die Adductoren der Bogen umfasst (s. Anm. 13) und als gemeinsame Charaktere Ursprung und Insertion an verschiedenen Stücken desselben Visceral- bogens aufweist, findet in dem Quadrato-palatinus der Myxinoiden ein Homologon, während den Petromyzonten entsprechende Bil- dungen abgehen. — Fast alle übrigen Muskeln des Kopfskelets der Cyclostomen, soweit sie hier nicht berücksichtigt worden sind, sind Muskeln, welche Beziehungen zu den Cyclostomen eigenthümlichen, den Se- lachiem fremden Einrichtungen aufweisen, wie dem Schlundsegel- apparat, dem Tentakelkranz, den Vorknorpeln, endlich der Zunge und den Stützknorpeln derselben. Ammocoetes gehen Muskeln des Kiefer- und Zungenbeinbogens (s. Anm. 4) vollkommen ab. — Um endlich auf die Innervationsverhältnisse der von der Trigeminusgruppe versorgten Muskeln, so weit sie mit Muskeln des Visceralskelets der Selachier verglichen worden sind, zu kom- men, so ergeben sich zunächst folgende Schemata: 17) Vom Ck>pulo-quadrata8 prof. musste hier seines nach liinten gerichte- ten Verlaufs und der Lage-Abweichung wegen abgesehen werden. Die Mnskalatur des Kopfakelets der Cycloitomeiu 85 1) Fflr die Selachier»): Constrictor saperfic. prim. Trigem. (dem Eieferbogen angehörig) Interarcualis prim. felilt (zwischen Kiefer- u. Zungenbeinbogen) Adductor arc. visc. prim. Trigem. (dem Kieferbogen angehörig) Constrictor superfic. secnnd. Facialis (dem Zongenbb. angehörig, auf d. Kieferb. übergreifend) Interarcualis secund. fehlt (zwischen Zungenbeinbogen u. 1. Kiemenbog.) Adductor arc. visc. secund. fehlt (dem Zungenbeinbogen angehörig) 2) Für die Cyclostomen: Constrict. superfic. prim. Trigem. (Palato-ethmoid.) Interarcualis prim. Trigem. u. Facialis (Cop.-palat., Hyo-cop.-palat., Cop.-quad.) Adductor arc. visc. prim. Trigem. (Quadrato-palat.) Gon strict. superfic. secund. Trigem. u. Facialis (Cop.-ethmoid., Grauio-hyoid., Copulo-copul., Hyo-hyoid., Hyo-branch.) Interarculis secund. fehlt Adductor arc. visc. secund. fehlt. Ein Vergleich dieser beiden Sphemata (unter Zuhülfenahme von Anm. 18) ergiebt sofort 1) dass bei Selachiern wie bei Cyclostomen die Trigeminusgruppe von der Vagusgruppe streng ge- schieden ist, indem letzterer die Muskulatur der eigentlichen Eiemenbogen, ersterer jene der beiden ersten Visceralbogen als Innervationsgebiet zufallen, 18) Das speciellere Verhalten ist folgendes : 1) Gruppe des Constrict. superfic. (1. a. s. Anm. 13). Constr. supfic. 1. Trigem. (R. maxill. inf.). Constr. supfic. II. Facialis. Constr. supfic. III. etc. (eigentl. Kiemenbogen) Olossopharyug. u. Vagus. 2) Gruppe d er Interarcuales , Interarc. I. u. II. fehlen. Interarc. III. etc. Vagus. 8) Gruppe der Adductores arc. visc. Adduct. arc. visc. I. (Adduct. mandibul.) Trigem. (R. maxill. Inf.). Adduct. arc. visc. II. fehlt. Adduct. arc. visc. III. etc. Glossopharyng. u. Vagus. gg Faul Ffirbringer, 2) dass innerhalb der Trigeminusgruppe die Son- derung in Trigeminus und Facialis bei den Cyclosto- men und Selachiern nicht eine übereinstimmende ist. Vielmehr sind im Facialis der Selachier motorische Elemente ent- halten, die bei den Cyclostomen in der Bahn des Trigeminus ver- laufen, so wie andererseits bei letzteren Facialiszweige bestehen» die bei den Selachiern als Trigeminuszweige angetrofifen werden. Dieses Verhalten ist ein neuer Beleg für die Richtigkeit des Gb- oENBAUB'schen Schemas, nach welchem der Facialis dem hintern Abschnitt der Trigeminusgruppe angehört, derart, dass für den Facialis ein gesonderter Bogen des Visceralskelets als ursprüng- liches Ver breitungsgebiet nicht nachgewiesen werden kann. (Damit steht im Einklang das Verhalten eines sensiblen Bestandtheils der Trigeminusgruppe, des Ram. palatinus. Während derselbe bei den Cyclostomen als Zweig eines Maxillarisastes angetroffen wird , er- scheint er bei den Fischen bald dem Trigeminus angehörig, bald scheinbar selbstständig, bald als Ast des Facialis.) Es erhellt endlich aus dem Vergleich der Innervation der Muskeln des Visceralskelets bei Cyclostomen und Selachiern, dass sowohl der Rani. ext. als der Ram. int. des Maxillaris der Cyclo- stomen motorische Elemente enthält, welche bei den Selachiern in der Bahn des Maxillaris inf. verlaufen. Dies setzt nothwendig vor- aus, dass bei den Cyclostomen eine Sonderung des Maxillaris in ganz anderer Weise erfolgt ist, als bei den Selachiern, wo eine Scheidung in eineu sensiblen Maxillar. sup. und einen vorwiegend motorischen Maxillar. inf. stattgefunden, in einer Art, wie sie bei sämmtlichen übrigen Wirbelthieren wie- derkehrt. Aus diesem Grunde ist auch eine Vergleichung des Ram. ext. und int. unter Mitberücksichtigung der sensiblen Ele- mente durch die Reihe der Fische und übrigen Wirbelthiere nicht mehr möglich. Erklärung der Abbildungen. flg. 1_15: Myzme glutinosa. (Durchschnittlich 4fache YergrÖBserung). Bezeichnung der Skeletabschnitte (für sämmtliche Abbildungen geltend)^ As Arcus subocularis. B Basilartheil des Schi&dels. C Tentakelknuu ((üorona). Gf Copularfortsatz. G Copularlamellen. £ fithmoid. 6k Gehörkapsel. H Zungenbeinbogen. Hzk Hinterer Zungenknorpel.. P Ganmenleiste (Palatinnm). Ph Schlundtegelhalter (Pars horizontalis). Pq Palatoquadratnni. Ps Processus spinosus der Gaumenleiste. Ptr Querbttgel des Schlundsegels (Pars transverra). Q Quadratum. T (T„ T,, Tt, Ti) Tentakelknorpel. V Vomer. Vik Vorderer ZungenknorpeL Beaeichnung der Muskeln: Cc Copulo-copularis. Ce Copulo-ethmoidalis. Cglpr Copulo-glosstts profundus. Cgls Copulo-glossus superficialis. Cp Copulo-palatinus. Cqpr Copulo-quadratus profundus, Gqs Copnlo-quadratus superficialis. Crh GraniO'hyoideuB. Ctc Copulo-tentacnlo-coronaritts. Hcgl Hyo-copulo-glosstts. Hcp Hyo-copulo-palatinus. LI Longitndinalis linguae. K Nasalis. P Perpendicnlarii. gg Faul Fflrbringer, Pc Palato-coronarias. Pepr Palato-ethmoidalis profondus. Pes Palato-ethmoidalis superficialis. Qp Quadrato-palatinus. Te Tentaculo-ethmoidalis. Tp Tentacularis posterior. Vqp Velo-quadrato-palatinus. Vsp Yelo-spinalis. Bezeichnung der Nerven: I. Ophthahnicus. II. Maxülaris. IIj. Kam. ext., des Maxülaris. II3. Kam. int. des Maxülaris. VII. FaciaUs. 1—6. Zweige des Ophthalmicus. 1 Ram. cut. sup. post. 2 Ram. cut. sup. ant. 3 Ram. nasalis. 4 Ram. musc. für d. Nasalis. 5 Ram. musc. für d. Palato-ethmoid. superfic. 6 Endfortsetzung des Ophthalmicus. 7 — 12. Zweige des Ram. ext. vom Maxülaris. 7 Ram. ant. 8 Oberflächlicher Zweig > , „ 9 Tiefer Zweig $ .^®' ^^' *^^ 10 11 Muskeläste des Ram. med. 12 Ram. post. 18— !20. Zweige des Ram. int. vom Mazillaris. > Muskelzweige. 15 Ram. pro lingua. 16 Fortsetzung des Ram. int. 17 Vorderer Muskelzweig für den Gopulo-copularis. 18 Gemeinsamer Stamm der beiderseitigen Rr. int. 19 Hintere Muskelzweige fdr den Copiüo-copularis. 20 Endast des Ram. int. Fig. 1. Kopfskelet YonMyxine glutinosa von oben nach Abtragung des Sch&deldachs. X Angenommene Grenze zwischen Kiefer- und Zungenbeinbogen, y Ligamentöser Strang zwischen Tentakelkranz und Copularlameüen. I, II. Ursprünge des Kiefer- und Zungenbeinbogens von der Schädelbasis. Fig. 2. Kopfskelet von Myxiue von unten mit Schlundsegelapparat Fig. 3. Kopfskelet von Myxine von der Seite mit Copula und Zungen- knorpel. p Hinterer Fortsatz der hinteren Copularlamelle. y Ligament zwischen Tentakelkranz und Copula. Die Muskulatur des Kopfskelets der CyclostomeB. 89 Kieferbogen, Zungenbeinbogen und Zungenknorpel sind durch gelben, rothen und blauen Abdruck von einander unterschieden. Fig. 4. Kopfmuskeln der Myxine von der Seite nach Abtragung des Seitenrumpfimuskels (nebst Tentacularis post.) der Bauchmuskeln, der Ursprungs- portion des Palato-ethmoid. superfic. (die Insertionsparthie nach oben umge- schlagen) des Hyo-copulo-palat., Copulo-quadr.-snperfic. ijmd Cranio-hyoid. Die beiden Hautäste des Ophthalm. (s. Fig. 7) und der JBluskelast für den Nasalis sind abgeschnitten. X Opticus und rudimentäres Auge, y Nasenkapsel, z Nasenrohr. Fig. 5. Eopfmuskeln der Myxine von der Seite nach Entfernung der Bumpünuskeln und der Insertionsparthie des Palato-ethmoid. supfic. (die Ur- sprungsparthie nach oben umgeschlagen). Der Muskelast des Ram. int. (14) verlängert gezeichnet, um die Innervation der Gopulo-glossi anschaulich zu machen. Fig. 6. Eopfmuskeln der Myxine von der Seite nach Entfernung dersel- ben Muskeln wie auf Fig. 6, ausserdem des Palato-ethmoid. prof. der nach oben, und des Hyo-cop.-palat. und Copulo-quadr. supf., die nach unten umgeschlagen sind. Die untere Hälfte des Granio-hyoid. ist entfernt, der Proc. spinös, der Gaumenleiste abgeschnitten. Vom Copulo-quadratus prof. ist ein mittleres Stück exddirt; durch die Lücke kommt die bewaffnete Fläche der linken Zungen- platte zum Vorschein. Fig. 7. Seitenansicht des Tentacul. post. u. Nasalis mit den Hautästen des Ophthalmicus nach Ablösung des Integuments. X Seitenrumpfmuskel. y Nasenrohr. Fig. 8. Oberflächliche Muskeln nach Ablösung der schiefen Bauchmus- keln. Ventralansicht. X M. rectus abdominis. Fig. 9. Ventralansicht der Muskulatur des Schlundsegels und der unter der Mundschleimhaut gelegenen Muskeln der Gaumenleiste. Ram. int. (II9) so wie der vordere und hintere Ast des Bam. ext. (7. 12) abgeschnitten. Fig. 10. Stellung der Zunge vor dem Mundrand. Ventralansicht. Fig. 11. dto. Seitenansicht. Fig. 12. Stellung der Zungenplatten innerhalb der Mundhöhle bei Er- schlaffung sämmtlicher Muskeln. Dorsalansicht. X Constrictor pharyngis. Fig. 13. Dorsal an sieht der Copula mit ihren Muskeln. Der rechte Zungenbeinbogen (bei x) durchtrennt, der Schädel von der Copula abgehoben und nach links umgeschlagen. Der Hyo-copulo-glossus lateralwärts, der linke Zuugenlappen (z) nach rechts gelegt, so dass des Retinaculum (y) in seinem Verlauf zur ventralen Fläche der Zungenplatte sichtbar wird. Der vor- dere Ast des Ram. ext. (7) und der Ram. pro lingua (16) abgeschnitten. Fig. 14. Ventralansicht des Copulo-copularis, Longitud. ling. und Perpendicular. Ein mittleres Stück des ersten Muskels entfernt, um die konische Gestalt des Lougitud. sichtbar zu machen. X Ventrales Koorpelplättchen. y Sehne des Longitud. ling. Fig. 16. Dieselben Muskeln mit ihren Nerven, nachdem der Copn]o-co- 90 Pa^ Fürbringer, polar, in det dorsalen Mittelfinie gespalten und seine linke Hftlfte lateral- wftrts geschlagen, die linke Hälfte des Longitud. vor der medianen Fläche der rechten Hälfte abgezogen, um die Innervation des Perpendicularis darzustellen. lig. 10—33: Petromyzon, und zwar Fig. 16. 17. 28. 39. Petr. fluviat in 8- bis 4facher Vergrösserung. Fig. 20. Petr. flnviat. in etwa 6facher Yeigrösserung. Fig. 18. 22—27. 80—83. Petr. marin, in annähernd natflrlicher Grösse. Fig. 19. Petr. marin, in 5facher und Fig. 21. Petr. marin, in Sfacher Vergrösserung. Bezeichnung der Skelettheile (gleich jener der Muskeln und Nerven für alle Abbildungen gültig): Ak Aeusseres Kiemengerüst. B Basilartheil des Schädels. C Gopula. Ca lUngknorpel (Cartilago annularis). Gl Seitenknorpel (Gartil. lateral.). Cr Rhombenförm. Knorpel (Cartil. rhomboid.)- Cs Halbmondfbrm. Knorpel (Gartil. semiannularis). £ £thmoid. 6k Gehörkapsel. Hm Hyomandibulare. Hs Hyoidstück. Hzk Hinterer Zungenknorpel. P Paktinum. Pq Quadratom. Ps Processus spinosus. Q (As) Quadratum (Arcus subocularis). V Vomer. Vzk Vorderer Zungenknorpel. Bezeichnung der Muskeln: A (Ae, Am, Ai) Annularis (ext. med. int.). Agl Annulo-glossus. B Basilaris (Bi erste, B^ dritte Portion). Gglo Gopulo-glosBUS obliqutts. Gf Ir Gopnlo-glossuB rectns. Hbr Hyo-branddalis. Hgl Hyo-glossus. Hha Hyo-hyoideus ant. Hhp Hyo-hyoideus post. Hmgl Hyomandibulari-glosstts. Hms Hyomandibulari-semiannularis. LI Longitudinalis linguae. Lpr Lingualis proprins. Oa Obliquus ant (inf.). Op Obliquus post. (sup.)* Ph (Phe, Phi) PharyngeuB (Stratum eit. u. int). Die Moskulator des EopfskeletB der Oydostomen. 91 Php Pharyngeus post. Ra RectDB ant. (int). Ri Bectas inf. Rp Rectus pOBt. (ext). Rs Rectas sap. S Semiannalaris. Spc Spinoso-copularis. Spaa SpinoBO-semiaimalahs ant. Spsp Spinoso-semiannalariB post Tgl Tendino-glosBDS. Vhme Yelo-hyomaDdibolaris ext VSimi Yelo-hyomandibularis int Vph Velo-pharyngeus. Bezeichnung der Nerven: II Opticus. lil Ocnlomotorius. IV Trochlearifl. V TrigeminuB. Yi OphthalmicuB. Ya Maxillaris. YI Abducens. YIl Facialis. YIII Acusticus. X Vagus. 1. Ram. ext. des Maxillaris. 2. dessen Hautast. 3. dessen Muskelast. 4. Ram. int. des Maxillaris. 5. dessen vorderer Ast 6. Ram. pharyng. post 7. Ram. recurrens 8. Ram. pharyng. ant. } des vordem Astes vom Ram. int. 9. Ram. musc. pro Semiaunul. 10. Ram. perforans 11. Hinterer Ast des Ram. int. 12. Ram. musc. pro Hyomand.-gloss. 18. £ndfort8etzung des Ram. int Fig. 16. Kopfskelet von Petrom. flnv. von der Seite (Kieferbogen, Zun- genbeinbogen und Sttttzskelet der Zunge durch gelben, rothen und blauen Ab- druck vie auf Fig. 1—3 unterschieden). I, II Ursprünge des Kiefer* und Zungenbeinbogens. X Vorderer Fortsatz des Palatinums. 1 Oeffnung in der Seitenwand des Sch&dels fttr den Opticus. 2 dto fOr den Oculomotoriui. 8 dto fttr Trigem., Trochl. u. Abducens. Fig. 17. Kopfskelet von Petrom. fluv. ohne Vorknorpel, Copula and Zungenstützknorpel. Ventralansieht 92 Pftul Fürbringer, I, II n. X wie auf Fig. 16. y Oeffimng zwischen Basilartheil und Yomer für den Nasengaumengang. Fig. 18. Hautäste des Trigeminus (Ophthalmicns und Kam. ext.) und Fa- cialis Yon Petrom. marin, nach Ablösung der Haut. X Anastomose zwischen Ophthalmicns und Facialis. TT . ? .' i des Seitenrumpfinuskels. z Ventralportion S Fig. 19. Augenmuskeln und Hirnnerven von Petrom. marin, nach Ent- fernung des Bulbus. Seitenansicht. Bectns superior nach unten umge- schlagen. Der äussere obere Abschnitt der Gehörkapsel abgetragen, um den Verlauf des Facialis durch die vordere Wand derselben zu zeigen. X Gemeinsame Oefihung für Opticus und Oculomotorius (durch sehniges Sep- tum geschieden). y Sensible Ophthalmicusäste. z Ganglion des Facialis. Bn Ram. nasal, des Ophthalmie. Rr Ram. recurrens des Fadal. Rl Ram. lateral, des Vagus. Fig. 20. Augenmuskeln von Petrom. fluv. nach Entfernung des Bulbus und Opticus. X Foram. opticum. Fig. 21. Trigem. u. Facial. von Petrom. marin, nach Entfernung der Augenmuskeln sammt Nerven. y, z, Rn, Rr wie auf Fig. 19. Rp Ram. post des Facialis. Fig. 22. Dorsalansicht der Muskeln nach Ablösung der Pharynxschleim- haut von Petrom. marin. Vorknorpel und Schädel in der dorsalen Mittellinie durchtrennt und beide Hälften lateralwärts umgeschlagen. Vom Hyomandibu- lari-glossus ein mittleres Stück excidirt und der hintere Abschnitt nach unten umgeschlagen, um die Innervirung zu zeigen. V Zahnreihe der Seitenlappen der Zunge. w dto des Mittellappens. X Verbindung des innem Stratums des Pharyngeus (Phi) mit dem Ligament zwischen halbringförmigem und rhombenförmigem Knorpel (letzterer nicht sicht- bar). ^ y Stelle, wo die fächerförmige Verstärkungsparthie des innern Pharyngeus- stratums an die Ringfasern der Hauptmasse des Pharyngeus anschliesst. z Seitliche Zungenlappen. Fig. 23. Dieselbe Ansicht nach Entfernung des Pharyngeus. Die Schleim- haut vom rechten Zungenlappen abpräparirt. Vom iiingknorpel ein Stück ex- cidirt, um den Verlauf des Ram. perforans anschaulich zu machen. Der Oph- thalmicns (V|), der vordere Ast vom Ram. int. (5) und der iiuiere Zweig des Ram. pharyng. ant. (8) abgeschnitten. Fig. 24. Dorsalansicht der Schlundsegeimuskulatur von Petrom. marin. X Stützknorpel des Segels (die Quercommissur durchschnitten und der linke Knorpel mit seiner ventralen Fläche nach oben geschlagen). y Recessus olfactorius (blindes Ende des Nasengaumenganges). z Mündung der innern Kiemengänge in den Bronchus. Die Maskulatar des 'Kopfskelets der Gyclostomen. 93 Fig. 25. Kopfmuskeln von Petrom. marin, von der Seite nach Ablösung des Seitenrumpfmuskels. Der Process. spinös, mit seinen Muskeln nach Durch- trennung der beiden Spinoso-semi&nnulares nach unten umgeschlagen, um ihre Innervation sowie den Verlauf des Ram. perforans (10) darzustellen. Von den beiden obersten Schichten des Annularis je ein viereckiges Stück excidirt, um die Art ihrer Innervation deutlich zu machen. 61b Speicheldrüse. z Lücke im Basilaris für die Orbita. y, X AusfÜhrungsgang der Speicheldrüse. Fig. 26. Aeusseres Stratum des Pharyngeus. Dorsalansicht der linken Hälfte. X Das sub Fig 22 erwähnte Ligament zwischen haibringförmigem und rhom- benförmigem Knorpel. Fig. 27. Ventral^sicht der unter der Yentralportion des Seitenrumpf- muskels gelegenen Muskeln von Petromyz. marin. Rechte Hälfte. X Vorderer unterer Mundraud. y Insertion der Yentralportion des Seitenrumpfmuskels am Ringknorpel. Der Uebersicht halber sind die Nei*ven als au der Ventralfläche (statt Dorsalfläche) der Muskeln eintretend dargestellt. Fig. 28. Dieselben Muskeln von Petrom. [fluv. VomAnnulo-gloesus (Agl) der rechten Seite ist ein mittleres Stück excidirt, um den Verlauf der die Spitzen des Proc. spinös, und der Copula verbindenden Aponeurose (x) zu zeigeu. Der Copulo-gloss. rect. und die vordere Portion des Hyo-glossus sind linkerseits entfernt, ebenso die mediane Hälfte des Spinoso-copularis. Fig. 29. Die beiden Portionen des Hyo-glossus von Petrom. fluv. Ven- tralansicht Fig. SO. Dorsalausicht des Hyo-hyoid. post. und Longitud. ling. von Petrom. marin. Die Dorsalportion des Hyo-hyoid. post. in der Mittellinie durch- trennt und beide Hälften lateralwärts umgeschlagen. Auf dieselbe Weise fter Canal für die Sehne des Longitud. ling. offen gelegt. Die Sehne selbst nahe ihrem Ansatz abgeschnitten und gleich dem Muskel, dessen rechtsseitige In- sertion an der Fascie des Hyo-hyoid. post. (x) durchschnitten ist, nach links gezogen, um die Doppelfiederung und Innervation anschanlich au machen. Fig. 81. Linke Seitenansicht derselben Muskeln in natürlicher Lage. X aus der seitlichen Raphe hervorgegangene Aponeurose, den hintern Rand des llyo-hyoid. darstellend. Fig. 82. Querschnitt durch beide Muskeln, etwa der Mitte des Hyo-hyoid. entsprechend. Fig. 33. dto, nahe dem hintern Rande des Hyo-hyoid. post. X Stelle, wo der Longitud. ling. mit der verbreiterten Raphe des Hyo-hyoid. post. zusammenhängt. lieber das ürogenitalsystem des Amphioxns und der Cyelostomen. Von UrUbelm MüUer, ProfeMor mn der Univeraitüt zu Jena. (Hiem Taf. IT— T.) 1. Das Urogenital System des Amphioxns. Die Angaben über das Vorhandensein eines Harnorgans bei Amphioxus sind so widersprechend als möglich. Rathkb'), Rbi- chbrt') undSTiBDA*) geben übereinstimmend an, dass Hamorgane, vor Allem Nieren, bei Amphioxns sich nicht finden. Joh. Müller^) beschreibt am hintersten Theil der respiratorischen Bauchhöhle mehrere von einander getrennte drüsige Eörperchen, ganz in der Nähe des Perus abdominalis. Ausführungsgänge wurden nicht wahrgenommen. Bei der Zergliederung der Thiere konnte er diese Kqrperchen nicht wiederfinden. Owen *) bildet auf Seite 269 seiner vergleichenden Anatomie am hinteren Ende des Eiemensacks, der unteren Fläche der Chorda anliegend, eine bis fast zum Niveau des Afters sich erstreckende rundliche Masse ab, welche er auf Seite 533 als ein leicht getrübtes schmales längliches drüsiges Gebilde beschreibt und für das Hamorgan erklärt. lieber die Entwickelung des Genitalapparats finden sich An- gaben bei Joh. Mollbr und Stibda. Nach ersterem sieht man bei jungen Individuen dem Rande der Seitenmuskeln entsprechend 1) Hbinbich Rathke, Bemerkungen über den Bau des Amphioxus lanceo- latus. Königsberg 1841. 2) Zur Anatomie des Brancbiostoma lubricum. Archiv für Anatomie uud Physiologie. Jahrgang 1870. 8) Studien über den Amphioxus lanceolatus in Memoires deP Acad^mie de St. Petersbourg. Tome XIX. N. 7. Petersb. 1873. 4) lieber den Bau und die Lebenserscheinungen des Brancbiostoma lubri- cum. Abhandlungen der k. Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1842. Berlin 1844. 6) Richard Owbh, On the anatomy of Vertebrates. Vol. I. London 1866. Das UrogenitaUystem des Amphioxm und der Cyclostomen. 95 emen fadenartigen Streifen herablaufen, in dessen Verlauf kleine Anschwellungen wie an einem knotigen Nervenstränge vorkommen. Diese Knötchen sind die ersten Spuren der Genitalblasen. Stibda &nd in der nächsten Nähe des porus abdominalis bei einigen In- dividuen, dass an bestimmten die Längsrichtung einhaltenden Strei- fen die Zellenschicht an der Bauchwand ein anderes Aussehen hatte, als an den übrigen Gegenden. Die Zellen hatten hier eine wenigstens doppelt so grosse Höhe als daneben. Diese so ausge- zeichneten Zellen schlössen sich durch allmähliche Uebergangsformen an das übrige Epithel an. Stieda hält diese eigenthümlichen Zellen für die ersten Anfange der sich bild enden Keimdrüsen. Genauere Angaben liegen über das Verhalten der entwickel- ten Geschlechtsdrüsen vor. Costa ^) hat das verschiedene Aussehen von Eierstock und Hode, sowie die Pigmentirung des den Ueberzug bildenden Peri- tonäum bereits hervorgehoben. Rathkb hatj die bindegewebige Kapsel beschrieben , von welcher Hode und Eierstock ' umgeben sind, nachgewiesen, dass die Organe paarig und jederseits in eine Anzahl von Läppchen abgetheilt sind, so wie dass Amphioxus ge- trennten Geschlechts ist und auf Grund des Umstandes, dass er weder Samenleiter noch Eileiter aufzufinden vermochte, vermuthet, dass die Geschlechtsprodukte in die Bauchhöhle und aus dieser durch den Porus abdominalis nach aussen gelangen. Job. Müller erkannte die Eier, welche nach ihm aus Dotter, Keimbläschen und Keimfleck bestehen, während die Hoden nur kleine bläschenartige Kömchen ohne Bewegung enthielten. Kol- LiKXR*) entdeckte die Spermatozoiden , welche er als aus einem elliptischen Körper von 0,0003—0,0005 Länge und einem feinen 0,018*-0,02 langen Schwanz bestehend beschreibt Er hebt die Verschiedenheit der Zellen, welche im Hoden sich finden, nach Form und Grösse hervor und lässt die kleineren die Bildung der Sameni&den vermittelnden aus den grösseren hervorgehen. Nach Stibda besteht die Hülle des Eierstocks aus fein fibril- lärem Bindegewebe mit spärlich eingestreuten Kernen. Das Innere bestand bei einigen Exemplaren aus einer einzigen Zellenschicht, welche in Form eines Epitheliums eine kleine Höhle auskleidete. Die einzelnen Zellen des Epitheliums waren von unregelmässiger Form mit deutlich bläschenfönnigem Kern und äusserst kleinen 1) Storia e Notomia del BrAnchioBtoma lubricom. Napoli 1848. 2) Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrgang 1848. 96 Wilhelm Maller, ^ KernkSrperchen. Bei andern Individuen ist der erwähnte kleine Hohlraum des Eierstocks geschwunden, so dass derselbe durchaus solid ist; auf diesem Stadium der Entwickelüng besteht der Eier- stock aus einer Unsumme von kugeligen Körpern, den Eikeimen. Die Zellen haben eine sehr verschiedene Grösse. Je grösser der ganze Eierstock sich dem unbewaffneten Auge darbietet, um so bedeutender ist auch das Volum der einzelnen darin enthaltenen Eier. Im Allgemeinen liegen im Centrum die kleinsten Eikeime, mehr an der Peripherie die grössten, allein der zwischen den grösseren befindliche Zwischenraum war jedesmal durch kleine ein- genommen. Die kleinsten Eikäime haben 0,0026 Durchmesser und lassen nichts weiter erkennen als ein zartes durchaus homogenes Protoplasma und einen punktförmigen Kern; bei den grösseren Zellen ist innerhalb des grösser gewordenen bläschenförmigen Kerns ein deutliches Kernkörperchen sichtbar. Die ausgebildeten Eier hatten einen Durchmesser von 0,15; sie besitzen eine zarte homo- gene Hülle und einen Inhalt, welcher deutlich runde Kömer ein- schliesst. Der Kern hat einen Durchmesser von 0,057, das Kern- körperchen von 0,0214. An Alkoholexemplaren ist an der äusser- sten Schicht der Eier eine zierliche radiäre Streifung sichtbar, welche fast den Eindruck eines die Zellen umgebenden Gylinder- epithelium macht. Zwischen den kleinen membranlosen Eikeimen und den grössten Eiern finden sich allmähliche Uebergänge. DerHode besteht wie der Eierstock aus einer bindegewebigen HttUe und einem epithelialen Inhalt. Jeder Hode besitzt an sei- ner hinteren und medialen Fläche einen tiefen Einschnitt oder Spalt Der epitheliale Inhalt des Hodeb ist in Form von kleinen cylind- rischen Böhrchen angeordnet, welche regelmässig neben einander liegen, sodass ihr blindes Ende der geschlossenen Fläche des Hoden, ihr offenes Ende zu dem Spalt hin gerichtet ist. Auf gelungenen Schnitten macht es den Eindruck, als bestehe der ganze Hoden aus dicht aneinander gedrängten, einfach tubulösen Drüsen, etwa wie die Magenschleimhaut. Den einzelnen Hodenröhrchen fehlt jedoch jede bindegewebige Hülle, und jedes Röhrchen wird zusam- mengesetzt aus einer grossen Menge dicht neben einander liegen- der kugliger Zellen. Die einzelnen Zellen haben einen Durch- messer von 0,014, eine deutliche Membran und einen feingranulir- ten Inhalt, nicht an allen Zellen ist ein Kern sichtbar. An der Geschlechtsreife sehr nahen Individuen fand Stisda die beschrie- benen Schläuche oder Röhren geschwunden und den ganzen Hoden gleichmässig mit Zellen, den Samenzellen, gefüllt. Der Inhalt dieser Das Urogeiiitalsystem des Amphiozus und der Cyclostomen. 97 Zellen erwies sich als eine Menge Samenfaden, letztere Hessen ein sehr kleines punktförmiges Köpfchen und ein kurzes unbedeuten- des Schwänzchen erkennen. üeber die Entleerung der Geschlecbtsprodukte liegen sich widersprechende Angaben vor. Quatrbfaobs ') gibt an , dass er Eier in der Bauchhöhle frei liegend angetroffen und deren Aus- stossung durch den Porus genitalis direkt beobachtet habe. Dem gegenüber gibt Eowalevski^) an, dass die Eier durch die Mund- öffnung ausgeworfen werden und dass dem Auswerfen der Eier ein Auswerfen des Samens des Männchens vorhergeht. Das Lai- chen findet nach ihm nur des Abends statt. Stibda hebt bei der Erwähnung der Beobachtung Kowalbvski's hervor, „dass es ihm nicht gelungen sei, eine Communikation zwischen Kiemensack und Abdominalhöhle nachzuweisen , so dass hiernach die Auffassung des Porus abdominalis als Porus bronchialis ihm nicht richtig er- schien — nach KowALBvsKi würde der Porus abdominalis dann nicht einmal als Geschlechtsporus dienen." Meine eigenen Untersuchungen über das Urogenitalsystem des Amphioxus sind in den Jahren 1870 bis 1872 an gehärteten, zur Controle im Frühjahr 1874 an lebenden Exemplaren des Thieres geführt. Ich habe zunächst Angesichts des Widerspruchs, welchen Stibda gegen die Angaben Johannbs Müllbb's erhoben hat, die Beziehungen der Kiemenhöhle zur Bauchhöhle durch das Experi- ment festzustellen mich bemüht. Ich habe zu diesem Zweck das lebende Thier in Meerwasser gesetzt, welches ich durch Zufügung von etwas Indigotine gefärbt hatte. Nach einiger Zeit entfernte ich das sehr zählebige Thier aus demselben und setzte es nach vorherigem Abspülen in reines Seewasser. Es gelingt bei diesem Experiment sehr leicht, sich von der durch die Kiemenspalten vermittelten Communikation der Kiemenhöhle mit der Bauchhöhle zu überzeugen. So lange die in der Kiemenhöhle enthaltene Flüs^ sigkeit noch blaue Farbe zeigt, so lange entleert siph auch durch den Porus abdominalis gefärbte Flüssigkeit. Ich habe darauf das Experiment in der Art modificirt, dass ich das Thier in Meer- wasser setzte, welches möglichst fein zerriebenen Carmin suspen- dirt enthielt, und nach einiger Zeit das gefärbte Medium mit rei- nem Meerwasser vertauschte. Es gelingt bei dieser Modifikation 1) Annales des Sciences natureUes. III. Serie. Zoologie. Tome IV. Paris 1846. 2) Entwicklungsgeschichte des Amphioxus in M^moires deP Acad^mie de St. Petersbourg. YII. ö^rie. Tome XI. N. 4. Petersburg 1867. Bd. IX, N. F. IL 7 98 Wilhelm Haller, nicht nur, wiederum durch suspendirte Carminpartikelchen röthlich gefärbte Flüssigkeit aus dem Porus abdominalis entweichen zu sehen, sondern auch, wenn man kleinere Thiere dem Experimente unterwirft, den Durchtritt der Garminkömchen, welche beim Zer- reiben einen hinreichenden Grad von Feinheit angenommen haben, durch die Kiemenspalten direkt unter dem Mikroskop zu konsta- tiren. Ich habe noch ein drittes Verfahren benutzt, durch welches Präparate gewonnen werden, welche jeden Augenblick demonstrirbar sind, die Injektion der Eiemenhöhle vom Munde aus durch gelöstes Berlinerblau. Man sieht bei diesem Experiment fast momentan die Farbstofflösung aus der Eiemenhöhle in die Abdominalhöhle übertreten und durch den Porus abdominalis den Körper verlassen. Wirft man , sobald dies eingetreten , das Thier in starken Wein- geist, so gelingt es sehr leicht, den Farbstoff durch Fällung inner- halb der Kiemenspalten und der Bauchhöhle zu fixiren. Es kann Angesichts dieser übereinstimmenden Versuchsresultate, die, so oft die Versuche auch wiederhohlt wurden , stets in gleicher Weise wiederkehrten, darüber kein Zweifel femer bestehen, dass die Kie- menhöhle des Amphioxus durch die Kiemenspalten mit der Bauch- höhle kommunicirt, demnach bei Amphioxus eine Beziehung, welche der Mehrzahl der Tunikaten zukommt, sich erhalten hat. Die Ein- wände, welche Stibda gegen diese Beziehungen geltend gemacht hat, verdienen umsoweniger Berücksichtigung, als dieselben auf Beobachtungen beruhen, deren Insufficienz auf den ersten Blick in die Augen fällt. 'Ich habe nächstdem die Angabe Johannes Moller's geprüft, nach welcher derselbe bei allen lebenden Individuen in der Nähe des Porus abdominalis drüsige Körperchen beobachtete, welche bei der Zergliederung sich nicht wieder auffinden liessen. Ich habe nicht nur die Körperchen Jon. Müller^s bei der Untersuchung des lebenden Thieres wiedergefunden, sondern kann auch eine genügende Erklärung des auffallenden Umstandes liefern, dass Johannes Mül- ler dieselben bei der Zergliederung nicht wiederfand. Der in der Nähe des porus abdominalis liegende Abschnitt der Bauchhöhle enthält fast bei allen Individuen, welche die Länge von 15 mm. überschritten haben, in der That Körperchen, welche schon bei schlirachen Vergrösserungen sichtbar sind und durch die kömige Beschaffenheit ihres Inhalts an Drüsenzellen erinnern. Diese Körperchen stellen Kugeln oder häufiger EUipsoide dar von 0,05 bis 0,07 Länge bei 0,04 bis 0,05 ') Dicke. Sie besteben aus einem 1) AÜe diese Angaben beziehen sich auf mm. Das Urogenitalsystem des Ampbioxus und der Cyclostomen. 99 Protoplasmahaufen, welcher an der Peripherie kaum merklich ver- dichtet ist und im Inneren zahlreiche Kömchen von durchschnitt- lich 0,001 Durchmesser suspendirt enthält. Diese Körnchen sind zum Theil farhlos und ziemlich stark lichtbrechend, zum Theil gelblich gefärbt und mattglänzend. Ausser ihnen umschliesst das Protoplasma eine oder zwei Vakuolen von 0,01 bis 0,02 Durch- messer und einen ellipsoidischen Kern von 0,016 bis 0,02 Länge bei 0,01 bis 0,016 Dicke, welcher durch Carminlösung intensiv roth sich förbt, was das Protoplasma nur im geringen Grade thut Durch das Vorhandensein des Kernes charakterisiren diese Kör- perchen sich als Zellen. Dazu kommt eine andere wichtige Eigen- schaft. Diese Körperchen sind gelegentlicher amöboider Bewegun- gen fähig, welche ganz unabhängig von dem sie umgebenden Flüs- sigkeitsstrom erfolgen ; sie charakterisiren sich hiedurch als selbst- ständige einzellige Organismen, welche in der Bauchhöhle des Amphioxus parasitisch leben. Ihre Zahl ist verschieden, bei dich- terer Lagerung sind sie sehr wohl im Stande, den Anschein drü- siger Gebilde hervorzurufen, namentlich bei kurz dauernder Be- trachtung. Ich zweifle nicht, dass es diese Organismen gewesen sind, welche Johankes Moller vor sich gehabt hat; ihre freie Exi- stenz in der die Bauchhöhle durchsetzenden Flüssigkeit macht es erklärlich, dass derselbe bei der Zergliederung des Thieres ihnen nicht wieder begegnete. Ich habe endlich den Befund geprüft, welchen das Urogenital- system des Amphioxus in Exemplaren von verschiedener Körper- länge darbietet. Die jüngsten Entwickelungsstadien, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, entsprachen einer Körperlänge von 10 mm. Ich habe bei diesen Thieren keine Spur des Genitalapparates auf- zufinden vermocht Das die ventrale Fläche der Bauchhöhle be- kleidende Epithel zeigte in der Gegend des Porus abdominalis drei leistenformige Verdickungen jederseits zwischen der Mittellinie und der Contaktstelle von Rumpf- und Bauchmuskulatur. Die Ver- dickungen waren am beträchtlichsten dicht vor dem Porus ab- dominalis, um im Verlauf nach vorne sich abzuflachen, so dass sie im Niveau der Abgangsstelle der Leber kaum mehr zu erkennen waren. Sie wurden dadurch bedingt, dass das in der Umgebung flache polygonale Bauchfellepithel in einer 0,03 bis 0,04 breiten scharf sich absetzenden Strecke cylindrische Form annahm unter Erhöhung auf 0,012. Die Kerne dieser eylindrischen Epithelien lagen der Basis näher und hatten schmale ellipsoidische Form, 7* 100 Wilhelm MüUer, gegen den Rand hin war der Inhalt der Zellen homogen und mit Carmin wenig sich färbend. Dicht unterhalb des Ansatzes der Bauchmuskulatur an jene des Rumpfes war die Haut links imd rechts zu je einer schmalen 0,08 langen, 0,02 dicken Falte erho- ben. Dieselbe war an ihrem freien Ende leicht verdickt und me- dianwärts gekrümmt und bestand aus zwei Lamellen, einer latera- len und einer medialen. Beide waren von dem gewöhnlichen Ober- hautepithel bekleidet, welches einer dünnen ziemlich stra£Fen Binde- gewebslamelle aufsass, beide Bindegewebslamellen waren durch äusserst spärliche, grosse Räume zwischen sich lassende, faden- förmige Bindegewebszüge unter einander in Zusammenhang; eine Auskleidung dieser Räume mit Epithel war nicht vorhanden. Bei einem Exemplar von 17 mm. Länge waren die drei leisten- förmigen Erhebungen des Epithels an der ventralen Fläche des Bauchfells höher, 0,02 erreichend, auch jetzt verflachten sie sich im Verlaufe nach vorne, um im Niveau des Abgangs der Leber vom Darm sich auszukeilen; der Bau war der gleiche wie früher. Die beiden Bauchfalten waren 0,13 lang, 0,025 dick, im übrigen wie früher beschaffen ; der zwischen denselben die ventrale Fläche des Körpers bekleidende Abschnitt der Haut war in eine Reihe dicht nebeneinander stehender Längsfalten gelegt, welche schon bei dem 10 mm. langen Thiere wahrnehmbar gewesen waren. Es war aber ferner die Anlage des Genitalapparats nachweisbar und zwar in Form einer Anzahl getrennter Zellenhaufen, welche auf beiden Seiten alternirend gerade vor der Vereinigungsstelle der Rumpf- und Bauchmuskulatur unter dem Peritonäum lagen. Die Zellen- haufen hatten annähernd eiförmigen Querschnitt mit dorsalwärts gerichtetem schmäleren Ende, der Höhendurchmesser betrug 0,064, der Dickendurchmesser 0,032. Das Bauchfell ging kontinuirlich über diese Körper hinweg; sie waren von einem dünnen binde- gewebigen Ueberzug umkleidet und im Inneren von kubischen und cylindrischen Zellen von durchschnittlich 0,006 erfüllt, welche theils in einfacher, theils in mehrfacher Schicht um ein schmales spalt- förmiges Lumen gruppirt waren. Bei zwei Exemplaren von 20 mm. Länge zeigten die drei Epithelstreifen auf der ventralen Fläche des Bauchfells je 0,026 Höhe bei 0,04 bis 0,06 Breite. Sie verflachten sich wie früher im Verlauf nach vorne, die Anlage des Genitalsystems stellte wie in dem vorhergehenden Stadium eine Reihe alternirend stehender Körper dar, welche gerade medianwärts von der Verbindungsstelle der Rumpf- und Bauchmuskulatur unter dem Peritonäum lagen. • ••• .••• • • • • : •. • . • . • • • Das Urogenitalsystexn des Amphioxus und der Cyclostomen. 101 Ihr Höhendurchmesser betrug auf dem Querschnitt 0,07 die Dicke 0,036 ; sie besassen eine dünne bindegewebige Hülle, welche in der Mitte der ventralen Fläche ein Blutgefäss von 0,016 Länge bei 0,006 Breite einschloss. Die Körper enthielten auch jetzt vor- wiegend kubische Zellen, welche um ein centrales 0,04 langes 0,016 weites Lumen gruppirt waren. Die beiden Bauchfalten hatten eine Länge von 0,2 bei 0,03 Dicke, ihr Bau war gleich jenem des vor- hergehenden Stadiums. Die beiden zuletzt erwähnten Exemplare waren im Laufe des November gesammelt. Einen wesentlich anderen Befund des Ge- nitalapparats bot ein drittes gleichfalls 20 mm. langes Exemplar, welches ich im Laufe des März gefangen hatte.) Epithelstreifen und Bauchfalten verhielten sich bei diesem Thier wie bei den zwei vorhergehenden; die Genitaldrüse erwies sich aber als ein achtes Ovarium von 0,2 Höhen- und 0,1 Dickendurchmesser. Der dünne Uebetzug enthielt auch hier in der Mitte der ventralen Fläche ein Gefäss. In der Peripherie war dieses Ovarium erfüllt von grossen bis 0,044 im Durchmesser haltenden Eizellen mit trübem etwas gelblich gefärbtem Protoplasma, 0,02 im Durchmesser haltendem bläschenförmigen Keri> und 0,004 messendem Kernkörperchen, im Centrum lagen dicht gehäuft kleine Zellen mit wenig Protoplasma, relativ grossem 0,005 messenden Kern mit deutlichem Kernkörper- chen von 0,001. Vergl. Tafel IV Fig. 5, welche die Ovarium- und Fig. 7, welche die Hodenanlage auf annähernd gleicher Entwicke- lungsstufe darstellen. Bei einem Exemplar von 23 nim. zeigte das Ovarium eine Höhe von 0,22 bei 0,1 Dicke, verhielt sich im Uebrigen wie in dem vorigen Fall; bei einem Exemplar von 24 mm. betrugen diese Maasse 025 resp. 0,11. Die Epithelstreifen an der ventralen Fläche des Peritonäum hattep gegen den Porus abdominalis hin an Höhe und Breite etwas gewonnen. Die Bauchfalten hatten 0,24 Länge bei 0,04 Dicke; an ihrem Ansatz an die Bauchwand war ein fla- ches Gefäss zwischen den beiden Bindegewebslamellen wahrnehm- bar, welche dicht unterhalb desselben einen dreieckigen spaltför- migen Raum zwischen sich Hessen, der keinerlei Epithelbekleidung erkennen Hess. Die zwischen den beiden Bauchfalten liegende ventrale Körperfläche war wie früher zu einer grossen Zahl dicht aneinander gereihter von einer einfachen Schicht des Oberhaut- epithels bekleideter Längsfalten erhoben, welche im Inneren schmale Hohlräume enthielten. Ein Männchen von 25 mm. Länge, im März gefangen, besass Hodensegmente von 0,8 Höhe bei 0,44 Dicke. 102 Wilhelm Müller, Der Hode Hess einen dünnen bindegewebigen Ceberzug und in die- sem in der Mitte der ventralen Fläche wieder ein Gefäss unter- scheiden. Das Innere bestand aus einer Kinden- und einer Mark- substanz. Erstere hatte eine durchschnittliche Dicke von 0,05 und ein anscheinend gleichmässig körniges Gefüge. Auf sehr dünnen Schnitten löste sich letzteres in äusserst dünnwandige etwas ge- wundene der Hauptsache nach in radialer Richtung verlaufende Schläuche auf, welche mit rundlichen Zellen von 0,004—0,006 ge- füllt waren. Der Durchmesser dieser Schläuche betrug 0,008 im Mittel. An der Grenze zwischen Kinden- und Marksubstanz ord- neten sich diese Eanälchen zu konischen büschelförmigen Massen, welche von allen Seiten der Peripherie ihre Sichtung gegen das Centrum des Hoden nahmen. Die einzelnen Büschel waren von breiteren an deutlichen Faserzellen reichen Bindesubstanzzügen in dieser Strecke des Verlaufs umgeben. Diese Bindesubstanzzüge bildeten im Centrum jedes Hodensegraents ein lockeres Netzwerk, in dessen Interstitien die leicht unterscheidbaren Markkanälchen eingebettet waren, welche hie und da Anastomosen erkennen Hes- sen. Sie strebten schliesslich unter spitzwinkliger Vereinigung der Mitte der ventralen Fläche jedes Hodensegments zu, daselbst mit- telst eines schwer wahrnehmbaren 0,016 langen 0,007 dicken an der Ausmündungsstelle mit 0,013 breitem Rande versehenen Vas deferens endigend. Der Bauchmuskel hatte eine Dicke von 0,03 und in der Mittellinie eine deutliche Raphe. Das seine dorsale Fläche bedeckende Peritonäum zeigte in der Nähe des Perus ab- dominalis die früheren Streifen hohen Cylinderepithels, nach vorne zu sich abilachend, ihre Breite und Höhe hatte zugenommen, sie waren einander in Folge davon etwas näher gerückt. Die ventrale Fläche des Bauchmuskels war von der Oberhaut mit ihrem Epithel bekleidet. Letztere war nahe der Ansatzstelle des Bauchmuskels an den Eörpermuskel zu den :?wei 0,3 langen am freien Ende medianwärts gekrümmten Bauchfalten verlängert.' Sie bestanden wie früher aus einer lateralen und einer medialen Lamelle, welche durch einen spaltartigen Hohlraum der ganzen Länge nach ge- trennt waren; in dem Hohlraum lag nahe dem Ansatz ein ziem- lich geräumiges Gefäss. Die laterale Lamelle der Falte hatte beiderseits grössere Dicke als die mediale, 0,023 : 0,013, das die dickere laterale Lamelle überziehende Epithel hatte cylindrische Form und 0,011 Höhe, während das die dünnere mediale Lamelle überziehende nur 0,007 Höhe und mehr kubische Form hatte. Die ganze zwischen den beiden Bauchfalten liegende ventrale Körper- Bas Urogenitabystoi des Amphamau und der CVclostoiiiai. 103 obeifflidie zeigte wieder dicht nebendnander stehende Längsfiilten, deren Höhe am Ansatz der beiden Banchfalten 0,023 betrug, um allmählicb bis auf 0,056 in der Nähe der Raphe anzusteigen. Diese Falten zeigten einen sehr charakteristischen Bau. Sie wur- den von dem cjlindrischen 0,01 hohen einschichtigen Oberhaut- epithel gebildet, welches einer äusserst dünnen Bindegewebslamelle au£sass; an ihrer Basis erstreckte sich, von den Vorsprüngen des Epithels durch leere Baume geschieden, die Cutis längs der ven- tralen Flache des Bauchmuskels in einer Dicke von 0,01, gleich- falls von einer grossen Zahl dicht nebeneinander stehender durch- schnittlich 0,006 im Durchmesser haltender von dünnen bindege- webigen Scheidewänden umfriedigter Längskanäle durchsetzt We- der die umfinglicheren zwischen Epithel und Cutis noch die weni- ger geräumigen in der Cutis selbst übenden Hohlräume zeigten am gehärteten Präparat eine Spur von Gerinnsel, während ein sol- ches in dem an der Abgangsstelle der Bauchfalten li^enden Ge- fäss deutlich erkennbar war. Der Befund, welchen die mit dem Urogenitalsystem in Zu- sammeuhang stehenden Organe des Amphioxus zur Zeit der vol- len Geschlechtsreife im Frühjahr darbieten, unterscheidet sich von jenem der Jugendform hauptsächlich durch die Zunahme des Vo- lums der einzelnen Organe. Die in der Mitte liegenden Ovarien- und Hodensegmente sind grösser als die am vorderen und hinteren Ende li^enden ; ihre Zahl entspricht jener der in der betreffenden Körperstrecke vorhandenen Bumpfinuskeln ; wie diese altemiren sie auf beiden Seiten. VergL Taf. IV Fig. 4. Die Höhe der einzel- nen Segmente bestimmte ich zu 0,7, ihre Dicke zu 0,5, die Länge zu 0,7; gegen die beiden Enden hin reduciren sich diese Maasse. Die mediale, vordere und hintere Fläche jedes Segments ist von dem Peritonäuni überzogen, welches in diesem Bereich bräunlich pigmentirt ist, die laterale Fläche ist an die Fascie der Rumpf- muskeln angewachsen. Jedes' Segment besitzt eine dünne binde- gewebige Kapsel, welche dicht unter dem Bauchfell liegt. Die einzelnen Segmente des Ovarium enthalten bis 0,9 grosse Eier. Sie bestehen aus einem gelblichen kömigen Dotter, welcher von einer dünnen Protoplasmaschicht umschlossen wird, aus einem ellipsoidischen 0,044 langen 0,024 breiten Kein (Keimbläschen) und einem glänzenden 0,012 im Durchmesser haltenden Kernkörper- eben (Keimfleck). Vergl. Taf. IV Fig. 6. Die Hodensegmente besitzen gleich jenen des Ovarium eine dünne bindegewebige Kapsel. Ihre Substanz lässt auch im Zu- 104 Wilhelm Müller, stand der vollen Geschlechtsreife eine Rinden- und Marksubstanz unterscheiden. Beide lassen auf hinreichend dünnen Schnitten die Hodenkanälchen nachweisen , die Marksubstanz leichter als die Rindensubstanz, deren Kanälchen von einer äusserst dünnen Binde- gewebsmembran umgeben und mit rundlichen Spermatoblasten dicht gefüllt sind. Die Kanälchen der Rindensubstanz vereinigen sich an der Grenze gegen die Marksubstanz unter spitzen Winkeln zu konisch gestalteten Büscheln von Sammelröhrchen, welche sämmt- lich der Mitte jedes Segments zustreben. Sie werden von einem lockeren Geflecht sehr leicht erkennbarer spindelförmiger Faser- zellen umgeben, welche das ganze Mark bis zur Grenze gegen die Rinde durchsetzen. Vergl. Fig. 8 auf Taf. IV. Ich lasse es dahin gestellt, ob unter denselben glatte Muskeln sich befinden. Die Sammelröhrchen vereinigen sich zu einem sehr kurzen und dünnen schwer wahrnehmbaren Vas deferens, welches gewöhnlich an einer eingebuchteten Stelle der medialen Fläche jedes Segments etwas hinter dessen Mitte ausmündet. Die Epithelstreifen an der ventralen Fläche des Bauchfells haben sich gegen früher so verbreitert, dass sie in der Nähe des Perus abdominalis mit ihren Seitenflächen zusammenstossen. Es entsteht dadurch eine zusammenhängende Decke von cylindrischem Epithel beiderseits der Raphe auf der ganzen den Bauchmuskel bedeckenden Partie des Peritonäum ; diese Decke gibt die ursprüng- liche Sonderung dadurch noch zu erkennen, dass dieselbe durch drei schmale leistenförmige Vorsprünge der Bindesubstanzlage des Peritonäum zu den der Länge nach verlaufenden Leisten jederseits der Mittellinie erhoben ist. Im Verlauf nach vorne verschmälern sich die Epithelstreifen unter allmählicher Abflachung und rücken dem entsprechend mehr auseinander; im Niveau des Abgangs der Leber vom Magen ist die Abflachung bereits so weit vorgeschritten, dass bei oberflächlicher Betrachtung die Streifen der Beobachtung entgehen können. Die beiden Bauchfalten haben sich an 45 mm. langen Exem- plaren bis auf 0,45 verlängert; sie sind hakenförmig medianwärts an ihrem freien Ende gebogen und greifen mit den Enden in der Mittellinie übereinander, so dass ein geschlossener nach der Aus- breitung der beiden Bauchfalten von der ventralen Fläche her zugänglicher Kanal längs der Bauchfläche des Thieres bei beiden Geschlechtern gebildet wird, welcher, so lange die Bauch- falten übereinander greifen, nur am Porus abdominalis und dicht hinter dem Mund geöfi'net ist. Ihre laterale Lamelle ist 0,052, Das Urogenitalsy&tem des Amphioxus und der CycloBtomen. • 105 die mediale 0,024 dick; das die erstere bekleidende Epithel hat eine Höhe von 0,012 bei 0,004 Dicke und exquisit cylindrischer Form der einzelnen Zellen. Die unterliegende Bindegewebslamelle war an rasch in starkem Weingeist gehärteten Präparaten anschei- nend homogen, an Präparaten, welche in schwachem etwas ange- säuerten Weingeist gelegen hatten, erschien dieselbe von zahllosen dickeren und dünneren etwas welligen senkrecht zur Oberfläche verlaufenden Bindegewebsbündelchen gebildet, welche eine Fort- setzung der entsprechend geformten Bindegewebsbündelchen der Cutis über den Bumpfmuskeln bildeten und zwischen sich Nerven- fasern erkennen Hessen, deren Verlauf vom Ansatz gegen das um- gebogene Ende der Lamelle gerichtet war. Die mediale Lamelle hatte einen Epithelüberzug von 0,009 Höhe bei 0,014 Dicke der einzelnen Zellen ; ihre Bindesubstanzlage hätte nur 0,014 Dicke und war mehr längsfaserig als die der lateralen Lamelle. Das Binde- gewebesubstrat beider Lamellen war wie früher durch einen gegen den Ansatz jeder Falte hin sich erweiternden annähernd dreiecki- gen Spaltraum getrennt, welcher keine Epithelbekleidung erkennen liess; derselbe enthielt nahe dem ventralen Ende der Bumpfmus- keln ein durch eine Bindesubstanzbrücke mit letzterem zusammen- hängendes Längsgefäss. Die ganze zwischen den beiden Bauch- falten gelegene ventrale Körperfläche war vom Porus abdominalis bis zum hinteren Mundrand in eine grosse Zahl von Längsfalten gelegt, welche am Ansatz der medialen Lamelle beider Bauchfalten ^ach beginnend gegen die den Bauchmuskel halbirende Raphe hin eine Höhe von 0,08 erreichten. Sie bestanden aus einem Ueber- zug von einschichtigem 0,01 hohen Cylinderepithel, welches einer sehr dünnen Bindegewebslamelle aufsass; letztere war an den vor- springenden Stellen der einzelnen Falten durch einen weiten Hohl- raum von der unterliegenden der ventralen Fläche des Bauchmus- kels folgenden Cutislamelle getrennt. Auch letztere enthielt eine grosse Zahl durchschnittlich 0,008 weiter von bindegewebigen Wän- den umfriedigter Längskanäle. Nach der Beschreibung, welche im Vorstehenden gegeben ist, müssen dreierlei Organe bei Amphioxus auseinander gehalten wer- den, welche zu dem Urogenitalsystem in Beziehung stehen. Erstens die Geschlechtsdrüsen, welche ihre Produkte sicher in die Leibes- höhle entleeren, aus welcher sie gleich dem die Kiemenspalten durchströmenden Meerwasser nur durch den Porus abdominalis austreten können. Zweitens die Epithelstreifen, welche längs der ventralen Fläche des Peritonäum vom Porus abdominalis bis vor 106 Wilhelm Müller, das Niveau des Leberursprungs nach vorne sich erstrecken. Sie haben mit der Entwickelung des Genitalapparates nicht das Min- deste zu thun, sondern sind älter als der letztere. Ihre Bedeutung kann meiner Ansicht nach nur in der Annahme gesucht werden, dass in Folge des Umstandes, dass bei Amphioxus uralte Be- ziehungen der Leibeshöhle zu dem Kiemenapparat erhalten ge- blieben sind, ein ursprünglicher Zustand des uropoetischen Systems persistirt, in welchem eine modificirte Strecke des Bauchfellepithels die stickstoffhaltigen Umsetzungsprbdukte der Eörpersubstanz an das durch die Kiemenspalten in die Bauchhöhle austretende Was- ser abgibt. Drittens der durch die Bauchfalten und die zwischen denselben liegende ventrale Körperfläche gebildete ventralwärts unvollkommen abgeschlossene Kanal, welcher sich vom Porus ab- dominalis bis zum hinteren Mundrand erstreckt. Ich vermag in ihm nur einen Hülfsapparat zu sehen, ähnlich der nahe verwand- ten Einrichtung bei Syngnathus, dazu bestimmt, Eizellen resp. Sperma nach der Entleerung aus dem porus abdominalis aufzu- nehmen und nach Bedarf am vorderen Ende des Kanals austreten zu lassen. So finden die Angaben Kowalbvski's ihre naturgemässe Berichtigung. Von einem Auswerfen der Eier durch den Mund, wie es nach Kowalevski^s Angaben stattfinden würde, kann selbst- verständlich bei Amphioxus keine Rede seien, wie die einfache Vergleichung des Durchmessers der Eizellen mit jenem der Kiemen- spalten ergiebt. Wohl aber kann eine Entleerung von Sperma und Eizellen durch das vordere Ende des längs der ventralen Fläche des Körpers resp. Bauchmuskels sich erstreckenden Kanals stattfinden, und die Geschlechtsprodukte müssen in diesem Falle in der Nähe des Mundes zum Vorschein kommen. Mit dieser.An- nahme erhält auch der Bau der Wandungen dieses Kanals, welcher an jenen von Schwellkörpern in mehrfacher Hinsicht erinnert, seine naturgemässe Erklärung. Es bedarf nach dem hier Mitgetheilten kaum der besonderen Erwähnung, dass ich die Vermuthung von E. Haeckel, dass der Lymphraum, welcher innerhalb der beiden Bauchfalten liegt, gene- tisch mit dem Urnierengang etwas zu thun habe, nicht für richtig halten kann. Eine Erklärung des Irrthums, aus welchem die er- wähnte Abbildung Owen's hervorgegangen ist, vermag ich nicht zu geben, wohl aber bin ich in der Lage, bestimmt zu behaupten, dass an der betreffenden Stelle kein Organ sich findet, welches mit einem Urnierengang in Zusammenhang gebracht werden könnte. Das ürogeDitalsystem des Amphioxue und der CycloBtomen. 107 2. Das Urogenitalsystem yon Myxlne. ' Nach den Angaben Johannes Mülleb's *) liegt hinter den Kie- men zu beiden Seiten der Cardia der Myxinoiden eine eigenthüm- liche traubige Drüse. Die rechte trifft man hinter der Bauchfell- falte rechts von der Leber, unter welcher man in den Herzbeutel kommt, die linke kommt in dem Theil des Herzbeutels, in welchem der Vorhof gelegen ist, über diesem zum Vorschein. Retzius ver- nmthete in ihnen die Nieren, konnte aber keinen Ausführungs- gang wahrnehmen. Ihre Blutgefässe verhalten sich auf beiden Seiten ungleich, auf der rechten Seite ergiesst sich ihre Vene mit einer Vene der Seitenmuskeln in die Pfortader, auf der linken in das Körpervenensystem. Jon. Müller hält diese Organe für die Nebennieren, jedenfalls für Drüsen ohne Ausführungsgänge. Ihr feinerer Bau ist nach ihm sehr eigenthümlich. Sie bestehen aus Büscheln kleiner länglicher Lobuli, welche an den Blutgefässen hängen und durch lockeres Bindegewebe verbunden sind. Jeder Lobulus oder Cylinder der Büschel besteht aus einer doppelten Reihe von cylindrishen Zellen mit Kernen, beide Reihen biegen am Ende des zottenförraigen Lobulus in einander um. Zwischen bei- den verlaufen Blutgefässe und ein Strang von Bindegewebe. Die Nieren sind bei Myxine von einer Einfachheit, wie kein anderes Beispiel bekannt ist, sie sind in viele kleine Organe zer- fallen, womit die Ureteren besetzt sind. Diese Art von Nieren verhält sich zu den Nieren der übrigen Thiere wie die blind- sackförmigen Milchdrüsen des Schnabelthiers zu den Milchdrüsen der übrigen Säugethiere, und wie die blindsackförmige Leber des Amphioxus zu der zusammengesetzten Leber aller übrigen Wirbel- thiere. Ein langer jederseits durch die ganze Bauchhöhle reichender Ureter gibt in grossen Zwischenräumen von Stelle zu Stelle ein kleines Säckchen nach aussen ab, welches durch eine Verengerung in ein zweites blindgeendigtes Säckchen führt. Im Grunde dieses Säckchens hängt ein kleiner Gefasskuchen, der nur an einer klei- nen Stelle, wo die Blutgefässe zutreten, befestigt, sonst aber von allen Seiten frei ist. Bei den Myxinoiden besteht jeder Renculus aus einem einzigen äusserst kurzen Hamkanälchen,* seiner Kapsel und dem darin aufgehängten Glomerulus, während die äussere 1) Untersuchungen über die Eingeweide der Fische in: Abhandlungen der k. Akademie der Wissengehaften zu Berlin. Berlin 1846. 4. S. 7 ff. 108 Wilhelm Müller, Haut des Harnleiters sich auch über diesen blindsackartigen Ren- culus fortsetzt. Was die Vertheilung der Arterien an die Nieren betrifft, so verhalten sie sich ganz ebenso zu denselben, wie zu den Nieren der höheren Thiere, indem alles Arterienblut, welches den Nieren der Myxinoiden zugeführt wird, sich erst in dem im Inneren des Säckchens liegenden Gefässkörper vertheilt. Diese Arterien sind im Verhältniss zu jenen Körpern sehr gross und jede entspringt unmittelbar aus der Aorta. Venen gehen aus diesen Körpern nicht zur Vena cava zurück. Wahrscheinlich geht das arterielle Blut aus dem Gefässkörper durch Zweige, welche sich auf die Wände* der Säckchen verbreiten, weiter. Die Venen der Nieren sind Joh. Müller unbekannt geblieben, er lässt es unentschieden, ob es zu- führende Nierenvenen bei diesen Thieren gibt. Die beiden Harnleiter münden in die Papille aus, in welche die Bauchöffnungen zur Ausführung der Geschlechtsprodukte über- gehen. Die oberen Enden der üreteren reichen bis nahe an die Nebennieren. Das Ende wird plötzlich dünn und zieht sich, indem es die Höhlung verloren hat, in einen feinen Strang von Binde- gewebe aus, welches das einzige ist, was die Richtung noch weiter den Nebennieren entgegen verfolgt. Die Geschlechtsorgane hän- gen in einer langen Bauchfellfalte an der rechten Seite des Darm- gekröses. Die Beschaffenheit ist in beiden Geschlechtern völlig gleich, Hoden und Eierstock sind sehr schwer zu unterscheiden. Die Hoden bestehen aus einer Anzahl runder und rundlich- länglicher Körner, welche den Eiern gleichen ; jedes hat eine äus- sere Haut, gleich der Eihaut und einen dem Dotter zu vergleichen- den Inhalt; dieser unterscheidet sich aber von den Dotterkörnern und besteht aus verschieden grossen viel kleineren Körnchen. Saamenthierchen waren im August nicht vorhanden, sie sind wahr- scheinlich nur zur Brunstzeit zu beobachten. Der wichtigste Unter- schied der Hodenkömer und der Eier scheint darin zu bestehen, dass in den ersteren das Keimbläschen fehlt. Die Eier sind wenn klein, rund, weiterhin werden sie stark länglich und die reifen sind sehr gross. In allen jungen Eiern sieht man ausser den Dotterkörnchen das Keimbläschen sehr deut- lich, es enthält, ausser kleineren Körnchen, zwei oder drei Zellen mit Kern, welche den Keimfleck bilden. Wenn die Eier länglich geworden sind, so liegt das Keimbläschen immer an einem der dünnen Enden des Eies. Die Dotterkörner sind läng lieh und glei- chen , ganz den Dotterkörnern der Haifische d. h. sie zeichnen sich Das Urogenitalsystem des Amphioxas und der Cyclostomen. 109 auf ihrer Oberfläche durch quere Linien aus, welche eine Abson- derung der Substanz anzudeuten scheinen und an Amylumkörner erinnern. Diese Linien sind schon im ganz frischen Zustand vor- handen. Das reife Ei hat Stbenstrup') eingehend beschrieben. Das- selbe ist ausgezeichnet durch einen an beiden Eipolen der Schaale ansitzenden Fadenapparat, welcher in eine Anzahl kleiner drei- armiger Anker ausläuft Stbenstrup vermuthet, dass dieser Appa- rat zum Befestigen der Eier an Tang dienen möchte. Owbn*) hat auf Seite 598 seiner vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere den Apparat gleichfalls abgebildet. Den Perus abdominalis hat Dumeril') zuerst beschrieben. Nach Johannes Müller geht am Ende der Bauchhöhle, rechts und links neben dem Mastdarm, ein kurzer Kanal durch die Bauch- höhlenwand in den uupaaren Porus, welcher hinter dem After zwischen den zwei Hautlippen gelegen ist, welche auch den After einschliessen und eine Art Cloake bilden. Zur Prüfung der vorstehenden Angaben standen mir sowohl frische als gehärtete Myxinen in hinreichender Menge zur Dispo- sition. Ich habe zunächst durch einfache Präparation die topo- graphischen Verhältnisse einer neuen Prüfung unterzogen, dann die einzelnen Abschnitte auf ihren Bau untersucht Der Verlauf der beiden Harngänge ist sowohl am frischen als am gehärteten Präparat ohne Schwierigkeit entsprechend den Angaben von Rbtzius und Johannes Moller zu konstatiren. VergL Taf. V Fig. 1. Sie stellen zwei flache durchscheinende Röhren dar, welche sich von den zwischen liegenden Gefässen durch ihre bräunliche Färbung sowie durch die ihrer medialen Fläche anlie- genden Harnkanälchen mit den zugehörigen Gefassknäueln unter- scheiden. Die Anzahl der letzteren entspricht jener der Muskel- segmente. Beide Hamgänge sind in der Richtung von oben nach unten abgeflacht, von ihrer medialen Fläche gehen unter spitzem Winkel in der Richtung nach vorne schmale gerade verlaufende 0,2 lange Harnkanälchen ab, welche an ihrem blinden Ende zu je einer ellipsoidischen 0,36 langen 0,26 dicken Kapsel sich er- weitern. Taf. V Fig. 4. Das Kaliber der Hajngänge verengt sich 1) Oversigt over dct k. danske Vidensk. Selskabs Forhandlingcr. 1863. p. 283. 2) Od the anatomy of Vertebrates. By Richard Owkh. Vol. I. Fisbes and Reptiles. London 1866. 8) Memoires d'aDatomie compar6e p. 145. 110 Wilhelm Müller, von dem hinteren Ende bis zu dem Niveau der Gallenblase nur unbedeutend. Schon bei massiger Vergrösserung erkennt man in deren Wandung eine intensiv braungelbe Pigmentirung , welche in Form etwas gewundener netzförmig untereinander zusammen- hängender Streifen auftritt. Man erkennt ferner die Zusammen- setzung derselben aus einer Epithelschicht und einer Biödegewebe- hüUe. Das Epithel erscheint bei einem Vergleich von Längs- und Querschnitten unter stärkeren Vergrösserungen im ganzen Verlauf einschichtig, cylindrisch, die einzelnen Zellen 0,01 breit, in der Höhe zwischen 0,027 und 0,07 wechselnd; ihre Aussenfläche ist deutlich längsstreifig, stellenweise wie gerunzelt, der Kern rund, durchschnittlich 0,01 im Durchmesser haltend, und stets der Basis der Zelle seht naheliegend. Die kurzen Zellen führen stets nur Spuren von gelblichen Pigmentkörnern in ihrem Protoplasma, die langen enthalten letztere in um so grösserer Menge, je beträcht- licher ihre Höhe ist. Da beide Formen durch Zwischenstufen in- einander übergehen, wird auf jedem Querschnitt eine Anzahl durch die ungleiche Längenentwickelung der Epithelien bedingter leisten- artiger Vorsprürige gegen das Lumen des Harngangs zu Stande gebracht Diesen Vorsprüngen folgt die Pigmentirung, jsie sind im Allgemeinen der Länge nach verlaufend, stehen aber durch zahlreiche schiefe und quere Leisten untereinander in Zusammen- hang. Dadurch kommen die netzförmigen Pigmentstreifen zu Stande, welche schon bei schwachen Vergrösserungen dem Auge auifallen. Die Bindegewebshülle jedes Harnganges ist unmittelbar am Epithel zu einer dünnen Membrana propria verdichtet ; an letztere schliesst sich eine Lage lockeren Gefässe führenden Bindegewebes an, welche nach aussen durch eine dünne Lage strafferen Binde- gewebes in Form einer Adventitia von der Umgebung gesondert wird. Die längs der medianen Fläche von beiden Harngängen ent- springenden Tubuli sind wie letztere im Querschnitt elliptisch, mit einem längeren Durchmesser von 0,056; sie gehen nach einem Verlauf von durchschnittlich 0,2 in die ellipsoidischen Kapseln über, mit welchen sie blind aufhören. Sie bestehen gleichfalls aus einer Epithelschicht und einer die letztere umgebenden Bindege- webslage. Das Epithel ist einschichtig, gleichmässig 0,02 hoch, cylindrisch, ohne Pigment. Am Uebergang in die Kapsel flacht dasselbe rasch sich ab, ohne in irgend einer Strecke des Harn- gangs oder der Kanäleben Cilien zu besitzen ; die Innenfläche jeder Das Urogenitalsystem des Amphioxus und der Cyclostomen. Hl Kapsel ist von einer kontinuirlichen Lage ganz flacher polygonaler Epithelien bekleidet Die Bindegewebshülle der Hamkanälchen verhält sich übereinstimmend mit jener des Hamgangs, von welcher sie abstammt; auch hier lässt sich eine dünne Membrana propria, eine lockere ihr anliegende Oefasse führende Bindegewebschicht und eine dünne aber straffe Adventitia unterscheiden. Im Bereich *der Kapseln wird die Bindegewebshülle mehr gleichmässig fibrillär und von ziemlich dichter Beschaffenheit. Jede Kapsel wird von einem oberflächlich seicht gelappten Körper nahezu erfüllt, welcher das gewöhnliche Aussehen eines Glomerulus darbietet und an seiner Oberfläche von einer zusammenhängenden Schicht ganz flachen polygonalen Epithels überzogen ist An Injektionspräparaten sieht man die Nierenarterien den ein- zelnen Muskelscgmenten entsprechend von der Aorta zu den er- weiterten blinden Enden der Hamkanälchen verlaufen. Sie durch- setzen deren Wand an der medialen Fläche und lösen sich im Inneren zu den charakteristischen Gefassschlingen des Glomerulus auf, aus welchen sie sich zu dem austretenden Gefass wieder sam- meln, welches nahe der Einmündungssteile des Hamkanälchens in die Kapsal letztere zu verlassen pflegt. Tafel V Fig. 5. Das aus- tretende Gefass verläuft längs des kurzen Hamkanälchens, an letzteres einige dünne dasselbe mit lockeren Capillarmaschen um- spinnende Zweige abgebend, zu dem Hamgang, um sich auf letz- terem zu einem rhombischen Capillametz aufzulösen, welches in der lockeren Bindegewebslage zwischen Membrana propria und Adventitia enthalten ist. Aus diesem Capillametz sammeln sich die Venae renales, welche den einzelnen Muskelinterstitien ent- sprechend medianwärts zur Hohlvene verlaufen. Im Niveau der Gallenblase angelangt verengern sich beide Hamgänge rasch auf die Hälfte ihres bisherigen 0,45 im Breiten- durchmesser betragenden Calibers; sie verlaufen in dieser vereng- ten Form noch zwei Muskelsegmente weit nach vorae. In dieser Strecke zeigen sie konstant ein oder zwei längliche Verdickungen, welche sofort durch ihre grauweisse Farbe auffallen. Der Bau der Hamgänge in dieser Strecke ihres Verlaufs ist im Wesentlichen der frühere, jedoch ist das Epithel etwas flacher und zugleich der Figmentgehalt etwas geringer 'als in dem hinteren Abschnitte. An den durch ihre grauweisse Farbe ausgezeichneten Verdickungen finden sich in den Vertiefungen zwischen den Vorsprüngen des Epithels Conkremente. Letztere sind vorwiegend kugelig, bisweilen eUipsoidisch oder von unregelmässig traubiger Form, sie zeigen 112 Wilhelm Müller, ziemlich beträchtlichen Glanz, deutlich koncentrische Schichtung, im Centrum häufig einen schwarzen Kern, ihr Durchmesser schwankt zwischen 0,02 und 0,1. Sie lösen sich in Essigsäure oder Salz- säure nicht auf und geben auf deren Zusatz keine Gasblasen ab. Am Ende der die Conkremente enthaltenden Strecke, deren Zahl und Anordnung grossen Schwankungen unterliegt, geht bisweilen ein kurzes Harnkanälchen ab, welches in eine schmale statt des Glomerulus in der Regel gleichfalls ein Conkrement führende Kap- sel endigt. Vergl. Tafel V Fig. 3. Unmittelbar nach vorne von dem Abgang dieses Harnkanäl- chens verschmälert sich derHamgang neuerdings, so dass nur ein dünner mit flachem gelblich pigmentirten Epithel und starker bindegewebiger Wand versehener Strang übrig bleibt, welcher bei dem erwachsenen Thier eine kurze Strecke in der Jbisherigen Rich- tung verläuft, worauf derselbe weder mit derLoupe noch mit dem Mikroskop weiter verfolgbar ist. Etwas anders verhält sich der- selbe bei jüngeren Thieren mit noch in der Anlage begriffenem Genitalapparat, wie ich sie zu Anfang des Juni 1873 wiederholt in den schwedischen Scheren fing. Entfernt man bei solchen Darm, Leber und Aorta bis zu dem Ursprung der letzteren und präparirt sodann das vordere Ende der beiden Harngänge mit dem konkre- menthaltigen Abschnitt und dem in der Verlängerung nach vorne liegenden Bindegewebe bis zu den beiden von Johannes Müller als Nebennieren bezeichneten Gebilden von der Umgebung vor- sichtig ab und breitet das Ganze nach vorheriger Färbung und Entwässerung in absolutem Alkohol in Candabalsam aus, so lässt sich die Fortsetzung des Harngangs als ein schmaler 0,02 im Durchmesser haltender Gang von dem vorderen Ende des konkre- menthaltigen Abschnitts bis zu dem hinteren Ende jeder angeb- lichen Nebenniere verfolgen. Jeder Gang zeigt ein. fast verschwin- dendes Lumen und eine Auskleidung mit einer einfachen Lage ganz flachen leicht gelblich pigmentirten Epithels, welchem eine verhältnissmässig dicke aus straffem längsgefaserten Bindegewebe bestehende Wand anliegt. Der Gang zeigt gelegentlich nahe dem vorderen Ende ein dünnes von der medialen Seite nach vorne zu abgehendes Harnkanälchen mit ellipsoidischer Kapsel und Glome- rulus. Die beiden Körperchen, zu welchen bei jüngeren Thieren das vordei:e Ende der Hamgänge sich verfolgen lässt, sind bezüglich ihrer Lagerungsverhältnisse von Retzius und Jon. Müller richtig beschrieben. Der rechte liegt dicht neben den Oesophagus an der Das Urogenitalaystem des Amphioxus und der Cjclostomeo. 113 dorsalen Fläche der rechten Ausbuchtang des Perikard gerade aber dem Pfortaderherz, der linke an der dorsalen Fläche, der linken Ausbuchtung des Herzbeutels über dem Herzvorhofe. l\\cß Gestalt ist länglich, die Längenausdehnung beträgt 3 bis 4 mm.y, die Farbe ist am gehärteten Präparat gelblichweiss, die Oberfläche seicht ge- lappt und in die Höhle des betreffenden Perikardabschnitts vor- ragend. Schon bei massiger Loupenvergrösserung erkennt man sowohl am frischen als am gehärteten Präparat auf dem Gipfel der einzelnen Vorsprünge feine punktförmige Oeffiiungen. Bei der mikroskopischen Untersuchung von Längs- und Quer- schnitten ergibt sich, dass beide Körper drüsigen Bau besitzen. Vergl. Taf. IV Fig. 2. Der schmale Gang, in welchen bei jüngeren Thieren das vordere Ende jedes Hamgangs sich fortsetzt, erweitert sich am hintern Ende der beiden Körper rasch und verläuft längs der ven- tralen Fläche der Vena cava nach vorne. Er besitzt in dieser Strecke wieder hohes leicht gelblich gefärbtes cylindrisches Epithel; sein Lumen ist von ungleicher Weite. Dem Epithel liegt wieder eine dünne Membrana propria und darauf eine lockere Schicht fibrillären Bindegewebes auf. Die dorsale Wand des Ganges zeigt in dessen unterem Abschnitt eine geringe Zahl von Ausbuchtungen, welche alle gegen die anliegende Hohlvene gerichtet sind und in deren Lumen vorspringen. Diese Ausbuchtungen enthalten in ihrem Innern je einen Glomerulus, welcher durch die dünne ihn umgebende Kapsel von der gleichfalls dünnen Wand der Hohlvene geschieden wird. Der Bau dieser Glomeruli und ihrer Kapsel verhält sich wie in dem hinteren Abschnitt des Harngangs. Vergl. Taf. IV Fig. 2. Von der ventralen und lateralen Fläche des Gangs entspringt eine grosse Zahl tubulöser Drüsengänge, welche zum Theil zu kleinen Büscheln vereinigt sind und nahe dem Ursprung sich theiieni schliesslich aber alle entweder geraden oder gewundenen Verlaufs der Oberfläche des anliegenden Perikards zustreben, welche über dem freien Ende jedes Tubulus vorspringt Am Ende des Tubulus verengt sich dessen Lumen etwas, um alsbald mit einer leicht trichterförmig sich erweiternden Oefihung in die Höhle des Herz- beutels auszumünden. Der Durchmesser der Tubuli schwankt zwischen 0,1 und 0,14, sie bestehen aus einer epitheUalen Wand und einer Bindegewebshülle. Das Epithel ist im ganzen Verlauf gleich hoch, cylindrisch, 0,03:0,004 messend, längsgestreift und im Protoplasma feine gelbliche Körnchen in massiger Zahl führend. Dicht vor der Ausmündung erhöht sich das Epithel etwas, dadurch die halsartige Verengerung des Lumen bedingend, um an der Aus- B4. IZ. M p. ir. 8 114 Wilhelm Müller, mttndangsstelle selbst in das Epithel der emporgehobenen Strecke des Perikard überzugehen. Vergl. Taf. IV Fig. 2. Cilien fehlen sowohl am frischen als am gehärteten Präparat im ganzen Bereich der Tubuli. Ihre bindegewebige Hülle ist längs des Epithels zu einer dünnen Membrana propria verdichtet, welcher wieder eine Schicht lockeren fibrillären Bindegewebes sich anschliesst; an den vorspringenden Enden der Tubuli wird dieses Bindegewebe auf der inneren Fläche von dem Epithel der Tubuli, auf der äusseren von dem sich allmählich erhöhenden Epithel des Perikard überzogen. Jede Drüse erhält 2 bis 3 kleine Arterienstämmchen aus dem vordersten Abschnitt der Aorta, welche sich zunächst zu den Ge- fässknäueln begeben, um weiterhin in der lockeren Bindegewebs- lage um die einzelnen drüsigen Schläuche ein Netz Verhältnisse massig weiter Capillaren zu bilden. Die Venenstämmchen beider Drüsen ergiessen ihr Blut, so viel ich am injicirten Präparate habe sehen können, in die Hohlvene, nicht in die Pfortader. Myxine ist gleich Amphioxus getrennten Geschlechts. Der Ge- nitalapparat wird demgemäss gebildet entweder von einem Hoden oder von einem Ovarium. Hier ist zunächst der ungewöhnlichen Lagerung der Geschlechtsdrüse zu gedenken, indem dieselbe aus der visceralen Lamelle des Peritonäum ihren Ursprung nimmt. Sowohl der Hode als das Ovarium verlaufen entlang des Darms und sind an dessen rechte Seite genau an der Anheftung des Mesenterium durch ein Mesorchium resp. Mesovarium befestigt. Links fehlt eine Geschlechtsdrüse. Das Ovarium ist durch die Eianlagcn auch an jüngeren Thie- ren leicht kenntlich; sie sind von kugeliger Form und bestehen aus einem grossen runden Kern von 0,006 bis 0,008 Durchmesser mit glänzendem Eernkörperchen und einer dünnen Protoplasma- hülle. Diese jüngsten Eizellen liegen stets zwischen indifferenten Anlagezellen von 0,008 Durchmesser mit ziemlich grossem rund- lichen oder ellipsoidischen Kern und feinkörnigem Protoplasma. Die grösseren Eizellen liegen in der Regel mehr gegen das Mes- ovarium zu, sie behalten die kugelige Form bis zu einem Durch- messer von 0,6 bei. Ihr Kern« wächst dabei bis 0,16 Länge bei 0,11 Breite; er liegt stets an der Oberfläche des Protoplasma, im Inneren enthält er ein Kemkörperchen von 0,03 und eine massige Zahl kugeliger Gebilde von 0,008 Durchmesser. Das Protaplasma sondert mehr und mehr geblichen äusserst fein vertheilten Dotter ab. Vergl. Taf.V Fig. 14. 15. umgeben wird jedes Ei von die- ser Grösse zunächst von einer einfachen Lage polygonaler ganz Das Urogenitalsystem des Amphiozus und der Cyclostomen. 115 flacher Zellen mit Kern von 0,012 Länge 0,006 Breite und fein- kömigem Protaplasma ; auf diese Zellenlage folgt eine bis zu 0,016 dicke Schicht zellenreichen fibrillären Bindegewebes. Bei weiterem Wachsthum geht die kugelige Form des Eies in eine ellipsoidische über. Zugleich wächst des Mesovarium in der Umgebung des Eies zu einem förmlichen Divertikel aus, so dass die in der Entwickelung vorgeschrittenen Eier allmählich in ge- stielte taschenförmige Anhänge des Mesovarium zu liegen kommen. Je grösser das Ei wird, um so deutlicher markirt sich an dem einen seiner beiden Pole ein weisslicher Fleck, welcher an dem andern Pol nur schwach angedeutet ist. Bei Eiern von 18 mm. Länge bei 6 mm. Dicke lassen sich zwei bindegewebige Hüllen des Eies unterscheiden. Die eine ist dünn und mit der zweiten, über welche sie hinweggeht, nur locker verbunden ; sie wird von einer Fortsetzung des Mesovarium gebil- det Die zweite oder innere haftet fest an der unterliegenden Testa; sie ist gegen die Mitte des Eies dünn, an den beiden Po- len verdickt, bis 0,4 mächtig. Diese Hülle besteht aus einer sehr zellenreichen Bindesubstanz mit Kernen von 0,008 — 0,012 Länge bei 0,004—0,006 Dicke und sehr fein fibrillärer hie und da durch die Anwesenheit schmaler, Flüssigkeit führender Lücken an Schleim- gewebe erinnernder Zwischensubstanz. Diese verdickten Abschnitte der inneren Hülle sind sehr reich an Gefassen, sowohl Gapillaren, welche an Injektionspräparaten auf beiden Eipolen ein enges rhom- bisches Maschennetz bilden als Venen, welche einen ziemlich dich- ten Plexus herstellen. An der dem Ei zugewendeten Fläche ist die innere Hülle zu einer glänzenden 0,002 dicken Membrana pro- pria verdichtet. An letztere stösst eine in der Mitte des Eies einfache, an den Polen mehrfache Schicht von Zellen. Sie sind gegen die Mitte des Eies quadratisch oder kubisch, 0,008 hoch, 0,008—0,012 breit, mit je einem runden oder ellipsoidischen in radiärer Richtung abgeflachten Kern versehen. Gegen die Pole hin verdickt sich diese Zellenschicht, und die Zellen nehmen je weiter gegen den Pol um so deutlicher cylindrische Form an; sie erreicht am Pol eine Dicke von. 0,04 und besteht aus 3 bis 4 Etagen spindelförmiger oder cylindrischer Zellen mit dünnem feinkörnigen Protoplasma ohne scharfen Contour und ellipsoidischen radiär mit der Längsaxe gestellten Kernen von 0,012 Länge bei 0,006 Dicke. Genau in der Mitte des weissen Eipols zeigt diese Zellenschicht eine konische Einbuchtung von 0,06 Basis bei 0,1 Tiefe, welche eine trichterförmige gerade gegen den unterliegenden 8* 116 Wilhelm Mflller, Kern nnd das ihn umgebende Protoplasma gerichtete Oeffnong ent- halt, die Mikropyle. Die Grösse des gerade unter der letssteren liegenden Kerns bestimmte ich zu 0,2 Länge bei 0,1 Breite, das runde Kemkörperchen hatte einen Durchmesser von 0,015. Der Inhalt des mit Carmin roth sich filrbenden *Eems war äusserst feinkörnig, die grösseren glänzenden Kügelchen, welche derselbe früher enthielt, waren verschwunden. Der Dotter zeigte gegen früher gleichfalls eine wichtige Veränderung, indem derselbe in einzelne Körner von 0,001 bis 0,016 Grösse zerfallen war; die kleineren Kömchen fanden sich in der Nähe des Kerns, die tiefer liegenden hatten durchschnittlich]0,012 bis 0,016 im Durchmesser; ihre Form war theils kugelig, theils ellipsoidisch , theils unregel- mässig ; mit Carmin Hessen sie um ihre gelbe Gentralmasse einen dünnen blass rothen Saum nachweisen, welcher häufig an einer umschriebenen Stelle zu einem 0,008 breiten 0,004 dicken Vor- sprung verdickt war. Es bestanden demnach die Dotterkömehen der Mehrzahl nach aus der eigentlichen Dottersubstanz und einer ungleich dicken Hülle. Von den späteren Entwickelungsstadien habe ich Eier zu unter- suchen Gelegenheit gehabt, welche vor* Kurzem befruchtet sein mussten und in dem Göteborger Museum enthalten waren, dessen Vorstand, Herr A. W. Malm, mir zwei Stück freundlichst zur Dis- position stellte. Diese Eier zeigten den merkwürdigen Anker- apparat, welchen Stbbnstrup beschrieben und abgebildet hat, in voller Ausbildung. Die Eier waren durch denselben zu einer Kette verbunden, indem die dreiarmigen Anker, in welche die Homfaden jedes Eipols am* Ende ausliefen, zwischen einander griffen und dadurch die einander zugekehrten Pole je zweier Eier verbanden. Die Testa zeigte an den Eiern, welche jedenfalls vor einigen Tagen bereits gelegt waren, keine Spur einer inneren oder äusseren binde- gewebigen Hülle, dieselbe musste demnach eine vollständige Rück- bildung erfahren haben, ähnlich der, welche das Schmelzorgan der Zähne nach erfolgter Ausbildung des Schmelzes erfahrt. Nach Abzug der Eihaut zeigte sich an dem einen Eipol über dem Dot- ter eine annähernd kreisförmige etwa V« des Dotters . umgebende Keimscheibe, welche bestimmte Embryonalanlagen noch nicht er- kennen liess. Es ergibt sich aus dieser Beobachtung, dass Myxine ihre Eier in Schnüren legt und dass die Aneinanderreihung durch den Ankerapparat vermittelt wird, welcher von den beiden Polen jedes Eies ausgeht; es ergibt sich aber ferner die im Hinblick auf die totale Furchung des Petromyzon-Eies interessante Thatsache, Das Urogenitalsystem des Ampbioxus und der Cyclostomen. 117 dass die Furchung bei Myxine eine partieUe ist. Ich werde auf diese interessanten Verhältnisse, welche das Ei von Myxine dar- bietet, binnen Kurzem ausführlicher zu sprechen kommen. Was die Angaben Joh. Mollbr's über die Beschafienheit des Hoden betrifit, so entsprechen dieselben so wenig dem wirklichen Befund, dass ich zweifelhaft bin, ob Johannbs Müllbr wirklich das Männchen von Myxine glutinosa vor sich gehabt hat Die Männchen sind viel seltener als die Weibchen und wie ich Grund habe zu vermuthen, etwas keiner; alle männlichen Exemplare, welche ich erhielt, wurden ganz kurz nach dem Aussetzen des Köders ge- fangen. Der Hode hat die gleiche Lage wie das Ovarium und gibt sich auf den ersten Blick als solcher zu erkennen, indem er eine flache gleichmässig grauweiss gefärbte, seicht gelappte Masse längs des, freien Bandes des Mesorchium bildet. Er besteht aus einer grossen Zahl rings geschlossener Follikel von 0,08—0,2 Durchmesser, welche durch stärkere Bindegewebzüge in läppchen- artige Gruppen gesondert werden. Jeder Follikel besitzt eine binde- gewebige Gefässe führende Hülle von 0,004—0,01 Dicke, deren innerste Schicht zu einer dünnen Membrana propria verdichtet ist, und einem epithelialen Inhalt. Letzterer besteht aus einer peri- pherischen Schicht protoplasmareicher flacher der Hülle des Folli- kels anliegender Zellen und einer grossen Zahl frei im Inneren des Follikels liegender rundlicher Zellen. Der Durchmesser der letzteren schwankt zwischen 0,01 und 0,02, sie besassen einen deut- lichen Kern und ein blasses Protoplasma, welches in den grösseren Zellen eine Anzahl ellipsoidischer Kömchen ähnlich in der Aus- bildung begriffenen Spermatozoidenköpfchen enthielt. Freie Sper- matozoiden enthielten die Follikel zur Zeit der l^ntersuchung (im August) nicht Vergl. Tafel V Fig. 12 und 13. Die Deutung des Urogenitalsystems von Myxine bietet hin- sichtlich des Genitalapparats keine Schwierigkeit Der hintere Theil des Harnapparats ist durch die Harnkanälchen und ihre Endigung in Gefassknäuel führende Kapseln als Urniere genügend charakterisirt, denn nur von einer solchen kann bei Myxine die Rede sein. Grössere Schwierigkeit bietet die konkrementhaltige Strecke und der vordere tubulöse in das Perikard, respektive, da die Perikardialhöhle von' Myxine mit der Leibeshöfale kommunicirt, in die Leibeshöhle mündende Abschnitt Für seine Deutung ist die Nachweisbarkeit des Zusammenhangs mit dem Umierengang bei jüngeren Thieren von Wichtigkeit; es erhält sich hier bei My- xine ein aus dem vorderen Ende des Umierengangs hervorgehen- 1 15 WiDidiB MflDer, der drfisiger Apparat, welcher bei allen amnionlasen Wirbeltbieren in einer bestimmten Periode ihres Embryonallebens sich findet und durch seine Beziehungen znr Leibeshöhle von der ümiere sich unterscheidet Dieser Abschnitt wird zweckmässig, da er vor der Entwickelung der Umierenkanälchen auftritt und auch der Lage nach vor letzteren sich befindet, als Vomiere Proren zu bezeichnen sein. Der zwischen Vomiere und Uraiere bei M yxine sich findende konkrementhaltige Abschnitt kann seine Eigenthümlichkeit ebenso- wohl einer Vererbung von Tunikaten oder Wfirmem als der Invo- lution des Verbindungsstücks zwischen vorderem und hinteren Ab- schnitt des Cmierengangs verdanken. Die Verfolgung der Ent- wickelungsgeschichte von Myxine vermag allein diese Frage zu ent- scheiden. 3. Das Crogenitalsystem von Petromyzon Planeri. Ratbkb') hat die topographischen Verhältnisse des Urogenital- systems von Petromyzon Planeri genau und in den wesentlichen Punkten vollkommen richtig beschrieben. Nach ihm verläuft längs der Bauchhöhle rechts und links je ein Fettkörper. Jeder hat zwei Seiten, eine äussere sehr konvexe und den Seitenwänden der Bauchhöhle anliegende und eine innere etwas konkave, und dem einfachen Geschlechtstheile sowie dem Darm anliegende. Der obere sowohl als der untere Rand eines jeden ist massig stumpf. Bei- nahe ganz vorn ist jeder Körper am dicksten und breitesten, je weiter nach hinten, desto mehr nimmt er an Dicke und Breite ab Beide Körper liegen mit ihren oberen breiteren und der Wirbel- säule angehefteten Bändern ganz nahe bei einander und haben nur die Aorta zwischen sich; mit ihren unteren Rändern dagegen liegen sie ziemlich weit von einander entfernt. Mit diesen Fettkörpern sind die beiden Nieren auf das In- nigste verschmolzen. In dem unteren Rande jedes Fettkörpers verläuft beinahe bis zu dem vorderen Ende ein hautartiger Kanal, der Harnleiter. Er nimmt nach hinten an Weite zu, erlangt jedoch nirgends die Weite des Harnleiters der Pricke. Von der vorderen Hälfte dieses Kanals gehen unter rechten Winkeln und in kleinen Entfernungen von einander eine Menge äusserst zarter Gefasse ab 1) Beiträge mir Geschichte der Thierwelt. Vierte Abtheilung. Halle 1827. 4, 8. 92 ff. Das Urogenitalsystem des Amphioxas und der Gydostomen. 119 und wenden sich alle nach oben. Ein jedes dieser Gefösse , von welchen die mittelsten am längsten sind, hat im Ganzen eine ziem- lich beträchtliche Länge und scheint ganz einfach zu sein. Ein jedes ferner jst zum grössten Theil knäuelartig gewunden und seine Windungen werden nur durch eine sehr geringe Menge von Zellge- webe zusammengehalten. Wenig Zellgewebe hält auch die einzelnen Knäuel untereinander zusammen. Die ganze Ansammlung dieser Gefässknäuel, welche nichts anderes als die Harngefasse sind, be- findet sich an dem unteren Theil der vorderen Hälfte des Fett- körpers. Die Endstücke der Gefasse sind nicht mehr knäuel- formig zusammengewickelt, sondern stark geschlängelt und dringen in massigen Entfernungen von einander in den Fettkörper selbst ein, innerhalb dessen sie von unten nach oben verlaufen. Ob sich der Fettkörper der Niere anbildet oder ob die Niere späteren Ursprungs ist und aus ihm ihre Entstehung nimmt, lässt sich nicht sagen, wahrscheinlich dürfte der Analogie nach das erstere der Fall sein. Die Harnleiter münden dicht vor dem Ende des Darms in diesen. Zwischen den beiden Fettkörpiern und den Nieren, über dem Darm, verläuft der einfache Eierstock oder Hode. Er erstreckt sich fast durch die ganze Bauchhöhle und ist der Aorta und zum Theil den oberen Rändern der Fettkörper fest angewach- sen. Sowohl der Hode als der Eierstock besteht aus dünnen, kleinen, vom Bauchfell überzogenen Zellgewebsplatten , innerhalb welcher je nach dem Geschlecht die Eier oder die weissen Hoden- kügelchen liegen. Ein Samen- oder Eileiter ist nicht vorhanden. An das vordere Ende jeder Hohlader setzt sich ein geräumi- ger blutführender Sack an. An seiner äusseren Fläche befinden sich 10 bis 12 drüsenartige, kleine, weissgefärbte und mit einem kurzen Stiel versehene Köi-perchen, welche zum Theil becherförmig ausgehöhlt erschienen. Aehnliche Gebilde fanden sich im Inneren des Sackes selbst Bei Petromyzon Planeri sind die beiden Fettkörper unter- halb der Aorta verschmolzen. Die Niere erstreckt sich wie bei Ammocoetes von dem vorderen Uande bis zur Mitte desselben. Die Harngefasse münden getrennt hintereinander in die Harnleiter ein und sind nicht so stark wie bei Ammocoetes geschlängelt. Das reife Ei von Petromyzon Planeri haben Max Schultze und August Mollbb beschrieben. Ersterer ') unterscheidet an dem rei- 1) Die Entwickelungsgeschichte von Petromyxon Planen. Haarlem 1Ö66. S. 80. X20 Wilhelm Mttller, fen Ei die äussere Hülle, aas gallertartiger Substanz und der festeren Eischalenhaut (Chorion) bestehend und den Dotter, der von einer zarten Dotterhaut umhüllt wird. Die Eischalenhaut ist eine glashelle ziemlich feste 0,0015 dicke Membran, die äus- serst fein punktirt ist. Die Dotterhaut ist äusserst zart Eine Mikropyle konnte Max Schultzb nicht auffinden. Die Dottersub- stanz besteht aus losen Körnchen, wovon die grösseren sechsekige längliche Plättchen, die kleineren EUipsoide darstellen. Ein Keim- bläschen oder eine Kemhöhle vermochte Max Schultzb nicht auf- zufinden. Nach Max Schultze entsteht nicht lange nach der Bildung der Unterkiemendrüse die Anlage einer zweiten, aus dem unter der Chorda dorsalis angehäuften Blastem über dem Herzen. Aus der durch Pigmentablagerungen früh schon sehr undurchsichtig werdenden Masse wachsen nämlich nach unten, gegen das Herz zu, drei oder vier kurze Fortsätze hervor, welche eine eigenthümliche Wimperung zeigen. Dieselben machen fast den Eindruck von hohlen Röhren, jedoch zeigt eine genauere Betrachtung, dass die- selben nicht von einem Kanäle durchzogen sind, sondern nur eine über die Oberfläche herüber laufende Rinne besitzen, und diese ist mit zwei Reihen Wimpern besetzt, welche einen wimpemden Kanal vortäuschen. Diese eigenthümlichen Gebilde, welche die Grundanlage einer Drüse zu bilden scheinen, entsprechen in ihrer Lage den Urnieren der Froschlarve. Aufifallend ist die wimpemde Rinne auf der Oberfläche, welche den Kanälen der Urnieren ande- rer Thiere fehlt. Dieselben könnten möglicherweise später durch Umwachsung zu einem wimpemden Kanäle werden, und, da Wim- perung wohl in den Nieren, nicht aber in den WoLF'schen Körpern vorkommt, und bei den Fischen letztere überhaupt noch nicht als Vorläufer der Nieren nachgewiesen sind, so könnten die fraglichen Gebilde auch die Anlagen der Nieren selbst sein. Ebenso räthselhaft muss zunächst eine zweite Drüsenanlage erscheinen, welche hinter der eben beschriebenen unter der Chorda hervorwächst Dieselbe entseht viel später und besteht aus einem kurzen, gewundenen, engen Kanal, welcher aus strukturloser Haut gebildet erscheint und keine Spur von Wimperung zeigt Ich habe die vorstehenden Angaben zunächst an Embryonen und sehr jungen Larven von Petromyzon fluviatilis, weiterhin an Larven des Petromyzon Planen geprüft. Das früheste Entwickelungssladium des uropoetischen Systems beobachtete ich bei einem Embryo mit der Anlage der vorderen Das ürogemtalsystem des Ampbioxns und der Cyclostoneo. 121 vier Eiemenspalten. Das Herz lag bei diesem Embryo als ein 0,2 langer 0,1 dicker Hohlkörper der ventralen Fläche des Oeso. phagus an. Dicht hinter seinem vorderen Ende zeigte sich in der seitlichen Wand der längs des Pharynx nach vorne sich erstrecken- den Peritonäalhöhle beiderseits eine runde Oefinung, welche in einen schmalen längs der Chorda eine Strecke weit nach rück- wärts verfolgbaren Gang führte. Weiter war der Apparat entwickelt bei einem Embryo von 4,25 mm. Länge mit verdicktem aber bereits gestrecktem Hinter- leib und der Anlage sämmUicher Kiemensäcke. Das Herz war bei diesem Embryo 0,24 lang, an sein hinteres Ende stiess die Anlage der Leber, welche einen blinden nach vorne gerichteten geräumigen Fortsatz des Darms dicht hinter der Einmündung des Oesophagus bildete, demnach noch in dem Amphioxusstadium be- findlich war. Neben und über dem Herzen, dicht hinter dessen vorderem Ende, waren zwei Vorsprünge in der seitlichen Wand der Leibeshöhle zu bemerken, welche je einen mit freier Mündung in die letztere sich öffnenden Gang enthielten. Diese Gänge standen mit gewundenen Röhren in Zusammenhang, welche dorsalwärts vom Herzen zwischen Chorda und Peritonäum von dem hintersten Kie- menseptum bis zum Niveau des vorderen Bandes der Leberanlage sich verfolgen Hessen. Alle diese Gebilde besassen ein deutliches Lumen, die Wandung wurde gebildet von einer einfachen Lage quadratischen Epithels und einer dünnen Bindegewebsschicht An die gewundenen Böhrchen schloss beiderseits ein Gang sich an, welcher längs der ventralen Fläche der Chorda bis in die Nähe der Cloakenöffnung sich verfolgen liess. Bei Larven von 7 mm. Länge wurde ein genauerer Einblick in das Verhalten der einzelnen Thefle gewonnen, weil hier das er- forderliche Material zu Gebote stand, um die Längsansicht durch Querschnitte zu kontroUiren. Die Anlage der Leber hatte bei die- sen Thieren eine Länge von 0,4 und zeigte bereits netzförmig ver- zweigte mit deutlichem Lumen versehene Lebergänge. Vor der Leber erstreckte sich das Herz in einer Länge von 0,3 bis zum hintersten Kiemenseptom. Dorsalwärts von Herz und Leber ver- lief in der Mittellinie der 0,04 weite Oesophagus. Seiner rechten und linken Fläche h&g je eine gewundene Drüse an, welche in einer Länge von 0,43 einer Höhe von 0,1 bei 0,05 Breite die pa- rietale Lamelle des Peritonäum vorwölbte. Die Drüse bestand aus gewundenen Böhrchen von theils rundem, theils elliptischem Querschnitt mit durchschnittlich 0,024 betragendem Durchmesser. 122 Wi&elm Müller, Das Lumen war scharf begrenzt, die Wand wurde gebildet von einer einfachen Lage quadratische^ 0,006 hoher Epitheüen mit rundlichem Kern und einer dünnen Bindegewebshülle, an welche eine geringe Menge mehr lockeren Bindegewebes sich anschloss. Die Kanälchen lagen in Folge des letzteren Umstandes sehr nahe aneinander. An vier Stellen bildeten sie Vorragungen, um mit einer trichterförmigen von zwei Seiten komprimirten Oeffnung in die Peritonäalhöhle auszumünden. Die Kanälchen verengten sich plötzlich nahe dem Abgang des Mündungsstücks, das Epithel nahm im Verlauf des letzteren cylindrische Form an und zeigte nahe der Mündung 0,01 hohe sehr deutliche Cilien. Am Bande jed,er Mündung ging dieses Flimmerepithel ohne Unterbrechung in das Peritonäalepithel über, welches im Verlauf der durch die Mündung emporgehobenen Strecke des Peritonäum gleichfalls der cylindrischen Form sich näherte, an deren Basis dagegen gleich dem umgeben- den Peritonäalepithel ganz flach war. Ausser den vier Vorsprün- gen, auf welchen die Mündungen der Kanälchen in die Leibeshöhle lagen, zeigte jeder drüsige Körper an seiner medialen Fläche einen Glomerulus, welcher von dem Peritonäalepithel längs seiner freien Fläche überzogen war. Am hinteren Ende ging jede Drüse in einen einfachen Gang über, welcher dorsalwärts vom Parietalperi- tonäum der lateralen und unteren Fläche der Vena cava anliegend bis zur Cioake sich erstreckte, in welche er dicht hinter dem Darm ausmündete. Der Gang hatte auf dem Querschnitt elliptische Form, 0,024 im kurzen, 0,028 im längeren Durchmesser, er besass ein deutliches Lumen, die Wand bestand aus einer einfachen Lage quadratischer 0,006 hoher Epitheüen und einer dünnen Bindege- websschicht Die dorsale Wand der Peritonäalhöhle bildete den Vorsprung noch nicht, welcher in den späteren Entwickelungs- stadien zur Entwickelung gelangt und im Folgenden wegen seiner Beziehungen zur Umiere als Urnierenfalte bezeichnet werden wird ; ebensowenig waren in dem hinter den gewundenen Kanälchen be- findlichen Abschnitt des Ganges die Anlagen von Urnierenkanäl- chen wahrnehmbar. Letzteres ist ein für die Auffassung des Be- fundes wichtiges Ergebniss ; die Drüse, welche dem vorderen Ende des Urnierengangs angefügt ist, stellt nach Lage und Bau das Homologen der Vomiere von Myxine dar und wird daher im Fol- genden stets als solche bezeichnet werden. Der Umstand, dass dieselbe bei Petromyzon vollständig entwickelt ist, zu einer Zeit, in welcher die Entwickelung der Urnierenkanälchen noch nicht be- gonnen hat, lässt schiiessenf dass hier zwei in der Zeitfolge ihrer Das Urogenitalsystem des Amphioxas and der Gyclostomen. 123 Entwickelang und in ihren Beziehungen zur Leibeshöhle verschie- dene Organe vorliegen, von welchen das eine, die Vomiere, älter ist als das andere und erst im weiteren Verlauf der Entwickelung demselben Platz macht. Bei der Larve von Petromyzon Pianeri von 25 mm. hatte die Vomiere eine Länge von 1,2 mm. bei 0,35 Breite und 0,7 Höhe. Der Bau hatte sich nicht wesentlich gegenüber dem Befund der zuletzt beschriebenen Larven von Petromyzon fluviatilis geändert, die Dimensionen der einzelnen Theile waren beträchtlicher. Die Vornierenkanälchen hatten 0,06 — 0,08 Durchmesse^* mit scharf be- grenztem Lumen und 0,014 hohem einschichtigen kubischen Epithel mit rundem Kern und zahlreichen Körnchen im Protoplasma. An das Epithel schloss sich eine dttnne Membrana propria an, welche von einer Schichte mehr lockeren Bindegewebes umgeben war. Auch jetzt waren die Kanälchen dicht aneinander gelagert, das sie umgebende Bindegewebe führte eine massige Zahl grosser ver- ästelter Pigmentzelleu. Die Zahl der Oeffhungen, durch welche die Vornierenkanälchen mit der Leibeshöhle kommunicirten , war wie früher vier. Die vorspringenden Mttndungsstücke waren seit- lich komprimirt, die Oeffnung in Folge davon rinnenförmig, das Epithel in deren Bereich cylindrisch, 0,013 hoch, 0,004 breit, mit konischen sehr deutlichen Cilien von 0,01 Länge besetzt, der Ueber- gang in das Peritonäalepithel verhielt sich wie früher. An der medialen Fläche jeder Vorniere ragte dicht unterhalb des Oeso* phagus ein 0,13 langer 0,08 breiter Glomerulus mit seicht gelapp- ter Oberfläche über die Umgebung vor. VergL Taf. IV Fig. 6. An ihrem hinteren Ende setzte sich die Vomiere in den Umieren- gang fort. Letzterer lag zunächst hinter der Vomiere der ven- tralen Fläche jeder Hohlvene an als ein im Querschnitt elliptischer Gang, welcher von lockerem verästelte Pigmentzellen führenden Bindegewebe umgeben war. Eine kurze Strecke weiter rückwärts wurde die Umierenfalte deutlich und erstreckte sich beiderseits der Mittellinie von der ventralen Fläche jeder Hohlvene aus als ein im Querschnitt annähernd dreieckiger mit konkaver medialer und konvexer lateraler Fläche versehener Vorsprung von 0,5 Höhe bei 0,2 Breite an der Basis in die seitliche Partie der Leibeshöhle. Der Umierengang verlief in schiefer Richtung durch die Falte, so dass derselbe allmählich nahe der abgemndeten ventralen Spitze der letzteren zu liegen kam. Sein Querschnitt war von elliptischer Form, 0,08 im längeren, 0,06 im kürzeren Durchmesser. In dem ganzen vorderen Abschnitt seines Verlaufe durch die Umierenfalte 124 Wilhelm MfiUer, gingen von demselben Harnkanälchen ab, welche sich gewundenen Verlaufs bis zu dem dorsalen Ende jeder Falte erstreckten und schliesslich in runde je einen Glomerulus beherbergende Kapseln endigten, welche längs der medialen Fläche des Vorsprungs nahe dessen ventralem Ende gelagert waren. Die Urnierenkanälchen waren von zweierlei Dimensionen : In dem ventralen Abschnitt jeder Falte waren sie durchschnittlich 0,048 im Durchmesser mit Lumen von 0,028 und kubischem Epithel von 0,01 Höhe. In dem dorsalen Ab- schnitt der Falte war der Durchmesser der Urnierenkanälchen im Mittel 0,03 mitfiumen von 0,014 und kubischem 0,008 hohen leicht gelblich gefärbten Epithel. In der Nähe der beiden Hohlvenen ent- hielt die Bindesubstanz beider Falten zahlreiche Fettzellen, zugleich erstreckte sich zwischen die schmalen Urnierenkanälchen des dor- salen Abschnitts mehr zellenreiches Bindegewebe als zwischen die weiten Kanälchen des ventralen Abschnitts, welche in Folge davon dichter gedrängt lagen. In der Nähe des Uebergangs in die Kap- seln nahm das Epithel mehr cylindrische Form an und liess Gilien erkennen; in der Kapsel selbst flachte es sich rasch ab und über, zog deren Innenfläche sowie den die Lichtung nahezu ausfüllenden Glomerulus mit einer zusammenhängenden dünnen Decke. Der unterhalb der Aorta zwischen den beiden Urnierenfalten liegende Abschnitt des Bauchfells liess keine deutliche Anlage des Genital- apparats erkennen. Bei der Larve von 43 mm. war an der Vomiere in so ferne eine Aenderung zu konstatiren, als dieselbe von ziemlich weiten Gefässräumen durchsetzt war. Die Kanälchen waren in Folge davon etwas auseinander gedrängt, sie verhielten sich im Uebrigen wie früher, ebenso ihre Mündungen und der Glomerulus. Die Urnierenfalte war 0,8 hoch, 0,4 an der Basis breit DerUrnieren- gang verlief in schiefer Richtung durch deren vorderen Theil, von ihrer Basis im Verlauf nach rückwärts der stumpfen Spitze sich nähernd; sein Querschnitt war elliptisch, 0,116 im langen, 0,087 im kürzeren Durchmesser ; die Wand wurde gebildet von einer ein- fachen Lage cylindrischen Epithels von 0,015 Höhe und umgebender Bindesubstanz. Die Urnierenkanälchen waren im ventralen und dorsalen Abschnitt der Falte dentlicher in ihren Dimensionen ver- schieden als in dem vorhergehenden Stadium: die im ventralen Abschnitt liegenden Kanälchen hatten 0,06—0,07 Durchmesser, ihr Epithel war quadratisch bis kubisch, 0,014 hoch und imbibirte sich mit Carmin dunkelroth ; die im dorsalen Abschnitt liegenden hatten einen durchschnittlichen Durchmesser von 0,03 mit 0,01 Das UrogenitalsyBtem des AmphioxuB und der Cyclostomen. 125 hohem kubischem mit Carmin gelblich roth sich imbibirendem Pro- toplasma; sie bildeten zum Theil dorsalwärts gerichtete Schleifen. Die ventralen gingen mit einer leichten Verengerung in die 0,1 im Durchmesser haltenden Kapseln über; das Epithel nahm in der Nähe der Uebergangsstelle cylindrische Form an und trug Cilien, um in der Kapsel rasch sich abzuflachen und letztere so- wie den in sie vorragenden Glomerulus in kontinuirlicher Lage zu fiberziehen. Das Genitalsystem war bereits bei Larven von 35 mm. in Form einer der Länge nach zwischen der Basis der beiden Ur- nierenfalten sich erstreckenden Verdickung des Peritonäalepithels angelegt. Die ursprünglich gleichförmige Anlage hatte sich jetzt dadurch weiter entwickelt, dass dieselbe durch das Rindringen von bindegewebigen Scheidewänden in rings geschlossene solide Follikel gesondert wurde. Die ganze Anlage stellte auf dem Querschnitt einen unvollkommen zweilappigen der ventralen Fläche der Aorta anliegenden Streif von 0,08 Höhe bei 0,07 Breite dar. Die ein- zelnen Follikel hatten 0,03 bis 0,04 im Durchmesser, sie bestanden aus einer dünnen bindegewebigen Kapsel und im Inneren durch- weg aus kubischen und rundlichen im Mittel 0,006 grossen proto- plasmareichen Zellen. Die Anlage der beiden Geschlechtsdrüsen verhielt sich in diesem Stadium vollkommen gleich. Dies änderte sich bereits bei Larven von 50 mm. Länge, indem in den Folli- keln des Ovarium das Auftreten von Eiern bemerklich wurde. Letztere bildeten sich aus je einer central liegenden Anlagezelle hervor und vergrösserten sich rasch auf Kosten der umliegenden| den Follikel erfüllenden Zellen, welche unter bedeutender Ab-\ flachung gegen die bindegewebige Wand des Follikels gedrängt wurden. Vergl. Tafel V Fig. 9. Bei der Larve von 65 mm. Länge war die Vomiere in voller Rückbildung begriffen. Dieselbe war begleitet von dem Auftreten mächtiger kavernöser mit dem vorderen Ende der beiden Hohl- venen zusammenhängender Räume, zwischen welchen die Vomieren- kanälchen in grossen Zwischenräumen enthalten waren. Ihr Durch- messer betrug im Mittel 0,04, das einschichtige cylindrische 0,012 hohe Epithel war in seinem Protoplasma dicht erfüllt von glän- zenden intensiv braungelben kryptokrystallinischen Kömchen. Vergl. Tafel IV Fig. 7. Inder Nähe der Mündungsstücke hörte dieser Infarkt auf, das Epithel war hier wie früher cylindrisch und pro- toplasmareich und an der rinnenformigen Mündung selbst mit langen Cilien besetzt Der an der ventralen Fläche beider Vor- 126 Wilhelm Müller, nieren in die Leibeshöhle vorspringende Glomerulus hatte eine Länge von 0,17 bei 0,087 Breite. Am hinteren Ende der Vorniere gingen deren Kanälchen in den Umierengang über, welcher hier in einer kurzen dem Ende des Oesophagus anliegenden Strecke eine geringe Zahl braungelber glänzender Conkremente in seinem Lumen enthielt, aber keine Kanälchen abgab. Daran schlössen sich wieder die beiden in ihrem vorderen Abschnitt den Umieren- gang mit der (Jmiere beherbergenden Falten an, deren Höhe 1,3 bei 0,435 Breite an der Basis betrug. Der Verlauf des Umieren- gangs war wie früher, die weiten ventralwärts und die schmalen dorsalwärts liegenden Kanälchen waren aber schon durch die An- ordnung unterscheidbar, indem erstere dicht gedrängt, letztere durch zwischenliegendes Fett- und Pigmentzellen führendes Binde- gewebe durch ziemlich beträchtliche Zwischenräume geschieden waren. Die den Glomerulus enthaltenden Kapseln hatten sich auf 0,18 erweitert, die engen Urnierenkanälchen hatten einen mittleren Durchmesser von 0,04, die weiten einen solchen von 0,06. Ovarium und Hode waren vollständig als solche ausgebildet. Die Eier hatten 0,09 im Durchmesser, ihr Protoplasma war ho- mogen, sehr kleine gelbliche Körnchen in gleichförmiger Vertheilung enthaltend, der Kern rund 0,04, das Kernkörperchen 0,011 mes- send. Jedes Ei war umgeben von einer sehr dünnen gefalteten Membran, welche bei starker Vergrösserung auf Anwendung von Carminpikrat eine polygonale Zeichnung bei Betrachtung von der Fläche erkennen Hess; auf diese folgte das den Follikel abschlies- sende dünne Bindegewebsseptum mit ellipsoidischen Kernen von 0,002 : 0,008. Der Hode hatte seine Follikel gegen früher vergrös- sert; der Inhalt liess eine periphere Zone von kubischen Epithelien und eine centrale Zellenmasse von mehr rundlicher Form unter- scheiden, Spermatozoiden waren in keiner der Zellen in der An- lage begrifipen. Es würde zu weit führen, die Veränderungen, welche im wei- teren Verlauf der Entwickelung an dem Urogenitalsysteni sich ein- stellen, nach den einzelnen Stadien zu schildern, da dieselben aus dem Befund, welchen das geschlechtsreife Thier zur Laichzeit dar. bietet, von selbst sich ergeben. Bei letzterem hat die Vomiere eine nahezu komplete Involution erfahren, von welcher nur die Mündungsstücke nebst dem Glomerulus verschont beiben. Sie ragen beiderseits der Mittellinie als je vier gelbliche kurze Zapfen in den vordersten Abschnitt der Leibeshöhle vor. Ihre Länge be- trägt 0,15 bis 0,2, die Dicke an der verschmälerten Basis 0,1, am Das Urogenitalsystem des Amphioxua und der Cyclostomen. 127 freien Ende 0,12 bis 0,14. Sie bestehen aus einer centralen von eylindrischem Epithel ausgekleideten Höhle, welche am freien Rande mit seitlich komprimirter in Folge davon rinnenartig er- scheinender Oefifnung in die Leibeshöhle ausmündet. Im Bereich der Oefifnung tragen die Epithelien 0,014 lange konische etwas steife Gilien; wie früher setzt sich das Flimmerepithel unter Ab- ilachung und Verlust der Cilien kontinuirlich in das anliegende Peritonäalepithel fort. Der medianwärts von den Mündungsstücken liegende Glomerulus ist von oben nach unten abgeflacht und sitzt dem Peritonäum mit schmaler stielartiger Basis auf. Vergl. Taf. IV Fig. 8. Die Vomierenkanälchen sind nebst den mächtigen sie umgebenden kavernösen Gefässräumen geschwunden, ebenso der vorderste Abschnitt des Urnierengangs. Die Umiere hat ihre Be- schaffenheit gegen früher in so ferne verändert, als sie in Folge von stärkerer Entwicklung von fetthaltigem Bindegewebe in der Basis der ürnierenfalte ganz in deren ventralen Abschnitt zu lie- gen gekommen ist. Auch jetzt sind die dorsalwärts liegenden Ea- nälchen schmäler als die ventralwärts liegenden, die DifiTerenz ist aber etwas geringer als früher, die Unterscheidung wegen der dichteren Aneinanderlagerung sämmtlicher Theile schwieriger. Es folgt aus diesem Befund, dass das Verhalten der Vomiere bei der Petromyzonlarve lange Zeit hindurch jenem bei allen am- nionlosen Granioten im Wesentlichen konform ist, wie ein Blick auf die Figur 1 auf Tafel V ergibt, welche den Befund der Vorniere bei der Froschlarve (Rana temporaria) wiedergibt. Gegenüber Myxine erfährt aber die Vorniere hei Petromyzon eine fortschrei- tende Involution, welche aller Wahrscheinlichkeit nach durch die stärkere Entwickelung der Umiere bedingt ist. Nur ein unbedeu- tender Rest des Organs entgeht dieser Involution. Es verhält sich bei den Petromyzonten die Urniere ähnlich zur Vomiere wie bei den Amnioten die Niere zur Umiere; dies gilt aber für alle amnionlosen Granioten, wie ich in einer umfassenderen Arbeit nachweisen werde. 128 Wilhelm Moller, ErkUrung der Abbildungen. Taf. IV. Fig. 1. Uropoetisches System von Myxine glutinosa. Natürliche Grösse, a Darm mit der hinteren Leber zurückgeschlagen, b Herz, c Vomiere, d Gonkrementhaltiger Abschnitt, e Umiere. Fig. 2. Vorniere von Myxine glutinosa. a Vomierenkanälcheu. b Deren Aus- mflndongen in die Perikardialhöhle. c Glomerulus. d Vena cava. e Ur- nierengang, f Urnierenkanälcheu mit Glomerulus. Fig. S. Gonkrementhaltiger Abschnitt des Urnierengangs von Myxine glutinosa. a Vorderster Theil des ürnierengaugs. b Conkrementhidtiger Theil. c Urnierengang. d Gonkremente. Fig. 4. Umiere von Myxine glutinosa, mit Berlinerblau vom Urnierengang aus injicirt. a Urnierengang. b Urnierenkanälcheu. c Kapsel. Fig. 5. Umiere von Myxine glutinosa, von dejr Aorta aus injicirt. a Urnieren- gang. b Uruierenkanälchen. c Kapsel, d Arteria renalis, e Glomemlus. f Vas efferens. g Vena renalis, h Capillarnetz um den Umierengang. Fig. 6. Querschnitt durch die Vorniere einer 25 mm. langen Larve vonPetro- myzon Planen, a Rückenmark, b Chorda, c Aorta, d Oesophagus, e Vomiere, f Prominirender Glomerulus. g Mttndungsstttck. h Vena cava. i Haut, k Rumpfomskulatur. Fig. 7. Querschnitt der Vomiere einer 65 mm. laugen Larve von Petromyzon Planen, a Chorda, b Aorta, c Cavernöse Gefässnlume am vorderen Ende der Vena cava. d Vornierenkan&lchen, die Epithelien in ihrem Pro- toplasma braungelbe Gonkremente führend, e Mündungsstücke, f Promi- nirender Glomemlus. Fig. 8. Querschnitt der Vomiere des geschlechtsreifeu Petromyzon Pbineri. a Cuticula chordae. b Aorta, b' Letztes Kiemenvenenpaar. c Vena cava. d Persistirende Münduugsstücke. e Persistirender Glomerulus. Taf. V. Fig. 1. Querschnitt durch die Vorniere einer jungen Larve von Rana tem- poraria. a Nervensystem, b Chorda, c Aorta, d Ausmündung der Vor- niere in die Leibeshöhle, e In die Leibeshöhle prominirender Glomerulus* f Vomierenkan&lchen. g Peritonäalepithel. Fig. 2. Querschnitt durch die Vorniere von Myxine glutinosa. a Vomieren- kanälcheu. b Ausmündung der Vomiere in die Leibeshöhle (das Perikard), c Glomerulus. d. Vena cava. Fig. 3. Schnitt durch die Urniere von Petromyzon Planeri. a Kapsel mit Glomerulus. b Uebergang der weiten Urnierenkan&lchen in die Kapsel mit Flimmerepithel, c Weite Urnierenkanäichen. d InterstitieUe Bindesabstanz. Das Urogenitalsystem des Amphioxas and der Gyclostomen. 129 Fig. 4. Horizontalschnitt des Porus abdominalis und Iseiner Umgebung Ton Amphioxas. a Hodensegmente, b Sphincter pori abdominalis, c Poras abdominalis, d Stützen der Baucbflosse. e Bauchmuskel. Fig. 6. Querschnitt des Eierstocks eines 25 mm* langen Amphioxus. a Eizellen. b Eianlagen. c Kapsel, d Gef&ss am Hilus. - Fig. 6. Längsschnitt des Eierstocks eines 40 mm. langen Amphioxus. a Reife b unreife Eizellen, c Kapsel, d Hilus mit Gewiss. Fig. 7. Querschnitt des Hoden eines 26 mm. langen Amphioxus. a Kapsel. b Anlagezellen, c Hilus. Fig. 8. Querschnitt des Hoden eines 40 mm. langen Amphioxus. a Kapsel. b Rindensubstanz, c Marksubstanz mit dem Trabekelnetz, d Hilus. Fig. 9. Schnitt durch das' Ovarium einer Lanre des Petromyzon Planeri von 48 mua. Länge, a Follikel mit Anlagezellen, b Follikel mit Eianlage/ c Bind^gewebehülle. Fig. 10. Schnitt dnrch das Ovarium einer 120 mm. laugen Larve von Petromyzon Planeri. a Eier, b Bindegewebige Septa. Das nähere Detail ist bei diesen Figuren, welche nur ttber die gröberen Verhältnisse von Hode und Ova- rium informiren sollen, nicht ausgeführt. Fig. 11. Schnitt durch den Hoden einer 120 mm. langen Larve von Petro- myzon Planeri. a Hodenfollikel. b Interstitielles Bindegewebe. Fig. 12. Hode von Myxine glutinosa. a Hodenfollikel. b Mesorchiuro. Fig. 18. Schnitt durch den Hoden von Myxine glutinosa. a Hodenfollikel. b Bindegewebige Hülle. Fig. 14. Ovarium einer 200 mm. langen Myxine glutinosa. a Eizellen, b An- lagezellen, c Peritonäum. Fig. 15. Ovarium von Myxine glutinosa. a JQngere b Weiter entwickelte Eier. c Mesovarium. Fig. 16. Ei des Amphioxus. a Testa, vpn polygenalen Follikelepithelien ge- bildet, deren Kern geschwunden ist. b Eiprotoplasma mit Dotterkömehen, c Kern, d Kemkörperchen. Berichtigung. Auf Seite 94 bis 112 sind die Nummern der beiden Tafeln in Folge eines Missverständnisses verwechselt, wofür die Nachsicht des Lesers erbeten wird. Bd. IX, N. F. U 9 Heber continnirliche und langsame Nervenreiziuig. Von Carl Fratecher, cand. med. (Aus dem physiologischen Laboratorium der Universität Jena.) (Hianu Taf. VI.) Vor nicht langer Zeit sind von Hbinzmann ') Versuche über die Wirkung sehr langsam und continuirlich wachsender thermischer Reize auf sensible Froschnerven angestellt worden, welche zu dem Resultate führten, dass bei ununterbrochener genügend langsamer Reizsteigerung keine Empfindung, wenigstens keine Reflexbewegung eintritt, mag die Reizstärke auch noch so hoch über die Schwelle sich erheben. Vielmehr werden die Organe wärmestarr bez. kälte- starr, ohne dass eine einzige Bewegung eintritt. Im Anschluss an diese Arbeit stellte ich auf den Vorschlag des Herrn Professor Pretbr Versuche über den chemischen und mechanischen sehr langsam und continuirlich gesteigerten Nervenreiz an. I. Allmählige chemisclLe Reizimg. So leicht auch die Intensität der chemischen Reize, Schwefel- säure und Kalilauge, durch blosses Vermischen der Lösungen mit ViTasser abgestuft werden kann, so umständlich war es die durch die Concentrationsänderungen bedingten Bewegungen der Flüssig- keit, in der das Thier, dessen Haut gereizt werden soll, sich be- findet, und ungleichmässiges Anwachsen des Reizes zu vermeiden. Sehr geringe Schwankungen im stetigen Verlaufe des Wachsens der Concentration sind jedoch glücklicherweise nicht von Einfluss. 1) A. Heinkmann, Ueber die Wirkung sehr aUmähliger Aenderungen ther- mischer Reize auf die Empfindungsnerven. fAus dem physiol. Laboratorium zu Jena.) Im Archiv f. d. ges. Physiol. d. Menschen u. d. Thiere. VI, 222—286. Bonn 1872. Gontionirliche und langsame Nervenreizung. 13} F08TSB, im physiologischeD Laboratorium zu Cambridge, dessen theilweise denselben Gegenstand behandelnde Arbeit ') erst erschien, nachdem ich diese Versuchsreihe bereits beendigt hatte, liess in ein Gefass, welches eine grössere Menge Wasser und den Frosch enthielt, langsam verdünnte Schwefelsäure lliessen und mit dersel- ben Geschwindigkeit den so entstandenen Ueberschuss durch einen Heber aus demselben wieder abfliessen. Keiner seiner Versuche glückte*). Er sagt aber: „This result however is not conclusive, for the even slight movement in the fluid of the small beaker might be consi- . dered as sufficient to prevent uniform Stimulation of the skin", und auf die Vermeidung dieses Fehlers kommt es allerdings an, abgesehen davon, dass Fostbr wahrscheinlich die Reizstärke noch nicht langsam genug gesteigert hat. Meine ersten Versuche misslangen ebenfalls, obgleich ich von Anfang an die äusserste Geduld anwendete. Eine Reihe von Glä- sern — meistens 15 bis 20 — wurden mit verdünnter Schwefel- säure angefüllt und zwar schritt die Verdünnung so vorwärts, dasa Glas 1 enthielt V« einer schon verdünnten Säure. „ 2 „ V« (leraelben. II 3 „ Vi V ti 4 „ Vu ,? % • • • • U. 8. f. Die Gläser wurden dann mit Hebern unter einander verbunden. Die Säure floss in schwachem Strahle dem Gefass 1 zu. Das letzte Gefass, in welchem das Thier sich befand, wurde tiefer ge- stellt als die vorhergehenden, damit durch das Ueberfliessen des- selben ein sich fortwährend gleichbleibendes Niveau geschaffen wurde. Vienn nun sämmtliche Heber von gleichem Kaliber sind) so geht die Ansäurung stetig und langsam vor sich, aber es ist hierbei die beständige Strömung von den Enden der Heber aus nicht zu vermeiden. Aus diesem Grunde missglückten diese Versuche, wie die Fostbk's. 1) F08TEB, Studies from'the physiological laboratory in the University of Cambridge 1873. 1. p. 86—44. Cambridge. 2) mI invariably found, that when the acid reached a certain strength vio- lent novemeuts took place, whetber the foot only were immersed or the whole legs.'* 32 Carl Fratscher, Die Strömung rousste also eliminirt werden. Fig. I ver- deutlicht die Art und Weise, in der ich alle folgenden Versuche dieser Reihe anstellte. In einem grösseren Becberglas (D) mit Wasser befindet sich ein bis nicht ganz anf den Boden desselben reichender, oben und unten oflFener Glas-Cylinder (JS), in welchen das Versuchsthier, sei es enthirnt, sei es unverletzt, gebracht wird. In das Gefass (£>) tropft die Säure oder Kalilauge in bestimmter Langsamkeit und Gleichmässigkeit aus einem bis zu 100 Gem. Wasser fassenden Trichter C, in welchen Säure oder Kalilauge von bekanntem Gehalte aus dem Gefäss (^4) init Wasser aus B unter beständigem Umrühren sich mischt. Dadurch, dass die Tro- pfen in das Gefäss D fallen und nicht in den darin befindlichen Cylinder F, bleibt das Niveau innerhalb desselben ruhig; damit dasselbe aber die gleiche Höhe behalte, führt ein Heber die Flüs- sigkeit aus D mit derselben Geschwindigkeit ab, mit der sie aus C zugeführt wurde. Anfangs drehte ich ü um seine Längsaxe, während der darin befindliche Cylinder fixirt war, damit die An- säuerung von dem ganzen Umfange der Wassersäule ausgehen sollte, fand aber dieses bald unnöthig, da die Säure oder Kalilauge ge- nügend gleichmässig und stetig von der einzigen Einfallsstelle der Tropfen aus in die Umgebung sich vertheilt Das Thier darf femer nicht durch andere Insulte gestört wer- den. Ein solcher aber ist das Einschnüren des Fadens, mit wel- chem es hängend befestigt wird. Ich habe daher, wie es auch Heinzmann gethan hatte, einen möglichst starken Faden unterhalb der vordem Extremitäten locker um den Thorax gelegt.^ Die Ent- hirnung ist ebenfalls mit der grössten Sorgfalt auszuführen mittelst eines scharfen, glatten Schnittes und die Schnittfläche vor den reizenden Einflüssen der im Laboratorium häufig vorhandenen Gase und Dämpfe durch Bedecken mit feuchtem Fliesspapier zu schützen. Es ist wichtig, vorher zu constatiren, dass die einzutauchen- den Theile des Thieres intact seien, denn bei nur geringen Ver- letzungen erhält man selbst bei einem noch weit unter der Reflex- schwelle intacter Frösche liegenden Grade der Ansäuerung Reflex- bewegungen. Die enthirnten Thiere wurden in meinen Versuchen bis min- destens zum Knie eingetaucht. Von den Vorversuchen ist der folgende erwähnenswerth : In das Gefäss D wurde in der b«$ichriebenen Weise (Fig. I) ein enthimter Frosch mit beiden Extfejpitäten eingetaucht, deren eine an einzelnen Stellen verletzt war. Die Ansäuerung ' wurde so Jenaische a CoDtmairliche und langsame Nerrenrekong. I33 vorgenommen, wie aus den folgenden Versuchen hervorgeht. In dem Maasse, als die Ansäuerung vor sich ging virurde die verletzte Extremität angezogen, bis sie sich über dem Niveau der Flüssigkeit befand, während die andere regungslos in der allmählig saurer werdenden Flüssigkeit verblieb. A. AUmähllge chemische Reizung enthimter Thlere a) mit einprocentiger Schwefelsäure und dreibasischer Phosphorsäure. Temch L Das Gefäss D wird gedreht. Das Thier befindet sich mit der linken hinteren Extremität im Cylinder E bis zur Hälfte des Ober- schenkels. In den Trichter fallen: in 1 Min. 10 Tropfen einprocentige Schwefelsäure „ „ „ 50 „ destillirtes Wasser. Vom Triditer träufeln ab: in 1 Min. 62 Tropfen so verdünnter Säure. Beginn des Versuchs : 10^ Vormittags. Es wurde der Versuch von 1 Uhr ab IV« Stunde lang unterbrochen. Es zeigten sich jedoch, als derselbe 2'/« ühr in derselben Weise wie vorher fortgesetzt wurde, lebhafte Zuckungen und der Versuch musste abgebrochen werden. Das Thier war während der Pause aus der Flüssigkeit entfernt worden. — Aehnliche' Resultate bei so angestellten Ver- suchen ergaben sich öfters. Tennch E Die Wiederholung des vorhergehenden Versuchs führte aus einem andern Grunde zu einem negativen Besultate. Auf einige Zeit wurde das Umrühren im Trichter ausser Acht gelassen. Die Folge Vrar, dass die Säure im Trichter hinabsank und so ein Sprung in der Ansäuerung eintrat, welcher mit geringen Zuckun- gen seitens des Thieres beantwortet wurde. Der Versuch musste als misslungen abgebrochen werden. Dagegen führte YemdiJII zu einem befriedigenden Resultate. Die linke hintere Extremität des enthimten Thieres ist bis in die Mitte des Oberschenkels ein- getaucht Das Gefäss D enthält 200 Gern. Wasser ; in den Trich- ter fallen: B4. IX, H. F. U. 10 134 (^1 Fratscher, in 1 Minute 25 Tropfen einprocentige gewöhnliche Phosphorsäure „ „ „ 50 „ destillirtes Wasser. Vom Trichter fallen ab: in 1 Minute 80 Tropfen so verdünnter Säure. Innerhalb 8 Stunden erfolgte bei ununterbrochen fortgesetzter An- säuerung keine Zuckung bis zur vollständigen Zerstörung der Epi- dermis. Dem Thiere waren nur die grossen Hemisphären weggenommen worden. An den nachher eingestellten Athembewegungen liess sich das Ende des Versuches gut beurtheilen. Bei der Herausnahme des Thieres war überdies Säurestarre der eingetauchten Extremi- täten vorhanden. Yersnch lY. Das Thier ist bis an die Hüfte in das Wasser im Innern des Gylinders eingetaucht. In den Trichter fallen: in 1 Minute 10 Tropfen einprocentige Phosphorsäure „ „ „ 50 „ destillirtes Wasser. Vom Trichter fallen ab: in 1 Minute 60 Tropfen so verdünnter Säure. Innerhalb 9 Stunden keine Zuckung; die Epidermis ist zerstört. Das Thier war fortwährend unter Beobachtung. Tennch T. Auch in diesem Versuch bis an die Hüften im Wasser hängend, wird der enthirnte Frosch einem dem vorigen Versuche anfanglich genau entsprechend wachsenden Reize ausgesetzt. Die Ansäuerung verlangsamt sich jedoch allmählig, da sich die Spitze des Hebers verstopft; sie wird frei gemacht: die Säure träufelt nun in rasche- rem Tempo, als im Anfang in den Trichter. Nach kurzer Zeit traten lebhafte Zuckungen ein, die sich wiederholen und enefgischer werden ^). Versuche an tiefer eingetauchten Fröschen brachten 1) Es fällt das zusammen mit der Angabe Fobtbs's bezüglich des W&rme- reizes auf die sensiblen Nenren hirnloser sowohl als unverletzter Frösche: „The very first movement of the frog, the removal of any part of his body out of the water increases the efifect of the Stimulus; for the retum of the limb to the water already warm gives rise to a stronger Stimulus, than contact with water raised to the same temperature while the limb is still in it; and thus one movement leads to another, and the frog speedily becomes violent. Doch halte man solches nicht für die Regel. u Continnirliche und langsame Nervenreizong. I35 mit wenigen Ausnahmen denselben Erfolg, ich erwähne daher nur noch den Tertnch YI, in welchem das Thier innerhalb des Cylinders bis an den Kopf in das Wasser getaucht wurde. In den Trichter träufeln während 1 Minute 20 Tropfen Säure n n 50 „ destillirtes Wasser. Vom Trichter fallen ab in 1 Minute 70 Tropfen so verdünnter Säure. Die Ansäurung geht in dieser Weise ohne Unterbrechung 8 Stun- den vor sich; es erfolgt keine Zuckung; die Haut ist gegen stär- kere Beize empfindungslos. S&urestarre ward nicht beobachtet. b) mit einprocentiger Kalilauge. Yemch TU Im Innern des Cylinders ist der enthimte Frosch mit der rechten hintern Extremität bis zum Knie im Wasser. In den 50 Gem. Wasser haltenden Trichter fallen in 1 Minute 30 Tropfen einprocentige Kalilauge » „ 60 „ deatillirtes Wasser. Vom Trichter fallen ab in 1 Minute 90 Tropfen so verdünnter Kalilauge. Nach Verlauf von 4 Stunden entstehen Zuckungen der nicht einge- tauchten Extremität Der Versuch wurde der lebhafter werdenden Bewegungen des Thieres wegen abgebrochen. Am Misslingen die- ses Versuchs trug das Trockenwerden der Haut der nicht einge- tauchten Theile wohl die Hauptschuld, da durch dasselbe ein rasch wirkender Reiz auf die sensiblen Nervenendigungen gesetzt werden mag, wenigstens sah ich immer Bewegungen eintreten, wenn ich unterliess die freien Theile mit feuchtem Fliesspapier zu bedecken, dagegen günstig fielen meist die Versuche aus, bei denen ich dieses Trockenwerden verhinderte. Torsnch Tm wurde in derselben Weise, wie VII angestellt, nur unterliess ich nicht, die nicht eingetauchten Theile mit Fliesspapier zu bedecken. Eis trat während der neunstündigen ununterbrochenen Dauer des Versuches keine Zuckung ein. Die Haut des eingetauchten Schen- kels war zerstört, die übrige noch vollkommen empfindlich. 10* 236 ^^1 Fratscher, Tennch DL Das enthirnte Thier hängt mit der hintern linken Extremität bis zum Anus im Wasser des Cylinders. Der nicht eingetauchte Theil wird mit feuchtem Fliesspapier umhüllt. Die Kalilauge mischt sich in derselben Weise mit dem Wasser, wie in Versuch VII. Innerhalb 87, Stunden zeigt sich das Thier bei ununterbrochener Beobachtung vollkommen regungslos. Die Haut ist zerstört — gegen andere stärkere Reize unempfindlich — und hat eine Menge zähen Schleims abgesondert. Ein gleiches Resultat bringt Versuch X, in welchem der Frosch bis zum SchultergOrtel ins Wasser einge- traucht ist. In den 50 Ccm. destillirtes Wasser haltenden Trich- ter fallen in 1 Minute 25 Tropfen einprocentige Kalilauge „ „ 30 „ destillirtes Wasser. Vom Trichter fallen ab in das 200 Ccm. Wasser haltende GefiLs 1 Minute 80 Tropfen so wiederholt verdünnter Kalilauge. Es erfolgen innerhalb 8 Stunden keine Zuckungen. Die Haut ist zerstört unter starker Schleimabsonderung und das Thier starr. • B. Allmählige chemische Reiznng unverletzter Frosche a) mit Säure. Die ebenfalls in grosser Anzahl mit Säuren angestellten Ver- suche an unverletzten Thieren haben zu keinem entscheidenden Resultat geführt. b) mit Kalilauge. Die Versuche dieser Reihe wurden sämmtlich so angestellt, dass die Thiere in bequem hockender Stellung in einen kleinen Drahtballon gebracht wurden. Derselbe konnte beliebig tief in die Flüssigkeit eingesenkt werden. Um das'Gefass D war ein nur an zwei Stellen Licht zulassenden Pappcylinder gestellt, damit das Thier von andern Sinneseindrücken, so viel als möglich, un- beeinfiusst blieb. Einige Male wurden die Thiere auch mit Höllen- stein geblendet und ihr Gehörorgan durch Einstechen eines glü- henden Drahtes zerstört. Es mussten aber diese Eingriffe unter- lassen werden, da durch sie eine fortwährende Unruhe bedingt war, sobald sie, selbst noch nach Wochen, zu eüiem Versuche ver- Gontinairliche und langBame Nervenreiciiiig. 137 wendet werden sollten, offenbar wegen der durch die Verletzung hervorgerufenen entzündlichen Prozesse. Die Thiere wurden auch hier mindestens so weit eingetaucht, dass die Extremitäten sich vollständig im Wasser befanden. Die grösste eingetauchte Masse betrug zwei Drittheile des Körpers. Auch diese Versuche erfordern viel Oeduld und sind wegen der unerlässlichen anhaltenden Spannung der Aufmerksamkeit sehr er- müdend. Yennch XL Das Thier sitzt mit sämmtlichen Extremitäten im Wasser in- nerhalb des Cylinders. In den 30 Ccm. destillirtes Wasser halten- den Trichter fallen m 1 Minute 18 Tropfen einprocentige Kalilauge „ „ 50 „ destillirtes Wasser. Vom Trichter fallen ab in 1 Minute 68 Tropfen so wiederholt verdünnte Kalilauge in den 200 Ccm. Wasser haltenden Behälter D. Der Versuch wird von 9 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, so betrieben, ohne dass eine Bewegung zur Flucht von dem Thiere gemacht worden wäre, obgleich die Reflexschwelle längst überschritten war. Es wurde keine Kalilauge mehr zugefügt, das Thier aber noch lebend in der Flüssigkeit zurückgelassen, in der es am andern Morgen starr in genau derselben Lage vorgefunden wurde. Tortnch HL In den Trichter fallen während 1 Minute 19 Tropfen Kalilauge „ „ 40 „ Wasser. Vom Trichter fallen ab in 1 Minute 60 Tropfen Mischung in das Gefiüss 1>, welches den Frosch, in der beschriebenen Weise bis zur Hälfte eingetaucht enthält Das Bad wird ununterbrochen 11 Stunden lang fortge- setzt Es wurden keine Bewegungen des Thieres bemerkt 5 Stunden liess ich es noch in der Flüssigkeit, ohne die Concentra- tion weiter zu erhöhen, und es wurde dann starr geworden aus derselben entfernt Yennch XID. Es wurde ViProcentige Kalilauge direct dem Gefässe (£>) zu- geführt. Dasselbe enthielt vorher 200 Ccm. destillirten Wassers 138 CJarl Fratscher, und den Cylinder und im Innern desselben den von einem Draht- ballon umschlossenen unverletzten Frosch. Beginn des Versuchs: ll"* 24. Während 1 Minute träufeln 36 Tropfen VsPi'Ocentige Kalilauge in das Oefäss D. b\ Es sind 121 Ccm. ViP^ocentige Kalilauge bis jetzt zuge- fügt worden. Die Flüssigkeit enthält demnach 0,6 Grmm. causti- sches Kali oder sie ist zu einer mehr als 0,2procentigen Lauge geworden, eine Goncentration , die für intacte Frösche schon jen- seits der Reizschwelle liegt. Das Thier ist ruhig. 9^ Das Thier wurde bisher noch demselben wachsenden Reize ausgesetzt. Es hat das Athmen vollständig eingestellt und wird, von zähem Schleim umhüllt, aus dem Gefass entfernt. Das Herz pulsirt noch langsam. Die Flüssigkeit enthielt 1,04 Gramm caustisches Kali, d. h. sie ist eine über 0,8procentige Kalilauge. Während der ganzen Dauer des Kalibades kein Fluchtversuch. Resultate. « 1) Ein auf enthimte sowohl als unverletzte Frösche continuir- lich einwirkender und sehr langsam continuirlich von Null an wachsender chemischer Hautreiz bewirkt keine Reflexbewegung und keinen Fluchtversuch. Es kann sogar die Reizung in vielen Fällen bis zur völligen Zerstörung des Gewebes, ohne dass das Thier reagirt, fortgesetzt werden. 2) Ein plötzliches Stärkerwerden des vorher sehr langsam und continuirlich wachsenden chemischen Reizes erzeugt eine Reflex- bewegung. 3) Einer Reflexbewegung folgen bei sich sonst gleichbleibendjem Reize zumeist mehrere nach. 4) Säure oder Kalilauge von der Stärke des Reflexschwellen- werthes reicht bei zeitlich und räumlich ausgedehnter Einwirkung hin, die Haut des Frosches zu zerstören, den Tod des Thieres herbeizuführen. Während dieses langsam und stetig verlaufenden Prozesses wird keine Reflexbewegung beobachtet, wenn das Thier schon vorher dem allmählig von Null an bis zum Schwellenwerthe anwachsenden Reize ausgesetzt war. Contiiiuirliehe and langsame Nerrenreisong. 13g n. AllmäUige mechanische Reizung. Behufs mechanischer Reizung, welche bis zu einer Zennal- mung der Gewebe ausgedehnt werden sollte, benutzte ich die in Fig. II und III abgebildete Schraubenvorrichtung. Der Knopf (8) der Schraube (/i) ist eine kreisförmige Scheibe und mit einer Theilung versehen. Der untere Knopf C wird durch die Schraube ausschliesslich geradlinig vorwärts bewegt, da er frei beweglich an ihr angebracht und durch den Stab O, der durch den Querarm geht, fixirt sich nicht ausserdem noch drehen kann. An dem Knopf C befindet sich die Korkplatte K und unter dieser auf der Platte befestigt die zweite Korkplatte R. Beide einander zugekehrte Flächen der Korkplatten sind convex (Fig. III), damit das zwischen sie zu liegen kommende Präparat nicht durch einschneidende Kanten anderwärts gereizt werde. Sie müs- sen ausserdem von gutem Kork und glatter Oberfläche sein. Die Dicke derselben darf eine gewisse Grenze nicht tlberschreiten. Die in meinen Versuchen angewandten Hessen sich zusammen- genommen um 4,8 Mm. zusammenpressen, so dass also die aus geführte Abwärtsbewegung der Schraube, wenn sie auch nicht als der wirkliche Werth des mechanischen Reizes bezeichnet werden kann, doch ein ungefähres Maass dafür abgibt Auf 1 Secunde bezogen machte die Schraube in den nach- folgend angeflihrten« Versuchen durchschnittlich eine Abwärtsbe- wegung von 0,0015 Mm. bei exactem Gang der Schraube. Die Drehungen wurden nicht ruckweise sondern continuirlich ausgeführt A. Allmftlilige lueehanlsche Reizung motorischer Nerven. Bekanntlich stellte Fohtaka über allmählige mechanische Rei- zung motorischer Nerven zuerst Versuche an. Ich habe sie mit demselben Erfolge wiederholt. Sie wurden sämmtlich am Plexus oder Nervus ischiadicus vorgenommen. Die Haut vnirde vorsich- tig mit der Scbeere entfernt, so dass die einzelnen Nervenbündel völlig unversehrt blieben, da im andern Fall bei einer Zerrung oder Verletzung derselben fibrilläre Zuckungen eintreten, die den Versuch unbrauchbar machen. Zur Prüfung der noch vorhandenen Leitungsfahigkeit der ge* quetschten Nerven diente das Schlitteninductorium. Jedoch be* nutzte ick häufig auch zu diesem Zweck der Einfachheit wegen 140 ^^^ Fratscher, die zur BeurtheiluDg der Drehung angebrachte Stahlnadel £, in- dem ich sie an den Messingknopf B der Stahlschraube J drückte und dadurch den Kreis einer kleinen VoLTA'schen Säule schlies- send eine electrische Reizung zu Stande brachte. Die an den Messingknopf C und die Tafel darunter befestigten Eorkplatten müssen jedoch hierzu feucht sein. Ich konnte mich somit durch Andrücken der Nadel von dem noch vorhandenen Leben des Ner- ven fortwährend bequem überzeugen. Da bei einer Zimmertemperatur von 20® C. und bei einem den gewöhnlichen Verhältnissen entsprechenden Feuchtigkeitsgrade ein seines umhüllenden Bindegewebes nicht beraubter Nerv zwi- schen den ruhenden Korkplatten viel länger als 2 Stunden lebt, so war nicht zu befürchten, dass der Nerv schon vor Beendigung des Versuchs, der nie mehr Zeit in Anspruch nahm als '/« bis 1 Stunde, abgestorben sein könne auch ohne Quetschung. Tersnch XIT. Der bis an seine Theilungsstelle frei präparirte N. ischiadicus liegt mit seinem centralen Abschnitte zwischen den Korkplatten ÜT. Innerhalb je 30 Secunden wird eine Drehung von 7^,5 gemacht. Das Schlitteninductorium dient zur Prüfung der Erregbarkeit: $^ 25°" Zuckung bei 340 Mm. Bollenabst 3^ 30» „ „ 100 „ 3»»45« „ „ 60 „ 3** 50™. Es wird eine rasche Drehung von 60* aus- geführt, die eine leichte Zuckung des Unterschenkels zur Folge hat 3^ 51°" Zuckung bei 60 Mm. Bollenabst. 3 58™ „ „ 2 „ „ 4^ keine Zuckung „ 0 „ „ 4h iQm während 15 Secunden geschieht eine Drehung von 15«; es stellen sich keine Zuckungen mehr ein, da das gereizte Stück zerquetscht ist. 4^ 18™ der Versuch beendigt. Der oberhalb der gequetschten Stelle applicirte Beiz ist völlig wirkungslos, unterhalb derselben löst er die aasgiebigsten Zuckungen aus. yersach XY. Zwischen den Korkplatten liegt der Plexus ischiadicus. Inner- halb je 15 Secunden mache ich eine Drehung von 7^5. Beginn des Versuches: 2^» 26«. Die Electroden werden an die freien oberhalb « « 2' 32" »» „ 120 2»» 35» V „ 120 2^ 39" M „ 50 3» 10- 1» „ 35 3» 15» n « 0 Continoirliche and langsame Kerrenrelning. 141 der zu quetschenden Stelle gelegenen Enden des Plexus angelegt 2^ 26» Zuckung bei 350 Mm. RoUenabst « 11 yj 1» 1» 1? >» n 3h 20» keine Zuckung mehr. Das Nervenstück ist zerstört Unterhalb der gequetschten Stelle ist die Leitungsf&higkeit noch vorhanden. Tamch in wird ebenfalls am Plexus ischiadicus angestellt Innerhalb je 15 Secunden erfolgt eine Drehung von 7^5. Beginn des Versuches: 4^ 10. Nach Verlauf einer halben Stunde tritt durch Andrücken der Stahlnadel E Zuckung ein ; die Leitungsfähigkeit des Nerven- plexus ist also noch vorhanden. 5^: der an das oberhalb der ge- quetschten Stelle gelegene Nervengeflecht applicirte tetanisirende Reiz ist wirkungslos ; unterhalb derselben ist die Leitnngsfähigkeit erhalten. Tanueli XTE Der Nervus ischiadicus, frei pr&parirt liegt mit seinem cen- tralen Ende zwischen den Korkplatten E. Jede Secunde erfolgt eine Drehung = 0,0011 Mm. Abwärtsbewegung der Schraube. Beginn des Versuches 5^ 20°*. Es wird der Nerv nach Pausen von 20 Minuten auf seine noch vorhandene Leitungsf&higkeit geprüft 6^: die Erregbarkeit ist erloschen. Die Pressung hat keine Zu- ckung bewirkt Ein peripher von den gequetschten Stellen auf den Nerven applidrter Reiz löst noch Zuckungen des Schenkels aus. Tarraeh XTin zeigt, dass eine plötzliche Zunahme des vorher, ohne Zuckung zu bewirken, continuirlich wachsenden Drucks Zuckungen des Schenkels oder einiger Muskeln desselben bewirkt Der Druck vfitd ausgeübt auf den frei präparirten Plexus ischiadicus. Inner- halb 15 Secunden erfolgt eine Drehung von 7*,5. Beginn des Ver- suchte: 10* 5". 10* 15: es wird eine rasche Drehung von 45* gemacht, die einige Verkürzungen der Wadenmuskeln zur Folge hat Der Ver- such wurde bis zur Zermalmung des betreffenden Nervenstückes 142 Ctti Fratscher, fortgesetzt und keine weiteren Zuckungen wurden beobachtet. Unterhalb der gequetschten Stelle ist die Leitungsfähigkeit des Nervengeflechtes noch vorhanden. Alle femer angestellten Versuche über allmählige Steigerung des mechanischen Reizes auf motorische Nerven führten zu gleichen Resultaten und ich breche daher in der Aufzählung derselben ab. B. Allmählige mechanische Reizung sensibler Nerven. Es war bei diesen Versuchen nicht thunlich, die in der Haut verlaufenden sensiblen Nerven mechauisch zu. reizen, ohne nicht zugleich motorische Nerven demselben Reiz zu unterwerfen. Sie wurde so angestellt, dass immer nur ein Th eil der Extremität zwischen die Korkplatten gebracht wurde. Derselbe glitt Anfangs zwischen den convexen Platten hervor. Ich brachte daher auf bei- den Seiten des Schenkels je einen Wachsbausch an, der, noch zwi- schen den Eorkplatten gelegen, durch die vorwärtsschreitende Näherung der Eorkflächen, seiner Weichheit wegen zusammenge- drückt werden konnte. Um für meine Versuche möglichst empfindliche und zu- gleich doch passend gelegene Körperstellen zu finden, applicirte ich auf verschiedene Districte der Froschhaut mechanische und che- mische Reize verschiedener Intensität und fand im Allgemeinen, die geschätzte Stärke und Geschwindigkeit der Reflexbewegung zum Maasse nehmend, folgende Abstufungen der Empfindlichkeit, die ich aber selbst nicht als constant, sondern nur als sehr häufig zutreffend bezeichnen kann: 1) Am meisten empfindlich ist die Haut des Rückens. 2) Die Haut der hinteren Extremitäten bildet die zweite Stufe: a) Dickbeingegend des Oberschenkels. b) Fussende. c) Knöchelgegend des Unterschenkels. d) Die zwischen diesen Theilen gelegenen Bezirke. 3) Die dritte Stufe nimmt die Bauchhaut und (?) die Haut der vordem Brustwand ein. a) Allmählige mechanische Reizung sensibler Nerven am enthirnten Thiere. Tenuch XEL Ein Theil der Grundphalangen und des Metatarsus des linken Fusses befindet sich zwischen den Korkplatten. Es erfolgt inner- ContiDoirliche imd langsame Nerrenreizang. 143 halb 20 ßecuDden eine Drehung von 7^fi. Beginn des Versuches 10^ 50». Um 10^ 58 wird eine rasche Drehung von 45« gemacht, sofort tritt eine Reflexbewegung ein. Der Versach wird abgebrochen. Tersneh XX. Die Enöchelgegend des linken Unterschenkels wird gepresst in der Weise, dass während 20 Secunden eine Drehung von 7*,ö ge- macht wird. 11>» 30" Beginn des Versuches. 11>> 55: da das Fliesspapier trocken geworden, wird es mit der Spritzflasche ange- feuchtet und es zeigt sich sofort lebhafte Unruhe des Thieres- Der Versuch wird abgebrochen. In den Temchen XXI und XXn werden dieselben Theile, wie in den beiden Torhergehenden Ver- suchen dem mechanischen Reize ausgesetzt. Innerhalb 20 Secun- den macht die Schraube eine Vorwärtsbewegung von 0,03 Mm. Die Thiere blieben ruhig bis zur vollständigen Zermalmung des Fusses des einen und der Knöchelgegend des andern. Yennch XXDL Der untere Theil des linken Unterschenkels wurde gereizt. Beginn des Versuches 10^ 40. In der Secunde erfolgt eine Dre- hung von 0^,5. ll'* 35. Der Unterschenkel ist zerquetscht Es zeigten sich keine Reflexbewegungen. An den Rändern der gequetschten Stelle ist die Empfindlichkeit noch erhalten. Temch XXIT gibt ebenfalls ein günstiges Resultat Ein Druck von 0,002 Mm. Zunahme in jeder Secunde auf den obem Theil des Oberschenkels wurde 75 Minuten lang bis zur Zermalmung des Theiles von dem Thiere ruhig ertragen. b) Allmählige mechanische Reizung sensibler Nerven an unverletzten Thieren. Rasch erfolgender mechanischer Reiz bedingt auch hier eifrige Fluchtbewegungen des Thieres. Dasselbe ist dann auf längere Zeit zu keinem weiteren Versuche zu verwenden, da, nachdem er der Gefahr entronnen, ein Frosch dieselbe nicht so bald vergisst 144 C^l FratBcher, Yenneh XXY. Das unverletzte Thier ist mittelst breiter Bandschlingen an den freien Extremitäten locker auf ein Eorkbrett befestigt und mit angefeuchtetem Fliesspapier bedeckt Die zu quetschende linke hintere Extremität wird langsam, nachdem sich das Thier an die Lage gewöhnt hat, angezogen und der Fuss desselben zwischen die Eorkplatten K gebracht. In 1 Minute bewegt sich die Schraube um 0,1 Mm. vorwärts. Nach Verlauf von 10 Minuten, während welcher Zeit das Thier vollkommen ruhig war, wurde eine grössere rasche Drehung ge- macht und lebhafte Fluchtversuche traten sofort ein, die von Schreien des Thieres begleitet waren. Der Versuch wurde abge- brochen. Yenneh XXYL Dieselbe Wirkung hatte der sich rasch verstärkende Reiz auf die 4. und 5. Phalangen des linken hintern Fusses. Der Ver- such wurde so wie der vorhergehende angestellt Nach Verlauf von 15 Minuten, während welcher Zeit das Thier ruhig blieb, wurden einige raschere Drehungen unternommen. Es traten Flucht- versuche ein. Der Versuch wurde abgebrochen. Versuch XXYII. Der untere Theil des linken Unterschenkels wurde einem um 0,08 Mm. in jeder Minute zunehmenden Druck ausgesetzt Der Ver- such beginnt 4"» 55"». Um b^ 40° wurde der Dunkelheit wegen licht angezündet Das Hiier zeigt sofort die äusserste Unruhe, da das umhüllende Fliesspapier es nicht vollständig beschattet Der Versuch wurde abgebrochen. Yersuch ZXYm beginnt 4^ 5». Der Fuss der linken hintern Extremität des un- verletzten Thieres liegt zwischen den Korkplatten K. Vorwärtsbe- wegung der Schraube während 1 Min. = 0,03 Mm. 5^ \b^: der Fuss ist zerquetscht Das Thier machte keine Bewegungen. Yersuch XXIX. Das unverletzte Thier sitzt frei und ruhig mit Fliesspapier bedeckt auf den Korkbrett Der untere Theil des Unterschenkels liegt zwischen den Korkplatten. Während 1 Minute bewegt sich die Schraube um 0,04 Mm. vorwärts. 3^ 48'" Beginn des Versuches, CoDtinoirlicbe ond huigsaine Nerrenreixiing. 145 5^ 15. Die Schraube ist bis zu Ende vorwärts bewegt wor- den ; der Schenkel des Frosches ist zerquetscht Es wurden keine Bewegungen beobachtet Ebenso gelang Yennch XXX, in welchem der obere Theil des rechten Oberschenkels eines frei und ruhig da sitzenden Thieres durch die sich allmählig nähern- den Eorkplatten JT — jedeSecunde 0,0013 Mm. Abstandsverminde- rung — gereizt wurden. Nach Verlauf von 80 Minuten ist der Schenkel zerquetscht Das Thier blieb währenddem ruhig. Resultate. 1) Ein continuirlich und langsam wachsender mechanischer Hautreiz kann bis zur Zerstörung des Organs beim enthimten sowohl als unverletzten Frosch gesteigert werden, ohne Beflexbe- wegungen oder Fluchtversuche zu veranlassen. 2) Ein plötzliches Stäckerwerden eines solchen mechanischen Reizes erzeugt Reflexbewegungen oder Fluchtversuche. 3) Ein auf einen frei präparirten motorischen Nerven wirken- der continuirlich und langsam wachsender mechanischer Reiz er- zeugt keine Zuckung in den zugehörigen Muskeln. Nach Beendigung der im Vorstehenden beschriebenen Versuche habe ich noch die Wärmeversuche, wie sie Hbinziukh anstellte, wiederholt, weil in der angefahrten Abhandlung von Fostbr ihnen zuwiderlaufende Angaben sich finden. Um eine Erklärung geben zu können, woher es komme, dass eine allmählige Erwärmung des ganzen Schenkels oder Thieres (Frosches) keine Reflexbewegung hervorbringe — bis zum Eintritt einer gewissen Temperatur — stellt Fobtbb Versuche an und findet, dass wenn nur der Fuss^) eingetaucht ist, das Thier denselben immer durch eine Reflexbewegung bei einer Temperatur von 35^ oder ein wenig darüber aus dem Wasser entfernt, mag die Er- wärmung auch ganz allmählig vor sich gehen, mit Fostbb's eigenen 1) ,,The obserrations shew , that when the toes (alone immersed in water) begin to be affected by the high temperatore, say 80* C, the Btimulos of the hot water caases a reflex action, which results in the withdrawal of the foot When the whole leg er body is immersed, the same stimnlos ia gtill at work, bat Ho reflex action occnrB/' 146 ^^^ Fratscher, I Worten: „The result does not essentially depend od the rapidity of the rise. However slowly the water be heated, the feet are always withdrawn at a temperature of 36^ C. or earlier". Wenn nun überdies die Yermuthung ausgesprochen wird : „Rapid heating may possibly lower the degree at which the feet are withdrawn", wird dann nicht auch jene sehr nahe gelegt, dass ein noch lang- sameres Erhitzen als thatsächlich erzielt wurde, den Effect wahr- scheinlich über 3b^ hinausgeschoben oder überhaupt nicht herror- gebracht haben würde, da oft schon vor 38<^ G. Starre eintritt? Von diesem Gesichtspunkte ausgehend prüfte ich Fostbr's Ver- suche, die vor ihm Hbinzmann viel sorgfältiger angestellt hatte, aber ohne ^e Grösse der eingetauchten Oberfläche ausdrücklich zu variiren. Ich begann mit dem Eintauchen des Fusses allein und ab- schnittweise vorwärtsgehend wurde endlich das Thier bis zum Kopf eingetaucht; ich bin aber zu keinem andern Resultat ge- kommen, als dem, dass allmählige Erwärmung keinen Effect hat, gleichgültig, ob nur der Fuss oder der ganze Schenkel oder das Thier bis zum Kopf eingetaucht ist Nichtdestoweniger steht die Erklärung Foster's im Einklang mit dem Satz, dass allmählige Erwärmung bis zur Zerstörung der Gewebe ausgedehnt werden kann, ohne Reflexbewegungen zu erzeugen. Nur legt er das Hauptgewicht auf den deprimirenden Einfluss des erhitzten Blutes auf das Rückenmark., Nach ihm beruht nämlich das Ausbleiben der Muskelzuckungen resp. Reflexbewegungen nicht in erster Linie darauf^ dass in keinem Augenblick während der ganzen Reizungs- dauer die erforderliche Geschwindigkeit der Temperaturänderung erreicht wird, wie wir annehmen müssen, und nicht auf der durch die anhaltende direct die Nervenenden treffende Schädlichkeit her- beigeführten Erregbarkeits-Abnahme, die wir gleichfalls annehmen müssen, sondern auf der langsamen Ermüdung der Bewegungs- und Reflexcentren durch den allmählig wärmer werdenden Blut- strom im Rückenmark 1). Nun würde aber bezügliph der mecha- 1) „We may condude, that the absence of reflez action in Goltz's expe- riment and the otber modificätions of it, are dne primarily and chiefly to the depressing inflaence of heated blood carried from the skin to the spinal cord. Bat this depressing influence comes into play by virtae of the gradaal cha- racter of the stimolation. Dipping a frog either whoUy or partiaUy into water of 27* C. or above, at once prodaces yiolent movements. When the tempera- tare however is raised gradually the effect on the sensory organs of the skia is mach less, and a higher temperatare has to be readied before a sensoiy impalse is generated strong enough to give rise to a reflex action. ' Bat by the Continairliche und Ungume Nerrenreisimg. 147 nischen Reizung eine ähnliche Erklärung, wie die Fo8tbs*s nicht gefunden werden können. Dass ihm schliesslich die Versuche einer allmähligen Steigerung der Wärme an unverletzten Fröschen nicht glückten, ist ebenfalls kein Beweis, dass dieselben überhaupt am „intelligenten Frosch'' nicht anzustellen seien, d. h. niemals zu dem gewünschten Resultate führen könnten. Auch den intacten Frosch habe ich in dem continuirlich und langsam wärmer werdenden Wasser sterben sehen, ebenso in der sich allmählig concentrirenden Kalilauge (wie aus den angeführten Versuchen hervorgeht). Und ich sollte meinen, es wäre gar nicht ein so unberechtigter Schluss Foster's gewesen, wenn er den Vor- gang, der im Rückenmark die Bewogungsimpulse entkräftet, auf das Gerebrum angewendet hätte und ihn dort die Willensimpulse entkräften liesse. Was nun die Einzelheiten der von mir wiederhohlten Tempe- raturversuche betrifft, so haben sie mich überzeugt, dass das für chemische und mechanische Reizung gefundene Ergebniss geradeso Geltung habe für den Wärmereiz. Ich benutzte die Methode^ welche Herr Prof. Prbtbb Herrn Hbinzmaitn angegeben hatte (Fig- VI. V) und erweiterte die Versuche insofern , als ich die Grösse der gereizten Oberfläche veränderte. Die Wärme wurde applicirt: 1) auf den Fuss 2) auf den Unterschenkel und Fuss 3) auf die ganze hintere Extremität time that higher temperatore is reached the spinal cord has already began lo flag and needs a still stronger impulse, and therefore a stiU higher temperatore in the water acting on the sldn ; when that still higher temperature is reached the energies of the spinal cord have sank still lower, and so on stage hy etage, until the frog is boiled.without having made a sign/' [Bei dem hier erwähnten UoLTz'schen Yersach wurde die Temperatur von 17,5* bis 60* binnen 10 Mi- nuten gesteigert, also nicht langsam. Nicht jeden decapitirten Frosch der auf Reflexreize Oberhaupt antwortet, kann man so schnell erw&rmen, ohne dass er Fluchtversuche macht, und wenn diese bei dem von Oolts angeführten Ex* periment nicht bemerkt wurden, so rOhrt dies wahrscheinlich von einer ab- norm geringen Empfindlichkeit her. Bei Wiederholung dies^ Versuches sah Prof. pBBTsa immer Bewegungen eintreten, so lange der decapitirte Frosch nicht überhaupt reflexlos war, d.h. die Wischbewegung machte; er sprang oft bfi 26 bis 88* aus dem Wasser .uud erst waren die nach der Betupfung mit S&ure und nach dem Wischen erfolgenden Fluchtversuche der immer wieder in das, Wasser gebrachten Thiere wegen inzwischen eingetretener partieller Muskelstarre der ganz eingetauchten hinteren Eztremitftten erfolglos. Die 0e- capitation war hierbei steu eine voilatftndige.] 148 C^l Fratsclier, Ein (Fig. IV) ca. 25 Gem. langer Glascylinder (^ von 5 Cm. Durch- messer ist bis nahe an den Rand mit Wasser gefüllt. Von dem Boden desselben geht eine 30 Gm. lange zu einem Winkel von 135^ gekrümmte Röhre B aus, die in ein Kölbchen C endigt. Letzte- res wird mit einer erbsengrossen Flamme des BuNssN'schen Gas- brenners D (Fig. V) erwärmt. Zur Regulirung der Wärme ist das Thermometer £, beziehlich D, in das Wasser des Gylinders ein- getaucht A. Allmählige Erwärmung enthlrnter Thiere. Tersuch XZXI. Der linke Fuss des enthimten Thieres ist im Wasser ; der übrige Theil ist mit angefeuchtetem Fliesspapier bedeckt. Temperatur des Frosches 19* Temperatur des Zimmers 20^ Temperatur des Wassers 17®,5. Die Wärmesteigerung verdeutlicht nachstehende Tabelle : Temperatur. Zeit 200,6 C 61» 47 210,8 „ 6t 55 220,0 „ 61» 57 220,0 „ 7b 6 220,6 „ Tb 8 280,0 „ 7h 11 240,0 „ 71» 18 260,0 „ 71» 26 200,0 „ 7h 32 270,0 „ 7h 42 280,0 „ 7h 61 .. 290,0 „..•... 8h — 800,0 „ 8h 7 310,0 „ 8h 15 320,0 „ 8h 22 330,0 „ 8h 30 340,0 „ ' 8h 88 360,0 „ 8h 47 • 360,0 „ 9h — 860,4 „ 9h 6 Seitlich zuckende Bewegung der nicht eingetauchten hintern Ex- tremität 37,0 C 9h 9 37,3 „ 9h 11 eben wahrnehmbare Zuckung der rechten Vordereztremität Gontinairliche und langsame Nervenreizong. 149 Tanpantnr. Zelt 38,0 C 9k 17ni 88,5 „ . . . . . 9^ 25 39,0 „ 9k 32 39,4 „ 9fc 38 eben wahrnehmbare zitternde Bewegung der rechten Yorderextre- mität 40»,0C 91» 48 Das Thier wird mit wärmestarrem Glied aus dem Wasser entfernt. Die Wärme war von Secunde zu Secnnde im Durchschnitt unge- fähr um Vmo^ C. gestiegen. Die sehr geringen Schwankungen in der Erwärmung Oben keinen nachtheiligen Einfluss auf das Gelin- gen des Versuches aus. Yersnch XXXE Temperatur des bis in die Mitte des linken Unterschenkeis eingetauchten Frosches Wassertemperatur 19<^ C Tempentor. 200,0 C. 21,0 22,0 28,0 24,0 25,0 26,0 27,0 28,0 29,0 80,0 81,0 82,0 88,0 84,0 85,0 • 86,0 87,0 88,0 89,0 »» » >» »> n l> >> »» »> M n »I n I» »I n »» >» 19'\5 C, Zimmertemperatur 20<\2 C, Zelt 7J> 87m 7b 45 71» 52,5 7b 58 8b 6 8b 12^ 8b 20 8b 27 8b 84 8b 40,5 8b 48,8 8b 56 9b 2 9b 9,5 9b 16 9b 25 9b 85 9b 47 10b 1 10b 40 Der Kolben bernsst; daher die langsamere Erw&rmung. Die eingetauchte Extremität ist wärmestarr. Im Durchschnitt be- trug der Wärmezuwachs in der Secunde Vdio^ C- ff 411 Yersnch Das Thier ist bis in die Mitte des Oberschenkels mit der linken Extremität in das Wasser getaucht. Bd. IX, N. p. a 11 9> 11 150 Carl Fratscber» Temperatar des Frosches ld*,d C. ,, Zimmers 20^,0 C. „ Wassers 19«,0 C. In der Secunde nimmt die Temperatar um circa Vmo^ C. zu. Bei 37^3 enstanden leichte Zuckungen der nicht eingetauchten rechten Extremitäten. Der Versuch wird bis 39*8 C. fortgesetzt und hier das Thier mit vollständig wärmestarrem Schenkel entfernt In Yenuch XXXI? wurden jedoch bis zu und bei 37^ (der Grenze, bei der spätestens die Wärmestarre beginnt) Zuckungen der nicht eingetauchten Theile der andern Seite nicht gemacht; sondern das Thier blieb bis zur Starre vollständig regungslos. Yerrach XZXY. Temperatur des Thieres: 19^,2 C. „ „ Wassers: 19*,0 C. „ „ Zimmers: 20*,0 C. Eingetauchter Theil: linke hintere Extremität. Beginn des Ver- suches 9^ 10. Tempentor. Zeit 19,0 C 9k 10« 20,0 „ 9k 15 21,0 „ 9b 21 22,0 „ 911 27,2 28,0 „ 91» 82 24,0 „ 9b 87,5. Die Flamme wird vergrössert. 25,0 C 9b 39 25,8 „ 9b 41 Zuckungen. 24,6 „ 9b 41,5 25,0 „ 9b 42 26,0 „ 9b 44,3 lebhafte Zuckungen. 2Ö«,0 C 9b 45,5 260,0 „ 9b 48 Grosse Unruhe des Thieres; der Versuch muss abgebrochen werden. Der Versuch zeigt deutlich wie leicht bei schnellerer Tempe- raturzunahme während der continuirlichen Erwärmung die Reflex- bewegung eintritt. Continuirlicbe and langsame Nerveureüung. 151 B. Allmählige thermische Reizung nnTerletzter Thiere. Statt des Gylinders wird hier die Glasglocke A verwendet. (Fig. 17 der Tafel) wie sie gleichfalls Heinzmann benutzt hatte, und in welcher auf einem Steinlager der Frosch sitzt, umschlossen von einem knapp anliegenden Drahtnetz. Die Glocke enthielt 800 Ccm. Wasser, welches ganz in derselben Weise erwärmt wird, wie bei den vorhergehenden Versuchen. Eine aus einem wallnuss- grossen Kölbchen hervorgehende um 135® gekrümmte Glasröhre von 30 Gm. Länge mündet unten und etwas seitlich in die Glocke aus. Unter dem Kölbchen steht der BuNssN'sche Gasbrenner ohne Cylinder mit einer linsen- bis erbsengrossen Flamme. Im Wasser, unmittelbar neben dem Thier ist ein Thermometer angebracht. Die Versuche wurden nur Abends (und dann bei massiger Beleuch- tung) vorgenommen. Yersuch XXXYl. Der unverletzte Frosch ist bis zwei Drittel seines schräg ver- laufenden Rumpfes in das Wasser eingetaucht. Temperatur des Frosches: 18«,15 C. „ Wassers: 18^0 C. „ Zimmers 20«,0 C. Beginn des Versuches 5^. Das Thier athmet ruhig. Tempentiir. Zelt 20%0 C 5J» lim 2P,0 „ 6h 17 22%0 „ 5h 23 23",0 „ 5h 28 24'\0 „ 5h 85 1 Das Thier macht einzelne 25%0 „ 5h 42 / Bewegungen. 26«,0 „ 5h 49 27%0 „ 6h 56,5 28%0 „ 6h 6 29\0 „ 6h 13 30",0 „ 6h 20 V 31%^ »» ^28 j Das Thier athmet ruhig, Ö2%0 „ 6h 36 I ^jQßjj j^ ij^njgy grösser ^^'i^ » 6h 44 V werdenden Pausen und ^%0 »» 6h 62 I ijiejt,^. ^^ß ßh 18 an sonst ^^*»^ »» '^ ^ iTollkommen regungslos. 36%0 „ 7h 10 I 87%0 „ 7h 18 I Ö8%0 „ 7h 27 ^ D^ Tljier athmet nicht. 89%0 „ 7h 36 ^ 152 C^l Fratscfaer, Starr geworden wird der Frosch aus dem Wasser entfernt Im Durchschnitt schritt die Erwärmung in 1 Secunde um V«©»® C. vorwärts. Ein gleiches Resultat gibt yenach XXXYII, in welchem der Frosch dieselbe Oberfläche dem wärmer werdenden Wasser aussetzt. Die Temperatur des Frosches ist nicht genau zu bestimmen, da sie innerhalb 10 Minuten auf 17^ C. anwächst, von da bis 14^,5 G. abfallt, um alsdann wieder zu steigen. Wasser- temperatur: 15® C, Zimmertemperatur: 19® C. Beginn des Ver- suches 3^ 20. Temperatur. Zeit 20^8 C 4h d. Frosch ändert seine Stellung. 21%0 „ 4h 6 22%0 „ 4>» 13 23%0 „ 4h 20 24%0 „ 4h 28 26%0 „ 4h 36 26«,0 „ 4h 44 27^,0 ,, 4h 51 eine letzte leichte Bewegung. 28%0 „ 4h 69 29»,0 „ 6h 8 30%0 „ 5h 16 81%0 „ 6h 24 I Das Thier athmet in 32<^,0 „ 6h 83 j Pausen von '/a Min. and 38%0 „ 6h 42 I darüber. 34%0 „ 6h 61 86«,0.„ 6h - 36%0 „ 6h 9 36«,6 „ 6h 19,2 . 37%0 ,, 6h 29 [es athmet nicht mehr. 88%0 „ 6h 39 ' Der Frosch wird starr aus dem Gefässe entfernt. yersnch ZXXYIII. Das Tbier ist wie die Vorigen in der Glocke A untergebracht. Froschtemperatur 19^ C. Wassertemperatur: 19<> C. Zimmer- temperatur 20^,2 C. Es beträgt der Wärmezuwachs in der Se- cunde durchschnittlich V«»^ C. Beginn des Versuches 4^ 12". Temperatiir. Zeit 210,0 C 4h 10 220,0 „ 4h 25 23%0 „ 4h 30 24»,0 „ 4h 36 26%0 , 4h 41 Gontmuirliche und langsame Neiren^eLning. I53 Die Flamme wird vergrSssert Tempantar. Zeit. 26%0 C 41» 43 27»,2 „ 4b 44,6. Grosse Unruhe des Thieres. 28%o c 41» 46 29%0 „ 4* 47,8. Das Tbier sucht zu entkommen: die Flamme wird entfernt Das Wasser kühlt sich während V« Stunde bis zu 22^ C. ab. Das Thier ist mittlerweile ruhig geworden, ö'' 3»: die etwas vergrösserte Flamme wird wieder unter das Kölbchen gebracht TtBp«nt«r. Z«tt. 22",0 C 6b 8 2S«,0 „...., 6b 6 24« ,0 „...:. 6b 6 25«,0 „ 6b 6,2 26%0 „ 6b 6,8. Des rascheren Erhitzens wegen streichen jetzt schnellere wärmere Wasserströme an dem Thier vorüber, dasselbe wird unruhig und macht Fluchtversuche. Der Versuch wird abgebrochen. Besultate. 1) Ein sehr langsam und continuirlich wachsender thermischer localer oder räumlich ausgedehnter Beiz kann auf die Haut der enthirnten sowohl als unverletzten Frösche bis zur Wärmestarre ausgedehnt werden, ohne Reflexbewegungen oder Fluchtversuche zu veranlassen. 2) Erheblich schneller als um Vm*^ in 1 Secunde continuir- lich wachsende Wärmereize auf sensible Nerven des Frosches applicirt verursachen leicht Reflexbewegungen bez. Fluchtversuche. Anm. Weil durch die Dftmpfe des erwärmten Wassers die ganze um- gebende Luft feucht gehalten wird, fUlt der etwa nebenher wirkende Trocken- reiz (mechanische Compressiou der sensiblen Nervenendigungen) auf die Haut der nicht eingetauchten Theile fort, beeinflusst wenigstens nicht die Wirkung des thermischen Reizes auf die im Wasser befindlichen Theile. Schliesslich wird es nicht überflüssig sein, einige Thatsachen aus ganz andern Gebieten als den bisher berührten herbeizuziehen, welche mit den gefundenen Thatsachen in Betreff der continuir- lichen Reizung im Einklang stehen. So die Gewöhnung lebender^ gesunder Organismen an Gifte. Es ist eine bekannte Thatsache, dass viele Bewohner von Steyermark und Kärnthen Arsenik in steigender Dosis bis zu einer Höhe vertragen, die als eine für 154 Carl Fratscher, ' den erstmalig Geniessenden unbedingt tödtliche angesehen werden muss. Jene Leute befinden sich aber sehr wohl dabei. Das Opiumessen, Opium- und Tabakrauchen gehört auch dahin. Dass auch Strychnin in langsam wachsender Dosis unwirksam sei , hat Lbube gezeigt (Arch. f. Anat u. PhysioL von Reichbbt und De 6oi8-Reymond 1867 S. 63). Auch gleichartige pathologische Veränderungen gehen nicht immer mit entzündlichen Erscheinungen vor sich, wenn sie sich allmählig entwickeln. Ich entnehme Baedblsbbm's Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre Bd. II S. 86 folgende Stelle: Ver- änderungen, welche die von einem Varix aneurysmaticus befallenen Gefässe zeigen. „Da dieser Wechsel von einem sehr geringen zu einem sehr bedeutenden Seitendruck ganz plötzlich stattfindet, so erfolgt die Veränderung der Venenwand unter entzündlichen Er- scheinungen, während Gefässe, welche eine ähnliche Ausdehnung allmählig erfahren, auch ganz unmerklich immer dickere Wandun- gen erhalten. Es lassen sich solcher Beispiele noch mehrere aufisäblen, es sei jedoch nur noch einer wichtigen hierhergehörigen Thatsache gedacht. Prof. B. Schultze in Jena hat den von ihm selbst be- obachteten Fall, dass ein Neugeborenes, welches apnoisch zur Welt kommt und ohne eine einzige Athembewegung asphyctisch zu Grunde geht, so gedeutet: Der thatsächlich mit dem Sauerstoff- gebalt im Blut steigende und fallende Athmungsreiz nimmt bei apnoisch Geborenen nach Unterbrechung des Placentarkreislaufs so langsam zu, dass es zu keiqer Erregung kommt, indem durch die Abnahme des Sauerstoffs im Blute zugleich die Erregbarkeit des Athmungscentrum abnehmen muss. So kann der langsam zu- nehmende Beiz ein Maximum erreichen, ohne dass wegen der ge- sunkenen Erregbarkeit eine Athembewegung zu Stande kommt. Und das Kind zeigt den Leichenbefund Erstickter, ohne Er- stickungserscheinungen gezeigt zu haben. Hiermit stimmen vortrefflich überein die bekannten von Wilh. Müller 1858 in C. Ludwig 's Laboratorium in Wien ausgeführten Experimente und einige neue Athmuugsversuche über allmählige Einwirkung der Blausäure, der Kohlensäure, des Kohlenoxydgases und des Chloroforms, die ich hier angestellt habe und anhangsweise piittheile. Yersach XXZIX. Allmählige Vergiftung einer Fledermaus (Vespertilio murinus) durch Blausäure während des Winterschlafes. Continoirliche nnd Umgsanne Nervenreunng. 155 Das Thier hat die den Fledermäusen allgemein während des Schlafes eigenthümliche Stellung eisgenommen und ist mit einer Glasglocke überdeckt In derselben verdunstet zweiprocentige Blausäure, welche eine freie Oberfläche 0,025 Qcm. darbietet Der Versuch beginnt 12"» 39» 12"» 52» : auf mechanischen Reiz erhält man einen Beflex gleich darauf 12"» 53 leichte Bewegungen mit den Flügeln. P 5» bis 6» werden 56 Athembewegungen ge- zählt, 1^ 10" bis 16" sah ich keine Athembewegung. 1"» 16": die Fledermaus athmet 14 Mal in der Minute 1"» 25, schwache un- deutliche Athembewegungen. 1"» 45". Das Thier ist todt ohne Krämpfe oder Fluchtver- suche gezeigt zu haben, ja wie es scheint auch ohne nur wach geworden zu sein. Der Versuch wurde bei einer Temperatur von 18<',2 0. angestellt Tinnch XL Allm&hlige Vergiftung eines Frosches mit Kohlensäure und Stickstoff. Es ist bekannt, dass ein direct in Kohlensäuregas' gebrachter Frosch äusserst unruhig wird und stirbt, zwar nicht unter Kräm- pfen, aber einige Zeit nach einem plötzlich eintretenden aufgereg- ten Zustande. Anders verhält es sich bei einem allmähligen Auf- saugen von Kohlensäure. Das Gas wurde in sehr kleinen Mengen einem unverletzten in einem 150 Com. grossen mit Quecksilber ab- gesperrten Luftraum befindlichen Frosch zugeführt. !Nach 11 "/s Stunden wird das Thier todt aus der Glocke entfernt, es waren nur schnappende Athembewegungen vorausgegangen. Tennch XU. AUmählige Vergiftung mit Kohlenoxyd. Dasselbe in grosser Menge eingeathmet erzeugt beim Frosch lebhafte Bewegungen, unter welchen der Tod erfolgt. In einem durch Wasser abgeschlossenen Luftraum von 200 Com. befindet sich ein unverletzter Frosch. Das Gas befindet sich in einem Gasometer, aus welchem es durch eine lang ausgezogene Glasröhre ausströmen kann. Durch rasches Oeffnen und Schliessen wird eine äusserst geringe Menge Kohlenoxyd in Pausen von "/^ Minute dem Luftraum zugeführt. Das Thier athmet gegen das Ende hin langsam und angestrengt, stirbt aber nach Ablauf von 1 1 Stunden unter Beibehaltung seiner Stellung. Es waren ungefähr 200 Ccm. Kohlenoxyd zugeströmt; in der Minute also 0,3 Gem. Ich stellte mehrere dieser Versuche mit dem gleichen Erfolg an. 156 ^^l Fratscher, Yersncli XUL AUmählige Tödtung durch Chloroformdämpfe. 'Vor dem Tode dnrch schnelle Chloroforminhalation tritt ein Stadium der Excitation ein. Eine ganz allmählig erzielte Narkose übergeht dasselbe. Eine Mischung von 1 Chloroform auf 1000 Wasser wird tro- pfenweise einer mit einer Glasplatte bedeckten Schale, welche den Frosch in nur wenig Wasser enthält zugeführt. Beginn des Versuches 1^ 30. Nach jedesmaligem Ablauf von 2 Minuten wird ein Tropfen jener Chloroformwassermischung der Schale zugeführt. Das Thier athmet gleich anfangs sehr rasch; dann immer langsamer. 1^ 50: es drückt sich flach auf den Bo- den der Schale und verharrt in dieser Stellung bis es 2^ 10» voll- ständig starr geworden aus dem Gefass entfernt wird. Eine Anzahl weiterer Versuche dieser Art ergaben dasselbe Resultat, welches übrigens ebenso wie alle anderen mitgetheilten positiven Ergebnisse nur von solchen Thieren zu erwarten sein wird, welche wi^ die Reptilien und Amphibien gern stundenlang in derselben Körperstellung verharren. Sie ändern dieselbe, auch wenn sie keinem Versuche unterworfen werden, viel öfter durch unmittelbare Sinneseindrücke, wenn sie sich wohl befinden, als aus eigener Initiative. Diese Eigenschaft macht gerade die Frösche des stillen Saalthals zu vorzüglichen Objecten solcher Experimente. * Nachtrag. Nach Beendigung der vorstehend beschriebenen Experimente habe ich noch auf den Vorschlag des Herrn Professor Pkbter die- jenigen Concentrationen zu ermitteln versucht, welche wässerige Kali- und Schwefelsäure-Lösungen haben müssen, um beim Ein- j tauchen eines Froschfusses eine Reflexbewegung zu veranlassen. Diese Untersuchung ist aber fragmentarisch geblieben und ich theile die erhaltenen Resultate nur zur Ergänzung eines Theiles der bereits angegebenen mit. Continuirliche und langsame Nenrenreizung. 157 I. Beflexschwellen enthlmter Frosche. a) Das Reizmittel ist Kalilauge. Die Thiere werden mit dem Fuss immer gleich tief in ein Gefäss eingetaucht, welches 200 Ccm. destillirtes Wasser enthält, dem das Reizmittel von bekannter Stärke in abgemessenen Quan- titäten vor jedesmaligem Eintauchen zugemischt wird, wie sich aus den folgenden Tabellen ergibt. Die Zeit, während welcher der Reiz bis zur Reflexbewegung einwirkt wird mit dem Metronom ge- messen. Die Thiere werden nach erfolgtem Eintauchen sofort wie- der abgespült. Das bei den Versuchen verwendete Aetzkali ent- hielt etwa 5% kohlensaures Kali , welche Verunreinigung bei den folgenden Procentberechnungen der wirksamen Kalilauge in Ab- rechnung gebracht worden ist. 1. In 200 Ccm. destillirtem Wasser. No. 1. No. t. No. 8. I Ko. 4. No. 5. Thtore. IjproMntice KaUUage. 26Ccmr 30 34 40 50 100 seigen noch ReflexSewegiiDgen nach : 10 iyec. 24 Spc. 15 ?i 15 „ sofort 27 21 »j «? 21 See. 24 See. 21 See. 9 „ 8 V 10 36 27 n »? » sofort »» »1 10 2 )} n 15 12 12 8 6 »» ?? 1» ?> »» 21 12 9 2 I? ji » w »» Es ist aus dieser Tabelle ersichtlich, dass nach Einwirkung des Agens eine gewisse Zeit verstreichen muss bevor Reflex er- folgt, und zwar ist diese Zeit um so grösser je schwächer das Reizmittel und umgekehrt um so kürzer je stärker dasselbe ist, was mit den Untersuchungen von Baxt und von J. Robbhthal übereinstimmt. Im Mittel lässt sich etwa als unteren Reflex- schwellenwerth eine 0,lprocentige Kalilauge setzen. 2. In 60 Ccm. destiUirtem Wasser. Das enthimte Tbier zeigt sofortige Reflexbewegungen nach Ein- wirkung von 6 Ccm. Iprocentiger Kalilauge oder was dasselbe sagt, 0,09procentige Kalilauge löst sofortigen Reflex des Thieres aus. 168 Carl Fratscher, Tfaler«. lpro«ent)fe KftUUnge. 2 Gern. >j 10 ») 20 „ 3. Ib 50 Gem. destiUirtem Wasser. No. |. I 17o. S. i No. 3. No. 4. zeigen noch nicht Heilexbewegungea nach: 80 See. ! 30 See. 80 See. 80 See. 26 „ 5 >i zeigen Reflexbewegung nach: 1 24 „ 5 »j »» 9„ 81 „ 2 „ 6„ . 1 ,, 4» Ancb diese Zusammenstellung zeigt die schon erwähnte Eigen- thümlicbkeit in der Beflexfolge, sowie eine unterschiedliche Empfind- lichkeit der einzelnen Thiere. Erwartet man innerhalb 30 Secunden eine Reflexbewegung bei Einwirkung von Kalilauge, so muss diese mindestens 0,07pro- centig sein. 4. In 180 Gem. destiUirtem Wasser V2Procentige Kalilauge. 'Thiere. V^procentige Kalilauge. 20 Ccm. 25 Cm. 30 „ 85 „ 40 „ 45 „ 50 „ No. 1. No. S. No. 8. No. 4. No, 5. No. 6. No. 7. zeigen noch Reflexbewegungen nach: 80 See. , 80 See. 30 See. 30 See. , 30 See. i 30 See I 30 See. Reflex nach 28 „ 22 „ 80 „ » 22 18 j'i »> 9 }, I 18 ,, sofort sofort — — 22 i> Reflex nach ; 19 „ 1 22 j» Aus dieser Tabelle lässt sich als unterster Reflexscbwellen- werth auf Kalilauge bezogen eine mindestens 0,06procentige Kali- lauge berechnen. (Nr. 3 und 4 machten auch bei fortgesetzter Concentration keine Beflexbewegung). Continoirlicbe nnd langeame Nerrenreizting. 159 b) Das Reizmittel ist Schwefelsäure. 1. In 100 Ccm. destillirtem Wasser O,125procent]ge Schwefelsäure. Thiere. Ko. 1. Mo. S. Ho. $, ^ItSprooontlge SobwefeltAnre. 76 Cm. 80» 84 „ '88„ 90„ 100» 110 }} 130 >» aoo n zeigen Heflexbewegungen nach 28 See. 17 V 25 See. 14 n 8 V 25 n 10 >1 26 „ 8 n 23 >» 80 See. 7 „ 7„ 50 „ 7„ 7„ M ., 5„ 10 „ 80„ * « 1 ♦ » Als unterster Reflexsch wellen werth ergibt sich nach dieser Tabelle für decapitirte Frosche 0,05procentige Schwefelsäure. Ich führe far Schwefelsäure einige Beispiele an, die ähnlich wie einige der Kalilauge auch eine grössern Beflexschwellenwerth als den soeben gefundenen, aufstellen lassen. Die Verschiedenheit dieser Zahlen mag z. Th. auf der Ver- schiedenheit der Temperatur, iu der sich die Frosche vorher be. fanden, so wie die geschlechtliche Verschiedenheit zurückzuführen sein. In der nun folgenden Tabelle sind die Thiere sämmtlich Weib* eben, während ich vorher ohne Rücksicht auf die Geschlechtsver- schiedenheit die Thiere wählte. 2. In 30 Gem. dest. Wasser 0,125- und 0,25procentige Schwefelsäure. Tbiore. ^iSSprooontlfO Sehirofolflare. 70 "Ccm. 0,S5proe6iitig« SohwefoUKor«. lÖ'Ccm. *0~„ No. 1. No. S. No. 8. No. 4. xeigeu noch nicht ReÜexbewegongen nach: 80 See. 80 See. 80 See. SO See. zeigen Reflexbewegnngen nach : 16 „ - . . i_ J- 6„ 6 V 4„ 12 9 6 n »» t> 15 M 4 I» I 160 C. Fratscher, Gontinuirliche u. langsame Nervenreizung. Der unterste Reflexschwellenwerth berechnete sich nach dieser Zusammenstellung als eine 0,06procentige Schwefelsäure. Aehn- liehe verhält es sich in dem Beispiel (3), aus welchem sich ein unterer Reflexschwellenwerth von 0,0786procentiger Schwefelsäure ergibt für männliche Frösche. 3. In 130 Ccm. destilirtem Wasser 0,5procentige Schwefelsäure. Thlere. 0|5proeentige Schwefel •äora« 24 Ccm. 28 »> No. 1. No. S. zeigen Reflex nach: 28 See. 22 n 21 See Reflexschwellen unverletzter Frosche. Die Aufzählung der Reflexschwellenbestimmungen für unverletzte Frösche läisst sich kürzer fassen. Ich habe im Wesentlichen das- selbe für diese constatiren können, wie für decapitirte Thiere. a) Das Reizmittel ist Kalilauge. In 130 Ccm. destillirtem Wasser l,Oprocentige Kalilauge. Thiere. bei bei iDroeendge KÄniange. 8 Ccm. 10 15 >» >1 Ko. 1. No. 9. STo. S. zeigen uoch nicht Reflex nach 80 See. ! 30 See. 30 See. zeigen Reflei nach 23 15 »1 M 30 »> 22 „ lö",, unterster Werth = 0,08procentige Kalilauge. b) Das Reizmittel ist Schwefelsäure. In 75 Ccm. destillirtem Wasser 0,25procentige Schwefelsäure Thiere. 50 No. 1. No. 8. No. a. 0,85prooeDti9e Sehwefeliüore. 1 10 See. 25 Ccm. 30 „ 29 See. ; 10 „ 24 See. 35 „ 25 „ ; 8 „ ' 17 „ 14 „ I 3 „ I 5 „ Für Thier Nro. 2 ergibt sich ein unterer Reflexschwellenwerth von 0,06procentiger Schwefelsäure, für die Thiere 1 u. 3 also ein etwas höherer Werth. Feber das Vorkommeii des Aethylalkohols resp. seiner Aether im Pflanzenreiehe. Von Dr. H. GntaaeU. Der Aethylalkohol , dieser Hauptrepräsentant jener grossen Klasse von organischen Verbindungen, die nach ihm ihren Namen führt, der zur Zeit als die maxivalente Verbindung des zweifachen Kohlenstoffs mit Wasserstoff aufgefasst wird, in welcher ein H durch die monovalente Gruppe OH ersetzt ist ^), kann bekanntlich, wie Bbbthblot, Hofmanm, Wubtz, Lourbn^o und andere Forscher gezeigt haben, künstlich auf die mannigfachste Weise dargestellt werden und findet sich, wie schon die Alten wussten, neben andern Produkten überall da, wo Zucker haltende oder Zucker gebende Substanzen unter geeigneten Bedingungen der geistigen Gährung überlassen sind. In manchen dieser Gährungsprodukte kommt er nicht allein im freien Zustande, sondern auch in Form von Aethem vor. Im fertigen Wein z. B. als Aethyl-Acetat, Aethyl-Butyrat, Aethyl-Ca- prinat und Aethyl-Caprylat. — Ausser in gegohrenen organischen Flüssigkeiten ist er bis jetzt nur im Thierreiche aufgefunden worden. Lallbmamd, Pbrrui und DuBOT zeigten bekanntlich das Vorkommen desselben im Harn, im Blut und allen Organen nach demGenuss von Spirituosen ; Libebn fand, dass nach dem Genuss selbst sehr massiger Mengen geisti- ger Getränke, stets Alkohol im Harn nachzuweisen ist') und Gbu- THBB lehrte das Vorkommen desselben im frischen Harn von Dia- betikern kennen^). Im Pflanzenreiche dagegen sind bis dahin sichere Beobach- tungen über ein anderes Vorkommen des Aethyhükohols oder sei- ner Aether nicht gemacht worden. . 1) A. Gbutbbb, Lehrbach der Chemie. 8. 178. 3) Annalen d. Cbem. and Phann. 7. Supplementbd. S. 386. 3) JenaiBche Zeitschrift f. Med. u. Naturw. II, 4. S. 407. 163 H. Gutzeit, DoBBBRBiNBB glaubte allerdings unter den Produkten der trock- nen Destillation des Holzes, besonders des Birkenholzes, eine kleine Quantität (Aethyl-)Alkohol gefunden zu haben. Philipps Taylor, der Entdecker des Holzgeistes, zeigte jedoch, dass dieser flüchtige Stoff dem Alkohol zwar ähnlich ist, dass er sich aber in gewissen Beziehungen wesentlich davon unterscheidet*). Er lässt sich mit Wasser in allen Verhältnissen mischen, brennt mit blauer Flamme wie Alkohol, löst Harze, giebt aber mit concentrirter Schwefelsäure keinen Aether (keinen flussig bleibenden) ^). Tatlob entdeckte die- sen Stoff bereits 1812, veröffentlichte aber seine Beobachtungeo über den „Aether pyrolignicus^^ erst im Jahr 1822 und zwar ge- legentlich in einem Briefe an die Redaction des Philosophical Journal '). Abkömmlinge von diesem Produkte der trocknen Destiliation des Holzes, dem Methylalkohol, sind in der Folge vielfach im Pflanzenreiche aufgefunden worden: In Mercurialis annua das „Methylamin". Im Mutterkorn, in den Blüten von Crataegus oxyacantha, Sorbus aucuparia, Pyrus communis, in den Blattern von Ghenopodium Vulvaria, im Safte der Runkelrübenblätter, im Brande des Weizens und der Gerste, in faulender Hefe und faulendem Waizenmehl das „Trimethylamin". Im Caffee, im Thee. in den (Tola-Nüssen und in der aus den Früchten von Paullinia sorbilis bereiteten pasta Guarana das „Methyl -Theobromin'^ i= Gaffeln oder The¥n. Im eingetrockneten Milchsafte der grünen Samenkapseln des Mohns das „Methyl-Morphin'^ = Godeln und das „Trimethylnomarkotin" = gewöhnliches Narkotin*). In den Blüten, überhaupt in allen Theilen von Gaultheria procumbens, sowie im Kraute und in den Blüten von Monotropa hypopitys und vielleicht auch fertig gebildet in der Rinde von Betula lenta ein Aether des Methylalkohols das „Wassersloff-Methylsalicylat". Nicht allein aber von diesem, sondern auch von andern nahen Verwandten des Aethylalkohols sind Aether im Pflanzenreiche ent- deckt worden : In den Früchten von Heracleum Spondylium L., „Octyl-Acetat und Octyl-Gapronat" *) ; in den Früchten von Hera- 1) Tilloch's Philo8. Mag. ^^ovember 1622. S. 815. 2) Bbbzblius, Jahresberichte III. 1824. S. 187. 3) Dumas undPBLiooT, U eher einen neuen Alkohol, den Holzgeist und seine Verbindungen. Journal f. pract. Cheflde 1834. Bd. 8. S. 162 und S. 369—393. 4) Matthibsbbn u. Fostbb, Annal. d. Chem. u. Pharm. 1867. V. Sopplbd. S. 886. 5) Thbodob Zibokb, Untersuchung des ätherischen Oels in den Früchten von Heracleum Spondylium L. AnnaL d. Chem. u. Pharm. Bd. 161. S. 1. Das Vorkommen des Aethylalkohols im Pflansenreiche. ]63 cleum giganteuiD, ,,Octyl-Acetat und Hetyl-BatyraV) und in den Früchten von Pastinaca sativa L., „Octyl-Butyrat** •). Um so auf- fallender erscheint es, dass der Aethylalkohol als solcher, oder Aether desselben, bis jetzt im Pflanzenreiche nicht nachgewiesen sind, zumal da sein Oxydationsprodukt, die ihm eigenthümliche Säure — die Essigsäure — bekanntlich im Pflanzenreiche unge- mein häufig aufgefunden worden ist. Vauqubum fand Essigsäure, Kalium- und Calcium-Acetat im Safte vieler Pflanzen, namentlich der Bäume. Hautz und Wundbr entdeckten sie in vielen aroma- tischen Wässern, so in den über Kamillenblüten, Majoran, Garda- momen, Fenchel und Wurmsamen abdestiUirten Wässern und Zivckb desgleichen in dem wässerigen Destillate von Heracleum Spondy- lium L.'). Im Oele von Evonymus europaeus findet sie sich als Triacetin und gleichfalls als Glycerinäther im Grotonöl; denn wie Oxuthbb's und Fbobblich's Untersuchungen gezeigt haben, ist die Crotonsäure Schlipfb's nur ein Gemenge von Essigsäure, But- tersäure und Bäldriansäure ^). Das Vorkommen von Aethylverbindungen in unveränderten Pflanzensäften war mithin seit den genannten Entdeckungen höchst wahrscheinlich und ist nunmehr durch die folgenden Untersuchun- gen zur Gewissheit geworden. I üntersuchimg der Früclite nnd Doldenstiele von Heraclenm giganteum hört. Als Untersuchungsobjekt wurden zunächst die Früchte von Heracleum giganteum gewählt, da mir diese im hiesigen botanischen Garten, sowie in Privaten angehörigen Gärten, in ziemlicher Menge zur Verfügung standen. Zweck dieser Arbeit war eines Theils, aus dem flüchtigen Oele dieser Früchte, in welchem Fbanchiiiont und Zingkb, wie bereits oben bemerkt ist, Octyl-Acetat und Hexyl - Butyrat nachgewiesen haben, füri die Sammlung des chemischen Instituts die betreffen- den Alkohole darzustellen; anderen Theils, event. die von den 1) A. Fbakchzmont u. Tb. Zinckb, Ueber Hexylalkohol aas Heracleumöl. Berichte d. d. ehem. GeseUscb. eu Berlin. Bd. 4 S. 822 u. Bd. 5 S. 19. 2) J. J. VAN RxvBus, Ueber die Zusaounensetzang des flachtigen Oels aas den Frachten von Pastinaca sativa L. Annal. d. Cbem. u. Pharm. Bd. 166. S. 80. 8) AnnaL d. Ghem. u. Pharm. Bd. 152. 8. 21. 4) Jenaische Zeitschrift f. Medicin u. Naturwiss. 1870. Bd. 6. S. 46. jg4 H. Gutzeit, genannten Chemikern nicht berücksichtigten, niedrigst siedenden Antheile dieses Oels einer näheren Untersuchung zu unterwerfen, wenn nämlich die Menge derselben eine solche gestatten würde. A. Nieht yolllg reife Frttehte Tom Sommer 1873. 6 Vi Kilo fast ausgewachsener, also noch nicht völlig reifer Früchte, wurden in einer, mit Zweck entsprechendem Kühlapparate verbundenen kupfernen Blase mit 18 Kilo Wasser übergössen der Destillation unterworfen und diese unter fortwährender guter Ab- kühlung des Destillats so lange fortgesetzt, als sich noch Oeltro- pfen zeigten. Das so erhaltene drca 12 Kilo wiegende Destillat röthete das blaue Lacmuspapier nur äusserst schwach; dag^en reagirte der Inhalt der Blase stark sauer, eine Eigenschaft, welche auch die Früchte zeigten, weshalb derselbe ebenfalls in den Kreis der Untersuchungen gezogen wurde. 1. Das Destillat. Mittelst eines Hebers wurde der wässerige Theil desselben von dem aufschwimmenden Oele getrennt und darauf durch wieder- holte fractionirte Destillation aus dem ersteren, das darin noch gelöste rösp. suspendirte Oel gewonnen, indem nach jeder Destil- lation das ausgeschiedene Oel sorgfältig gesammelt wurde. Bei diesen Destillationen wurde plötzlich, als die zu destiUi- rende Flüssigkeit kaum noch 200,o Grmm. betrug, die Entdeckung gemacht, dass die zuletzt destillirten Antheile specifisch schwerer waren, als die zuerst übergegangenen Antheile des Destillats ; denn jeder in die Vorlage gelangende Tropfen durchdrang die in der- selben bereits vorhandene Flüssigkeit und lagerte sich auf dem Boden an, theilweise allerdings, auf dem Wege dortbin, sich lösend oder mischend; beim vorsichtigen Schütteln der Vorlage sah man ebenso deutlich, dass die Flüssigkeit keine homogene war. Gleichzeitig wurde im Kühlrohre und namentlich bei plötz- licher Abkühlung des vom Kühlwasser nicht umgebenen Theiles dieses Rohres ein eigenthümliches Fliessen beobachtet, wie es bei der Destillation spirituöser Flüssigkeiten der Fall ist In Folge dieser Beobachtung wurde die Operation fortgesetzt, nicht so sehr der Spuren Oel wegen, die noch in dem Destillate gelöst sein konnten, als um die Ursache des eben Mitgetheilten zu erforschen. Das Vorkomixien des Aethylalkohols im Pflanzenreiche. 165 Das Thermoineter lehrte bald, dass eine unter 100« C. siedende Flüssigkeit vorhanden sei. Nachdem durch fortgesetzte, schliess- lich aus dem Wasserbade vorgenommene fractionirte Destillation, die flüchtigen Theile ziemlich isolirt waren und die so erhaltene Flüssigkeit etwa noch 12 — löGrmm. betragen mochte, wurde mit- telst eines hin eingetauchten und dann der Flamme genäherten Glasstabes konstatirt, dass dieselbe eine leicht entzündliche war und dass sie mit blassbläulicher Flamme brannte. Nun wurde Calcium Chlorid zugefügt, um so vielleicht eine Abscheidung zu be- wirken, allein vergeblich ; denn nach dem es zerflossen war, misch- ten die erst entstandenen zwei Schichten sich völlig homogen. Auf Zusatz weniger Tropfen Wasser jedoch, entstand eine Trübung und wurde daher der Flüssigkeit etwa ihr halbes Volum Wasser zugefügt und darauf dieselbe 24 Stunden der Ruhe überlassen. In der That hatte sich eine geringe Oelschicht abgesondert. Diese wurde sorgfältig entfernt und die nunmehr klare Flüssi^eit der Rectifikation unterworfen. Gleich nach der ersten Destillation, wurde eine schwachalkalische Reaction des Destillats bemerkt und deshalb dieses mit einigen Tropfen verdünnter Schwefelsäure ver- setzt und abermals destillirt Das so erhaltene Destillat wnrde in einem mit Rückflusskühler und Thermometer verbundenen Kölb- chen unter sorgfältiger Kühlung mit Aetzkalkstückchen behandelt und dann im Wasserbade so lange erwärmt, bis aller Kalk zer- fallen war. Mit der darauf durch Destillation getrennten, noch 6,0 Grmm. wiegenden Flüssigkeit wurde dieselbe Operation wieder- holt und dabei noch ein Verlust von 0,^ Grmm. wahrgenommen. Alsdann wnrde zum dritten Male mit Aetzkalk behandelt; doch obgleich derselbe 12 Stunden hindurch mit der im Wasserbade erhitzten Flüssigkeit in Berührung blieb, veränderte er sich nicht mehr. Die Flüssigkeit war also vollkommen entwässert und wog nach beendeter Destillation, während welcher das Thermometer 72—77« C. anzeigte 5,| Grmm. — Das Gewicht dieser flüchtigen Substanz betrug also etwa O,//« der angewandten Früchte; doch war zu vermuthcn, dass sich in Wahrheit ein höherer Procentsatz ergeben würde, weil nicht von Anfang an mit dem Bewusst- sein gearbeitet wurde, dass hier eine so niedrig siedende Substanz zu berücksichtigen sei und in der That ist diese Vermuthung durch neuere, in diesem Semester ausgeführte Untersuchungen, deren Resultate weiter unten mitgetheilt sind, vollkommen bestä- tigt worden. - Bd IX. N F. II. 12 jgg H. Gotzeit, a) Die iwischen 72 und 11^ C. siedende Flisslgkelt. Diese stellte eine wasserhelle, leicht bewegliche, dünne, neu- trale Flüssigkeit dar, welche nach allen ihren physikalischen Eigen- schaften, Geruch, Geschmack, Löslichkeitsverhältnissen und Siede- punkt, sich als ein Gemisch aus „Aethylalkohol und Methylalkohol'' documentirte. Diese Ansicht wurde auch durch die Elementar- analyse bestätigt; denn bei der Verbrennung mit Kupferoxyd lie- ferten : 0,2 240 Grmm. Substanz 0,3 8 7« CG' und 0,a6M H^O entsprechend 0, 1 0 5 7 9 1 C. und 0,029044 H. Die Formel CaH«0 verlangt: Gefunden: Die Formel CH*0 verlangt: C Ö2,2 47,2 37,5 H 13,0 13,0 12,5 0 34,8 — 50,0 100,0 100,0 Es wurde nun der Versuch gemacht durch fractionirte Destillation eine Trennung der beiden Alkohole zu bewirken und diese auch wirklich in so weit erreicht, dass wenigstens ^der „Aethylalkohol'' als isolirt betrachtet werden konnte. Dieser Theil der Flüssigkeit, etwa Va der Gesammtmenge betragend, siedete nämlich nach wie- derholter Rectifikation über Aetzkalk bei 78— 79<> C. Zur Ele- mentaranalyse wurde der mittlere Theil dieses Destillats ver- wendet. 0,206 4 Grmm. Substanz gaben beim Verbrennen mit Kupferoxyd 0,8 ooe Grmm. CO' und 0,2 lee Grmm. H'O entsprechend 0,i 05471 Grmm. C. und 0,02140 Grmm. H. Berechnet: Gefunden: 51,6 13,2 c» 24 Ö2,2 H« 6 13,0 0 16 34,s 46 100,0 Aus diesem Resultate ist ersichtlich, dass die analysirte Substanz fast reiner „AetbylalkohoP' war. Der andere Theil der Flüssigkeit, dessen Siedepunkt ron 66 — 72' C. variirte, wurde ebenfalls entwässert und dann die erst überdestillirenden Tropfen der Flüssigkeit für die Elementaranalyse verwerthet. — 0,1617 Grmm. Substanz gaben beim Verbrennen mit Eupferoxyd 0,117 0 Grmm. CO' und o^oo^o Grmm. H'O entsprechend 0,03 1000 Grmm. C. und 0,010322 Grmm. H. Das Vorkommen des Aethylalkobols im Pflanzenreiche. 1(7 Berechnet : Gefunden : c 12 37„ »9,1 H* 4 12„ 12„ 0 16 50^ 32 100,0 Die analysirte Substanz war demnach „Methylalkohol"' mit noch etwas Aethylalkohol vermischt. — Da diese Alkohole vermuthlich nicht als solche, in den Früchten enthalten gewesen waren ; sondern als Aether, welche sich bei der Destillation zersetzt hatten, so war es von Interesse nachzuforschen, ob vielleicht in dem gewonnenen Oele noch ein unzersetzter Aether des Aethylalkobols nachgewiesen werden konnte und wurde deshalb die Untersuchung des Oels in Angriff genommen. b) Das flftchtige Oel. Die Gesammtmenge desselben betrug 35,« Ormm. also O^^eVo der Früchte. Zuerst wurde dasselbe der fractionirten Destillation unter- worfen und durch diese gelang es, wesentlich drei Flüssigkeiten abzuscheiden. Die grösste Menge siedete bei 200—210® C. und betrug 19 Grmm., die zweite bei 210-— 250® C. und wog 8 Grmm., die dritte siedete von 130— 170» C. Nur die letztgenannte Fraction konnte zur Erledigung der oben bemerkten Frage in Betracht kommen und wurde daher näher untersucht Das Gewicht derselben betrug 3,^ Grmm., also gerade 10®/o der Gesammtmenge des Oels. — Unverkennbar hatte diese Fraction, neben einem, auch den übrigen Fractionen eigen- thümlichen Geruch, den charakteristischen Geruch des Aethyl- Butyrats. — Sie wurde in einem mit Rückflusskühler versehenen Kölbchen und unter guter Abkühlung 8 Stunden hindurch mit 70 Grmm. einer 10% wässerigen Natriumhydroxydlösung gekocht Eine voll- ständige Zersetzung der Aether schien aber dadurch keineswegs erreicht zu sein und wurden deshalb nach völligem Erkalten, noch 20 Grmm. NaOH hinzugefügt und dann 12 Stunden mit der nun- mehr 30% Lauge gekocht; doch schien auch jetzt noch unzer- setztes Oel vorhanden zu sein, weshalb noch 36 Grmm. NaOH zugefügt und mit der nun 50Ve Lauge 6 Stunden gekocht wurde. Alsdann wurden die Alkohole von den entstandenen Natrium- salzen durch Destillation getrennt — 12* 168 ^ Guueh, a) Die durch Zersetzung der zwischen 180 und 170^ C. sieden- den Fraction entstandenen Alkohole. Das Destillat, welches eine äusserst geringe Schicht einer öli- gen Flüssigkeit an seiner Oberfläche zeigte, wurde von dieser durch einen Heber getrennt und dann der fractionirten Destillation unter- worfen. Die nach jeder Destillation ausgeschiedene geringe Menge der öligen Flüssigkeit wurde stets sorgfaltig entfernt; doch wollte diese Methode nicht recht zum Ziele fuhren und wurde deshalb schliesslich Calciumchlorid zugefügt und dadurch eine Abscheidung auch thatsächlich erreicht. Die ganze Menge der gewonnenen öligen Flüssigkeit betrug nur reichlich 1 Grmm. und konnte daher zu- nächst nicht weiter untersucht werden. Sie war wasserhell, dünn- flüssig und von sehr angenehmem Geruch. Die letzten Reste der wässerigen Flüssigkeit zeigten durchaus keine öligen Tropfen an ihrer Oberfläche, brannten aber mit blass- bläulicher Flamme und wurden deshalb über Aetzkalk rectifizirt. Dadurch wurde eine kleine Quantität einer wasserhellen Flüssig- keit erhalten, deren physikalische Eigenschaften mit denen des Aethylalkohols vollkommen übereinstimmten. Die Menge dieser Flüssigkeit war leider zu gering um eine Elementaranalyse zu ge- statten und konnten deshalb nur qualitative Reactionen mit ihr angestellt werden. Mit Natrium- Acetat und concentrirter Schwefel- säure erhitzt, erzeugte sie den charakteristischen Geruch des „Aethyl-Acetats". — Ein Aethyläther war also in dem untersuch- ten Oele vorhanden gewesen. ß) Die entstandenen Natriumsalze. Der im Kölbchen verbliebene Rückstand wurde mit einem vorher abgekühlten Gemisch aus je 115 Grmm. concentrirter Schwefelsäure und Wasser mit der Vorsicht vermischt, dass eine Erhitzung dabei nicht stattfand und dann unter guter Abkühlung der Destillation unterworfen. Da gegen Ende derselben ein be- denkliches Stossen erfolgte, so wurden noch 40 Grmm. Schwefel- säure zugefügt, also so viel, dass sich alles vorhanden gewesene Natriumhydroxyd zu Natrium-Hydrium- Sulfat vereinigen konnte und darauf die Destillation zu Ende geführt. Da die nunmehr im Destillate enthaltenen flüchtigen Säuren, wahrscheinlich Essigsäure und Buttersäure waren, denn diese sind von Franchimont und Zinc&e in den höher siedenden Fractionen des Oels nachgewiesen, so Das Vorkommen des Aethylalkohols im Pflanzenreiche. 169 wurde zu ihrer Trennung die LisBio'sche Methode der theilweisen Neutralisation angewendet *). Zu dem Ende wurde ein Drittel des wohl gemischten und er- wärmten Destillats genau mit Natrium-Garbonat gesättigt, die übri- gen zwei Drittel dazu gefügt, die Lösung wiederholt durchge- schüttelt und möglichst weit abdestillirt. Der Rückstand wurde dann mit Natrium - Carbonat genau neutralisirt , zur Trockne gebracht und mit Alkohol ausgezogen. Von dem alkoholischen Auszuge wurde der Alkohol abdestillirt, der Rückstand mit Wasser aufgenommen und diese Lösung, weil sie nicht ganz klar erschien, filtrirt und das Filtrat eingedunstet. Die Hälfte des Destillats 11 wurde dann ebenfalls neutralisirt, mit der andern Hälfte vermischt und überhaupt in gleicher Weise behandelt. Alsdann wurde auch das Destillat HI neutralisirt und nach derselben Methode das Natriumsalz gewonnen. Mit den drei so erhaltenen Salzmengen wurden die Natrium- bestimmungen ausgeführt — I- 0,2035 Grmm. des bei I3b^ getrockneten und vorsichtig ge- schmolzenen Salzes — durch das Schmelzen hatte nur 0,ooo» ^^^' lust Statt — lieferten O,,0O8 Grmm. Natrium-Garbonat, entspre- chend 0,043 7 la Grmm. — 21,5% Natrium. U. O,j03, Grmm. des bei gleicher Temperatur getrockneten und dann vorsichtig geschmolzenen Salzes — Verlust beim Schmel- zen betrug 0,0007 Grmm. — gaben 0,^753 Grmm. Natrium- Garbonat, entsprechend 0,o82«7 7 = 20,o% Natrium. UI. 0,o8:»o Grmm. des in gleicher Weise behandelten Salzes — Verlust beim Schmelzen 0,oooi — gaben 0,0129 Grmm. Na- trium-Garbonat, entsprechend 0,o,H«i7 Grmm. =: 21,, Vo Natrium. Berechuet: Gefunden: 0»H*02 = 79,5 — _ _ Na = 20,5 21,5 20,0 21„ iöo,o Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, dass die analysirten Salze fast reines Natrium-„Butyrat'' waren, sowie dass die Portionen I und III eine sehr geringe Menge eines Salzes mit höherem Natrium- gehalt, wahrscheinlich Natrium - Acetat, beigemengt enthielten*). 1) Annalen der Chem. u. Pharm. Bd. 71 S. 856. 2) Die Formel C*H«NaOs erfordert 9»U Natrium. 170 H. Gatadt, Da aber die Menge des zu Gebote stehenden Salzes eine nur ge- ringe war, — im Ganzen waren 1,6 Grmm. im Wasserbade ge- trocknetes Salz erhalten, — so musste auf eine weitere Reinigung verzichtet werden. Mit verdünnter Schwefelsäure übergössen, entwickelte das Salz den durchdringenden Geruch der „Buttersäure" und gleichzeitig zeigten sich Oeltropfen auf der Oberfläche der Flüssigkeit. Die Gegenwart der Buttersäure ist somit erwiesen. Durch die Untersuchung des Oels ist mithin die Anwesenheit von „Aethyl- Butyrat'* in den niedrigst siedenden Antheilen des Heracleumöls mindestens sehr wahrscheinlich geworden. ^ 2. Das in der Destillirblase Zurückgebliebene. Der stark saure Inhalt der Blase wurde mit einer Lösung von Natriumhydroxyd bedeutend übersättigt, darauf etwa 5 Kilo Was- ser zugefügt, dann die Blase mit dem Kühlrohre verbunden, gut lutirt und eine Nacht hindurch der Inhalt sich selbst überlassen. Alsdann wurde destillirt und so 4 Kilo einer stark alkalisch rea- girenden Flüssigkeit gewonnen, auf welcher sich eine sehr geringe Oelschicht zeigte. Die in der Blase zurückgebliebene Natriumsalzlösung wurde in geeigneter Weise von den extrahirten Früchten getrennt und von den Farbstoffen befreit. Die Untersuchung des erhaltenen Salzes ist zur Zeit noch nicht zum Abschluss gekommen und des- halb will ich hier nicht weiter darauf eingehen. — Das Destillat wurde mit verdünnter Schwefelsäure, angesäuert, und dann abermals der Destillation unterworfen. Der in der Re- torte verbliebene Rest der Flüssigkeit, welcher also das Sulfat d^ flüchtigen Basis enthielt, wurde durch Eindampfen concentrirt und zuletzt im Wasserbade zur Trockene gebracht. Es resultiite eine weisslich graue Salzmasse, die später weiter untersucht wurde. Das durch Destillation mit Schwefelsäure erhaltene Destillat wurde der fractionirten Destillation unterworfen und dadurch noch etwa 1 Grmm. Oel gewonnen; dagegen wurde in diesem Destillate weder Aethyl- noch Methylalkohol aufgefunden. B. Reife Frfichte vom Sommer 1873. Da es für die Wissenschaft, namentlich für die Physiologie ohne Zweifel von Interesse ist, nicht allein gemeinhin die Produkte des Protoplasmas kennen zu lernen, sondern auch dieselben in den Das Vorkommen des Aetfaylalkohols im PflaBzenreiche. 171 verschiedenen Stadien des Wachstbums der betreffenden Individaen zu erforschen, so wurde nunmehr eine Portion der „reifen" Früchte des Heraclemn giganteum eingesammelt, namentlich in der Absicht zu konstatiren, ob auch in diesen die flüchtigen Bestandtheile — Aethylalkohol und Methylalkohol — noch vorhanden seien, welche sich in den nicht völlig reifen Früchten vorgefunden hatten. Zu diesem Zwecke wurden 47« Kilo reifer, zum Theil auch trockner Früchte in einer Destillirblase mit 16 Kilo Wasser über- gössen eine Nacht macerirt und dann unter denselben Vorsichts- maassregeln, wie bei der Untersuchung der unreifen Früchte ange- geben, der Destillation unterworfen. 1. Das Destillat Von dem etwa 11 Kilo wiegenden, kaum merklich sauer rea- girenden Destillate, wurde das aufschwimmende Oel mit Hülfe eines Hebers getrennt und dann ganz in der vorhin beschriebenen Weise das noch gelöste resp. suspendirte Oel durch wiederholte fractionirte Destillation gewonnen. Gegen das Ende dieser Operationen, als die zu destillirende Flüssigkeit kaum noch 100 Grmm. betrug, wurde endlich auch hier das eigenthümliche Fliessen im Kühlrohre beobachtet. Es waren also die flüchtigen Stoffe auch hier noch vorhanden, wenu auch, wie aus dem geschilderten Verhalten hervorgeht, in bedeu- tend geringerer Menge als in den nicht völlig reifen Früchten. a) Die flüchtigsten Thelle. Als die Menge des Destillats nur noch 6—7 Grmm. betrug, wurde Galciumchlorid hinzugefügt und nun das eigenthümliche Verhalten beobachtet, dass sich ein weisses, nicht zerfliessendes Pulver am Boden des Glases ablagerte. Eine nähere Untersuchung ergab, dass sich dieses unter Aufbrausen in Chlorwasserstoffsäure löste und dass das sich dabei entwickelnde geruchlose Gas Kalk- wasser trübte, mithin „Kohlensäure" war. Dieses konnte nur dadurch erklärt werden, dass diese Säure an eine flüchtige Base gebunden und mit dieser ins Destillat ge- langt sei. Zunächst wurde, zur Bestätigung dieser Vermuthung, die über dem weissen Pulver (Calcium - Carbonat) befindliche Flüssigkeit nochmals der Destillation unterworfen und dabei sowohl beobach- tet, dass bei Id'^Sb^ C. schon ein beträchtiicher Theil der Flüs- 172 H. Guticit, sigkeit überdestillirte , als auch, dass das „Destillat^^ in der That alkalische Reaction zeigte. Der im Eölbchen verbliebene wässerige Rückstand wurde nun- mehr nach dem Erkalten mit einer concentrirten Lösung von Na- triumhydroxyd versetzt und dann in einem geeigneten Destillations- Apparate gekocht. Es entwickelte sich ein stark alkalisch rea- girendes Gas, welches in chlorwasserstoffhaltigem Wasser aufge- fangen wurde. Das oben erwähnte alkalisch reagirende Destillat wurde als- dann mit einigen Tropfen verdünnter Schwefelsäure angesäuert um die Base zu fixiren, dann die flüchtigen Theile durch Destillation entfernt und der Rückstand in gleicher Weise wie vorhin ange- geben mit Natriumhydroxyd behandelt. Das sich entwickelnde Gas wurde gleichfalls in chlorwasserstoffhaltigem Wasser aufgefan- gen und dann die beiden, das Chlorid der flüchtigen Base enthal. tenden Flüssigkeiten vereinigt und im Wasserbade zur Trockne eingedunstet. Das so erhaltene Salz wurde später weiter unter- sucht. — Das nach der Neutralisation mit Schwefelsäure erhaltene Destil- lat wurde zur bessern Isolirung der flüchtigen Bestandtheile neuer- dings mit Galciumchlorid versetzt. Dieses löste sich vollständig auf. Darauf wurde die Lösung der fractionirten Destillation unter- worfen und das Destillat so oft über Aetzkalk rectifizirt, bis der- selbe auch nach vielstündiger Erwärmung nicht mehr zerfiel. Die so dargestellte, völlig entwässerte Flüssigkeit wog 1,^ Grmm., betrug also nur 0,^1 Vo der angewandten Früchte. In ihren äussern Eigenschaften zeigte sie grosse Aehnlichkeit mit der aus den unreifen Früchten erhaltenen Flüssigkeit; doch lag ihr Siede- punkt bedeutend niedriger, nämlich zwischen 66 und 72® C. Sie konnte daher vorzugsweise nur aus „Methylalkohol'' bestehen. 0, , 7 , o Grmm. Substanz gaben beim Verbrennen mit Kupfer- uxyd 0,25,5 Grmm. CO* und 0,,93o Grmm. H*0 ent- sprechend 0,0685»! C- lind 0,0 a, 111 H. Berechnet: Gefuuden: Berechnet: C = 37„ 40„ C» = 52„ H* = 12,5 12,5 H« = 13,0 0 = 50.0 - 0 = 34,8_ 100,0 10Ö,o Aus diesem Resultate geht hervor, dass etwa Vt- ^^^ Flüssig- keit aus Methylalkohol besteht und nur '/» <^us Aethylalkobol, Das Vorkommen des Ae^hylalkohols im Pflanzenreiche. 173 weshalb eise Trennung nicht versucht wurde, da die zu Gebote stehende geringe Menge diesem Zwecke nicht genügen konnte. b) Das flüchüge Oel. Die Qesammtmenge des Oels wog 83,^ Grmm., betrug mithin 2 Vo der angewandten Früchte. Ausserdem standen noch 32,^ Grmm. desselben Oels zur Verfügung die bei einer früher unter- nommenen Destillation erhalten waren. Durch geeignete fractionirte Destillation wurde aus dem vereinigten Gele der von 130 — 170* C. siedende Antheil gewonnen und dieser dem entprechenden, aus unreifen Früchten gewonnenen Gele, analog behandelt. Das Gewicht desselben betrug 8,o Grmm., also nur 7,, Vo des gesammten Oels. Die vollständige Zersetzung der Aether wurde durch lOstün- diges Kochen mit 100 Grmm. einer 50% wässerigen Natrium- hydroxydlösung bewirkt. Nachdem darauf die Alkohole durch Destillation von den entstandenen Natriumsalzen getrennt waren, wurden Destillat und Rückstand untersucht. a] Uie (lurcli Zersetzung der zwischen 180 und 170* (\ siedenden Fraction eutstandonen Alkohole. Aus dem Destillate wurden, analog dem früher augewandten Verfahren, mit Hülfe 3es Hebers, der fractionirten Destillation und des Calciumchlorids etwa 3 Grmm. einer dünnen öligen, ange- nehm riechenden Flüssigkeit abgeschieden, welche mit der aus den nicht völlig reifen Früchten dargestellten völlig identisch schien; aber ebenfalls ihrer geringen Menge wegen für jetzt nicht weiter untersucht werden konnte. Die letzten Reste der wässerigen Flüs- sigkeit brannten mit blassbläulicher Flamme, verhielten sich über- haupt wie gewässerter Weingeist; leider aber hinterblieb nach der Rectifikation über Aetzkalk, eine nur so geringe Menge Material, dass wie bei der Untersuchung der unreifen Früchte, auch hier die Gegenwart eines „Aethyläthers'' in dem Gele nur qualitativ, nicht quantitativ nachgewiesen werden konnte. ß) Die entstandenen Natriumsalze. Wieder wurde das Verfahren der fractionirten Sättigung ver- werthet, nachdem in gleicher Weise wie früher, mittelst Schwefel- säure die flüchtigen Säuren in Freiheit gesetzt und dann durch Destillation von dem entstandenen Natrium - Hydrium - Sulfat ge- trennt waren. Auch jetzt wurde je ein Drittel der vorhandenen Säure mit Natrium*Carbonat neutralisirt, also ebenfalls drei Salz- 174 H. GutzeU, Portionen erhalten. Die mit denselben ausgeführten Natrium-Be- stimmungen gaben folgende Resultate: ^' ^»14 10 Grmm. bei 135<>C. getrocknetes und vorsichtig ange- schmolzenes Salz (der Verlust beim Schmelzen betrug 0,0000) lieferten 0,^752 Grmm. Natrium -Carbonat, entsprechend 0,03263 1 Grmm. = 22,^7^, Natrium. H- ^»16 88 Grmm. in gleicher Weise präparirtes Salz (der Ver- lust beim Schmeben betrug 0,ooo8 Grmm.) lieferten 0,0705 Grmm. Natrium - Carbonat , entsprechend 0,033, Grmm. r= 20,3 Vo Natrium. III. 0,,3 75 Grmm. in derselben Weise behandeltes Salz (der Verlust beim Schmelzen betrug hier nur 0,0001 Grmm.) lieferten 0,oe8o Grmm. Natrium - Carbonat , entsprechend Ö»o2«5oo Grmm. = 21,5% Natrjum. Berechnet: Gefunden: C*H»0» = 79,5 I iT^^II Na = 20,5 22,« 20,3 21„ 100,0 Da Natrium- Acetat 28 7ü Natrium verlangt, so lehren die erhal- tenen Zahlen, dass der bis 170" C. siedende Aether der reifen Heracleum - Früchte , gleichwie der aus den nicht völlig reifen Früchten, fast reines „Butyrat" ist, dass mithin der durch Zer- setzung des Aethers aufgefundene Aethylalkohol höchst wahr- scheinlich als „Aethyl-Butyraf' in dem Oele vorhanden gewesen ist. Das gesammte Gewicht der Salzmengen betrug etwa 3,^ Grmm., nachdem sie im Wasserbade ausgetrocknet waren. Wird das Salz mit verdünnter Schwefelsäure übergössen, so sammeln sich an der Oberfläche der Flüssigkeit ölige Tropfen, welche ungemein stark nach „Buttersäure" riechen. — 2. Das in der Destillirblase Zurückgebliebene. Der stark sauer reagirende Inhalt der Blase wurde ganz in derselben Weise behandelt, wie es bei Untersuchung der nicht völlig reifen Früchte der Fall gewesen ist und sind auf diese Weise auch mehr oder weniger dieselben Resultate erzielt; denn erstens wurde ein Natriumsalz dargestellt, resp. ein Gemenge von Nartriumsalzen, deren Untersuchung noch nicht beendet ist. Zwei- tens wurde ebenfalls das Salz einer flüchtigen Base gewonnen, über dessen Untersuchung ich weiter unten berichten werde. Drittens endlich wurde noch eine geringe Quantität ätherisches Das Vorkommen des Aethjlalkohols im Pflanzenreicbe. 175 Oel erhalten, dagegen das Vorbandensein von Aethyl- oder Methyl- alkohol hier nicht mehr konstatirt — Ein vergleichender Bückblick auf die ausgeführten Unter- suchungen zeigt einige interessante Thatsachen. Erstens nämlich die Vermehrung des ätherischen Oels in den reifen Früchten; denn während in diesen 2,o7o enthalten waren, ergaben die nicht völlig reifen Früchte nur 0,5 6 Procent, also fast nur den vier- ten Theil; doch ist dieses theilweise natürlich darin begründet, dass die nicht völlig reifen Früchte einen bedeutend höhern Was- sergehalt besitzen. Zweitens ergiebt sich unzweifelhaft, dass das Gewichtsverhältniss der Verbindungen mit niederem und höherem Kohlenstoffgehalt ein wechselndes ist, es scheint, dass im Verlauf des Wachsthums die ersteren mehr und mehr verschwinden. Diese Thatsache geht hervor, erstens schon durch einen Vergleich von den Gewichten der niedrigst siedenden Antheile des Oels mit den der höher siedenden Antheile; denn bei den nicht völlig reifen Früchten betrug die Fraction 130—170" C. 10,o Procent des ge- sammten Oels; dagegen bei den reifen Früchten nur 7,i Proc. und zweitens in recht treffender Weise aus dem Gewichtsverhält- niss des Aethyl- und Methylalkohols zu dem des ätherischen Oeles. In den nicht völlig reifen Früchten haben wir das Verhältniss der Alkohole zu Letzterem wir 5,2:35 also 1:7; in den reifen Früchten dagegen wie 1,8 : 83 also 1 : 46 '). — Demnach scheint es, als ob in den Früchten zunächst Ver- bindungen mit niederem Kohlenstoffgehalt sich bilden, die später zum Aufbau derjenigen mit höherem Kohlenstoffgehalte verwendet werden. Dadurch würde es auch erklärlich werden, dass die Gegenwart von Aethylverbindungen im Pflanzenreiche so lange verborgen bleiben konnte, trotzdem das Vorkommen derselben keineswegs ein vereinzeltes ist, wie die weiteren, nachfolgend mit- getheilten Untersuchungen beweisen. Sehr auffallend und mit den oben aui^geführten Betrachtungen nicht 80 recht übereinstimmend, ist das Gewichtsverhältniss des Methylalkohols zum Aethylalkohol ; denn während der letztere in den nicht völlig reifen Früchten bedeutend vorherrschte, über- wiegt der erstere in den reifen Früchten beträchtlich. — 1) Nach nouereu Unteräuchangen ganz junger Früchte, deren Resultate weiter unten mitgetheilt sind, fand sich sogar das Verh&Itniss 44 : 76 also 1 : 2 etwa. Ein Gemisch reifer und unreifer Früchte ergab das Verhältniss 9:83 also 1 : 1). 176 H- Gutzeit, C. Die Doldenstiele zur Zeit der Frachtreife« Da die reifen Früchte eine so bedeutende Ausbeute an ätherischem Oele geliefert hatten, so lag die Vermuthung nahe, dass auch die mit ihnen verbundenen Doldenstiele nicht ganz frei von Oel sein würden und wurde deshalb auch eine Untersuchung dieser vorgenommen. 600 Grmm. Doldenstiele, von welchen alle Früchte mit gros- ser Sorgfalt entfernt waren, wurden in einem geeigneten Destillir- apparate mit 8 Kilo Wasser der Destillation unterworfen; doch zunächst nur 2 Kilo Flüssigkeit abdestillirt. Alsdann wurden sie mit dem Reste der Flüssigkeit eine Nacht der Maceration überlassen und darauf abermals 2 Kilo Flüssigkeit abdestillirt. Die vereinigten Destillate entsprachen der Erwartung keines- wegs, denn sie zeigten nur eine sehr dünne Oelschicht oder eigent- lich nur einige aufschwimmende Oeltropfen. Durch fractionirte Destillation dieser, weder blaues noch geröthetes Lakmus verän- dernden Flüssigkeit, gelang es, die geringe Quantität des Oels zu isoliren; doch betrug die Menge derselben, trotz aller Vorsicht, schliesslich kaum einen Grmm., konnte also für eine eingehende Untersuchung nicht verwerthet werden. — In seinen äusseren Charakteren stimmte es mit dem aus den Früchten gewonnenen Oele völlig überein. Bevor die Isolirung des Oels mittelst der fractionirten Destil- lation völlig beendet war und die zu destillirende Flüssigkeit übrigens kaum noch 30 Grmm. betrug, veranlasste ein eigen- thümlicher, unangenehmer Geruch des Oels, nochmals die Reaction gegen Lakmus zu prüfen und nun fand'sich, dass geröthetes Papier stark gebläut wurde. Die Flüssigkeit wurde deshalb mit ver- dünnter Schwefelsäure angesäuert und darauf wieder destillirt. — Beim Ansäuern mit Schwefelsäure, von welcher übrigens nur einige Tropfen ^forderlich waren, erfolgte Kohlensäure-Entwicke- lang. — Das Destillat hatte nunmehr den unangenehmen Geruch verloren und reagirte neutral. Der im Kölbchen verbliebene Rückstand , welcher also das Sulfat der im^ wässerigen Destillate enthaltenen Base enthielt, wurde, gleichwie die bei Untersuchung der Früchte erhaltenen Salze der flüchtigen Basen, näher untersucht. Die Resultate die- ser Untersuchungen werden gleichsam als Anhang weiter unten mitgetheilt Das Yorkommeu des AethylalkoholB im Pflanzenreiche. 177 D. Junge Frftchte Tom Sommer 1874« Diese Untersuchung wurde lediglich zu dem Zwecke unter- nommen, die vorstehend mitgetheilten Resultate, das Vorkommen von Aethylverbindungen im Pflanzenreiche betreffend, zu bestätigen. Da nun die frühere Untersuchung gezeigt hatte, dass die Menge der Aethylverbindung bei zunehmender Reife der Früchte mehr und mehr abnimmt, so wurden zunächst nur ganz junge, noch lange nicht ausgewachsene Früchte eingesammelt. Das Ge- wicht derselben betrug 13V4 Kilo. Sie wurden in zwei Portionen getheilt, mit etwa 40 Kilo Wasser übergössen, in der früher be- schriebenen Weise sofort der Destillation unterworfen und diese, unter sergfaltiger Abkühlung des Destillats^ so lange fortgesetzt, bis das flüchtige Oel vollständig überdestillirt war. Destillate und Rückstände zeigten wieder die früher bemerkten Eigenschaften, denn die Letzteren reagirten stark sauer, während blaues Lakmus- papier von Ersteren nur sehr schwach geröthet wurde. Die vereinigten Destillate wurden, analog dem früher ange- wandten Verfahren, der fractionirten Destillation unterworfen und nach jeder Destillation das au&chwimmende Oel sorgfaltig getrennt. Die Menge des so gewonnenen Oels betrug 76 Ormm. = 0,^ Procent vom Gewichte der Früchte. Bei diesen Destillationen wurde das früher beobachtete Verhalten, welches eben zur Ent- deckung der Alkohole geführt hatte, schon sehr frühzeitig be- merkt; denn als das Destillat noch etwa 1000 Grmm. betragen mochte, konnte bereits das Vorhandensein einer Flüssigkeit, welche specifisch leichter als Wasser ist und einen niedrigem Siedepunkt besitzt, mit Sicherheit erkannt werden. Die Reaction des Destil- lats war *zu dieser Zeit noch immer eine schwach saure und wurde daher zur Entfernung der flüchtigen Säuren etwas Natrium-Garbo- nat zugefügt und dann weiter fractionirt. Das nunmehr erhaltene Destillat reagirte dagegen schwach alkalisch — wieder analog dem früher beobachteten Verhalten — und wurde daher mit einigen Tropfen verdünnter Schwefelsäure versetzt, abermals destilUrt. Die so erhaltene, etwa noch 150—200 Grmm. wiegende Flüssig- keit wurde in einer , mit Rückflusskühler und Thermometer ver- bundenen Kochflasche vorsichtig mit Aetzkalkstückchen behandelt. Nachdem dann der Kalk vollständig zerfallen war, wurde die Flüs- sigkeit abdestillirt, mit dem Destillate dieselbe Operation wieder- holt und dieses Verfahren so lange fortgesetzt, bis die Flüssigkeit vollständig wasserfrei geworden, bis nämlich auch nach mehrtägi- 178 H- Gutzeit, ger Einwirkung bei 74® C. der Aetzkalk durchaus unverändert geblieben war. Die so isolirte flüchtige Substanz, welche den früheren Resul- taten entsprechend ein aus Aethylr und Methylalkohol bestehen- des Gemisch sein musste, wog 44,o Grmm., betrug also 0,33 Proc. der Früchte und siedete zwischen 74 und 78® C. Demnach war sie zum grössten Theile Aethylalkohol , auch verhielt sie sich in sonstigen physikalischen Eigenschaften diesem ebenfalls sehr ähnlich. Die Elementaranalyse lieferte folgende Resultate: 0,22 7 8 Grmm. Substanz gaben 0,2 6? s Grmm. H^O und 0,€oeo Grmm. CO*, entsprechend 0,029722 Grmm. H. und 0,110797 Grmm. C. Berechnet: Gefunden: Berechnet: C» = 52,J 48,* C = 37,« H« _ 13,0 13,0 H* = 12,6 0 — 34,8 — 0 50,0 100,0 100,0 Zur Isolirung des Aethylalkohols wurde wieder die fractionirte Destillation angewendet und diese, mit Hülfe eines Wasserbades und eines LiEBia'schen Kühlers in der Weise ausgeführt, dass die Flüssigkeit zunächst bei niedriger Temperatur (50—60® C.) län- gere Zeit der Verdunstung überlassen und das erhaltene Destillat für sich aufgehoben wurde. Alsdann wurde vorsichtig so lange destillirt, bis das Thermometer über 78® C. anzeigte und darauf der Rest der Flüssigkeit, welcher zwischen 78 und 79** C. siedete, also wahrscheinlich nur Aethylalkohol war, für sich aufgefangen. Mit dem Mittelgliede wurde dieselbe Operation wiederholt und in die- ser Weise die Fractionirung fortgeführt, bis das Mittelglied fast verschwunden war. — Das Gewicht der so isolirten höchst siedenden Flüssigkeit, betrug 2ö Grmm. Dieselbe wurde, um sie von etwa aus der Luft aufgenommenem Wasser wieder zu befreien, mit Aetzkalkstückchen zusammen in einem mit Rückflusskühler versehenen Kölbchen 48 Stunden erhitzt und dann durch Destillation vom Kalk getrennt. Die so gereinigte und entwässerte Flüssigkeit erwies sich in der That als „Aethylalkohol; denn erstens lag ihr Siedepunkt bei 78,2« C, Aethylalkohol siedet nach Gat-Lüssac *), nach Kopp*) und 1) Gat-Lü88Ac, Gxslin's Handbach der Chemie. lY. Bd. S. 551. 2) Kopp, GicBtiK's HaDidbucli der Chemie. Stippl. Bd. S. 157. Das Vorkommen des Aethyklkofaols im Pflanzenreiche. 179 nach VON Baumhaxjbr') unter einem Druck von 760 mm. bei 78,1^ C. ; nach Mbndelbjeff bei 78,3® C.*). Zweitens hatte sie bei 14^ C. das specifische Gewicht 0,7f i, bei 0® = 0,8 03, bezogen auf Wasser, dessen specifisches Gewicht bei 4^ C. = 1,000 angenommen ist. Das specifische Gewicht des Aethylalkohols ist nach Kopp bei 15,5® C. = 0,7 030, bei 0** =: 0,8oo3»); nach Mbnbb- LBjBPF bei 15° C. = 0,ro37, bei 0*^ = 0,«o62*); nach von Baümhaube bei 15® C. = 0,7 04o*). Drittens lieferten 0,2 so Grmm. der Flüssigkeit beim Verbrennen mit Kupferoxyd 0,o3i& Grmm. CO' und 0,3304 Grmm. H^, ent* sprechend 0,144011 Grmm. C. und 0,oso7ii Grmm. H. Berechnet: Gefunden: Berechnet: C = 52,3 51,g C = 37,5 H* = 13,0 13,, H* = 12,5 0 = 34,8 — 0 = 50,0 100,0 100,0 Viertens wurde aus einem Theile der fraglichen FIflssigkeit mittelst Jod und Phosphor die Jodverbindung dargestellt und diese durch ihre Eigenschaften und durch die Elementaranalyse mit Sicherheit als „Aethyl-Jodid" erkannt. — Behufs Darstellung der Jodver- bindung wurde das LAUTSMANM'sche Verfahren ^) zur Gewinnung des Aethyljodids gewählt, nach welchem Jod und Alkohol nach und nach durch den Tubulus einer kalt gehaltenen Retorte mit Phos- phor versetzt werden; doch wurde, um möglichst grosse Ausbeute zu erzielen, nicht das von diesem Chemiker empfohlene Gewichts- verhältniss — gleiche Theile Jod und Alkohol — angenommen; sondern den Angaben Rxbth's und Bbilotbin's ^) gemäss und der Formel 5 J-f P-f 6C» H«0 =5C» H» J-1"P0«G»H»H« + 2H'0 ziemlich entsprechend, zu 5 Grmm. der zu untersuchenden Flüssig- keit 10 Grmm. Jod gegeben und nach und nach der nöthige Phos- phor, etwa 1 Grmm. zugefügt Nach beendeter Einwirkung wurde aus dem Wasserbade ab- destillirt, dann das Destillat zuerst mit Natriumhydroxyd haltigem, darauf mit reinem Wasser völlig ausgeschüttelt und endlich zur Entfernung der letzten Theilchen Wasser einige Tage mit Galcium- 8) voK Baumhaübb, Pharm. Zeitung. Bunzlau d. 2. Juli 1670. 4) Mbndblsjetf, Zeitschrift fOr Chemie 1866. S. 257. 5) Lautuc^wk, Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 118. 8. 841. 6) RxBTH a. BuLBTUH, Auial. d. Ohem. o. Phana. Bd. 126. 8. 260. 180 H- Gutzeit, Chlorid in Berührung gelassen. Die dann abdestillirte, 10 Grram. wiegende, stark lichtbrechende Flüssigkeit, war farblos, hatte den Geruch des Jodäthyls und siedete zwischen 70 und 72' C. — Aethyljodid siedet bei 72® C. *); nach Frankland*) bei 71, g" C. unter 746 mm. Druck; nach Pibbre') bei 70^ C. unter 751,7 mm. Druck. Durch fractionirte Destillation gelang es leicht, daraus einen bei 72® C. siedenden Antheil zu isoliren. 0,5^09 Grmm. dieser Fraction lieferten 0,,a,4 Grmm. Wasser, entsprechend 0,oig.m Grmm. =: 3,a Procent Wasserstoff und 0,3 2» 0 Grmm. Kohlensäure, entspre- chend 0,0 8 8,3 5 Grmm. := 15,, Procent Kohlenstoff. 0,50 1^ Grmm. Substanz gaben 0,9457 Grmm. Argentijodid, entsprechend 0,,5 7 Grmm. :i= 81,, Procent Jod. Berechnet G( üfunden Berechnet C - 15,1 15„ C- 8,. H»= 3„ 3,2 H»- 2,. J = 81,4 81,4 J — 89,, 100,0 99„ lÖO,o E. Theils relfe^ theils unreife Früchte vom Sommer 1874. Zu dieser Untersuchung wurden sämmtliche, mir noch zur Verfügung stehenden Früchte dieser PiSanze verwerthet. Zum Theil befanden sie sich in dem Reifezustande, wie die im Sommer 1873 gesammelten nicht völlig reifen Früchte ; doch war ein gros- ser Theil auch bereits völlig reif geworden, während eine andere Portion sich im Gegentheil noch in einem bedeutend jüngeren Entwickelungszustande befand. — Die Menge derselben betrug 6V2 Kilo. — Durch Destillation mit Wasser, welche in gleicher Weise und mit denselben Vorsichtsmaassregeln wie früher ausgeführt wurde, sind daraus die flüchtigen Bestandtheile abgeschieden worden. Aus dem Destillate wurde dann, gleichfalls nach dem früher ange- wandten Verfahren, mittelst Heber und fractionirter Destillation das flüchtige Oel abgesondert und dabei ganz dieselben Erscheinun- gen bemerkt, wie sie bei den früher ausgeführten Untersuchungen beobachtet waren. Auch hier wurde dem entsprechend eine unter 1) Woehlbb's Grundriss d. org. Chemie, bearbeitet von Fittiq. 1874. S. 39. 2) Fbanxland, Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 71. S^ 171. S) PixBBS, Jahresbericht der Chemie 1847—1848. S. 61. ■?— g=awi— ^ Das Yorkommeii des Aetbylalkohols im Pflanzenreiche. igl 100^ C. siedende Substanz aufgefunden und diese durch fractionirte Destillation und durch geeignete Behandlung mit Aetzkalk voll- ständig entwässert. Die Menge des gewonnenen Oels betrug 83 Grmm. = l,s Proc. der Früchte und die Menge der unter 100<^ G. siedenden Flüssigkeit 9 Gnnm. =0,14 Proc. der Früchte. Letztere docu- mentirte sich durch ihre physikalischen Eigenschaften, sowie durch ihr Verhalten gegen Reagentien, wieder als ein Gemisch aus Aethyl- alkohol und Methylalkohol, denn sie siedete zwischen 72,6 und 78® C. und 0,3 1 1 6 Grmm. dieser Flüssigkeit lieferten beim Verbrennen mit Kupferoxyd 0,3 • i o Grmm. Wasser, entsprechend 0,o lo 1 1 1 Grmm. =z 12,9 Proc. H und 0,5 in Grmm. Kohlensäure, entsprechend 0,11 7 6S6 Grmm. = 47, i Proc. Kohlenstoff. — Berechnet: Gefunden: Berechnet: G» n 52,2 47,1 C = 37,6 H« = 13,0 12,» H* = 12,6 0 = 34,8 • — 0 zu 50,0 " lÖÖ,o 100,0 Durch fractionirte Destillation, welche in der oben mitgetheilten Weise ausgeführt wurde, gelang es, daraus einen Antheil zu iso- liren, der ganz bestimmt „AethylalkohoP^ war; denn nach voll- ständiger Entwässerung siedete derselbe bei 78, i® C. und hatte bei 15,8® C. das spec. Gewicht: 0,7 »2 6, bei (fl C. das spec. Gewicht 0,80 5 5 — fast übereinstimmend mit den Kopp'schen Zahlen für Aethylalkohol: „78, 1® C. Siedepunkt unter 760 mm. Druck, sowie 0,8083 spec. Gewicht bei 0® C." — Beim Verbrennen mit Kupfer- oxyd lieferten 0,2150 Grmm. dieser Fraction 0,2915 Grmm. Was- ser, entsprechend 0,0023 89 Grmm,. = 13,« Proc. Wasserstoff und 0,10 7 8 Grmm. Kohlensäure, entsprechend 0, 127415 Grmm. := 51,9 Proc. Kohlenstoff. Berechnet: 6< sfunden: Berechnet: C» — 52, i 51,» C = 37,» H« = 13,0 13,1 H* = 12,» 0 — 34,8 0 _ 50,0 ' 100,0 100,0 Diese Untersuchungen haben mitbin die Anwesenheit von Aethylverbindungen in den Früchten des Heracleum giganteum, sowie das Vorkommen von „Aethylalkohol^^ in einer von nicht ge- gohrenen Pflanzentheilen abdestillirten Flüssigkeit ausser Zweifel gestellt; doch ist es noch fraglich geblieben, ob der gefundene Ud. JX, N. F. It J3 182 H. Gutseit, Aethylalkohol als solcher in den Früchten enthalten war, oder aber in der Form von Aethem, die sich bei der Destillation zersetzt hatten. Zur Entscheidung dieser Frage werde ich weitere Unter- suchungen anstellen sobald mir frisches Material zur Verfügung stehen wird. — Zum Schlüsse dieser Arbeit glaube ich noch besonders her* vorheben zu müssen, dass die weiter oben bereits mitgetheilte, bei den früheren Untersuchungen gemachte Beobachtung, nach welcher bei zunehmender Reife der Früchte die Menge der Methylver- bindung ziemlich konstant zu bleiben scheint, oder besser ausge. drückt, dass dieselbe im Verhältniss zur Aethyl Verbindung zu- nimmt, indem diese letztere mehr und mehr schwindet, wahr- scheinlich weil sie zum Aufbau höherer Eohlenstofifverbindungen dient, auch bei diesen letzten Untersuchungen Bestätigung gefun- den bat; denn wollte man an Verdunstung denken, so müsste die flüchtigere Methylverbindung erst recht fortgehen. — Eine ver- gleichende übersichtliche Tabelle über Ausbeute und Siedepunkte wird das Gesagte beweisen: 13"/4 Kilo sehr junge Früchte lieferten 44, o Grmm. = 0,33 Proc. zwischen 74 und 78® C. siedendes Alkoholgemisch. 6 Vi Kilo theils reife, theils unreife Früchte lieferten 9,o Grmm. = 0,14 Proc. zwischen 72,5 und 78® C. siedendes Alkoholge- misch. 6V4 Kilo nicht völlig reife Früchte lieferten 5,2 Grmm. = 0,0 • Proc. zwischen 72 und 77® C. siedendes Alkoholgemisch. 47» Kilo reife Früchte lieferten 1,8 Grmm. =: 0,o4 Proc. zwi- schen 66 und 72® C. siedendes Alkoholgemisch. F. Die aus der flüchtigen Base dargestellten Salze. 1. Das aus den nicht völlig reifen Früchten dargestellte Sulfat. Die Menge desselben betrug 10,o Grmm., also waren aus 1 Kilo der angewandten Früchte 1,6 Grmm. dieses Salzes gewonnen. Es wurde höchst fein zerrieben, mit einer Mischung aus drei Thei- len absoluten Alkohols und einem Theile Aether zwei Tage unter häufigen Umschütteln digerirt. Alsdann wurde durch Filtration die Lösung von dem Nichtgelösten getrennt, aus ersterer durch Destillation der Aether- Alkohol wieder gewonnen und mit diesem das nicht gelöste Salz abermals digerirt. Diese Operation wurde Das Vorkommen des Aethylalkohols im Pflanzenreiche. 183 noch ein drittes Mal wiederholt Trotz dieser anhaltenden Dige- stion waren nur Spuren des Salzes in Lösung gegangen. Der nicht gelöste Antheil bestand lediglich aus „Ammonium-Sulfat^S wie die mit demselben angestellten Reactionen unzweifelhaft darthaten, und konnte daher ein weiteres Interesse nicht bieten. Der gelöste Antheil hatte eine etwas bräunliche Farbe. Ein Pröbchen davon entwickelte, mit Natronlauge übergössen, ein Gas, welches stark nach Ammoniak roch und nebenbei einen geringen unangenehmen Geruch besass. Mit Chlorwasserstoff bildete dieses Gas starke weisse Nebel. Der Rest dieses Salzes wurde durch Destillation mit Natronlauge, Auffangen des Destillats in chlorwasserstoffhalti- gem Wasser und Eindampfen dieser Flüssigkeit im Wasserbade gereinigt. Das so erhaltene Chlorid war vollkommen weiss. Es wurde in wenig Wasser gelöst, diese Lösung mit Platini-Chlorid versetzt, dann im Wasserbade zur Trockne gebracht und endlich das überschüssig zugesetzte Platini-Chlorid mit absolutem Alkohol entfernt. — Es hinterblieben 0,373 Grmm. Platindoppelsalz. Da vielleicht ein wesentlicher Antheil des gebildeten Doppelsalzes im Alkohol gelöst sein konnte, so wurde der Alkohol durch Destillation ent- fernt und der Rückstand mit Natronlauge behandelt, doch ohne den erwarteten Erfolg. Ein Pröbchen des erhaltenen Doppelsalzes wurde ebenfalls mit Natronlauge zersetzt und dabei fast nur Ammoniak-Geruch wahr- genommen. Ein anderes Theilchen wurde unter das Mikroskop gebracht, doch waren ausgeprägte Formen nicht vorhanden — nur zeigten sich hier und da Octaederflächen. Ein drittes Theilchen wurde mit Wasser erhitzt. Es löste sich darin auf und beim Erkalten schied sich dann das Doppelsalz in schönen, wohl ausgebildeten Krystallen aus und in solcher Grösse, dass sie schon mit unbe- waffnetem Auge als reguläre Octaeder erkannt werden konnten. Das Doppelsalz war demnach nur gewöhnlicher Platinsalmiak, ver- mischt mit einer Spur vielleicht eines andern Salzes. Diese Ansicht wurde durch die quantitative Analyse vollkommen bestätigt; denn 0,198 Grmm. des Salzes lieferten beim Glühen 0,i3i Grmm. metal- lisches Platin, entsprechend 44,o Proc. Die Formel (NH*)» Pt Gl* verlangt 44,« Proc. Die aus den nicht völlig reifen Früchten des Heracleum gigauteum durch Destillation mit Natriumhydroxyd in Freiheit gesetzte flüchtige Base war demnach „Ammoniak*'. 18* 184 , H. Gutzeit, 2. Das Chlorid, welches bei der Fractionirung der aus reifen Früchten durch Destillation mit Wasser erhal- tenen Flüssigkeit gewonnen war. Dieses Salz wurde an der Luft etwas feucht. Die ganze Menge desselben wurde in das Platindoppefsalz verwandelt und sowohl der nach Behandlung mit absolutem Alkohol erhaltene Rückstand, als auch die Lösung untersucht. 0,3 8 5 Grmm. des in Alkohol nicht löslichen Platindoppelsalzes gaben 0,1435 Ormm. entsprechend 42,9 Procent Pt. Zum grössten Theile war demnach das unter- suchte Doppelsalz Ammonium-Platini-Chlorid; doch nicht allein, denn dieses verlangt 44,a Procent Platin. Der lösliche Theil des Platinsalzes wurde mit Natronlauge der Destillation unterwor- fen und das Destillat in chlorwasserstoffhaltigem Wasser ange- fangen, dann diese Flüssigkeit im Wasserbade eingedampft. Es hinterblieben Spuren eines Salzes, mit welchem seiner geringen Menge wegen Reactionen nicht angestellt werden konnten. 3. Die aus den reifen Früchten durch Destillation mit Natronlauge in Freiheit gesetzte flüchtige Base. Das erhaltene Sulfat wog ll,^ Grmm. 1 Kilo der reifen Früchte gab also 2,g Grmm., das ist 1,, Grmm. mehr als die un- reifen Früchte. Es wurde sorgfältig zerrieben und dann wieder- holt mit einem Gemisch aus 3 Theilen absoluten Alkohols und 1 Theile Aether macerirt. Der Rückstand erwies sich, wie bei den unreifen Früchten, als Ammonium-Sulfat. Von dem Filtrate wurde der Aether-Alkohol abdestilUrt und dann der Rückstand im Was- serbade eingedunstet. Es hinterblieb nur eine sehr geringe Menge und diese wurde an der Luft zwar feucht, doch zerfloss sie kei- neswegs, bestand mithin wahrscheinlich zum grössten Theile aus Ammonium-Sulfat. Beim Uebergiessen einer Probe mit Natron- lauge entwickelte sich übrigens neben Ammoniak ein der Härings- lake ähnlich riechendes Gas, so dass auf Anwesenheit einer Spur von Trimethylamin geschlossen werden konnte. Um dieses mög- lichst zu isoliren, wurde zunächst das nicht ganz weiss aussehende Salz durch geeignete Behandlung mit Natronlauge und Chlorwasser- stoff in das Chlorid übergeführt, dieses völlig getrocknet und mit Alkohol digerirt Die Lösung wurde darauf mit Platini - Chlorid versetzt und das entstandene, in Alkohol nicht lösliche Doppelsalz analysirt. — Ein in Alkohol lösliches Doppelsalz war nicht gebil- det worden. — O,^©»? Grmm. dieses Salzes lieferten 0,0042 Grmm., Das Yorkonunen des Aethylalkohols hn Pflanzenreiche. 185 entsprechend 43,, Proc. metallisches Platin*); mithin war auch die so sorgfaltig isolirte Salzmenge fast nar Ammoniumsalz, die durch Natronlauge aus den reifen Früchten in Freiheit gesetzte flüchtige Base, wie bei den nicht völlig reifen Früchten, also we- sentlich nur „Ammoniak'\ 4. Das aus den Doldenstielen dargestellte Sulfat. Das Sulfat wurde mit Natronlauge destillirt, das Destillat in chlorwasserstoffbaltigem Wasser aufgefangen und diese Flüssigkeit im Wasserbade eingedunstet. Das so erhaltene weisse Chlorid wog reichlich einen Grmm. Es wurde an der Luft nicht feucht. -— Dasselbe wurde mit Aether-Weingeist wiederholt digerirt, von der Lösung das Lösungsmittel abdestillirt, der Rückstand in wenig Wasser aufgenommen und im Wasserbade abermals eingeduustet. Das so erhaltene Salz wurde ebenfalls an der Luft nicht feucht. Es wurde in wenig Wasser wieder gelöst, mit Platini-Chlorid ver- setzt, dann im Wasserbade eingedunstet und das rückständige Salz mit Alkohol extrahirt. Der in Alkohol lösliche Theil wurde, nach Entfernung des Alkohols, mit Natronlauge destillirt, das Destillat in chlorwasserstoffbaltigem Wasser aufgefangen und dann diese Flüssigkeit im Wasserbade eingedunstet. Es hinter- blieb kaum die Spur eines Rückstandes, mithin hatte sich ein in Alkohol lösliches Platindoppelsalz nicht gebildet. Das in Alkohol nicht lösliche Doppelsalz ergab bei der Analyse folgendes Re- sultat: 0,10,5 Grmm. desselben lieferten 0,0145 Grmm., entspre- chend 43,1 Procent metallisches Platin-, mithin war die fragliche Base auch hier wesentlich nur „Ammoniak". n. üntersuchimg der Früclite von Pastmaca sativa L. Während der Untersuchung der Heracleum-Früchte im Som- mer 1873 war mir der starke Geruch der Früchte von Pastinaca sativa L. aufgefallen. Derselbe erregte um so mehr meine Auf- merksamkeit, als Pastinaca bekanntlich eine der nächsten Ver- 1) Die Formel (NH*)» Pt Ul« erfordert 44,, Procent Pt " M (^ CH«)* ^^ ^^* erfordert 41,« Proceut Pt „ „ is /Qit)a)' Pt Cl« erfordert 89,, Procent Pt „ „ iS Shv)* ^^ ^^* erfordert 87„ Procent Pt. 186 H. Gatseit, wandten des Heracleum 'ist; denn beide gehören nicht nur der grossen Familie der Doldengewächse an, sondern zählen unter diesen auch zur Gruppe der Orthospermeen und unter diesen wie- der zur Zunft der Peucedaneen. Es lag daher die Yermuthung nahe, dass die grosse Verwandt- schaft, welche hier morphologisch existirt, ebenfalls physiologisch, namentlich auch in Aehnlichkeit der mittelbaren Produkte des Protoplasma^s, sich bekunden würde. Nachdem ich bereits zur Erledigung dieser interessanten Frage eine Portion der Früchte in Arbeit genommen hatte, kamen mir die Untersuchungen van Rbnesse's') zu Händen, durch welche sie bereits theilweise und das bejahend beantwortet wurde, da dieser Chemiker in dem flüchtigen Oele von Pastinaca sativa Octyl-Butyrat nachgewiesen hatte. Für mich hatte es in Folge dessen nur noch Interesse, diese Früchte auf einen Gehalt an Methyl-, sowie vorzüglich an Aethyl- verbindungen zu prüfen, und wurden solche, wie aus den nach- folgend mitgetheilten Untersuchungs-Resultaten ersichtlich ist, auch wirklich aufgefunden. — aVs Kilo theils reifer, theils noch halbreifer Früchte wurden in einer geeigneten Destillirblase mit 15 Kilo Wasser übergössen und sofort, unter guter Abkühlung des Destillats, 6 Kilo Flüssigkeit abdestillirt Sowohl dieses Destillat, als auch der sauer reagirende Blaseninhalt wurden näher untersucht. 1. Das Destillat. Dasselbe wurde der fractionirten Destillation unterworfen; zu- vor jedoch die aufschwimmende Oelschicht mittelst eines Hebers sorgfältig getrennt und diese Operation auch nach jeder einzelnen Destillation wiederholt. Gegen das Ende der fractionirten Destil- lationen nahm das Destillat eine schwach alkalische Beaction an, die durch« einige Tropfen verdünnter Schwefelsäure beseitigt wurde. — Bei diesen, schliesslich über Calciumchlorid vorgenommenen Destillationen zeigte sich auch wieder, wie bei Untersuchung der Heracleum-Früchte, das die Anwesenheit spirituöser Flüssigkeiten anzeigende eigenthümliche Fliessen im Kühlrohre, sowie die Gegen- wart einer Flüssigkeit, welche einen niedrigeren Siedepunkt und ein geringeres specif. Gewicht besitzt als Wasser. Nachdem die zu destillirende Flüssigkeit nur noch 5 Grmm. etwa betrug, üess 1) J. J. VAN Renbsse, Annal. d. Chem. a. Pharm. Bd. 166. S. 80. Das Vorkommen des Aethylalkohols im Pflanzenreiche. Ig7 sie sich mit grosser Leichtigkeit entzünden und brannte mit blass- bläulicher Flamme. Eine weitere Rectifikation wurde zunächst nicht vorgenommen, da inzwischen noch 2 Kilo der Früchte — ebenfalls theils reife, theils halbreife — gesammelt waren und nun einer gleichen Behandlung unterworfen wurden. Bei der Destillation dieser zweiten Portion Früchte wurden ganz dieselben Erscheinungen bemerkt, welche sich bei der ersten Portion gezeigt hatten und das flüchtige Oel sowohl, als auch die niedrigst siedenden Antheile, wurden mit gleicher Sorgfalt ge- sanunelt wie früher. Als das Gewicht der flüchtigen Bestandtheile etwa noch 4 Grmm. betragen mochte, wurde konstatirt, dass sie sich äusserst leicht entzünden liessen und mit blassbläulicher Flamme brannten, sich überhaupt wie „gewässerter Weingeist" verbieten. Jetzt erst, nachdem die Gegenwart einer Spirituosen Flüssig- keit in dem wässerigen Destillate von Pastinaca sativa L. thatsäch- lieh zweimal bewiesen war, wurden die erhaltenen flüchtigsten Antheile vereinigt und gemeinschaftlich mit der grössten Vorsicht in einem mit Rückflusskühler versehenen Kölbchen in der Wärme mit Aetzkalk behandelt. Diese Operation wurde so oft wiederhohlt, bis auch nach 12- stündiger Einwirkung der Aetzkalk nicht mehr zerfallen war. Die so gewonnene dünne, wasserhelle Flüssigkeit wog 4,, Grmm., betrug also O,»^ Procent der Früchte und ihr Siedepunkt lag «bei 72— 77* C, also zwischen denen des Methyl- und des Aethylalkohols. Eine Elementaranalyse gab folgende Resultate: 0,17 72 Grmm. Substanz lieferten beim Verbrennen mit Kupferoxyd 0,2,37. Grmm. CO* und 0,2071 Grmm. H'O, entsprechend 0,osjoo9 Grmm. G. und 0,022011 Grmm. H. Die Formei C>HH) yerlÄngt: üefunden: Die Formel CH*0 verlaügt: C = 52,2 45,7 37,5 H -= 13,0 13io 12,5 0 = 34,a — 50,0 100,0 100,0 Durch oft wiederholte Rectifikation wurde aus dieser Flüssigkeit ein Antheil isolirt, der nach einer mehrstündigen Behandlung mit Aetzkalk, bei 78'' C. siedete und sich vollständig wie „Aethyl- alkohol" verhielt 0, 1 0 1 1 Grmm. davon gaben beim Verbrennen mit Kupfer- oxyd 0„rao Grmm. CO* und 0,22« 7 Grmm. H*0, entspre- chend 0,101 4fti Grmm. C. und 0,025109 Grrnun. H. 188 « H. Gutseit, Berechnet: Gefunden: C« — 52,j 53„ H* _ 13,0 ' 13„ 0 34,g 100,0 Die analysirte Substanz war also „Aethylalkohol". Das Vor- kommen von Aethylverbindungen im Pflanzenreiche ist somit durch diese Untersuchung vollständig bestätigt ivorden. Das gesammte Gewicht des durch beide Destillationen ge- wonnenen Oels betrug 40,^ Grmm. Dasselbe wurde der fractionirten Destillation unterworfen, um wie früher beim Heracleumöl, den Versuch zu machen, einen Aether des Aethylalkohols darin aufzufinden; doch wollte es mir auch nach mehrfacher Fractionirung nicht gelingen, eine wesentliche Menge eines entsprechend niedrig siedenden Antheils zu isoliren und wurde deshalb von einer Untersuchung abgesehen. Uebrigens will ich bei dieser Gelegenheit mittheilen, dass ich die Angabe van Renesse's, der grösste Tbeil des Oels siede bei 244—245® C, keineswegs bestätigen kann, vielmehr erhielt ich wesentlich folgende drei Fractionen. 17 Grmm. bei 195—210® C. (uncorrig.) siedendes Oel, 8,5 Grmm. bei 233 — 240® C. (uncorrig.) siedendes Oel und 3,5 Grmm. bei 240 — 270* C. (uncorrig.) siedendes Oel. Nach meinen Beobachtungen verhält sich demnach das Pastinaca- Oel auch in dieser Beziehung ganz ähnlich dem Heracleum-Oel. Möglicherweise haben diese nicht übereinstimmenden Resultate in den Früchten selbst ihren Grund, da van Bbnessb völlig reife Früchte untersuchte, ich dagegen ein Gemenge aus reifen und halbreifen Früchten. — Im Anschluss an diese Untersuchung will ich gleich hier hin- zufügen, dass durch die ferneie Behandlung beider Portionen der Früchte noch 14,5 Grmm. ätherisches Oel erhalten wurden, aus denen durch Fractionirung hauptsächlich folgende Mengen resul- tirten : 5 Grmm. bei 195—210® C. (uncorrig.) siedendes Oel, 4,^ Grmm. bei 233 — 240® C. (uncorrig.) siedendes Oel und 1,^ Grmm. bei 240—260® C. (uncorrig.) siedendes Oel. Dieses Oel war demnach mit dem erst erhaltenen Oele identisch und wurden also insgesammt 54,5 Grmm. ätherisches Oel gewon- Das Vorkommen des Acthylalkohols im Pflansenreiche. 189 nen = 1,| Procent der Früchte, — Wittbtbin erhielt aus 40 Un- zen frischer Früchte nur 7 Scrupel — 0,^ Procent Oel '). 2. Das in der Destillirblase Zurückgebliebene. Die sauer reagirende Flüssigkeit wurde mit Natriumhydroxyd stark übersättigt und dann abermals, unter guter Abkühlung, d«r Destillation unterworfen, zuvor jedoch in die Vorlage etwas chlor- wasserstoffhaltiges Wasser gegeben, um das nach Wittstbin in den Flüchten vorhanden sein sollende flüchtige Alkaloid zu binden. Nachdem etwa 5 Kilo Flüssigkeit abdestillirt waren und sich keine Oeltropfen mehr zeigten, wurde die Destillation als beendet angesehen, zumal auch die zuletzt übergegangenen Antheile des Destillats eine alkalische Reaction nicht mehr zeigten. Das De- stillat sowohl, als auch der die Natriumsalze der vorhandenen Säuren enthaltende Blaseninhalt wurde weiter untersucht Diese letztere Untersuchung ist jedoch zur Zeit noch nicht beendet und will ich deshalb hier nicht weiter darauf eingehen. Das Destillat reagirte stark alkalisch und wurde deshalb mit Chlorwasserstoff genau gesättigt An der Oberfläche desselben zeigte sich eine ziemlich bedeutende Oelschicht Diese wurde mittelst eines Hebers getrennt und dann die Flüssigkeit der frac- tionirten Destillation unterworfen. Die bei der ersten dieser De- stillationen in der Retorte zurückbleibende Flüssigkeit wurde im Wasserbade eingedunstet und das so erhaltene trockene Chlorid der flüchtigen Base später näher untersucht — Das Destillat wurde durch oft wiederholte Destillation weiter fractionirt und stets das aufschwimmende Oel sorgfältig entfernt Auch hier zeigte sich schliesslich, namentlich nach einigen Destillationen über Caldum-Chorid, die Anwesenheit einer geisti- gen Flüssigkeit. Nunmehr wurde mit der weiteren Fractionirung so lange ge- zögert, bis auch die Untersuchung der zweiten Portion Früchte bis zu diesem Punkte gediehen war. Dieselbe wurde in ganz analoger Weise ausgeführt und dabei auch dieselben Erscheinungen beobachtet Alsdann wurden die erhaltenen geistigen Flüssigkeiten vereinigt und durch wiederholte Rectifikationen über Aetzkalk vollständig entwässert und so 1,, Grmm. = 0,^2 Procent der Früchte, einer zwischen 66 und 7P 1) BocHKSB^s Rcpert. für die Phurm. Bd. 18. S. 16. 190 H. UutEfit, C siedenden Flüssigkeit erhalten, welche mit den Eigenschaften des „Methyklkohols** begabt war, ^H62Ä Grmm. davon gaben bei der Verbrennung mit Ku- pferoxyd 0,a253 Grmm. CO» und 0,^^.j^ Grmm. H«0, ent- sprechend 0,06 1415 Grmm. C. und 0,„2o4 6 7 Grmm. H. Die Formel CH*0 verlangt berechnet: Gofunden: C = 37„ 37„ H = 12,^ 12„ Q = 50,0 — 100,0 Der hier gefundene „Methylalkohol" wird entstanden sein durch Einwirkung des Natriumhydroxyds auf einen in den Früchten der Pastinaca sativa L. enthaltenen Methyläther. 3. Das Chlorid der flüchtigen Base. Als Anhang an die bis jetzt mitgetheilten üntersuchungs- Resultate mögen auch diejenigen, welche bei Untersuchung der flüchtigen Base erhalten wurden, hier ihren Platz finden, um bei dieser Gelegenheit einen Irrthum zu berichtigen, der sich seit 1839 in die chemischen Werke eingeschlichen hat »). WiTTSTEXM unternahm damals eine vorläufige Untersuchung dieser Früchte und glaubte dabei ein flüchtiges Alkaloid entdeckt zu haben und trotzdem Wittbtbin meines Wissens über diesen Gegenstand weitere Untersuchungen nicht ausgeführt hat, erhielt das signalisirte Alkaloid in der Folge den Namen „Pastinacin". — Cbomb untersuchte Blätter, Blattstiele und Wurzeln der Pastinaca sativa*). — Die Untersuchungen über die im Heracleum enthaltene fluch- tige Base hatten bereits bedeutende Zweifel an der Existenz die- ses Pastinacins bei mir rege gemacht und fanden diese durch die nachfolgend mitgetheilten Untersuchungs - Resultate ihre volle Be- rechtigung. — Aus dem zuerst verarbeiteten Material waren 0,jg Procent desselben, nämlich 12 Grmm. eines völlig luftbeständigen Chlorids dargestellt worden. Dieses wurde wiederholt mit Alkohol extrahirt, doch dadurch 1) Büchner, Repert. f. d. Pharm. Bd. 18. S. 15 und aus diesem in Gmb- LiKs Handbuch der Chemie. Bd. 5. ö. 45. 2) HEB3IB8TABDT, Afch. 6, 2, 266 und 4, 2, 842. Das Vorkommen des Aethylalkohols im Pflanzenreiche. 191 nur ein verhältnissmässig geringer Antheil in Lösung gebracht. — Das nicht gelöste Salz wurde ganz bestimmt als Ammonium- Chlorid erkannt. -^ Von den vereinigten Auszügen wurde der Spiritus durch Destillation entfernt, der Ruckstand mit Wasser aufgenommen, in einem geeigneten Destillations-Apparate durch Natriumhydroxyd die vorhandene flttchtige Base in Freiheit ge- setzt und in eine, verdünnte Schwefelsäure enthaltende Vorlage geleitet Das nach beendigter Destillation trotzdem schwach alkalisch reagirende Destillat wurde mit verdünnter Schwefelsäure genau neutralisirt, darauf das so dargestellte Sulfat im Wasserbade zur Trockne eingedunstet und dann 24 Stunden der Luft ausgesetzt. Das völlig trocken gebliebene Salz wurde nun mit absolutem Alko- hol digerirt; doch löste sich auch nach wiederholte^' längerer Di- gestion nicht merklich davon auf. Der nicht gelöste, fast 2 Grmm. wiegende Rückstand liess, mit Natriumhydroxydlösung übergössen, ein Gas entweichen, welches nur den reinen Animoniak-Geruch besass. Auch gegen andere Reagentien verhielt sich das Salz ge- nau wie Ammoniumsalz; denn mit Weinsäure lieferte es das kry- stallinische Ammonium - Hydrium - Tartrat und mit Platini-Chlorid entstand ein gelber, krystallinischer Niederschlag, der unzweifelhaft reines Ammonium-Platini-Ghlorid war, weil 1,35, Grmm. des bei 100® C. wohl getrockneten Salzes beim Glühen 0,-59« Grmm. = 44,, Proc. metallisches Platin hinterliessen. — Die Formel (NH^)* Pt Gl* erfordert 44,, Proc. Pt. Inzwischen war auch das aus der zweiten Portion der Früchte stammende Chlorid, welches 8,0 Grmm. wog, also genau 0,4 Proc. derselben ausmachte, in der eben beschriebenen Weise ebenfalls mit Alkohol behandelt, das dadurch Gelöste, nach Entfernung des Alkohols, mittelst Natriumhydroxyd zersetzt und die flüchtige Base an Schwefelsäure gebunden worden. Das erhaltene Sulfat verhielt sich ebenso , wie das zuerst dargestellte ; denn .es wurde an der Luft nicht feucht und gab an absoluten Alkohol nur sehr wenig ab. Das nichtgelöste, 1,, Grmm. wiegende Sulfat wurde sowohl qualitativ als quantitativ ebenfalls genau untersucht und ergab sich auch hier, dass das fragliche Salz aus Ammonium- Sulfat be- stand; denn 1,|b, Grmm. des bei 100^ C. getrockneten Platin- doppelsalzes lieferten 0,^,, Grmm. — 44,« Procent metallisches Platin. — Das von der Fällung mit Platini-Chlorid herrührende Filtrat wurde nach Entfernung des Alkohols, mit Natriumbydroxydlösung 192 H. Gutzoit, Übergossen, der Destillation unterworfen. Das in mit Ohlorwasser- stoff angesäuertem Wasser aufgefangene Destillat lieferte beim Verdunsten im Wasserbade kaum die Spur eines BückstandeS) mithin war auch in Alkohol lösliches Alkaloid-Platini-Doppelsalz nicht vorhanden. — Die aus den Sulfaten der ersten und zweiten Portion der Früchte mit absolutem Alkohol erhaltenen Lösungen wurden nun- mehr vereinigt, der Alkohol abdestillirt, der Rückstand im Was- serbade scharf ausgetrocknet und alsdann wieaer mit absolutem Alkohol, jedoch mit einer nur geringen Menge, extrahirt. Der in Alkohol nicht gelöste, an der Luft nicht zerfliessliche Rückstand, wog fast 0,s Ormm. und erwies sich als Ammonium-Sulfat, dem ein sehr geringer Antheil eines andern Salzes beigemischt war; denn beim Uebergiessen mit Natriumhydroxydlösung entwickelte sich ein Gas, welches nicht den reinen Ammoniak - Geruch hatte, sondern entferntauch an Trimethylamin erinnerte nnd 0,457 Grmm. des bei 100® C. getrockneten Platindoppelsalzes lieferten nur O,,,^ Grmm. = 43,3 Proc. metallisches Platin '). — Ein in Alkohol lösliches Platin doppelsalz hatte sich auch hier nicht gebildet. — Von der Lösung wurde der Alkohol abdestillirt und der xoüig trockne, etwas bräunlich gefärbte Rückstand, welcher nur noch 0,0 4 5 Grmm. wog, =: 0,^023 ^''oc. der ursprünglichen Salzmenge, nunmehr noch mit einem Gemisch aus 1 Theile Aether und 3 Theilen absoluten Alkohols digerirt. Durch dieses Lösungsmittel wurde abermals eine Scheidung herbeigeführt; denn ein Theil des Salzes löste sich nach mehr- tägiger Digestion, ein anderer blieb ungelöst. Dieser letztere An- theil erwies sich wieder der Hauptsache nach als Ammonium-Sul- fat; denn er lieferte mit Platini-Ghlorid 0,007 Grmm. Platindoppel- salz, welches beim Glühen 0,oo8 Grmm. =42,^ Proc. metallisches Platin hinterliess. Der in Aether- Alkohol gelöste Antheil wurde nach Entfemuag des Lösungsmittels ebenfalls mit Platini-Ghlorid behandelt und der entstandene Niederschlag theils mit Natriumhydroxyd zersetzt, wo- durch die Gegenwart einer nicht allein ammoniakalisch, sondern auch unangenehm riechenden Base constatirt wurde; theils aber geglüht und dadurch festgestellt, dass 0,0265 Grmm. Platindoppel- salz 0,0 1 08 Grmm. = 40, g Proc. metallisches Platin hinterliessen. Es _I_ IV 1) Die Formel (NH*)> Pt €!• erfordert 44,a Procent Pt. Das Yorkommen des Aethylalkohols im Pflanxenreiche. 193 war also hier noch eine andere Base zugegen. Zti diesem Schlosse führte auch die von dem in Alkohol nicht löslichen Platindoppel- salz abfiltrirte Lösung. Zwar liess sie nach dem Eindunsten über Schwefelsäure, mit Hülfe des Mikroskops charakteristische Merk- male nicht erkennen, doch beim Uebergiessen mit Natriumhydroxyd war ein unangenehmer, an Goniin erinnernder Geruch deutlich zu bemerken. — Erwägt man aber, dass hier nur von einer äusserst geringen Spur, von einer kaum noch wägbaren Menge die Rede ist, die wohl gleich Null gesetzt werden darf, wenigstens wenn nicht aussergewöhnlich grosse Mengen der Früchte {verarbeitet werden, so ist gewiss der Schluss gerechtfertigt, dass Wittstbin — dessen Vermuthung sich allein auf den Geruch der in Freiheit gesetzten Base stützte — nur „Ammoniumsalz^^ vor sich hatte. Dieser Schluss erscheint um so berechtigter, wenn man überlegt, dass dem genannten Chemiker nur der vierte Theil des von mir ver- wertheten Materials zur Verfügung stand und ihm ausserdem noch durch einen unglücklichen Zufall — Zerbrechen des Glases — ein Theil des erhaltenen Destillats verloren gegangen war. m. Untersucliimg der unreifen Früchte von Anthriscus cerefolinm Hoffm. Zu dieser Untersuchung wurde ich durch Herrn Hofrath Gbu- THEK veranlasst, dem der eigenthümliche an Anis erinnernde Ge- ruch der Blüten und unreifen Früchte aufgefallen war. — Reife Früchte riechen gar nicht mehr und enthalten, wie der Ver- such zeigte, keine Spur ätherisches Oel. — Da dieselbe aber noch nicht völlig zum Abschluss gelangt ist, so will ich für jetzt nur die Mittheilung machen, dass auch in diesen Früchten eine Aethyl Verbindung vorhanden ist. 10 Kilo der ganz jungen Früchte gaben nämlich bei ihrer Destillation mit Wasser, die — wie ich ausdrücklich bemerken will — sofort unternommen wurde, ein Destillat, aus welchem durch Fractionirung und geeignete Behandlung mit Aetzkalk 27 Grmm. = 0,2 7 Proc. einer leicht beweglichen, leicht entzündlichen, zwi- schen 75 und 78^' G. siedenden Flüssigkeit erhalten wurde, die „Aethylalkohol'' ist, vermischt mit sehr wenig „Methylalkohol^ ^12 96 5 Grmm. dieser Flüssigkeit lieferten beim Verbrennen mit Kupferoxyd 0,^,1 g Grmm. CO' und 0,,4,( Grmm. H'O, 194 H. Oatseiti Das Vorkommen d. Aethylalkohols im Pflanzenreiche. entsprechend O,^.|so30 Grmm. C und O,o3 80 5 6 Onnm. H = 49,1 Proc. C und 12,, Proc. H. Durch Fractionirung und abermalige Behandlung mit Aetzkalk wurde ein bei 78^ C. siedender Antheil isolirt. — 0»«3 7i Grmm. dieser Fraction gaben beim Verbrennen mit Kupferoxyd: O,,««« Grmm. CO* und 0,^^^^ Grmm. H*0, entsprechend 0,^22345 Grmm. C und 0,031413 Grmm. H = 51, e Proc. C und 13,2 P^^c. H. Die Formel CTIH) erfordert Gefunden: Die Formel CH«0 erfordert berechnet: 1 II berechnet: C = 52„ 49„ 51,e C = 37,« H = 13,0 12,1 13„ H = 12,^ Gz: 34,3 — — 0 = 50,0 100,0 100,0 Somit ist das Vorkommen des „Aethylalkohols^' in nicht gegohrenen Pflanzensäften ausser Zweifel gestellt und bereits in einer dritten Pflanze die Existenz von Aethylverbindungen — des Alkohols oder aber seiner Aether, welches zur Zeit noch unentschieden ist — mit Sicherheit nachgewiesen worden. Die vorstehend beschiebenen Versuche wurden im hiesigen chemischen Universitäts-Laboratorium unter Leitung meines hoch- geschätzten Lehrers, Herrn Hofrath Professor Dr. Gvutheb ausge- führt. Ich fühle mich verpflichtet, demselben für das rege, wohl- wollende Interesse, welches er mir während der ganzen Dauer meiner Arbeit stets bezeigt hat, sowie für die freundlichen Rath- schläge, welche er mir jeder Zeit zu Theil werden liess, hier öffent- lich meinen Dank auszusprechen. Jena im Januar 1875. I Die Ontogcnie der Sfisswasser-Piümonaten. Von Carl Rabl, stad. med. aas Wels in Ober-Oesterreich. (Ri«nii Taf. YII— IX.) ^•det Bein wird nnr dureh ■ein Werden erkannt.'* Die Aufgabe der vorliegenden Abhandlung ist vor Allem die Anwendung der „Gastraea-Theorie'^ auf die Mollusken und speciell auf die Gastropoden. Nebstdem sollen namentlich diejenigen Form- veränderungen der Embryo, welche allem Anscheine nach eine grössere phylogenetische Bedeutung besitzen, sorgfältig auseinander gesetzt und gehörig gewürdigt werden. Die Beobachtungen wurden angestellt an folgenden Species: Limnaeus ovatus, Physa hypnorum und fontinalis, Planorbis cari- natus und marginatus, Ancylus lacustris und fluviatilis. Eine Aufführung der über die Entwickelungsgeschichte der Gastropoden und im Besonderen der Süsswasser-Pulmonaten bisher erschienenen Arbeiten halte ich hier für unnöthig, weil ohnedies die Mehrzahl derselben im Laufe des Textes angeführt werden wird. I. Besclireibiing der Entwickelungsvorgänge. A. Tom Beginn der Entwickelnng bis zur Bildung der Oastrnla. Die Lungenschnecken des Süsswassers legen ihre Eier, zu Laichen verbunden, an Steine, Pflanzen oder andere im Wasser befindliche Gegenstände. Die Laiche haben bei den verschiedenen Gattungen ein verschiedenes Aussehen: bei Limnaeus sind sie langgestreckt oder wurstförmig und die Eier liegen ganz unregel- mässig in mehreren Schichten übereinander (Taf. VII, Fig. 1 4) ; bei Physa zeigen Laiche und Eier nahezu dasselbe Verhalten (Fig. 1 B); bei Planorbis sind die Laiche flach tellerförmig und die Eier I I I 296 ^^1 ^^h liegen in einer einzigen Schicht dicht neben einander (Fig. 1 C) ; bei Ancylus endlich haben die Laiche eine kugelige bis eiförmige Gestalt und die Eier liegen ordnungslos über und neben einander (Fig. 1 D). Die Zahl der in einem Laiche enthaltenen Eier ist gleichfalls sehr verschieden; im Ganzen ist sie bei Limnaeus am grössten, bei Ancyius am geringsten. Aber selbst bei einer und derselben Art unterliegt sie sehr bedeutenden Schwankungen ; so kann sie beispielsweise bei Limnaeus das eine Mal kaum zehn be- tragen, während sie ein anderes Mal fast hundert erreicht Auch Form und Grösse der Eier unterliegen mannigfachen Verschiedenheiten. Die Form ist gewöhnlich länglichrund, erleidet jedoch bei Tlanorbis durch den gegenseitigen Druck der dicht an einander gedrängten Eier verschiedene Modificationen. Die Grösse ist am bedeutendsten bei Physa hypnorum, wo der Längendurch- messer 1,75 Mm. und der Dickendurchmesser 1,4 Mm. beträgt; etwas kleiner sind die Eier von Physa fontinalis und Limnaeus ovatus mit einer Länge von 0,9 Mm. und einer Dicke von 0,75 Mm. ; darauf folgen die Eier von Planorbis mit einer Länge von ungefähr 0,8 Mm. und einer Dicke von 0,7 Mm.; am geringsten ist die Grösse der Eier von Ancylus, wo die Länge 0,75 Mm. und die Dicke 0,55 Mm. beträgt Jedes Ei ist aus drei Bestandtheilen zusammengesetzt : erstens aus dem eigentlichen Keim oder der Eizelle, dem „primitiven Ei*^ der Autoren; zweitens aus einer die Eizelle umhüllenden, klaren, zähflüssigen Eiweissmasse; und drittens aus einer, diese nach aussen begrenzenden, durchsichtigen, doppelten Membran. Die Zusammensetzung der letzteren aus zwei getrennten Häutchen ist sehr deutlich an den Eiern von Physa (Taf. VII Fig. 3 e, i) und Ancylus, dagegen gänzlich verwischt und unkenntlich an den Eiern von Limneaus (Taf. VII Fig. 2) und Planorbis. Hier sind wahrscheinlich die beiden Häutchen so innig an einander ge- drückt oder aber so fest mit einander verwachsen, dass die Ei- weissmasse nur von einer einzigen Membran umgeben zu sein scheint; bei Physa und Ancylus dagegen stehen dieselben so weit von einander ab, dass man sie entweder ohne weiteres (bei Physa) oder nach dem Zerdrücken des Eies (bei Ancylus) deutlich von einander zu unterscheiden vermag. Der wichtigste Bestandtheil des Eies ist selbstverständlich die Eizelle; von ihr allein geht die ganze folgende Entwickelung aus. Ihre Grösse beträgt 0,10—0,11 Mm. und ist nur bei Ancylus etwas geringer (0,08 Mm.). Jede Eizelle besteht aus einem trüben, un- Die Ontogenie der Süsswasser^Pulmonateo. 197 durchsichtigen Dotter und einem kleinen, in diesem enthaltenen Keimbläschen (Tat VII Fig. 4). Eine Dotterhaut .'ist nicht vor- handen und es dürfte daher streng genommen das „primitive Ei" nur als eine Urzelle oder Gymnocyta bezeichnet werden'). Da jedoch nach den Untersuchungen von Karsch *) am Ei der Zwitter- drüse unzweifelhaft eine Membran vorhanden ist und dieselbe offenbar erst später von dem umgebendeu Eiweiss aufgelöst wurde, so glauben wir die Bezeichnung des „primitiven Eies" als Ei- zelle beibehalten zu sollen. Bei der nun folgenden Darstellung der Entwickelungsvorgänge werden wir uns hauptsächlich an die Entwickelung von Limnaeus ovatus halten, jedoch beständig auf die Entwickelung der übrigen Süsswasser - Pulmonaten Rücksicht zu nehmen bestrebt sein. Obwohl die allerersten Vorgänge der Entwickelung durch frü- here Beobachtungen (namentlich durch diejenigen Lbbbboullet's')) ziemlich genau bekannt sind, wollen wir der Vollständigkeit halber dennoch eine kurze Darstellung derselben zu geben versuchen. — Alle competenten Beobachter stimmen darin überein, dass das Keimbläschen bald nach der Befruchtung verschwinde und erst unmittelbar vor dem Beginn der Dotterfurchung wieder zum Vor- scheine komme. Es theilt sich dann alsbald in zwei gleiche Hälften, um welche herum sich der Dotter in kugeligen Ballen zusammen- zieht (Taf. VII Fig. 5). Durch diese Contraction des Dotters tre- ten aus seiner Flüssigkeit einige kleine Bläschen von 0,015 — 0,02 Mm. Durchmesser aus, welche sich vom Dotter durch ihre grosse Durchsichtigkeit unterscheiden und von Fr. Müller*) den Namen „Richtungsbläschen'' erhalten haben (Taf. VII Fig. ö r). Diese zeigen sich, wie auch Gsgbnbaur^) in Beziehung auf die Land- gas tropoden angibt, immer an denjenigen Stellen, wo später eine 1) Desgleichen fehlt nach Lbtdio dem £i von Paludina vivipara und nach Vogt dem £i von Actaeon die Dottermembran. Nach Ecker soll sie auch dem Ei von Limax fehlen; Gbobnbaur schreibt diesem jedoch eine Membran zu und fuhrt au, dass sie „besonders durch längere Einwirkung von Wasser deutlich erkennbar'' werde. 2) Antok Karsch, Die Entwickelungsgeschichte des Limnaeus stagnalis, ovatus und palustris. Archiv far Naturgeschichte, 1846. 8) Lbrbboüllst , Recherches d^Embryogenie compar^e sur le d^veloppe- ment de la Truite, du L^zard et du Limn^e. Sne Partie: Embryologie du Limn^e des ^tangs (Limnaeus stagnalis). Annales des Sciences nat. XVIIl, 1862. 4) Wibohakn's Archiv 1848, 1. Heft. 5) 0. Gbobitbaür, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Landgastro* poden. Zeitschrift für wlBsenschaftlicbe Zoologie, Ol. Bd. 1852. Bd. IX, H. F. n. 14 198 fcarl Rabl, Einschnürung des Dotters erfolgt. Ihre Zahl wechselt, ist jedoch nie sehr bedeutend; in den meisten Fällen beträgt sie zwei, wo- bei gewöhnlich das zuerst ausgetriebene Bläschen grösser ist^ als das andere. Anfangs stehen sie mit dem gefurchten Dotter in Zu- sammenhang, später jedoch reissen sie von diesem ab und bleiben als bedeutungslose Eörperchen im Eiweiss liegen. Auf ihre muth- maassliche Bedeutung werden wir später zu sprechen kommen. Der Furchungsprocess geht unterdessen in der Weise von statten, dass jede der beiden bereits gebildeten Furchungskugeln in zwei gleiche Hälften zerfallt, wobei abermals die Theilung der Kerne jener des Dotters vorangeht (Taf. VII Fig. 6). Jede der dadurch entstandenen vier gleich grossen Furchungskugeln spaltet sich darauf in zwei ungleiche Theile, so dass vier grosse und vier kleine Zellen zum Vorscheine kommen (Taf. VII Fig. 7). Diese sind in der Weise gelagert, dass die vier grossen Zellen den einen, die vier kleinen den anderen Pol des Eies einnehmen (Taf. VII Fig. 8). Die Furchung schreitet nun in der Weise weiter fort, dass sich die grossen Furchungskugeln rascher und öfter theilen, als die kleinen, so dass schliesslich alle Zellen ungefähr die gleiche Grösse besitzen. Der dadurch zu Stande gekommene Zellenhaufen ist die Morula; ihr Durchmesser beträgt 0,11 Mm., die einzelnen Zellen messen 0,020—0,025 Mm. Bald nach ihrer Bildung höhlt sich die Morula von innen her aus, so dass ihre Zellen an die Peripherie treten und eine rund- liche Höhle, die BAER'sche oder Furchungshöhle umschliessen. Die dadurch zu Stande gekommene kugelige Blase ist die Keim- hautblase oder Blastosphaera (Taf. VII Fig. 9). Diese flacht sich bald darauf sehr bedeutend ab und lässt an einer Stelle eine grubenförmige Vertiefung erkennen (Taf. VII Fig. 10 a), welche immer weiter schreitet und schliesslich zu einer vollständigen Ein- stülpung der Blase führt. Sehr häufig bemerkt man, dieser Ein- stülpung gegenüber, an der Entgegengesetzten Wand der Blase eine entsprechende Hervorwölbung (Fig. 10 r), die aber später, wenn die Einstülpung ganz vollendet ist, wieder verschwindet. Die ur- sprüngliche Furchungshöhle wird während dieser Vorgänge immer mehr und mehr verdrängt, bis sie schliesslich gänzlich verschwindet Aus der anfänglich einschichtigen Eeimhautblase ist auf diese Weise ein zweischichtiger Körper entstanden, welcher im Inneren eine Höhle besitzt, die mittelst einer Oeifnung nach aussen mündet (Taf. VII Fig. 11). Die beiden Zellenschichten sind anfangs* fast völlig gleich ; bald tritt jedoch eine Verschiedenheit zwischen bei- Die Ontogenie der Sttsswasser-Pulmonaten. 199 den auf, indem die Zellen der äusseren Schiebt sich etwas in die Länge strecken und dabei durchsichtiger werden, als jene der inneren Schicht. Oleichzeitig statten sie sich an ihren nach aus- sen gerichteten Enden] mit kurzen Flimmerhäärcben aus, durch deren schwingende Bewegungen das kleine kugelige Körperchen im Eiweiss zu rotiren beginnt. Dieses Gebilde ist die Gastrula. Ihr Durchmmesser beträgt 0,13 Mm.; die Zellen der äusseren Schicht oder des Exoderms messen 0,0075 — 0,01 Mm., jene der inneren Schicht oder des En- toderms 0,015 Mm. Die von den beiden Zellenschichten um- schlossene Höhle ist die primitive Darmhöhle, der Urdarm oder — wie wir sie im Gegensatze zu dem später zu erwähnenden secundären Darme nennen können — der primäre Darm; die Oeffhung der Höhle ist der Urmund oder das Prostom. Die beiden Zellenschichten der Gastrula sind, wie Habckel') in seiner „Gastraea-Theorie" nachgewiesen hat und wie wir im weiteren Verlaufe der Entwickelung sehen werden, als die bei- ten primären Keimblätter anzusehen, von denen alle weiteren Bildungen des Embryo durch fortgesetzte Zelltheilung und Diffe- renzirung ihren Ursprung nehmen. Die äussere Zellenschicht oder das Exoderm haben wir demnach als das äussere oder an i male Keimblatt, die innere oder das Entoderm als das innere oder vegetative Keimblatt aufzufassen. Wir werden in der Folge sehen, wie leicht und ungezwungen sich diese Auffassungsweise auf die Entwickelung der Gastropoden anwenden lässt und wie sehr dieselbe unser Verständniss von der Bildung der verschiedenen Organe erleichtert. Ganz dieselbe Art und Weise der Furchung und denselben Bildungsmodus der Gastrula habe ich auch beiPhysa, Flan- orbis und Ancylus beobachtet und bin daher wohl berechtigt, diese Entwickelungsvorgänge als allen Süsswasser-Pulmonaten ge- meinsame zu betrachten. Ausserdem habe ich auch Gelegenheit gehabt, die Gastrula an einer Kiemenschnecke (Paludina impura) zu beobachten. Der erste Naturforscher, welcher die Gastrula bei der Entwickelung einer Schnecke (Limnaeus stagnalis) beobachtete, istLsREBOüLLBT; Rat-Lankb8tbb *) gibt an, sie beiLimax, Arion und 1) Ebnbt Habckbl, Die Gastraea-Tbcorie, die phylogenetische Classifica- tion des Thierreichs und die Homologie der Keimblätter. Jenaische Zeitsebrift fttr Naturwissenscbaft. VIII. Band, 1. Heft. 1874. 2) Rat'Lavkbstbb, On tbe primitiTo celMayers of tbe embryo as tbe basis 200 Carl Rabl, Atlanta gefunden zu haben. Demselben Forseher ist es auch ge- lungen, die Gastrula an einer Muschel (Pisidium) zu beobachten. In einer kürzlich erschienenen Abhandlung veröffentlicht endlich noch EowALEYSKY die Beobachtung derselben bei den Brachiopoden. Damit schliesst aber offenbar die Beihe der Mollusken, die während ihrer Entwickelung die Gastrula durchlaufen, nicht ab- Wir dürfen vielmehr mit der grössten Zuversicht erwarten, dass sich dieselbe mit jeder neuen Beobachtung vergrössern und die Gastrula selbst immer mehr als allgemeiner Entwickelungszustand der Mollusken sich herausstellen werde. — Es wird wohl gerechtfertigt erscheinen, über die rotirende Be- wegung des Embryo, welche die ersten Beobachter der. Entwicke- lung der Gastropoden so sehr entzückte, dass sie darüber fast alles Andere vergassen, einige Worte zu sagen. Bevor man die wahre Ursache dieser Erscheinung erkannt hatte, hielt man sie für den bei weitem wichtigsten und bedeutungsvollsten Vorgang während der ganzen Entwickelung. Der erste Naturforscher, der dieselbe an Weichthierembryonen beobachtete, war Lbeuwbnhook; später machten Ev. Home und Bauer dieselbe Beobachtung. Darauf scheint dieses Phänomen wieder ganz in Vergessenheit gerathen zu sein. Erst im Anfange unseres Jahrhunderts machte Stiebbl ') wieder darauf aufmerksam; nach ihm beobachteten C. G. Carus*), Dümok- TiBR^) und Jaccqüemin*) dieselbe Erscheinung. Keiner von ihnen vermochte jedoch eine genügende Erklärung derselben zu geben; of genealogical Classification of animals, and on the origin of vascnlar and lympb Systems. Annais and Magazine of natural history. May 1873. 1) Stiebbl, Dissertatio Limnaei stagnalis anatomen sistens. Göttingae 1815. Mbckel's deutsches Archiv für Physiologie. II. Bd. 4. Heft, 1816. 2) C. G. Cabüb, Von den äusseren Lebensbedingungen der weiss- und kalt- blütigen Thiere. Leipzig 1824. Derselbe, Neue Beobachtungen über das Drehen des Embryo im Ei der Schnecken. Nova acta acad. Leop. Garol. T. XIII, 2, 1827. 3) DuMOBTiEB, Memoire sur Tembryogenie des MoUusques gast^ropodes. Bruxelles 1837. (Extrait du tome X des Memoires de TAcad^mie royale des Sciences et BcUes-Lettres de Bruxelles). Derselbe misst dieser Erscheinung eine so grosse Bedeutung zu, dass er sie zum Eintheilungsprincip der Entwickelungs- geschiebte der Gastropoden erhebt; demnach theilt er dieselbe ein in ein Sta- dium der Trägheit (inertie) und in oin Stadium der Beweglichkeit (motilit6). 4) E. Jaccquemim, Vorläufiger Bericht meiner Untersuchungen über die Entwickelung von Planorbis corneus und Limnaeus palustris. Isis 1834. Derselbe, Recherches anatomiques et physiologiques sur le developpement des etres organis^s. I. Memoire contenant Phistoire du developpement du rianorbis corneus. Nova acta acad. Leop. Carol. Vol. XVIII, 1838. Die OntogeDie der Süsswasser-Palmonaten. 201 man gefiel sich darin, die Bewegungen des Embryo mit den kos- mischen Bewegungen der Planeten um die Sonne zu vergleichen und zu ihrer Erklärung electro - galvanische Kräfte zu Hülfe zu nehmen ^) ! Erst Karsch erkannte die wahre Ursache der Rota- tionsbewegungen in den Schwingungen feiner, über den ganzen Körper verbreiteter Gilien. Die Flimmerhaare sind anfangs ausserordentlich kurz und zart und es gelingt daher nur mit grosser Mühe und Ausdauer, sie deutlich zu Gesicht zu bekommen ; sie nehmen allmählich an Länge zu, so dass sie schliesslich schon bei ganz schwachen Vergrösse- rungen sichtbar werden. Die Botationsbewegungen finden, wie schon Karsch ganz richtig angibt und auch Gbgenbaur in Beziehung auf die Landgastropoden bemerkt, nicht immer regelmässig und in derselben Richtung statt, sondern sind bald langsamer, bald schneller, stehen wohl auch bisweilen ganz still, um nach einiger Zeit — vielleicht nach einer anderen Richtung — wieder zu be- ginnen. B. Yen der Gastrul* bis zum Ende der embryonalen Ent- wiekelung. Die Gastrula erleidet bald nach ihrer Bildung wesentliche Veränderungen. Das Exoderm löst sich am blinden Körperende von dem darunter liegenden Entoderm ab und tritt wie ein Bruch- sack aus dem übrigen Körper des Embryo hervor (Taf. VII Fig. 1 2) ; seine Zellen erleiden dadurch nothwendig eine beträchtliche Zerrung in die Länge und Breite, während sie gleichzeitig an Dicke sehr bedeutend abnehmen (Taf. VII Fig. 12 u. 13 €f'; Fig. 15). In ihrem Inneren lassen sie einen grossen Kern mit scharf contourir- tem Kernkörperchen erkennen (Fig. 15 Ar); ihr Protoplasma ist deutlich körnig und umschliesst zahlreiche Fetttropfen von ver- schiedener Grösse (Fig. 15/); eine Zellmembran ist noch nicht zur Abscheidung gekommen. Bald nach diesem eigenthümlichen Hervorwachsen des Exo- derms macht sich am vorderen Körpertheil des Embryo eine seichte quere Einschnürung bemerkbar, wodurch der Embryo eine unver- kennbare Aehnlichkeit mit einer dreigliederigen Würmerlarve be- kömmt (Taf. Vn Fig. 13). 3) Jaccqubmim sagt darüber : „La cause fondainentale de c« ph^Domäne de Vibration est uue force electro-galvauique, qui ^tablit par suite de l'heteroge- neite de» diverses substances du corps de rauimal d'uue part et du niilieu am- biant d'autre**. 202 ^atI ^^^ Zu derselben Zeit entwickelt sich symmetrisch zu beiden Sei* ten des Körpers zwischen Exoderm und Entoderm eine dritte Zellenschicht, die anfangs nur aus einer geringen Anzahl von Zel- len besteht, bald jedoch an Umfang sehr bedeutend zunimmt. Dies ist das Mesoderm oder mittlere Keimblatt (Taf. VII Fig. 12, 13, 14 «t; Taf. IX Fig. 31 m). Seine Zellen leiten ihre Entstehung wahrscheinlich von den unmittelbar anliegenden Zellen des Exoderms ab und das Mesoderm scheint demnach als ein Spaltungsproduct des Exoderms aufgefasst werden zu müssen. Dies geht erstens aus dem Umstände hervor, dass die Mesoderm-Zelleu an Querschnitten fast regelmässig an den Exo- derm-Zellen hängen bleiben, während sie sich vom Entoderm meist in ihrer ganzen Ausdehnung ablösen (Taf. IX Fig. 31); zweitens bildet sich, wie wir später sehen werden, die Leibeshöhle oder das Goelom zwischen dem mittleren und inneren Keimblatte, und es müsste daher, wenn jenes aus diesem sich entwickelte, eine Ab- lösung desselben vom Entoderm und eine Hinüberwanderung an das Exoderm angenommen werden — was gewiss nicht gerecht- fertigt wäre; endlich drittens ist noch zu bemerken, dass bei ge- wissen, später nach genauer zu besprechenden Missbildungen, bei denen das Entoderm bis auf einige wenige Zellen gar nicht zur Entwickelung gelangt, das Mesoderm fast regelmässig in der nor- malen Dicke und Mächtigkeit vorhanden ist. -— Eine Ableitung des Mesoderms von einigen wenigen, genau bestimmten Zellen eines der beiden primären Keimblätter, wie dieselbe an Embryonen von Lumbricus möglich ist '), ist bei den Süsswasser-Pulmonaten wegen der grossen Undurchsichtigkeit der Embryonen während der ersten Zeit ihrer Entwickelung ganz unmöglich^). Bald nach der Bildung der Uranlage des Mesoderms scbliesst sich die Mundöflfnung der Gastrula und verschwindet (Taf. VIII Fig. 17). Die anscheinend dreigliederige Embryonal-Form rundet sich etwas ab und der durch das Hervorwachsen des Exoderms entstandene leere Baum wird allmählich durch die hineinwuchern- den Zellen des Entoderms und Mesoderms ausgefüllt (Taf. VIII Fig. 16 — 20 c). Sodann macht sich an der einen Seite des Em- bryo eine seichte grubenförmige Vertiefung des Exoderms bemerk- 1) KowALEVSKT, Kmbrologische Studien an Würmern und Arthropoden. Petersburg 1871. 2) Hoffentlich wird es gelingen, au Embryonen mariner Gastropoden die Beziehungen des Mesoderms zu den beiden primären Keimblättern bestimmt festzustellen. Die Ontogenie der Süsswasser-Pulomon&ten. 208 bar, welche sehr rasch an Grösse zunimmt und sich alsbald als die bleibende, secundäre Mundöffnung zu erkennen gibt (Taf. VIII Fig. 17 — 20 AI). Von einem Zusammenhange derselben mit der primäi^n Mundöiihung der Gastrula kann gar keine Rede sein. — Einige Zeit später entsteht an der entgegengesetzten Seite des Embryo eine zweite, etwas seichtere Vertiefung desExoderms, welche zur Bildung des Afters führt (Taf. VIII Fig. 19, 20 ^). Obschon es mir nie gelungen ist, eine Umbildung der ursprüng- lichen Gastralöffnung in den After zu beobachten, so muss ich dennoch zugeben, dass eine solche leichter möglich wäre, als eine Umbildung derselben in die secundäre Mundöffnung; meine oft und oft wiederholten Beobachtungen haben jedoch auch darüber regelmässig negative Resultate ergeben. Uebrigens scheint auch die Zeit der Entstehung des Afters gegen einen Zusammenhang desselben mit der Gastralöffnung zu sprechen; denn es ist nicht abzusehen, warum man den After, falls derselbe aus der Gastral- öffnung entstünde, nicht schon vor der Bildung der secundären Mundöffhung wahrnehmen sollte. Mittlerweile haben sich die Entoderm-Zellen durch rasch fort- gesetzte Theilung sehr bedeutend vermehrt und die ursprüng- liche Gastralhöhle schiesslich ganz verdrängt (Taf. VIII Fig. 17—21; Taf. IX Fig. 31). Neben den grossen Entoderm-Zel- len, welche zu dieser Zeit 0,03 — 0,04 Mm. messen, sind während dieser Theilung zahlreiche kleine von 0,01 Mm. Durchmesser auf- getreten ; zwischen beiden finden sich anfangs mannigfache Ueber- gänge. Die Lagerung dieser Entoderm-Zellen ist eine sehr be- stimmte und regelmässige: während die kleinen nach innen zu liegen, sind die grossen gegen die Peripherie des Entoderm-Zellen- haufens angeordnet (Taf. IX Fig. 32). Mit dieser Theilung des Entoderms in zwei verschiedene Zellen -Arten ist zugleich die erste Differenziruug des Entoderms eingeleitet. Während nämlich die grossen, nach aussen gelegenen Entoderm-Zellen auch noch im weiteren Verlaufe der Entwicklung an Grösse zunehmen, sodann ihre Theilungsfähigkeit verlieren und zu „Nahrungszellen'' herabsinken, behalten die kleinen, innen gelegenen PLntoderm-Zel- len während der ganzen Entwickelung ihre Theilungsfähigkeit bei und nehmen dabei sehr rasch an Zahl zu. Wir haben demnach am Entoderm von nun an zwei Theile zu unterscheiden: einen äusseren, aus grossen theilungsunfähigen Zellen bestehenden und einen inneren, aus kleinen theilungsfähigcn Zellen bestehenden Theil; jener bildet sich später zum Nahrungsdotter aus, dieser 204 Carl Rabl, dagegen spaltet sich, wie wir sehen werden, in zwei - getrennte Blätter, welche sich zu den beiden inneren secundären Keimblättern entwickeln. — Einige Zeit nach der Bildung der Mund- und Aftereinstülpung weiche die kleinen, nach innen gelegenen Entoderm-Zellen in der Mitte aus einander, so dass ein Hohlraum gebildet wird, in den sie mit ihVen freien, halbkugeligen Enden hineinragen. Dieser Baum ist die Anlage des bleibenden, secundären Darm- k anales. Er ist nach allen Seiten vollkommen geschlossen und steht demnach weder mit der Mundhöhle noch mit dem After in Verbindung (Taf. VIII Fig. 22—24 D). Die ihn begrenzenden Zellen nehmen allmählich durch den gegenseitigen Druck langge- streckte Formen an und bekommen dadurch das Aussehen von Cylinderzellen. In ihrem Verhalten gegen chemische Reagentien und Färbemittel zeigen sie eine ausserordentliche Aehnlichkeit mit den Zellen des Exoderms. Von allen diesen Verhältnissen kann man sich am besten überzeugen, wenn man Quer- und Längsschnitte durch solche Em- bryonen verfertigt. Dabei kann man überdies noch die interes- sante Beobachtung machen, dass die Einstülpung, welche zur Bil- dung der Mundhöhle führt, schon zu einer sehr frühen Zeit, näm- lich schon vor der Bildung der secundären Darmhöhle, ein kleines nach hinten und oben gerichtetes Divertikel besitzt, in dem sich später die Radula bildet (Taf. VÜI Fig. 21 d; Taf. IX Fig. 32). Was nun die weitere Ausbildung des Darmkanales betrifft, so ist zu erwähnen, dass sowohl die Bildung der Speiseröhre, wie des Enddarmes, von dem angeführten Hohlräume, dem secundären Darmkanal, ausgeht. Indem sich nämlich dieser nach vorne gegen die Mundhöhle hin verlängert, gibt er der Speiseröhre die Ent- stehung, und, indem er sich gegen die Afterhöhle erstreckt, veran-- lasst er die Bildung des Enddarmes. Die Zwischenwände, welche Mund- und Afterhöhle von der secundären Darmhöhle trennen, schwinden erst auf einer viel späteren Stufe der Entwickelung. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint das Entoderm durch das Auseinanderweichen; seiner Zellen während der Bildung der secundären Darmhöhle in zwei getrennte Zellenhaufen zu zerfallen (Taf. VIII Fig. 23—25) ; diese Trennung ist jedoch, wie man sich an Längs- und Querschnitten leicht überzeugen kann, keine voll- ständige und durchgreifende, sondern es nehmen vielmehr beide Zellenhaufen in gleicher Weise Antheil an der Bildung des Darm- kanales. Die Ontogenie der SüsswasBer-Palmonaten. 205 Auf die weiteren Umbildungen und Veränderungen des ge- sammten Verdauungsapparates , namentlich auf die Bildung des Darmfaserblattes, werden wir, da diese Vorgänge einer späteren Entwickelungsstufe angehören, an geeigneter Stelle zu sprechen kommen. Mit Rücksicht auf die früheren Beob{ichter ist nur hervorzu- heben, dass bereits Dukortier ganz richtig erkannt hatte, dass sich der Darm zwischen den beiden angeführten Zellenhaufen des En- toderms entwickele, während Earsch, der die Entwickelung von Limnaeus mehr als zehn Jahre später beobachtete, gar nichts Vernünftiges über die Bildung dieses Organes zu sagen wusste. Der Wahrheit am nächsten ist unstreitig Lbrbboullet gekommen. Ganz dieselbe Art der Bildung einer anscheinend dreigliede- rigen Embryonal - Form , sowie dieselbe Entwickelungsweise des Darmkanales habe ich auch bei Physa, Planorbis und Ancylus be- obachtet. Das eigenthümliche Hervorwachsen des Exoderms am blinden Körperende des Embryo findet sich nach meinen Unter- suchungen auch an den Embryonen von Paludina impura. — In demselben Maasse, als der Embryo an Grösse zunimmt, gewinnt er auch an Durchsichtigkeit und Klarheit; es ist dies einfach die Folge der gleichmässigen Vertheilung der undurch- sichtigen Dottermasse auf eine grössere und im steten Wachsthume begriffene Zellenmenge bei gleichzeitiger Aufnahme von klarem, durchsichtigem Eiweiss aus der unmittelbaren Umgebung. Die Durchsichtigkeit des Embryo nimmt so lange zu, als noch kein Pigment zur Ablagerung gekommen ist; sobald sich dieses einmal an verschiedenen Körper-Stellen bemerkbar macht, erleidet auch die Durchsichtigkeit daselbst eine beträchtliche Einbusse. — Was die Veränderungen der äusseren Körperform des Embryo, nament- lich die Umbildung der kugeligen Form in eine mehr langgestreckte, betrifft, so sind dieselben am besten aus den beigegebenen Figuren zu ersehen (Taf. VIII Fig. 17—22). Interessant ist die allmählige Bildung des Fusses, der sich aus einem stumpfen, nach hin- ten und unten gerichteten Fortsatz am Vordertheil des Körpers entwickelt (Taf. VIII Fig. 19— 22/^). Später macht sich auch der Kopf durch das Auftreten von Sinnesorganen erkennbar. Das Exoderm, welches anfangs in Form eines einfachen Flim- merepithels den ganzen Körper des Embryo gleichmässig überzog, zeigt um diese Zeit am hinteren Körperende in der Umgebung des Afters eine sehr bedeutende Dickenzunahme, welche als die Folge des bedeutenden Längenwachsthums seiner Zellen anzusehen ist. 206 Carl Habl, Diese erreichen nämlich hier eine Länge von 0,025 Mm., während sie am übrigen Körper mit Ausnahme der Unterseite des Fasses wo sie 0,015 Mm. messen, kaum halb so lang werden (Taf. VIII Fig. 21). Von der dadurch zu Stande gekommenen ovalen Ver- dickung des Exoderms geht später die Bildung des Flimmer- wulstes aus, welcher allmählich nach vorne wächst und den Rand des Mantels bezeichnet (Taf. VIII Fig. 22—25 fw). Um dieselbe Zeit bemerkt man bei sehr genauer Beobachtung am Vorderende des Körpers einen schmalen, über die Umgebung etwas erhabenen Streifen, welcher sich unmittelbar vor der Mund- Öffnung erhebt, zu beiden Seiten des Körpers verläuft und sich dann gegen den Rücken wendet, um sich dabei allmählich zu ver- lieren (Taf. VIII Fig. 20 F). Derselbe ist aus Flimmerzellen zu- sammengesetzt und besitzt anfangs eine sehr bedeutende Ausdeh- nung; im weiteren Verlaufe der Entwickelung nimmt er jedoch allmählich an Grösse ab, wird darauf immer undeutlicher und verschwindet schliesslich gänzlich. Sein Verlauf, sowie sein spä- teres Verhalten zu den Fühlern und Augen lassen uns nicht ver- kennen, dass wir es hier mit einem rudimentären Velum zu thun haben. Es wurde dasselbe bisher von allen Beobachtern voll- ständig übersehen; dies lässt sich zum Theil dadurch entschuldigen, dass man es nur sehr schwierig und unter besonders günstigen Umständen klar und deutlich zu Gesicht bekömmt. — Ebenso wie bei Limnaeus findet sich auch bei Physa und Ancylus ein ru- dimentäres Velum; bei Planorbis ist dasselbe fast ganz verloren gegangen. — Wir werden später noch Gelegenheit haben, auf die hohe phylogenetische Bedeutung dieses Organes zurück zu kommen. Höchst wichtig und interessant ist die Art und Weise der Entstehung des Nerven-Systems. Bald nach der Bildung des Velum bemerkt man auf beiden Seiten des Körpers eine nach vorne gerichtete Einstülpung des Exoderms, welche allmählich gegen die obere Seite des Schlundes hinwächst und dort mit einer kolbenförmigen Verdickung endigt (Taf. VIII Fig. 20—23, N, gg,, gy ; Taf. IX Fig. 38). Die beiden auf diese Weise zu Stande ge- kommenen Anschwellungen, welche anfangs nur aus einer geringen Anzahl deutlich kernhaltiger Zellen bestehen, stellen augenschein- lich die ersten Anlagen der beiden Knoten des oberen Schlundganglions dar. Dieselben entstehen demnach, wie schon Lerbboüllbt ganz richtig angegeben hatte, ursprünglich ge- trennt und unabhängig von einander. Die genaue Verfolgung der beiden genannten Stränge ist nur an ganz besonders günstigen Die Ontogenie .der Süsswasser-Fnlmonaten. 207 Exemplaren möglich und erfordert sehr viel Mühe und Zeit. Die Stränge selbst sind anfangs während ihres ganzen Verlaufes bohl; später scheinen sie zu einfachen Hautnerven herabzu- sinken. Sie haben eine Länge von 0,15 Mm. und ihre Dicke nimmt von aussen nach innen allmählich ab; in der Nähe der Haut be- trägt dieselbe 0,012 Mm., in der Nähe der Ganglien-Knoten da- gegen nur 0,0055 Mm. Die beiden Knoten des oberen Schlund- ganglions wachsen später mit ihren Innenrändem gegen einander und bilden dann eine zusammenhängende Masse, an der man noch die Zusammensetzung aus zwei ursprünglich getrennt von einander entstandenen Theilen mit Leichtigkeit erkennen kann. Ueber die Bildung des Visceralganglien-Paares habe ich nichts Bestimmtes beobachten können. Bald nach der Bil- dung der beiden zur oberen Seite des Schlundes hinführenden Stränge bemerkt man an den Anfangstheilen derselben zwei nach vorne und unten gerichtete Einstülpungen, welche ein ganz ähn- liches Aussehen, wie die beiden früher genannten, besitzen (Taf. Vm Fig. 20 u. ff. vgl ; Taf. IX Fig. 38). Leider ist es mir nie gelungen, ihre Endigungsweise genau wahrzunehmen; trotz man- cher Analogien und Uebereinstimmungen, die sie mit den beiden anderen Strängen darbieten, zeigen sie doch andererseits einige nicht unbedeutende Abweichungen und Verschiedenheiten von den- selben. Um ihre wahre Bedeutung festzustellen, werden daher noch wiederholte Untersuchungen nöthig sein. Was endlich die Bildung des dritten Ganglienknoten-Paares, des Fussganglions, betrifft, so entstehen auch hier die beiden Knoten getrennt und unabhängig von einander ; die Art und Weise ihrer Entstehung ist jedoch von jener des oberen Knoten-Paares verschieden. Während sich nämlich beim oberen Schlundknoten- Paare wahrscheinlicher Weise die beiden Knoten durch Ein- stülpung der äusseren Haut bilden, entstehen sie hier ganz sicher durch Verdickung derselben. Die beiden unter der äusseren Zellenschichte gelegenen, verdickten Theile des Exo- derms lösen sich sodann von dieser ab und rücken allmählich gegen die untere Seite des Schlundes hin. Daselbst angelangt, wachsen sie mit ihren Innenrändem gegen einander, verschmelzen und bilden auf diese Weise das untere Schlundknoten-Paar (Vgl. Taf. Vni Fig. 23). Die Commissuren, welche die einzelnen Gang- lienknoten-Paare unter einander verbinden, entstehen erst dann, wenn der Embryo bereits mit allen Sinnesorganen ausgerüstet ist und also schon eine viel höhere Stufe der Organisation erreicht bat. Der Erste , der die beiden , zur oberen Seite des Schlundes hrenden Stränge gesehen hat, war Stiebbl ; er hat sie jedoch Tiger Weise gedeutet. Er sagt darüber: „Am dreizehnten ierzebnten Tage sieht man da, wo das Kopfende zuerst am Bläachenltugel tritt, zwei aus einer grösseren Blasenreihe hende, ligamentähnliche Stränge, die dem Kopfe anhängen, diese beiden Perlachnuräholichen Stränge sind auf der n Seite des Thieres der Anfang des Oesophagus, auf der len des Mastdarms" '}. Ueber die eigentliche Bildung des en-Systems hat Stibbel nach seiner eigenen Aussage nichts ichten können. Seit dieser Zeit wurden die beiden Zellen- ge von Niemandem mehr gesehen; C. G. Cabus und Earsch 1 an, vergeblich nach ihnen gesucht zu haben; später scheint lache wieder gänzlich in Vergessenheit gerathen zu sein. — AufFallend ist es, dass fast alle Beobachter der Entwickelung jastropoden angeben, es entstehe das untere Schlundknoten- schon geraume Zeit vor dem oberen; ja die meisten wissen laupt über die Zeit der Entstehung des letzteren gar nichts Igen. Diese Angaben beruhen ganz gewiss auf einer Täuschung, le durch die verschiedene Beschaffenheit der beiden Ganglien- m-Paare selbst bedingt wird. D&n untere Schlunüganglion ist ich nicht blos sehr bedeutend grösser als das obere, sondern undurchsichtig und gelbUch geerbt, während das obere ganz OS und anfangs stark durchscheinend ist Auch ich war so : unklar über die Zeit der Entstehung der beiden Knoten- e, als ich noch nicht die zwei, zur oberen Seite des Schlundes hrenden Zelleustränge aufgefunden hatte. Dieselben Stränge und dieselbe Art der Entstehung des Foss- ai-Paares habe ich auch bei den anderen Süsswasser-Pulmo- 1 beobachtet. Von den Sinnesorganen machen sich zuerst die Fühler wei kleine, stumpfe Erhebungen am vorderen Theile des Kör- innerhalb des rudimentären Velum bemerkbar. Sie sind aus- von ßimmernden Exoderm - Zellen überzogen und bestehen I aus Zellen des Mesoderms. Während der weiteren Ent- :lung nehmen sie allmählich an Grösse zu, ohne jedoch eine ^deutende Länge zu erreichen, wie etwa hei Physa oder Pla- s (Vgl. Taf. VIII Fig. 24 — Taf. IX Fig. 26 0- I S. iiTixBiL, „Luber die Eutwiukeluug dt^r Tuicbliorngdiiiecku" iu Mb- *" Ueulschem Archiv für Physiologie", II. Bd. 1816. Dio ODtogenie d^j* Süsswasser-Pulmonaten. 209 Bald darauf bemerkt man auch die ersten Anlagen der Augen und Gehörbläschen. Erstere entstehen an der Basis der Füh- ler (also auch innerhalb des rudimentären Velum) und erscheinen anfangs als kleine rundliche oder ovale Flecke, welche sich durch ihr starkes Lichtbrechungsvermögen und ihre grosse Durchsichtig- keit von der Umgebung scharf abheben. Die hellen Flecke be- stehen aus langen durchsichtigen Exoderm-Zellen und stellen so- mit Bildungen des äusseren Keimblattes oder Hautsinnes- blattes dar. In ihrem Grunde bemerkt man schon sehr frühzeitig Pigmentfiecke von blassvioletter Farbe, die allmählich grösser und dunkler werden und schliesslich eine schöne dunkel schwarzblaue Farbe annehmen. Die Ablagerung von Pigment beginnt hier eben- so wie bei den übrigen Gastropoden im Auge früher als an irgend einer anderen Körperstelle*). In der Mitte der beiden Pigment- flecke treten später zwei gelbliche, stark lichtbrechende, kugelige Körperchen auf, in denen wir die ersten Anlagen der Linsen er- blicken. — Sehr bald nach der Ablagerung des Pigmentes, ja viel- leicht gleichzeitig mit dieser, zeigt sich eine grubenförmige Ver- tiefung des Augenfieckes, welche allem Anscheine nach allmählich an Grösse zunimmt und schliesslich wahrscheinlich zu einer voll- ständigen Einstülpung mit darauf folgender Abschnürung der ein- gestülpten Exoderm-Zellen führt. Letzteres ergibt sich, wie es scheint, aus einem Vergleiche des in der Mitte vertieften Pigment- fleckes mit einem vollkommen ausgebildeten Schneckenauge. Aber selbst angenommen, dass ein solcher Schluss nicht gerechtfertigt wäre, bleibt es doch ganz unzweifelhaft, dass das Auge als ein Product des Exoderms angesehen werden muss. — Noch be- vor sich die Anlage der Linse gebildet hat, sieht man vom oberen Schlundganglion zu jedem Auge einen Nerv abgehen, welcher vor demselben zu einem kleinen Knötchen anschwillt; durch flächen- artige Ausbreitung seiner Fasern führt derselbe zur Bildung der Retina. Ob der bereits angeführte Pigmentfleck in derselben Weise wie die Chorioidea der Wirbelthiere — durch Umwandlung des eingestülpten Therles des Nervus opticus — entstehe, müssen wir dahingestellt sein lassen. — Die Gehörbläschen, welche ungefähr zur gleichen Zeit mit den Augen entstehen, bilden sich aus zwei zu beiden Seiten des Fusses (also ausserhalb des rudimentären Velum) gelegenen Ein- 1) In Beziehung auf Limax siehe Ubobvbaub's „Beiträge zur Entwicke- iungsgeschichte der Landgastropoden/* 210 Carl Rabl, stülpuBgen desExoderms und stellen somit gleichfalls Bildungen des äusseren Keimblattes Oder Hautsinnesblattes dar. Die beiden durch Abschnürung entstandenen Bläschen sind innen mit Flimmerepithel ausgekleidet und wachsen allmählich gegen die obere Seite des unteren Schlundganglions hin (Taf. VIII Fig. 24 o). Sie sind anfangs ganz leer; später, nach der Bildung des Herzens, entstehen in ihnen kleine, längliche, stark lichtbrechende Krystalle, deren Zahl sehr rasch zunimmt, bis sie schliesslich den ganzen Hohlraum erfüllen. Damit erlischt zugleich die Flimmer- bewegung der im Inneren der Bläschen befindlichen Wimper-Cilien, durch welche die Krystalle anfangs in beständiger zitternder Be- wegung erhalten wurden. Die Otolithen sind, wie Gbgbkbaub ganz richtig angibt, als „Niederschläge aus der Ohrblasenflüssigkeit^' anzusehen. Sie besitzen eine ungleiche Grösse und können in den beiden Gehörbläschen eines und desselben Thieres in verschiedener Anzahl entstehen ; so beobachtete ich einmal in dem einen Gehör- bläschen vier, in dem anderen sechs Otolithen. Es ist diese merk- würdige Thatsache schon vor längerer Zeit von Fbby und Leydig an Gastropoden-Embryonen beobachtet worden. Was die weiteren Umbildungen der Wandungen der Gehörbläschen, namentlich das Verschwinden der Zellenkerne in denselben betrifft, so verweise ich auf die darüber handelnden Arbeiten Fbby's')» Leydig's*) und Gbgbmbaub's *). — Die Veränderungen der äusseren Körperform, welche der Em- bryo während dieser Vorgänge erleidet, beschränken sich fast aus- schliesslich auf eine Grössenzunahme aller seiner Theile. Vorne treten Kopf und Fuss immer deutlicher und bestimmter hervor, während sich hinten eine bedeutende Krümmung des Körpers, der Anfang einer, allerdings noch nicht aus der Ebene heraustreten- den spiraligen Windung, bemerkbar macht (Taf. VIII Fig. 22, 23). Die Flimmercilien sind um diese Zeit namentlich auf der Unter- seite des Fusses und am Vordertheil des Kopfes mit Einschluss der Fühler stark entwickelt, während sie an dem bereits erwähn- ten Flimmerwulste eine neue und kräftige Ausbildung erfahren (Taf. VIII Fig. 22 fw). Wie bereits angeführt, nimmt dieser seine Entstehung an der flimmernden verdickten Stelle am hinteren Kör- perende und wächst langsam nach vorne, indem er gleichzeitig 1) Götting. gelehrte Anzeigen. 29, 30. St. 1846 und Frobiep 1846, No.801. 2) Leydiq, üeber Palodina vivipara. Erster Abschnitt: Von der Ent- wickelung tfer Paludina vivipara. Zeitschrift f. wiss. Zool. II. Band, 1850. 3) Gbobnbaub, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Landgastropoden, Die Ontogenie der Snsswasser-Pulmonaten. 211 den Rand des Mantels bezeichnet. Anfangs liegt er ganz dicht der Körperoberfläche an , später aber , ungefähr gleichzeitig mit der Bildung des Herzens, hebt er sich von dieser ab und gibt dadurch die Veranlassung zur Entstehung der Athem höhle (Taf. VIII Fig. 25 /it). Damit tritt zuerst ein selbstständiges Respira- tionsorgan in die Erscheinung. Die Athemhöhle vergrössert sich immer mehr und der sie bedeckende Mantel bekömmt dadurch das Aussehen einer über den Körper gezogenen Kaputze mit grösstentheils freiem Rande. Eine weitere Umbildung der Athem- höhle wird später dadurch eingeleitet, dass der Mantelrand bis auf eine einzige, kleine, auf der rechten Seite des Körpers ge- legene Stelle an die Wand des Körpers anwächst ; diese freie Stelle ist das Athemloch. Während die^e Verhältnisse bei Limnaeus und Physa bei weiter fortschreitendem Wachsthume wegen der aus der Ebene heraustretenden spiraligen Windungen immer undeut- licher werden, treten dieselben bei Planorbis und Ancylus während der ganzen Entwickelung immer klar und deutlich zu Tage; die Athemhöhle stellt gegen das Ende des Eilebens einen weiten, durch mehrere Windungen sich erstreckenden Sack dar, den man bei Planorbis selbst noch an alten und ausgewachsenen Exemplaren bei durchfallendem Lichte mit Leichtigkeit wahrzunehmen vermag. Auch am Mesoderm, dem Hautfaserblatte, macht sich um diese Zeit eine Differenzirung bemerkbar. Der unmittelbar unter dem Exoderm gelegene Theil desselben wandelt sich zu Bindege- webe von sehr dichtem Gefflge um und nimmt als Corium An- theil an der Bildung der äusseren Haut (Taf. VIII Fig. 23 u. 24 co). Von diesem erstrecken sich zahlreiche Züge lockeren Binde- gewebes zwischen die übrigen Partien des Mesoderms, deren Zel- len gleichfalls ihre frühere einfache Gestalt aufgeben und sich schliesslich zu Muskelzellen umwandeln (Taf. VIII Fig. 23 ms). Als solche besitzen sie, wie bei den Landgastropoden , sehr ver- schiedene Gestalten ; meist sind sie an beiden Enden spindelförmig ausgezogen, sehr häufig mehrfach verästelt und Fortsätze aus- schickend, welche sich mit denen benachbarter Zellen verbinden und dadurch ein sehr inniges musculöses Gewebe darstellen helfen (Taf. IX Fig. 35 ; Taf. VIU Fig. 23, 24). Die einzelnen Muskel- bündel, welche durch lockeres Bindegewebe von einander getrennt sind, zeigen keine regelmässige Anordnung, sondern verlaufen viel- mehr nach allen möglichen Richtungen. Nur in der Mitte und an der oberen Seite des Fusses besitzen sie ^um Theil einen etwas regelmäs.^igeren Verlauf, indem sie hier in grösserer Menge zum sog. 212 ^^^^ Rabl, Spindelmuskel vereinigt sind. Dieser ist nach hinten und oben gerichtet und führt schon jetzt ziemlich heftige Gontractionen aus. Ausser den dadurch zu Stande kommenden Bewegungen nimmt man am Embryo noch in der Nackengegend und am Fussrücken lebhafte Aufblähungen und Zusammenziehungen wahr, welche ihren Sitz in dem daselbst befindlichen, contractilen Muskel- gewebe haben und schon von Karsch und später von Geobnbaur wahrgenommen wurden. Das Muskelgewebe ist an diesen Stellen von auffallend lockerer Beschaffenheit und lässt wjeite Maschen und Lücken zwischen sich. Ganz ähnliche Gontractionen finden sich auch bei anderen Gastropoden-Embryonen, so bei Actaeon '), Paludina*), Glausilia, Doris, Polycera, Helix, Limax ') u. s. w. Bei den beiden letzteren erreicht dieses lockere muskulöse Gewebe eine ganz besondere Ausbildung in der Gestalt der sog. Schwanz- und Dottersackblase. Gegbnbaur hält diese contractilen Organe für „äussere, embryonale Kiemen", eine Bezeichnung, die in- soferne vollkommen gerechtfertigt erscheint, als dieselben ganz unzweifelhaft dazu beitragen, die grosse Respirationsbedürftigkeit der in raschem Wachsthume begriffenen Embryonen befriedigen zu helfen. Die Gontractionen und Expansionen gehen nicht regel- mässig und in rhythmischer Abwechselung von Statten, sondern erfolgen vielmehr ganz unregelmässig und ohne irgendwie merkbare Ordnung ; sie hören erst dann auf, wenn das Herz bereits zu pul* siren begonnen hat. Durch sie wird die Blutflüssigkeit, dieHaemo- lymphe, in die verschiedenen Theile des Körpers getrieben und und auf diese Weise ein reger Stoffwechsel unterhalten. Bemer- kenswerth ist noch, dass ich an keinem der von mir beobachteten Gastropoden-Embryonen eine quergestreifte Muskulatur zu beob- achten Gelegenheit hatte; jedoch soll nach Gbgenbauh an dem Betractor oculi von Limax eine deutliche Querstreifung vorkommen. Ungefähr um diese Zeit bildet sich die Leibeshöhle oder das Coelom. Sie entsteht dadurch, dass das Mesoderm sich in seinef grössten Ausdehnung von dem darunter liegenden Entoderm (und zwar von dem äusseren Theile desselben, dem Nahrungs- dotter,) loslöst und dadurch die Bildung eines Spaltraums zwischen diesen beiden Keimblättern veranlasst (Taf. IX Fig. 33 u. 34 C). 1) C. Yo&T, Recherches aar Pembryog^nie des Mollusques gast^ropodes. AüDales d. scienc. nat 1846. Tome 6. 2) F. Letdio, Ueber Paludina vivipara. — Dieselben Bewegungen habe ich auch an den Embryonen von Paludina impura beobachtet. 8) C. Gbosnbaus's Beitr&ge u. s. w. Die Ontogenie der Süsswasser-Pulmonateii. 213 Ein sogenanntes Lymphblatt oder Coelomblatt, dessen An- nahme nach der Ansicht 6. Jaobr's nothwendig wäre , existirt bei den Süsswasser - Pulmonaten nicht. Was die Coelom - Epithelien betrifft, so scheinen sich dieselben grösstentheils (vielleicht ganz) aus Mesoderm-Zellen zu entwickeln. Wir nehmen nun die Darstellung der Weiterentwickelung des Darmkanales an derselben Stelle wieder auf, wo wir sie zuvor verlassen haben. Was vor Allem die Mundhöhle betrifft, so wurde bereits erwähnt, dass dieselbe ein kleines, nach hinten und oben gerichtetes Divertikel besitze, welches wir als die spä- tere Bildungsstätte der Badula bezeichnet haben. Dieses Diver- tikel nimmt während der weiteren Entwickelung sehr rasch an Grösse zu und seine beiden Wände legen sich immer inniger an- einander; dadurch gestaltet es sich zur sog. Zungenscheide um. Unmittelbar vor derselben erhebt sich vom Boden der Mund- höhle die Zunge als ein stumpfer, fleischiger Zapfen. Zwischen den beiden Wänden der Zungenscheide erscheint einige Zeit vor der Bildung des Herzens ein zartes durchsichtiges Häutchen von hyaliner Beschaffenheit, an dem man bei genauer Beobachtung feine Längs- und Querriefen unterscheiden kann; es ist dies die erste Anlage der Radula (Taf. VUI Fig. 25 r). Bald darauf machen sich auch die Zähne als kleine, gelbliche Plättchen be- merkbar ; gewöhnlich erscheinen anfangs nur drei Längsreihen von solchen, während die übrigen erst einige Zeit später gebildet wer- den. Während der weiteren Entwickelung nimmt die Radula nicht blos an Breite, sondern auch an Länge sehr bedeutend zu und schiebt sich dabei albnählich über die Oberfläche der Zunge hin- weg. Aeltere Embryonen führen mit ihrem Schlundkopfe bereits dieselben eigenthümlichen Schluckbewegungen aus, wie die erwach- senen Thiere. — Wenn wir nun erwägen, dass die Mundhöhle sammt der Zungenscheide durch Einstülpung aus dem Exoderm entstanden ist, so werden wir einsehen, dass die Badula nur für ein Ausscheidungsproduct des Exoderms oder äusseren Keimblattes anzusehen ist. Ganz dasselbe gilt natürlich auch von dem aus mehreren Stücken zusammengesetzten Oberkiefer, welcher sich durch Abscheidung aus dem Epithel der oberen Schlundwand entwickelt. Der After, der ebenso wie die Mundhöhle durch Einstülpung der äusseren Haut entstanden ist, liegt anfangs genau in der Mittellinie des hinteren Körperendes, verlässt jedoch während der weiteren Entwickelung diesen seinen ursprünglichen Platz und BdL IX, N. F, li, 15 214 Carl Rabl, rückt allmählich nach vorne an die rechte Seite des Thieres (Taf. VIII Fig. 24 A). Diese Ortsveränderung geht Hand in Hand mit der weiteren Ausbildung und dem allmählichen Vorwärtswachsen des Flimmerwulstes, der, wie erwähnt, den Mantelrand bildet und den After in sich aufnimmt Was nun die secundäre Darmhöhle selbst betrifft, so stellt dieselbe, wie bereits angeführt, einen nach allen Seiten ge- schlossenen Hohlraum dar, welcher ringsum von kleinen, kern- haltigen Entoderm-Zellen umschlossen wird. Diese Zellen sondern sich alsbald in zwei über einander liegende Schichten, deren jede aus einer einfachen Lage von Zellen besteht. Diese Spaltung des inneren, kleinzelligen Theiles des Entoderms in zwei getrennte Zellen - Schichten ist einer Spaltung in zwei Keimblätter gleichzusetzen. Die äussere der beiden Zellenschichten gibt der Muskulatur der Darmhöhle die Entstehung und ist somit als Darmfaserblatt aufzufassen; die innere Zellenschichte dagegen entwickelt sich zu dem, die Darmhöhle und ihre Anhänge aus- kleidenden Epithel und ist daher als Darmdrüsenblatt anzu- sehen. Daraus geht hervor, dass wir von nun an am Embryo vier Keimblätter zu unterscheiden haben. — Mit Rücksicht auf die einzelnen, von der secundären Darmhöhle aus sich ent- wickelnden Abschnitte des Darmkanales ist vorerst zu bemerken, dass der Magen direct aus jenem angeführten Hohlräume, der Anlage des secundären Darmes, hervorgeht; das ihn ausklei- dende Epithel lässt in späteren Entwickelungsstadien eine deut- liche Flimmerung erkennen ; überdies zeichnet er sich später vor allen anderen Darmabschnitten durch seine reiche und kräftige Muskulatur aus. Speiseröhre und Enddarm entwickeln sich erst nach der Bildung des Darmfaserblattes; von der schliesslich erfolgenden Verbindung derselben mit der Mund- und Afterhöhle war schon früher die Rede. Der Darm zieht gegen das Ende der embryonalen Entwickelung in mehreren Windungen durch den Körper des Embryo. Interessant ist es, dass sich die Muskulatur der Mund- höhle und des Afters in ganz anderer Weise entwickelt, als jene der secundären Darmhöhle. Ebenso, wie jene beiden Organe in ihrer Entstehung sich wesentlich von der secundären Darmhöhle unterscheiden, zeigen sie. auch in der Entwickelung ihrer Musku- latur ein ganz anderes Verbalten. Während sich nämlich die Muskulatur der Darmhöhle ausschliesslich aus DarmfaserzeUen entwickelt und demnach ein Product des Darmfaserbiattes dar- Dio Ontogenie der Süsswasser- Pulmonaten. 215 Stellt, bildet sich die Schlund- und Aftermuskulatur — ganz ähn- lich wie die gesammte Rumpfmuskulatur — blos aus Zellen des zweiten secundären Keimblattes, des Hautfaserblattes. Was schliesslich noch die £ntwickelung der Anhänge des Darmkanales betrifit, so scheint aus den Beobachtungen Lbrb- boüllbt's mit grosser Bestimmtheit hervorzugehen, dass sich die Speicheldrüsen in ganz ähnlicher Weise, wie bei den Wirbel- thieren, durch Ausstülpung aus dem Epithel der Mundhöhle ent- wickeln und somit Producte des äusseren Keimblattes oder Hautsinnesblattes darstellen. Meine eigenen Beobach- tungen haben mir darüber nicht völlige Gewissheit verschaffen können. Das zweite Anhangsorgan des Darmes, die Leber, baut sich aus Zellen der beiden inneren secundären Keimblätter auf und ist somit als ein Product dieser beiden Blätter aufzufassen. Die gros- sen, nach aussen gelegenen Zellen des ursprünglichen Entoderms (Taf. IX Fig. 32) nehmen an ihrer Bildung keinen directen An- theil; sie haben blos die Aufgabe, den kleinen, theilungsfahigen Zellen Nahrung zuzuführen, und wir sind daher berechtigt, den nach aussen gelegenen Theil des Entoderms, dessen Zellen ihre Theilungsfähigkeit verloren haben, als Nahrungsdotter zu be- zeichnen. Die einzelnen Elemente dieses Nahrungsdotters lassen, sobald sie ihre Theilungsfähigkeit verloren haben , weder bei An- wendung von Färbemitteln, noch bei Behandlung mit Essigsäure oder anderen chemischen Reagentien Kerne erkennen und es ist daher sehr wahrscheinlich, dass diese gänzlich verschwunden und vom Zellinhalte aufgelöst worden sind. Die Zellen der beiden inneren secundären Keimblätter, aus welchen sich die Leber ent- wickelt, nehmen dagegen auf Kosten dieser „Nahrungsdotterzellen" fortwährend an Zahl zu und häufen sich schliesslich in grösserer oder geringerer Menge zu mehreren Ballen zusammen, welche sich später zu den einzelnen Leberlappen ausbilden (Taf. IX Fig. 26 L). Die Zellen selbst nehmen dabei eine gelblichbraune Farbe an und scheinen beim entwickelten und zum Ausschlüpfen reifen Embryo bereits als Leberzellen in voller functioneller Thätigkeit zu stehen. Die Leber umgibt sich aussen mit einer zarten, structurlosen Mem- bran, welche als die Membrana propria dieses drüsigen Gebildes aufgefasst werden muss. Wenn Gbgbkbaub in Beziehung auf Limas angibt, die grossen Entoderm-Zellen oder „Nahrungsdotter-Zellen'* seien in fünf bis sechs über einander liegenden Schichten angeordnet, so beruht 16* 216 Carl Rabl, dies, wie ich mich an Arion-Erabryonen , wo der Nahrungsdotter in gleicher Mächtigkeit wie bei allen anderen Landgastropoden entwickelt ist, überzeugte, auf einer Täuschung, welche durch die ausserordentliche Entwickelung des Nahrungsdotters leicht hervor- gerufen werden konnte. Einige Zeit nach der Bildung des Darmfaserblattes findet die Bildung des Herzens statt (Taf. VIII Fig. 25 eci). Es ist mir leider nie gelungen, dasselbe früher aufzufinden, als bis es bereits einige wenige Pulsationen ausgeführt hatte. Es stellt alsdann einen länglich-runden Zellenhaufen dar, welcher am Bücken, schief zwischen den beiden Zellenhaufen des Entoderms — also gerade an jener Stelle, wo der Darm am meisten blossliegt — gelegen ist und in der Mitte eine seichte, aber deutlich wahrnehmbare, quere Einschnürung zeigt Die einzelnen Formelemente dieses Zellenhaufens haben eine Grösse von 0,008 — 0,01 Mm., besitzen einen deutlichen Kern und zeigen in Allem eine grosse Aehnlich- keit mit den kleinen, in unmittelbarer Nähe befindlichen und höchst wahrscheinlich dem Darm faserblatte angehörigen Zellen (Taf. IX Fig. 37). Es ist daher sehr wahrscheinlich , dass sich dieser Zellenhaufen vom anliegenden Darmfaserblatte abgelöst habe und dass somit das Herz als ein Product dieses Keimblattes aufzufassen sei. — Die Zellen des Herzens schicken nach allen Bichtungen Fortsätze aus, welche sich meistens verästeln und schliesslich mit denen benachbarter Zellen anastomosiren (Taf. IX Fig. 36 B). Dadurch entsteht ein dichtes muskulöses Gewebe, dessen zellige Zusammensetzung selbst noch in sehr weit vorgeschrittenen Ent- Wickelungsstadien ohne weiteres und mit Leichtigkeit zu erkennen ist. Schon sehr frühzeitig macht sich am Herzsn ein deutlicher Unterschied in der Vertheilung der Zellen bemerkbar : der hintere Abschnitt desselben ist nämlich viel zellenreicher und daher auch viel muskulöser, als der nach vorne gelegene Abschnitt Jener gibt sich dadurch sofort als die Herzkammer zu erkennen, während dieser die Vorkammer des Herzens darstellt (Taf. IX Fig. 36 A). Eine zweite, aussen gelegene und aus platteu Zellen bestehende Schicht, wie sie Gbgenbaub in der Tafelerklärung seiner, schon zu öfteren Malen citirten Schrift erwähnt, habe ich nie auffinden können. Später rückt das Herz aus der Mittellinie etwas auf die linke Seite des Thieres. Was seine Pulsationen betrifft, so erfolgen dieselben anfangs nur in längeren, unregeimässigen Pausen ; später werden sie regelmässiger und folgen schneller auf einander; 120 Schläge in der Minute gehören dann nicht zu den Seltenheiten. — Die Ontogenie der Süsswasser-Pulmonaten. 217 Herzklappen scheinen sich erst später zu entwickeln; ich habe einmal Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie eine, wahrschein- lich aus dem Fusse stammende und durch das circulirende Blut abgerissene Kalkconcretion durch den Blutstrom im Körper um- hergetrieben wurde und jedesmal, wenn sie in das Herz gelangte, einige Male ohne merkbares Hinderniss von der einen Kam- mer ih die andere geworfen wurde, bevor sie wieder ihre Sunde durch den Körper begann. — Das Herz erreicht beim Embryo eine relativ viel bedeutendere Grösse, als beim erwachsenen Thiere. Was endlich noch die Bildung der Gefässe betrifft, so ist soviel gewiss, dass der kurze, dicke Aortenstiel ausschliesslich aus Zellen des Herzens selbst — also wahrscheinlich aus Darmfaser- zellen — gebildet wird und nur als unmittelbare Fortsetzung der Herzkammer selbst anzusehen ist. Die Bildung der kleineren Ge- fässe entzieht sich begreiflicherweise fast jeder Beobachtung; es lässt sich jedoch schon von vorneherein behaupten, dass dieselbe, gerade so wie bei den Wirbelthieren , je nach dem Orte, wo sie vor sich geht, eine verschiedene ist; so werden beispielsweise im Fusse sämmtliche Gefässe aus Hautfaserzellen ihren Ursprung nehmen, während andererseits in der Leber wohl nur Darmfasef- zellen an ihrer Bildung theilnehmen werden. — Um diese Zeit zeigt sich der Anfang einer aus der Ebene heraustretenden, spiraligen "Windung. Mit Rücksicht auf die übri- gen Uestaltveränderungen des Embryo während und unmittelbar nach der Bildung des Herzens ist nur hervorzuheben, dass sich der Fuss immer mehr an seinem hinteren Ende zuspitzt und durch eine mediane Furche an seiner Unterseite in zwei symmetrische Hälften getheilt wird (Taf. IX Fig. 39) ; in seinem Inneren erkennt man Kalkconcretionen von verschiedener Grösse, die man als ein unvollständiges innerem Fussskelet auffassen könnte; sie sind noch im erwachsenen Thiere vorhanden , wie man sich an Längsschnitten leicht überzeugen kann. Kurze Zeit vor der Bildung des Herzens macht sich die Schale als eine dünne, structurlose Membran, welche derMantel- oberHäche dicht aufliegt, bemerkbar. Sie entsteht durch Abschei- dung aus der unmittelbar unter ihr gelegenen Zellenschicht und ist somit als ein Product des äusseren Keimblattes oder Hautsinuesblattes anzusehen. Sie löst sich bei leisem Drucke als ein zusammenhängendes, biegsames Häuteben von ihrem Mut- terboden ab; später nimmt sie durch Ablagerung von kohlensau- rem Kalk eine spröde, leicht zerbrechliche Beschaffenheit au. — 218 C^' ^l^') Die Entwickelung der Niere habe ich an Limnaeen-Em- bryonen nie ganz vollständig verfolgen können ; dagegen ist es mir später gelungen, an Embryonen von Planorbis nicht blos die all- mähliche und stufenweise Ausbildung dieses nichtigen Organe» Schritt für Schritt zu verfolgen, sondern auch seine Beziehungen Keimblättern genau und bestimmt festzustellen. Ich werde m Folgenden zuerst eine Darstellung dieser an Planorbis Uten Beobachtungen zu geben versuchen, um sodann «ne libung der Niere eines entwickelten Limnaeen-Embryo fol- lassen. — Bald nach der Bildung des Herzens bemerkt Q Rande des Mantels, in geringer Entfernung vom After l Fig. 39 N), eine seichte Einstülpung des äusseren Keim- oder Hautsinnesblattes, welche während der weiteren Ent- ng sehr rasch an Grösse zunimmt und schliesslich zur Bil- ines ziemlich langen, nach hinten geschlossenen Schlauches Taf. IX Fig. 27). Das blinde Ende dieses Schlauches li^t ittelbarer Nähe des Herzens, wo begreiflicherweise beständig hes Material zur Absonderung vorhanden ist. Der Schlauch st auf seinem ganzen Verlaufe mit Flimmerepithel aasge- welches nur als unmittelbare Fortsetzung des Flimmer- der äusseren Haut erscheint und anfangs überall die gleiche fenheit zeigt. Bald darauf erleidet es jedoch im hinteren. Schlauchende eine wesentliche Veränderung, indem hier len in ihrem Inneren Kalkconcretionen von verschiedener und Grösse zur Abscheidung bringen und dadurch den ter von Secretionszellen anzunehmen heginnen (Tat IX Fig. !9 b). Damit macht sich zugleich ein deutlicher Unter- zwischen dem äusseren, ausführenden und dem inneren, renden Theil dieser primitiren Nieren-Anlage bemerkbar, itere Ausbildung und Entwickelung derselben besteht haupt- I in einer successiven Grössenzunahme nach allen ihren Igen und geht Hand in Hand mit dem fortschreitenden hume und der weiteren Entwickelung des Embryo selbst, im Gesagten geht mit der grössten Bestimmtheit hervor, ie Niere der Gastropoden als ein Product des -en Keimblattes oder Hautsinnesblattes aufzu- ist e Niere des ausgebildeten und zum Ausschlüpfen reifen en-Emhryo stellt einen 0,6 Mm. langen Schlauch dar, welcher reren schlangenförmigen Windungen den Körper durchzieht !t Fig. 26 R u. Fig. 30). Ebenso wie an der primitiven Die Ontogenie der Süsswasser-Pulmonaton. 219 Nieren- Anlage lässt sich auch hier ein äusserer, ausführender und ein innerer, secernirender Abschnitt unterscheiden (Fig. 30 a u. &). Während man am ersteren die zeitige Znsammensetzung nur sehr undeutlich zu erkennen im Stande ist, fallt dieselbe am letzteren sofort und ohne Weiteres in die Augen. Die Grösse der Secre- tionszellen beträgt 0,01—0,015 Mm.; die in denselben enthaltenen Concretionen besitzen gleichfalls verschiedene Grössen. Anfangs enthält jede Zelle nur eine einzige Concretion; später aber er- scheinen deren mehrere, die wiederum durch neue Secretmasse mit einander verwachsen können. Dieses Zusammenwachsen erfolgt bald in der Weise, dass sich die einzelnen Concretionen in einer Reihe an einander legen, bald so, dass sie sich ganz unregelmäs- sig zu einem unförmlichen Klumpen zusammenhäufen. Die ^iere ist an ihrer äusseren Oberfläche mit einem zarten, durchsichtigen Häutchen überzogen, welches eine Dicke von höchstens 0,0015 Mm. besitzt und eine vollkommen homogene, structurlose Beschaffenheit zeigt (Taf. IX Fig. 30 m). Es ist dies die sog. Membrana propria, ein bekanntlich den meisten drüsigen Organen zukommendes Ge- bilde. Ob es von den Nierenzellen selbst nach aussen abge- schieden wird, oder aber dem anliegenden Bindegewebe (und also dem Hautfaserblatte) seinen Ursprung verdankt, ist eine Frage, welche selbst hinsichtlich der viel vollständiger bekannten Wirbel- thiere noch immer auf eine befriedigende Antwort wartet. Von anderen Excretionsorganen sind nur noch die einzelligen tubulosen Drüsen zu erwähnen, welche in grosser Menge am Man- telrand vorhanden sind und selbstverständlich aus Zellen der . äus- seren Haut gebildet werden. Vornieren oder Urnieren, wie sie den Landgastropoden zukommen, finden sich wie es scheint, bei den Wasserschnecken nicht; ob etwa die beiden Einstülpungen des Exoderms (Taf. VIII Fig. 20 rg), deren Bedeutung noch un- bestimmt ist, als rückgebildete und verkümmerte Vornieren aufzufassen sind, muss ich vorderhand noch dahingestellt sein lassen ; wichtig wäre in dieser Hinsicht die Beobachtung der Ent- wickelungsgeschichte der Succineen und verwandter Schnecken, in denen uns allem Anscheine nach die directen Nachkommen der Verbindungsglieder zwischen den Lungenschnecken des Wassers und denen des Landes erhalten geblieben sind. Was schliesslich noch die Entwickelung der Geschlechts- organe betrifift, so erfolgt dieselbe erst geraume Zeit nach dem Ausschlüpfen des Embryo aus dem Ei. Der keimbereitende Ab- schnitt des Genitalapparates, die Zwitter drüse, entwickelt sich 220 Carl Rabl, ganz unzweifelhaft aus einem der beiden inneren Keimblätter; dafür spricht nicht allein die Lage dieses Organes selbst, das be- kanntlich ringsum von der Leber umhüllt wird, sondern namentlich der Umstand, dass man zu keiner Zeit eine in das Entoderm hin- einwachsende und daselbst endigende Einstülpung des Hautsinnes- blattes, der man einen Antheil an der Bildung der Zwitterdrüse zuschreiben könnte, gewahr wird. Dagegen ist es sehr wahrschein- lich, dass die äusseren, ausführenden Theile des Genitalapparates durch Einstülpung aus der äusseren Haut ihren Ursprung nehmen und also eine von der Zwitterdrüse verschiedene Entstehungsweise besitzen. An einigen Embryonen von Planorbis habe ich auch wirklich gegen das Ende des Eilebens eine deutliche Einstülpung der jlusseren Haut am Mantelrande bemerkt, die ganz wohl zur Bildung der Ausführungsgänge führen könnte (Taf. IX Fig. 39 G). Eine weitere Verfolgung dieser Einstülpung war jedoch wegen der immer dunkler werdenden bräunlichen Färbung der Leber nicht möglich; soviel ist jedoch gewiss, dass sie nicht in das Entoderm selbst hineinwächst und also auch keinen Antheil an der Bildung der Zwitterdrüse nehmen kann. Wie sich das weitere Schicksal jener muthmaasslichen GeschlechtsöfiFhung gestaltet, müssen wir dahingestellt sein lassen. Da die Geschlechtsöffhungen der Suss- wasser-Pulmonaten getrennt sind, so müssen wir entweder anneh- men, dass sich die ursprüngliche Oeffnung in zwei Hälften theile, oder, dass sich neben derselben eine zweite Oefinung entwickle. — Sobald der Embryo eine so bedeutende Grösse erlangt hat, dass ihn das Ei nicht mehr zu fassen vermag, sprengt er die ihn beengenden EihüUen. Anfangs bleibt er noch einige Zeit am Laiche kleben, um sich von der gallertigen Masse, in welche die Eier ein- gebettet sind, zu ernähren ; später aber kriecht er frei im Wasser umher und nährt sich von den darin befindlichen mikroskopischen Organismen. Die Zeit, welche der Embryo zu seiner Entwickelung braucht, schwankt zwischen sehr weiten Grenzen; sie hängt hauptsächlich ab» von der Temperatur des Wassers, in dem die Entwickelung vor sich geht. So kann z. B. die Entwickelung eines Limnaeus unter günstigen Verhältnissen in drei bis vier Wochen ablaufen, während sie ein anderes Mal unter ungünstigen Verhältnissen sechs und noch mehr Wochen beanspruchen kann. Wie sehr die Zeitdauer der Entwickelung von äusseren Einflüssen abhängt, beweist unter Die Onfogenie der Süsswasser-Pulmonaten. 221 Anderem auch der Umstand, dass einmal nach einem kalten, stür- mischen Septembertage fast alle Eier von Physa fontinalis, welche ich gesammelt hatte, in ihrer Entwickelung plötzlich stille standen. — Nicht immer entwickeln sich alle Embryonen eines und des- selben Laiches mit der gleichen Geschwindigkeit, sondern es kommt vielmehr gar nicht selten vor, dass einige Embryonen sich viel rascher entwickeln und viel früher das Ei verlassen, als andere. — Schliesslich mögen noch einige eigenthümliche Erscheinungen Erwähnung finden, die sich mir im Laufe meiner Beobachtungen darboten und die ein allgemeineres Interesse in Anspruch nehmen können. Was vor Allem die ZwillingsbilduDg betrifft, so habe ich dieselbe bei Planorbis viermal, bei Limnaeus dreimal und bei Physa einmal beobachtet. Mit einer einzigen Ausnahme waren die Embryonen gleich gross und vollkommen regelmässig ausge- bildet; auch die Eier, in denen sie sich entwickelten, hatten die normale Grösse und Gestalt; nur zweimal (einmal bei Limnaeus (Taf. IX Fig. 40) und einmal bei Planorbis) beobachtete ich ganz absonderliche Eiformen, die offenbar durch das Verschmelzen zweier Eier zu Stande gekommen waren. Ein Verwachsen der Zwillinge mit einander, wie es Gbgbnbaur einmal bei Limax gesehen, habe ich nie zu beobachten Gelegenheit gehabt. Was für's zweite die Missbildungen betrifft, so betreffen dieselben fast durchgehends frühe Entwickelungsstadien. So kommt es beispielsweise gar nicht selten vor, dass aus der Substanz des Dotters während der Furchung die „Richtungsbläschen'' in unge- wöhnlich grosser Zahl ausgetrieben werden und der Dotter somit augenscheinlich zu viel von jener Masse enthält, aus der dieselben bestehen. Sehr häufig verliert der Dotter nach abgelaufener Furchung die Fähigkeit, sich weiter zu entwickeln, so dass er dann in seine Stücke zerfällt. Manchmal bleibt, wie bereits erwähnt, das Ento- derm in seiner Entwickelung mehr oder weniger weit zurück; ja es kann sogar vorkommen, dass nur einige wenige Entoderm- Zellen zur Ausbildung gelangen. In einem solchen Falle habe ich einmal beobachtet, dass sich ein Haufen von Zellen — vielleicht Kutoderm-Zellen — ausserhalb des Embi^o im Eiweiss befand. Das Exoderm und Mesoderm besitzen in solchen Fällen meist die gewöhnliche Mächtigkeit. Dass bei solchen und ähnlichen Miss- bildungen von einer weiteren Entwickelung keine Rede mehr sein könne, versteht sich von selbst. 222 ' Carl Rabl, *• n. Ueber die Bedeutung der beschriebenen Entwicke- lungsvorgänge. Um zu einem richtigen Verständnisse der beschriebenen £nt- wickelungSYorgänge zu gelangen, ist es nöthig, drei Gruppen von Erscheinungen einer aufmerksamen Betrachtung zu unterziehen. Diese sind: 1) Die Formveränderungen des Embryo, 2) Die Reihenfolge der Entstehung der Organ-Systeme (ontogenetische Succession nach Haeckel), 3) Die Beziehungen der Organ-Systeme zu den Keim* blättern. I. Unter den Formveränderungen des Embryo verstehen wir alle Veränderungen der äusseren Form und mor- phologischen Individualität des Embryo vom Beginne seiner Entwickelung bis zum Verlassen des Eies. Da aber ein Verstand- niss der ontogenetischen Vorgänge nur durch eine Zurückführung derselben auf phylogenetische Ursachen ermöglicht wird, so wollen wir versuchen, die Formveränderungen des Embryo von phylo- genetischen Vorgängen abzuleiten. Schon die allerersten Vorgänge am befruchteten Schneckenei, das Verschwinden*) und nachherige Wiederauftreten des Keim- bläschens, deuten darauf hin, dass die ältesten Vorfahren der Gastropoden wie aller anderen Organismen Lebewesen von der allereinfachsten Beschaffenheit, ähnlich den heute noch existirenden Moneren, waren , die sich erst später durch Differenzirung eines Kernes zu Organismen vom Formwerth einer gewöhnlichen, ein- fachen Amoebe entwickelten. Die darauf aus der Furchung her- vorgegangene Morula wiederholt offenbar jenen phylogenetischen Entwickelungszustand, von dem uns heute nur noch die Synamoeben ein anschauliches Bild geben. Was ferners die ungleiche Dotterfurchung betrifft, so scheint dieselbe als ein Erbtheil von den Würmern aufge- fasst werden zu müssen, bei denen dieselbe nach den Untersuchun- 1) Allerdings ist das Verschwinden des Keimbläschens erst in jitngstor Zeit wieder von Professor Fbkt angezweifelt und als ein „in unbehi^licher Weise das theoretische Verst&ndniss erschwerender Vorgang" bezeichnet wor- den. Es wird jedoch schon aus dem oben Gesagten eingeleuchtet haben, dass dieser Vorwurl durchaus nicht gerechtfertigt erscheint (Fbey, Handbuch der Histologie und liistocheniie des Menschen. IV. Aufl. 1874. ä. 92 u. 98). Die Ontogenie der Sasswasser-Pulmonaten. 223 gen von Kowalrvsky und Anderen eine ausgedehnte Verbreitung besitzt. Eine Zurückführung auf eine bestimmte Wtirmergruppe ist jedoch beim gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse nicht möglich. Ueber die Bedeutung der während der Furchung ausgetriebe- nen „Richtungsbläschen^' standen sich zur Zeit, als Lbtdio die Entwickelung von Paludina vivipara untersuchte, zwei Ansich- ten gegenüber. Fr. Mollsb ') meinte, dass die „Richtungsbläschen^' auf die Furchang selbst einen wichtigen Einfluss übten und die Richtung der Furchen des Dotters und somit auch der Furchungs- kugeln bestimmten. Rathkb^) dagegen sprach ihnen jeden Ein- fluss auf den Furchungsprocess ab und m« inte, dass sie nach ab- gelaufener Furchung gar keine Bedeutung mehr besässen, sondern im umgebenden Eiweiss wieder verschwänden. Mit dieser Ansicht Rathkb's stimmen wir vollkommen überein, glauben aber dennoch den „Richtungsbläschen^^ nicht alle und jede physiologische Be- deutung absprechen zu dürfen; das eigenthümiiche Verhältniss, in dem dieselben zu den kleinen Furchungskugeln stehen (Taf. VII Fig. 8), macht es nicht unwahrscheinlich, dass sie mit diesen in Zusammenhang gebracht werden müssen. Da nun nach meinen Erfahrungen jedesmal, wenn das Ei längere Zeit vor der Beob- achtung in Ruhe gelassen wurde, die vier kleinen Furchungskugeln nach oben gelegen waren (Taf. vn Fig. 7), und da demnach der betreffende Eipol specifisch leichter zu sein scheint, als der ent- gegengesetzte, so wird wohl die Annahme nicht ungerechtfertigt erscheinen können, dass die „Richtungsbläschen^S indem sie sich zwischen Ei und Eiweissmembran einschieben, das Ei selbst vor Druck zu schützen haben. Demnach hätte man also die „Rich- tungsbläschen'^ als durch Anpassung an die ungleiche Dotterfurchung') erworbene Schutzorgane des Embryo aufzufassen. Ihre Nothwendigkeit fallt natürlich mit dem Augen- blicke weg, als der Embryo zu rotiren bi'ginnt — Hoffentlich werden neue Beobachtungen ein sichereres Resultat über diesen Gegenstand geben können. Die aus der Morula sich entwickelnde Blastosphaera wie- derholt allem Anscheine nach jenen phylogenetischen Entwicke- 1) ». Wieomanh'8 Archiv 1848. 1. Heft 2) :5. VVuaMANN^H Archiv 1848. 2. lieft. '6) Bekanntlich konuueu auch bei Luinbricub ucbeu ungleicher Dottertur- chuug „Uichtiuigbbläscbcn" vor. Jr^. Ivowalbvbkt, Kmbryologische ^Studien. 224 C«r^ ^^^^ langsznstand , welcher im System noch heute durch die Mago- sphaeren vertreten wird. Die wichtigste Embryonal-Form des Thierreichs ist jedoch die aus der Blastosphaera sich entwickelnde Gastrula; sie repräsen- tirt, wie Ray-Lankbster •) mit Recht sagt, die Coelenteraten-Phase der Entwickelung des ganzen Thierreiches". Die ausserordentliche Bedeutung, welche sie besitzt, stützt sich nach Habckel „erstens darauf, dass dieselbe bei Thieren der verschiedensten Klassen, von den Spongien bis zu den Wirbelthieren, in derselben charak- teristischen Form und Zusammensetzung wiederkehrt und zweitens darauf, dass die morphologische und physiologische Beschaffenheit der Gastrula-Form an sich auf den monopl^yletischen Stammbaum des Thierreichs das hellste Licht wirft". — Von der Verbreitung der Gastrula im Stamme der Mollusken war schon früher die Rede ; in Beziehung auf die ausserordentliche phylogenetische Be- deutung derselben verweisen wir namentlich auf Hasckel's „Ga- straea -Theorie" *^). Wenn wir nun erwägen, welche Veränderungen der Embryo in Beziehung auf seine morphologische Individualität bisher zu durchlaufen hatte, so finden wir, dass er im Beginne seiner Ent- wickelung als Ei gerade so, wie jeder andere thierische oder pflanz- liche Organismus, ein Form - Individuum erster Ordnung, gleich einer Plastide, vorstellte. Indem aus der Eifurchung ein Zellen- haufen hervorging, erreichte der Embryo die Stufe eines morpho- logischen Individuums zweiter Ordnung, eines Organes. Erst mit der Gastrula erlangte er den Werth eines Form-Individuums drit- ter Ordnung, einer Person; von nun an ändert er seine mor- phologische Individualität nicht mehr, obwohl seine äussere Form noch mannigfachen Umgestaltungen und Verände- rungen unterliegt. Daraus geht von selbst die hohe Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen den Veränderungen der äusseren Form und denjenigen der morphologischen Individualität des Embryo hervor. Wir sehen nämlich, wie sich die äussere Form inner- halb der Grenzen einer bestimmten Stufe der morpho- logischen Individualität sehr bedeutend ändern, ja so- gar* einen ganz anderen Charakter annehmen kann. Wir können 1) Ray-Lankkstbr , ,,Coiitributioiis to the 1 ^eveloperaeut historv of the Molliiska". Tbe Auiials and Magaziue of natural history, July 1874. Ans der Royal Society. 2) Vergleiche aubücrdem Auni. l und ausserdem: Kay-Imnkbsteb, „Ou the primitive cell-layers of the einbryo** etc. Die Ontogonie der Süsswasser-Pulinoxiaten. 225 ganz genau verfolgen, wie sich aus der ursprünglich einaxigeu Gastrula-Form allmählich und stufenweise der bilaterale Typus der Gastropoden entwickelt; wir sehen, wie sich anfangs nur diejenige Seite des Thieres, in welcher bald darauf die secundäre Mund- öffnung erscheint, verändert und wie erst später die andere Seite mit dem After nachfolgt. Dieser höchst interessante und merk- würdige Process, welcher während der individuellen Entwickelung mit grosser Schnelligkeit verläuft, mag wohl während der Ent- wickelung des Stammes der Gastropoden viele Jahrtausende in Anspruch genommen haben. Zunächst sehen wir aus der Gastrula einen langgestreckten, mit zwei deutlichen queren Einschnürungen versehenen Embryo hervorgehen, welcher uns sofort an einen dreigliederigen Würmer- Embryo oder an einen jungen Brachiopoden - Embryo ^) erinnert. Man könnte sich leicht versucht fühlen, diese interessante und jedenfalls phylogenetisch bedeutsame Embryonal-Form auf eine wirkliche Stammverwandtschaft der Gastropoden mit den Brachiopoden und Würmern zurückzuführen. Wenn aber auch eine solche Stamm Verwandtschaft ganz unzweifelhaft existirt, so können wir uns für jetzt doch noch nicht entschliessen, jene Em- bryonal-Form mit Bestimmtheit auf einen solchen phylogenetischen Vorgang zu beziehen. Davon hält uns namentlich der Umstand ab, dass die einzelnen Abschnitte des Embryo, welche möglicher- weise als Segmente aufzufassen sind, nicht ganz dieselbe Beschaf- fenheit besitzen, sondern das Hinterende desselben, das dritte Seg- ment, von den beiden anderen Abschnitten, den zwei ersten Seg- menten, wesentlich verschieden ist. Um jedoch in dieser schwie- rigen Frage eine endgültige Entscheidung fällen zu können, wird es nothwendig sein, nicht blos die Entwickelung der Schnecken noch weiter zu ' verfolgen , sondern ganz besonders die bisher viel zu sehr vernachlässigte Ontogenese der Muscheln einer aufmerk- samen Beobachtung zu unterziehen. Was ferner die Bedeutung des bei den Süsswasser-Pulmona- ten rudimentären Velum betrifft, so ist dasselbe, wie Gbgbhbaur ^) gezeigt hat, vom primären Wimperkranze der Würmer abzuleiten, und nur als „eine Weiterentwickelung der dort ein- facheren Verhältnisse^* aufzufassen. Für die genannte Gruppe der 1) K0WALBV8KT, Die Eotwickeluiig der Bracbiopodeu, 1874. russisch. 2) Gboenbaur, Grundzüge der vergleichenden Anatomie. II. Aufl. 1870. S. 47ft. 226 <'Ärl Ral»l, Gastropoden hat das Velum noch insoferne ein besonderes Inter- esse, als ihre Entwickelung selbst nach dem Zeugnisse eines Geg- ners der Descendenztheorie ') auch im Uebrigen die grössteAehn- lichkeit mit der Entwickelung der Prosobranchiaten besitzt Einige Zeit nach der Bildung der secundären Mundöffnung und des Afters erlangt der Embryo, wie wir gesehen haben, eine voll- kommen „streng bilateral-symmetrische^* Gestalt, genau so, wie sie die homopleuren Zeugiten besitzen, zu denen bekanntlich weitaus die Mehrzahl der Wirbelthiere, Würmer, Mollusken u. s. w. gehört. Wie bei diesen ist auch beim Gastropoden-Embryo zu dieser Zeit eine Axe (die Lateralaxe) gleichpolig, während die beiden anderen (die Hauptaxe und Dorsoventralaxe) ungleichpolig sind. Aus die- ser homopleuren Embryonal-Form geht durch Verschiebung des hinteren Poles der Hauptaxe die heteropleure und speciell die dysdipleure Grundform hervor, welche die Gastropo- den während ihres ganzen Lebens beibehalten. Diese merkwürdigen Veränderungen lassen sich in ihrer cau- salen Bedeutung nur durch Zurückführung auf phylogenetisdie Vorgänge verstehen. Vor allem möchten wir in Beziehung auf die homopleure Grundform des Embryo an ein ganz ähnliches Ent- wickelungsstadium erinnern, welches in der Ontogenese der Lameiü- branchiaten sehr weit verbreitet zu sein scheint. Einen besonde- ren Werth legen wir in dieser Hinsicht den Worten Lbtdio's^) bei, welcher über die Entwickelungsgeschichte von Gyclas Cornea sagt: „In der Entwickelungsweise der Körpergestalt und der An- lage der Organe folgt augenscheinlich unsere Gyclas dem bekann- ten Schema der Mollusken, insbesondere dem der Gastro- poden/* Hoffentlich werden neue Beobachtungen der Ontogenese der Muscheln darüber noch manche erfreuliche Resultate zu Tage fördern. Alle weiteren Veränderungen der äusseren Körperform des Embryo, namentlich die Bildung des Mantels und der Schale^), laufen auf eine immer vollständigere Ausbildung des Gastropoden- Typus hinaus. — 1) Bbonh, Classen und Ordnungen der Weichthiere. III. Band, II. Ab- theilung: Kopftragende Weichthiere. 2) Letdig, Ueber Gyclas comea. Mullbb's Archiv 1855. S. 65. 3) Schon DüuOBTiEB machte auf die allmähligen Gestaltveränderungen der Schale aufmerksam und bemerkte, dass die Schale von Limnaeus der Beihc nach die Schalenformen von Ancylus, Planorbis u. s. w. wiederhole. Die Ontogenie der Süsswftsser-Pulmonaten. 227 IL Ebenso wie die Formveränderungen des Embryo, können wir auch die Reihenfolge der Entstehung der Organ-Sy- steme einzig und aliein durch Anwendung des allgemeinen bio- genetischen Grundgesetzes in ihrer causalen Bedeutung verstehen. Es lässt sich leicht begreifen, dass eine genaue und richtige Fest- stellung der Aufeinanderfolge der Organ-Systeme nur möglich ist bei beständiger Berücksichtigung der Beziehungen, in denen die- selben zu den Keimblättern stehen, aus welchen sie sich entwickeln. Da man aber bis vor Kurzem lediglich die Aufeinanderfolge der einzelnen Organe (nicht der Organ-Systeme), ganz ohne Bücksicht auf die Beziehungen derselben zu den Keimblättern, beobachtete, so konnten leichterdings die zahlreichen Irrthümer und Wider- sprüche hervorgerufen werden, denen man selbst in den Arbeiten der tüchtigsten und aufmerksamsten Beobachter leider nur zu oft begegnet. Um nur ein einziges Beispiel anzuführen, wollen wir die Auf- einanderfolge der Organe, wie sie Voqt bei Actaeon beobachtete, mit jener vergleichen, wie sie Lbtbig in Beziehung auf Palndina angibt Bei Actaeon sollen die Organe in folgender Rdhe auf- treten: Rotationsorgane und Fuss, Otolithen und Gehörblasen, Schale, Mantel und Deckel, Leber und Darm ; bei Paludina gestal- tet sich dagegen die Reihenfolge in der Weise, dass zuerst Segel, Darm und Leber auftreten, und dann der Reihe nach Fuss, Gehör- blasen , Fühler und Augen , Mantel und Schale , Nerven - System, Herz und Kiemen. Was überdies die Bildung des Afters betrifft, so fällt dieselbe bei Paludina „in die erste Embryonalexistenz^', bei Actaeon dagegen soll sie erst am Ende des Eilebens erfolgen. Während demnach der Darm bei Paludina (wie es wohl unzweifel- haft richtig ist) schon am Anfange der Entwickelung auftritt, soll er bei Actaeon erst am Ende derselben gebildet werden ! Dass eine so gründliche Verschiedenheit bei Thieren einer und der- selben Klasse ganz unmöglich ist, leuchtet wohl von selbst ein. Es Hessen sich in dieser Beziehung noch zahlreiche ähnliche Beispiele anführen; wir kehren jedoch zu der von uns beobachte- ten Gastropoden-Gruppe zurück. Wie wir gesehen haben, ist hier die Reihenfolge der Entste- hung der Organ-Systeme folgende: L Primärer Darm, II. secun- därer Darm, III. Nerven-System , IV. Muskel-System, V. Gefäss- System, VL Excretions-System und endlich VU. Genital-System. Die Aufeinanderfolge der Organ-Systeme stimmt demnach fast voll- kommen mit jener überein, welche Habokbl in seiner „Gastraea- 228 ^'wl RaW, Theorie" gegeben hat; sie unterscheidet sich von ihr blos darin, dass das Excretions-System erst nach der Entstehung des Gefass- Systems gebildet wird. Es könnte demnach scheinen , als hätten wir es hier mit einer Verschiebung der ursprünglichen Verhältnisse zu thun ; dies ist jedoch nach unserer Ansicht nicht der Fall. Wie wir weiter unten auseinandersetzen werden, ist nämlich die Niere der Gastropoden (und vielleicht aller Mollusken) nicht etwa ein ursprüngliches, von den Würmern ererbtes, son- dern vielmehr ein, im Laufe der Zeit von ihnen oder anderen Mollusken erworbenes Organ. Weil aber nach dem biogenetischen Grundgesetze die ontogenetische Aufeinander- folge der Organ-Systeme nur eine Wiederholung ihrer historischen oder palaeontologischen Reihenfolge ist, so ist es ganz wohl zu begreifen, dass die, erst lange nach der Bildung des Herzens er- worbene, bleibende Niere der Gastropoden auch während der Ontogenese erst nach der Entstehung des Gefass - Systemes zur Entwickelung gelangt. Was dagegen die zuerst von 0. Schmidt') und bald darauf von Gegbnbaur an Embryonen von Landschnecken entdeckten Urnieren betrifft, so sind dieselben nach unserem Dafürhalten ganz gewiss direct von den Schleifencanälen der Wür- mer abzuleiten; dementsprechend treten sie auch schon vor der Bildung des Herzens auf. Ueberdies spricht auch der Umstand, dass die bleibende Niere der Gastropoden durchaus nichts mit den embryonalen Urnieren zu thun hat, für die morphologische Ver- schiedenheit dieser beiden Gebilde. Mit Rücksicht auf den wahr- scheinlichen Mangel der Urnieren bei den Wasserschnecken ver- weisen wir auf unsere früheren Bemerkungen. Als eine wirkliche Verschiebung der ursprünglichen Ver- hältnisse haben wir dagegen die frühzeitige Bildung der Zungenscheide, in welcher bald darauf die Radula. erscheint, anzusehen. Bekanntlich sind Radula und Zungenscheide zwei den Gastropoden eigenthümliche und für sie charakteristische Organe, welche offenbar erst in sehr später Zeit von ihnen erworben wor- den sind. Diese eigenthümliche Verschiebung beschränkt sich je- doch nicht ausschliesslich auf die Süsswasser-Pulmonaten, sondern scheint vielmehr allen Gastropoden gemeinsam zu sein; ich habe sie auch an Paludina impura beobachtet. 1) OscAB Schmidt, „üeber die Entwickelung vouLimax agrestis/' Archiv fär Anatomie and Physiologie 1851. Die Ontogenie der Süsswasser-Palmonaten. 229 III. Um die Beziehungen der einzelnen Organ-Sy- steme zu den Keimblättern gehörig würdigen zu können, ist es nöthig, sich vorerst die Beziehungen klar zu machen, in welchen die Keimblätter selbst zu einander stehen. Diese lassen sich am besten durch folgende Tabelle zur Anschauung bringen: 1. Hautsinnesblatt I. Exoderm (Animales Keimblatt) (Erstes secmidäres Keimblatt) 2. Haotfaserblatt (Zweites secuodäres Keimblatt) A. AeuBserer , aus thei- \ lungsunföhigen Zellen I 3 Nahrungsdott „Nahrunffszellen") [ uukduu!.!. („Nahrungszellen") bestehender Theil ) er Entoderm / i^' I>armfft8erblatt (Vegetatives KaünbUtt) f •ÄrzXJtBT Blattr'""" dungBEellen") be-\6. Darmdrüsenblatt stehender Theil i (Viertes secundÄres f Keimblatt) Zu dieser Tabelle ist jedoch zu bemerken, dass die Dififerenzirung des Exoderms oder animalen Keimblattes in Hautsinnesblatt und Hautfaserblatt, wenn auch wahrscheinlich, so doch nicht ganz sicher ist Die Darstellung der Differenzirungsproducte des Ento- derms oder vegetativen Keimblattes dagegen enthält durchaus nichts Hypothetisches. Die Beziehungen der einzelnen Organe zu den Keimblättern können am besten aus folgender Tabelle ersehen werden: Hautsinnesblatt Uautfaserbatt Darmfaserblatt . Darmdrüsenblatt 1. Bpidermis 2. Epidermis- Drüsen 8. Oberes und un- teres Schlund- ganglion (Vis- ceralganghon ?) 4. Sinnesorgane (Augen und Ge- hörbl&schen) 6. Niere 6. Epithel der Mund- und Afterhöhle 7. Schale 8. Oberkiefer 9. Radula 10. Speicheldrüsen 11. Ausfahrender Abschnitt des Qenitalappara- tes (?) Bd. IX, N. F. II. 1. 2. 3. 4. 5. Corium 1 1. Muskulatur der { 1. Darmepithel Muskulatiu* der l Haut und des { 2. Rumpfes j Schlund- und , After -Muskula- , S. tur 4. Endoskelet (Kalkconcretio- nen im Fusse) Coelom-Epithel (Parietales und (?) viscerales) Darmhöhle Herz (?) (Kam- mer und Yor- kamer) Zwitterdrtise (?) Leber (theil- weise) Darmdrüsen- Epithel (nament- licJi das Epithel der Leber). 16 2;W Carl Rabl, Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass die vier Keim- blätter der Gastropoden den vier Keimblättern der Würmer, Oliederthiere, Echinodermen und Wirbelthiere homolog sind. Die Gastropoden (und wahi*scheinlich alle Mollusken) gehören da- her zu den Thieren mit vier Keimblättern, den Te trab last er ien (Hkl). Wenn Ray-Lankbstbr die Gastropoden zu den Triplobla- stica, den Thieren mit drei Keimblättern, rechnet, so scheint er die drei Hauptdifferenzirungs-Producte des Entoderms (Nahrungs- dotter, Darmfaserblatt und Darmdrüsenblatt) als Ganzes zu be- trachten und als ein einziges Keimblatt ins Auge zu fassen. Was nun die einzelnen Organ-Systeme im Besonde- ren betrifft, so müssen wir für's erste als eine der wichtigsten und phylogenetisch bedeutungsvollsten ontogenetischen Erscheinun- gen die Entwickelung des Nerven-Systems (oder wenigstens seines animalen Theiles) aus dem ersten secundären Keimblatte, dem Hautsinnesblatte, hervorheben. Die ausserordentliche Wich- tigkeit dieser Erscheinung stützt sich namentlich darauf, dass sie in allen Stämmen der Metazoen von den Würmern an aufwärts beständig wiederkehrt. — Es lassen sich zwei Arten der Entstehung des Nerven-Systems unterscheiden: die erste besteht darin, dass sich die äussere Haut in grösserer oder geringerer Ausdehnung einstülpt und der eingestülpte Theil sich darauf von der Haut ab- schnürt; auf diese Art entsteht das Nerven-System der Ascidien, Wirbelthiere u. s. w.; die zweite Art besteht darin, dass sich die Haut auf einer grösseren oder geringeren Strecke verdickt und der verdickte Theil sich sodann von der äusseren Zellenlage ab- löst; so entsteht das Nerven-System bei den Arthropoden, einem Theil der Würmer u. s. w. Bei den Gastropoden scheinen beide Entstehungsarten des Nerven-Systems vereinigt zu sein; während nämlich das obere Schlundknoten-Paar wahrscheinlich durch Ein- stülpung entsteht, bildet sich das untere durch Verdickung. Diese verschiedene Entstehungsweise darf wohl auf einen verschiedenen phylogenetischen Ursprung beider Knoten-Paare bezogen werden. Während das obere Schlundknoten - Paar oder Gehirn sich aller Wahrscheinlichkeit nach direct aus dem oberen Schlundknoten- Paar der Würmer entwickelt hat und diesem daher homolog ist, stellt das untere Schlundknoten -Paar oder Fussganglion wahr- scheinlich ein von den Gastropoden oder anderen Mollusken selbst- ständig erworbenes Organ vor und kann daher in keiner Weise mit dem unteren Schlundknoten-Paar der Anneliden und Arthro- poden verglichen werden. I>te Ontogfnie dn- Sfisswasspr-PohnoDaten. 231 Die Niexe der Gastropoden mass sowohl nach ihrem onto- genetischen Verhatten als nach ihrem histologischen Bau mit einer mehrzelligen tnbnlösen Hautdrüse verglichen werden and hat sich, falls das biogenetische Grandgesetz richtig ist — und wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln — ganz gewiss aus einer solchen entwickelt. Sie ist, wie bereits erwähnt, in keiner Weise mit den Schleifencanälen oder Segmentaloi^anen der Würmer zu verglei- chen und es kann daher auch nicht von einer Homologie dieser beiden Organe die Rede sein. Dagegen scheinen die sog. Ur- nieren sowohl nach der Zeit ihrer Entstehung, als nach der paarigen Anordnung zu beiden Seiten des Körpers den Schleifen- canälen der Würmer homolog zu sein. Mit diesen Umieren hat jedoch die bleibende Niere der Gastropoden nichts zu thun, son- dern diese entwickelt sich vielmehr zu einer ganz anderen Zeit an einer ganz anderen Stelle. Wichtig wäre es überdies noch zu er&hren, ob die Bildung der Urnieren vor oder nach der Um- wandlung der ursprünglich homopleuren Grundform des Embryo in die heteropleure stattfindet ; denn falls dieselbe noch vor dieser Umwandlung stattfände, hätten wir einen Beweis mehr für die Homologie der Umieren und Schleifencanäle gewonnen. Anderer- seits spricht erstens die Zeit der Entstehung und zweitens die unpaare Anordnung aufs entschiedenste für die Annahme, dass sich die bleibende Niere der Gastropoden wahrschein- lich erst im Anschlüsse an die. heteropleure Körper- form derselben entwickelt habe. Das wichtigste Product des Hautfaserblattes ist die Kumpfmuskulatur. Es lässt sich über dieselbe nur bemerken, dass sie im Grossen und Ganzen der Rumpfmuskulatur der übri- gen Metazoen homolog ist; im Einzelnen ergeben sich natürlich mannigfache Unterschiede, welche durch die eigenthümliche Kör- perform der Gastropoden bedingt sind. Dagegen möchten wir als eine Thatsache von bedeutendem Interesse die Anwesenheit eines aus zahlreichen Kalkstücken bestehenden inneren Fussskeletes her- vorheben. Diese Thatsache beweist, dass auch bei den Gastro- poden, geradeso wie bei den Coelenteraten und Vertebraten das Hautfaserbla.tt die Fähigkeit besitzt, einem inneren Skelete den Ursprung zu geben. Was die Producte des Darmfaserblattes betrifft, so tritt uns vor Allem die Frage entgegen, ob sich das Herz nicht mit einem ähnlichen Organe einer niederen Thiergruppe vergleichen lasse. Dies ist, wie Gbqbnbaur gezeigt hat, in der That der Fall ; 16* l« noao ifti voKkoruiVi^D b^recxiiigL diis Herz der ija^trojK^^a sowie d^ ührUihu ModtLtktu aIä ein einem Abs^büitte des Räckeage- fielen der Wörroer bomolos^es Organ za beir&chtoL Von d«irr gro-.tten Bedeutung für die Keiniblixter-Tbeorie ist femer die Art und Webe der Lntwickelung des Dmrm- kanaie!^. Hasckel» CntenicheiduDg zwischen primärem uid ^eeundärem Darm findet wie es scheint auf alle Metazoen mit AuiiDabiue der Coelenteraten ihre Anwendung. Es kann wohl kaum einem ernstlichen Zweifel unterliegen, dass die primäre Dannh^ble und die Muudoffnung der Ga.strula in allen Stim- men derMetazoen homolog aind und daher auch mit der bleiben- den Murjdöffnung und Danuboble der Coelenteraten verglidien werden können. Wais die becnndäre Darmhöble und die se- cundiire Mundöifnung betrifft, i»o ist es gleichfalls sehr wahr* hcheinlicb, das» dieselben bei allen Metazoen mit Ausnahme der Coelenteraten, also bei allen Bilaterien, homolog sind. Dafür spricht namentlich der Umstand, dass die Darmhöhle sich überall lediglich aus Entoderm- Zellen aufbaut, während an der Bil- dung der Mundhöhle ausschliesslich Zellen des Hautsinnesblattes Mich betheiligen. Die Bildung des Afters ist dagegen noch nicht bei allen Tbieren, deren Entwickelung beobachtet wurde, völlig klar, und manche Beobachter sprechen sich entschieden für eine Umbildung der ursprünglichen Gastralöffhung in die Afterö&ung au». In Beziehung auf die Gatitropoden ist, wie bereits erwähnt, HO viel gewiHH, danH der Urmund der Gastrula ganz gewiss nicht in die Htxundäre Mundöffnung übergeht; auch ist es höchst un- wuhrHcheinlich, iUhh derHelbe dem After den Ursprung gibt. Als eine Thatsache von hohem Interesse wollen wir noch an- führen, (luhH Hich bei den GaHtropoden gerade so wie bei allen übrigen Bilaterien die willkürliche Muskulatur des Darm- kanalcH, die Schlund- und Aftermuskulatur, gleich der Mus- kulatur dcH UumpfcH aus dem Hautfaserblatte entwickelt, während die unwillkürliche Muskulatur, die Muskulatur der eigent- lichen Darm höhle, aus Darmfaser -Zellen ihre Entstehung nimmt. Was die Bildung der 0' " ^.sorgane betrifft, so niüHsen wir uns in Beziehung podeu ganz entschie- den gegen die Annahme van 'echen, nach der die männlichen GescblecbtsdrÜHei rm, die weiblichen aus dem pv*- '''''••" stammen solche Auffassungs- weise f(< öden, Qtlich beiderlei 6e- 232 C«rl Rabl, man ist vollkommen berechtigt, das Herz der Gastropoden sowie der übrigen Mollusken als ein einem Abschnitte des Rücken ge- fässes der Würmer homologes Organ zu betrachten. Von der grössten Bedeutung für die Keimblätter-Theorie ist femer die Art und Weise der Entwickelung des Darm- k anales. Habckbl's Unterscheidung zwischen primärem und secundärem Darm findet, wie es scheint, auf alle Metazoen mit Ausnahme der Coelenteraten ihre Anwendung. Es kann wohl kaum einem ernstlichen Zweifel unterliegen, dass die primäre Darmhöhle und die Mund Öffnung der Gastrula in allen Stäm- men derMet^oen homolog sind und daher auch mit der bleiben- den Mundö£Fhung und Darmhöhle der Coelenteraten verglichen werden können. Was die secundäre Darmhöhle und die se- cundäre Mundöfihung betrifft, so ist es gleichfalls sehr wahr- scheinlich, dass dieselben bei allen Metazoen mit Ausnahme der Coelenteraten, also bei allen Bilaterien, homolog sind. Dafür spricht namentlich der Umstand, dass die Darmhöhle sich überall lediglich aus Entoderm - Zellen aufbaut, während an der Bil- dung der Mundhöhle ausschliesslich Zellen des Hautsinnesblattes sich betheiligen. Die Bildung des Afters ist dagegen noch nicht bei allen Thieren, deren Entwickelung beobachtet wurde« vöU^ klar, und manche Beobachter sprechen sich entschieden für eine Umbildung der ursprünglichen Gastralöfihung in die Afterö&ung aus. In Beziehung auf die Gastropoden ist, wie bereits erwähnt, so viel gewiss, dass der Urmund der Gastrula ganz gewiss nicht in die secundäre Mundöflfnung übergeht; auch ist es höchst un- wahrscheinlich, dass derselbe dem After den Ursprung gibt. Als eine Thatsache von hohem Interesse wollen wir noch an- führen, dass sich bei den Gastropoden gerade so wie bei allen übrigen Bilaterien die willkürliche Muskulatur des Darm- kanales, die Schlund- und Aftermuskulatur, gleich der Mus- kulatur des Rumpfes aus dem Hautfaserblatte entwickelt, während die unwillkürliche Muskulatur, die Muskulatur der eigent- lichen Darmhöhle, aus Darmfaser -Zellen ihre Entstehung nimmt. Was die Bildung der Geschlechtsorgane betrifft, so müssen wir uns in Beziehung auf die Gastropoden ganz entschie- den gegen die Annahme van Benbden^s aussprechen, nach der die männlichen Geschlechtsdrüsen aus dem Exoderm, die weiblichen aus dem Entoderm stammen sollen. Ist eine solche Auffassungs- weise für die Gastropoden, bei denen bekanntlich beiderlei Ge- Die Ontogenie der Süsewasser-PulmonateD. 233 schlechtsstoffe in einer einzigen Drüse erzeugt werden, schon a priori höchst unwahrscheinlich, so wird ihre völlige Unmöglichkeit durch die Ontogenese aufs Bestimmteste erwiesen. — Und nun zum Schlüsse einige Worte über die Bedeutung des Nahrungsdotters der Gastropodeni Die Art und Weise seiner Entstehung führt uns, wie es scheint, ganz von selbst zu einer richtigen Beurtheilung seiner wahren Bedeutung. Wie wir gesehen haben, entwickelt sich der Nahrungsdotter der Gastro- poden aus einem Theile der Entoderm -Zellen des dreiblättrigen Embryo, indem sich dieselben beständig vergrössem und allem Anscheine nach ihre Theilungsfiähigkeit verlieren. Es drängt sich uns dabei ganz unwillkürlich die Frage auf, ob sich nicht auch der Nahrungsdotter der übrigen Thiere, wo sich ein solcher findet, in ähnlicher Weise durch Umwandlung eines Theiles der embryo- nalen Zellen entwickeln könne? Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir für's erste die Zeit berücksichtigen, wann eine solche Umwandlung stattfinden könne, und für 's zweite die Art und Weise der Umwandlung der embryonalen Zellen selbst. Wenn wir für's erste die Zeit in's Auge fassen, so finden wir, dass diese Umwandlung entweder vor oder nach der Bildung der beiden primären Keimblätter stattfinden könne. Im ersteren Falle ist man zur Annahme genöthigt, dass ein Theil der ur- sprünglichen Furchungskugeln eine rückschreitende Entwicklung einschlage, theilungsunfahig werde und sich sodann zum Nahrungs- dotter ausbilde. Im letzteren Falle dagegen würde der Nabrungs- dotter aus einem Theile der ZeUen eines der beiden primären Keimblätter hervorgehen. — Ersteres scheint bei den Arthropoden, Cephalopoden, Vögeln u. s. w. der Fall zu sein, letzteres dagegen findet sich, wie wir gesehen haben, in der That bei den Gastro- poden, ferners auch bei den Aphiden und vielleicht noch bei anderen Thieren. Was für's zweite die Art und Weise der Umwandlung der embryonalen Zellen in den Nahrungsdotter betrilft, so kann die- selbe wieder eine doppelte sein. Entweder verlieren die Zellen ihre Theilungsfähigkeit noch vor der Bildung von Zellwänden und die Zellen verschmelzen zu einer gemeinsamen Masse, an der man keine Zellengrenzen mehr untei*scheiden kann; oder sie verlieren ihre Theilungsfähigkeit erst nach der Bildung von Zellwänden, die Zellgrenzen bleiben auch später noch erhalten und die Zellen selbst können daher auch nicht mit einander verschmelzen. Erste- 234 ^a''! Habl, res ist, wie es scheint , bei den Cephalopoden, Vögeln u. s. w. tler Fall, letzteres findet sich thatsächlich bei den Gastropoden. — Gegen diese Annahmen können, wie es scheint, keine begrün- deten Einwände erhoben werden; sie fähren nothwendig zu dem Schlüsse, dass es nur eine totale und keine partielle Far- chang geben könne. Diese Ansicht wurde schon früher von GöTTE ausgesprochen. — Nach der Lage des Nahrungsdotters in Beziehung auf den Embryo muss man zwischen innerem und äusserem Nah- rungsdotter unterscheiden. Während sich dieser bei den meisten Thieren findet, welche einen Nahrungsdotter besitzen,, kommt jener nur bei wenigen Thierclassen vor; zu diesen letzteren gehören auch die Gastropoden. — Mögen sich die Ansichten der Forscher über die sowohl »nto- genetisch als phylogenetisch hochwichtige Frage nach der Bedeu- tung des Nahrungsdotters, sowie der gesammten Dotterfnrchung überhaupt bald klären, — mögen die Forscher selbst, die sich das Studium der Entwickelungsgeschichte zur Aufgabe gemacht haben, in dem Wechsel der Erscheinungen auch die Gesetze zu ergrün- den suchen, denen sie folgen! Als der vorliegende Aufsatz bereits druckfertig war, erschien im XIV. Bande des „Quarterly Journal of Microscopical Science** unter dem Titel : „Observations on the Development of the Pond- snail (Lymnaeus stagnalis) and on the Early Stages of other Mol- luska^^ eine unseren Gegenstand bctreifende und in mehrfacher Hinsicht interessante Abhandlung Ray-Lankester's. Wir können nicht umhin, unserem Aufsatze einige Worte über diese Abhand- lung anzuhängen und dabei diejenigen Punkte hervorzuheben, in denen dieselbe mit unserer Darstellung übereinstimmt oder sich von ihr entfernt. Was zunächst die morphologischen Veränderungen des Em- bryo betrifl't, so stimmen unsere Beobachtungen, wie zu erwarten ist, mit denen Ray-Rankester's in den meisten Punkten vollkom- men überein. Jedoch wurden von Ray-Lankesteb , von einigen Furchungsvorgängen abgesehen, namentlich zwei sehr wichtige Entwickelungsstadien gänzlich übersehen. Diese sind für's erste IMe Ontogenic der Süsswasser-Palmonaten. 23 f) die Blastosphaera und für's zweite die aus der Gastrula sich hervorbildende anscheiuend segmentirte Em-bryonal-Form. Erstere wurde bereits von Lbreboullkt beobachtet und ziemlich genau beschrieben; was unsere eigene Darstellung derselben be- trifft, so ist hier nur noch zu bemerken, dass auf Taf. VII Fig. 9 die Zellen, welche die Furchungshöhle umgrenzen, abgezählt sind, und dass daher die Abbildung vollkommen naturgetreu ist. — Letztere (Taf. VII Fig. 13 und Taf. VIII Fig. 16) wurde von keinem Beobachter vor uns beschrieben und auch von Ray - Lankbstbb gänzlich übersehen ; wenn man sich jedoch die Mühe nimmt, die Figuren 12 und 14 auf Taf. XVI des „Micr. Journ.", welche zwei unmittelbar auf einander folgende Entwickelungsstadien darstellen sollen, aufmerksam zu vergleichen, so wird man finden, dass zwi- schen beiden zum mindesten ein Stadium ausgeblieben ist — Von der, auf Taf. VIII Fig. 17 unseres Aufsatzes abgebildeten Embryonal-^Form, welche Ray-Lankbster als „Trochosphaera'' (tro- chosphere) bezeichnet, angefangen, stimmen unsere Beobachtungen fast durchgehends überein; selbst das bisher immer übersehene rudimentäre Velum wurde von Bat-Lankbstbb in ganz derselben Weise wie von uns beschrieben und abgebildet Was ferner die Entwickelung der einzelnen Organe betrifft, so ist vor Allem zu bemerken , dass Ray-Lankbstbr jene kegel- förmige Einstülpung am hinteren Körperende des Embryo, welche wir in Uebereinstimmung mit Lbrbboullbt als After bezeichnet haben, für eine Schalendrüse (shell-gland) hält, -welche später, sobald sich die Schale zu bilden beginnt, wieder ver- schwinden soll. Gegen diese Auffassung müssen wir jedoch einst- weilen Einsprache erheben und sie vorderhand als sehr unwahr- scheinlich bezeichnen. Nach Bay-Lankbstbr soll sich der After von innen heraus bilden und zwar vom „Stil der Einstülpung^' (pedicle of invagination) aus; unter letzterem versteht Ray- Lankkstbr einen Zellenstrang, der sich unmittelbar vor der, von uns als After bezeichneten Einstülpung befindet, und das Ueber- bleibsel der Einstülpungsöffnung, der Gastrula darstellen soll. Einen solchen Zellenstrang habe ich allerdings an mehreren Em- bryonen in Verbindung mit abnorm gering entwickeltem* Entoderm gesehen, glaube jedoch, dass derselbe zu der Bildung des secundären Darmes gar keine Beziehung hat — Auch hinsichtlich der Darstellung der Entwickelung des oberen Schlundganglions weichen meine Angaben von denen RAY-LANKsaTBB'a 238 <^1 Rftl>l) Erklärung der Abbildungen, Taf. VII. Fig. 1. Laiche von Sttsswasser-Pulmouaten : 1 Laich von Limnaeus ovatus ; 0 ein einzelnes Ei; B Laich von Physa hypnorum; C Laich von Planorbis carinatus; D Laich von Ancylus lacustris. Nat. Gr. Fig. 2. Ei von Limnaeus ovatus bei schwacher Yergrösserung ; o ,,primitives Ei" oder Eizelle; a Eiweiss; m Eiweissmembran. Fig. 3. Ei von Physa hypnorum bei schwacher Yergrösserung; o „primitives Ei"; e äussere, i innere Eiweissmembran. Fig. 4. „Primitives Ei" oder Eizelle von Limnaeus ovatus; k Keimbläschen; d Dotter. Vergr. 320. Fig. 5. Ei in der Zweitheilung: r „Richtungsbläschen". Vergr. wie Fig. 4. Fig. 6. Ei in der Yiertheilung. Die „Bichtungsbläschen" liegen in der Mitte der vier Furchungskugeln und sind daher bei dieser Ansicht nicht sichtbar. Fig. 7. Ei in der Achttheilung. Die „Richtnngsbläschen^^ liegen oben anf zwischen den vier kleinen Furchungskugeln und sind daher bei dieser An- sicht nicht sichtbar. Fig. 8. Ei in der Achttheilung von der Seite gesehen; a Eip'ol mit den vier grossen, 6 Eipol mit den vier kleinen Furchungskugeln; r „Richtangs- bläschen". Fig. 9. Blastosphaera ; h Höhle derselben (BABB'sche Höhle); r wie frtther. Fig. 10. Die Blastosphaera ist in der Einstülpung begriffen; h BASB'schc Höhle, a Stelle der Einstülpung, v Yorwölbung der Wandung gegenüber der Einstülpungsstelle. Fig. 11. Gastrula: o Urmund, primäre Mundöffnnng; a Urdarm oder pri- märer Darm ; e Exoderm oder äusseres Keimblatt ; t Entoderm oder inne- res Keimblatt. Fig. 12. Bildung des Mesoderms; m Mesoderm, c leerer Raum am hinteren Körperende des Embryo, e^ Exoderm daselbst; 0, i und 0 wie früher. Fig. 13. Am Embryo lassen sich drei Abschnitte unterscheiden: I. Erster, IL zweiter und III. dritter Abschnitt. Die Gastralöffnung 0 beginnt sich zu schliessen. Die Entoderm-Zellen i nehmen an Zahl zu. 0, m, a u. s. w. wie früher. Fig. 14. Optischer Querschnitt durch den Embryo Fig. 12, um die Ausbrei- tung des Mesoderms m zu zeigen, e und t wie früher. Fig. 15. Dritter Abschnitt (blindes Körperende) des Embryo Fig. 18 von oben gesehen, um die Gestalt der Exoderm-ZeUen zur Anschauung zu bringen; h Zellenkern mit deutlich sichtbarem Kernkörperchen ; f Fetttropfen. Die Ontogfioie der SAsswasBer-Palmonaten. 239 Tat VIII. (Vergr. der Fig. 16—22 320; der Fig. 23—25 240.) Die Fig. 12-20 sind nach Embryonen von Physa fontinalis gezeichnet, weil diese durch sichtiger sind, als die Embryonen von Limnaeus. Fig. 16. Embryo von Fig. 13 von der Seite gesehen; e, e\ c wie früher. Fig. 17. Weiterentwickelung des Embryo Fig. 13; von vorne gesehen, um die Bildung der Mundhöhle M zu zeigen. Die primäre Mundöffiinng der Gasftnüa hat sich geschlossen; der leere Raum c iH|d allmählich von den Zellen des Mesoderms und Entoderms ausgefüllt ; neoen den grossen Ento- derm-Zellen treten auch kleine auf. e, m, i wie früher. Fig. 18. Derselbe Embryo von der rechten Seite; M und c wie früher. Fig. 19. Es macht sich bereits der Fuss P bemerkbar; M und c wie früher; A Aftereinatülpung. F i g. 2 0. V mdiaientäreB Velum ; N Einstülpung des Exoderms, welche, wie es scheint, später zur Bildung des oberen Schlundknoten-Paares und vielleicht auch des Viseeralganglions führt. M, A, P und c wie früher. Fig. 21. Die Einstülpung des Exodenns A vergrössert sich, wird tiefer und führt zur Bildung zweier kurzer Stränge g^i und vgi. Die Mundhöhle zeigt ein kleines Divertikel d. In der Umgebung des Afters bemerkt man eine Verdickung des Exoderms, die Flimmerscheibe fs. F, P, N und A wie früher. Fig. 22. Von der Flimmerscheibe geht die Bildung des Flimmerwulstes fw aus; durch das Entoderm sieht man die secundäre Darmhöhle D durch- schimmern; F, ^fi, vft, F tu s. w. wie früher. Fig. 23. Es hat sich bereits das obere Schlnndgangliou gg und das Fuss- ganglion fg gebildet. Das Mesoderm beginnt sich im Corium co und Mus- kel mz zu differenziren ; d, D u. s. w. wie früher. Das Entoderm scheint in zwei Zellbauf^n zerfallen zu sein. Fig. 24. Es bilden sich die Fühler t, die Augen a und die Gehörbläschen o. In den Augen sind bereits die Linsen erkennbar. Der Flinunerwulst ist nach vorue gerückt und hat den After A in sich aufgenommen. Die Darm- höhle D streckt sich in die Länge; die beiden Wände der Zungenscheide d legen sich enger aneinander, /y, m% und fw wie früher. F i g. 2 5. Bildung des Herzens ; c Kammer, c> Vorkammer. Auch Hadula r und Schale s haben sich gebildet; im Fusse zeigen sich zahlreiche Kalk- concretionen k; es beginnt sich die Athemhöhle AI zu bilden. Es haben sich überdies bereits Speiseröhre und Enddarm gebildet. A, fw und gg wie früher. Taf. IX. Fig. 26. Embryo vor dem Ausschlüpfen. L Leber, c Herz, n Niere, 1£ Athem- höhle, f Mantelrand, durch die Schale durchschimmernd. Vergr. 140. Fig. 27—30. Bildung der Niere, a ausführender, 6 seceruireuder Abschnitt der Niere, m Membrana propria. Vergr. 320. Fig. 30. Niere eines ausgebildeten Limnaeeu-Embryo. Fig. 31 — 84. Querschnitte durch Embryonen auf verschiedenen Entwicke- lungsstufen. Vergr. 240. Fig. 31. Querschnitt durch einen Pbysa- Embryo, um die Vertlieiluug des Mesoderms zu zeigen. « Exoderm, m Mesoderm, i Entoderm. 240 ^^^ Rabl, Die Qntogenie der Sfisswasser-Pttlmonaten« Fig. 32. Längsschnitt durch einen Physa-Embryo, welcher ungeföhr anf der gleichen Entwickelungsstufe steht, wie der Embryo von Fig. 20. M Ein- stülpung der Mundhöhle, A Einstülpung der Afterhöhle; e Exoderm, m Mesoderm, g grosse und h kleine -Entoderm-Zellen. Fig. 33. Querschnitt durch einen Limnaeen-Embryo mit Anlage der secundä- ren Darmhöhle D, e Hautsinnesblatt, m Hautfaserblatt g grosse Entoderm- Zellen, als Nahrungsdotter fungirend ; gi geschrumpfter Inhalt derselben ; df Darmfaserblatt ; dd Darmdrüsenblatt. C Anlage der Leibeshöhle. Fig. 34. LängsBchhitt durch einen gleich weit entwickelten Lismaeen-Em- bryo. M Mundhöhle, d Zungenscheide, s Anlage der Scblundmuskulator. Der After ist bereits aus der Medianlinie des Körpers gerückt, e, m, g u. 8. w. wie früher. Fig. 35. Einzelne Muskelzellen. Fig. 36. A Herz; v Vorkammer, k Kammer. B Zelle aus dem Herzen. Fig. 37. Das Herz am Beginn seiner Entwickelung. i Anliegende Darmfaser- zellen, c Herz, m Hautfaserschicht, e Hautsinnesblatt, iS* Schale. Fig. 38. Planorbis - Embryo , schwach vergrössert. Zur Yeranschaolichung^ der Endigungsweise der beiden Stränge ggi. Vom Rücken aus gesehen. N Einstülpung des Exoderms ; gg Endanschwellungen der Stränge gg^ \ s Schlundkopf. Fig. 39. Planorbis-Embryo von unten gesehen, etwas weiter entwickelt als der vorige. A After, N Nierenöffnung, G Greschlechtsöffiiung, At Athem- höhle. Fig. 40. Ei von Limnaeus ovatus; aus zwei Eiern zusammengeschmolzen, o „primitives Ei" oder Eizelle. Beiträge znr Keiiiitiiiss der Termiten. You Frite Müller. (Hiem Taf. X— xm.) IV. Die Larven von Calotermes rngosns Hag. Dfe Calotermes leben ohne eigentliches Nest in Gängen, die sie im Hohse abgestorbener Bäume ausnagen. Ihre Gestalt ent- spricht dieser Lebensweise. Der langstreckige walzenförmige Leib, dessen Seitenlinien in einer Flucht vom Kopfe bis zum Ende des Hinterleibes fortlaufen, unterscheidet sie auf den ersten Blick von anderen Termiten, deren kleine Vorderbrust eine halsartige Ein- schnürung biMet zwischen dem Kopfe und dem hinteren Theile des Leibes, deren Hinterleib bei Larven, Arbeitern und Soldaten meist*) kürzer und länglich eiförmig, deren Beine länger und schlanker sind. Der „prothorax magnus^^ ') ist, weil allen Ständen gemeinsam , jedenfalls das wichtigste äussere Unterscheidungsmerk- mal der Gattung Calotermes, wenigstens für Denjenigen, der lebenden Termiten nachgeht; alle übrigen, die Nebenaugen, die Adern im Randfelde der Flügel, die Haftlappen der Füsse, kommen nur den geflügelten Thieren zu, die man unter hundert Fällen kaum zehnmal in einer Termitengesellschaft treffen wird. Schon die jüngsten Larven pflegen im Allgemeinen die be- zeichnete Gestalt ihrer älteren Geschwister zu haben, bei Calo- termes, wie bei anderen Termiten. Nur haben sie bei letzteren oft ein ungemein unreifes Aussehen, dicken Kopf, lange aber plumpe Beine, Fühler u. s. w. und sind sehr träge und unbehol- fen in ihren Bewegungen; bei Calotermes dagegen sind sie 1) Ausgenommen sind z. B. ältere Larven von Anoplotermes paci- ficus (Taf. X Fig. 11). 2) Haosm, Linn. entomol. XII, b. 38. ! 242 Fritz Müller, vom ersten Tage an muntere, lebhafte Thierchen, rascher in ihren Bewegungen, zierlicher in ihrem Aussehen, als ältere Larven und Soldaten, die gerade in dieser Gattung plumper gebaut sind und sich langsamer bewegen, als z. B. bei Eutermes. Es ist der- selbe Unterschied, und bedingt durch ähnliche Ursachen, wie zwi- schen einer jungen Taube und einem Küchen, einer jungen Maus und einem Füllen, — ein Unterschied, der noch um vieles schrof- fer sich ausprägt zwischen der selbst sich nährenden Raupe einer Blattwespe und der hilflosen Made einer Honigbiene. — Eine Ausnahme von dieser Regel, dass die Jungen das Ei in einer Gestalt verlassen, die sich nur wenig von der älterer Larven unterscheidet, bilden, soweit mir bekannt, nur die beiden Arten Calotermes rugosus Hag. und C. nodulosus Hag. Als ich zum ersten Male zwischen den Soldaten und erwachsenen Larven des Calotermes rugosus, die sich langsam in ihren Gängen fortschoben, zierliche schneeweisse Tbierchen herumlaufen sah, deren völlig abweichende Umrisse sich scharf abzeichneten auf dem dunkelblutrothen Cangerana-Holze, in dem sie lebten, meinte ich eher fremde Gäste, als Junge derselben Art vor mir zu haben. In vollem Gegensatze zu den Soldaten und erwachsenen Larven ist bei den jüngsten die Oreitheilung des Leibes in Kopf, Brust und Hinterleib augenfälliger, der Leib erscheint flacher und breiter, der Hinterleib ist vor der Mitte stärker verbreitet, nach hinten stärker verjüngt, als bei irgend welchen anderen Termiten, und dazu tragen Vorder- und Mittelbrust ansehnliche, wagerecht ab- stehende, den Kopf seitlich weit überragende flügeiförmige Fort- sätze (Taf. X, Fig. 1—3). Wir dürfen uns schon jetzt und ehe wir auf eine nähere Be- trachtung dieser jungen Larven eingehen , die Frage vorlegen, ob wir es hier mit einem Falle von Anpassung oder von Vererbung zu thun haben, mit anderen Worten, ob die jungen Larven die Eigenschaften, durch die sie sich vor ihren älteren Geschwistern auszeichnen, selbst als Larven im Kampfe ums Dasein erworben haben, oder ob ihnen dieselben, nutzlos für sie selbst, nur als Erbstück ihrer vielleicht in ähnlicher Gestalt geschlechtsreifen Ahnen geblieben sind. Im ersteren Falle würde es sich kaum der Mühe lohnen, zu den Hunderten bereits beschriebener sonderbarer Larven- formen noch eine neue zu beschreiben; im zweiten Falle wäre unsere Larve ein überaus merkwürdiges Thier. Denn ist schon Calotermes eine der ältesten, vielleicht geradezu die älteste unter den jetzt lebenden Insectengattungen, (ihr gehören nach Ha- Beiträge zur Kenntniss der Termiten. 243 obn's Meinung') die von Goldbnbbro beschriebenen Steinkohlen- tenniten an), so würde das etwa in ihren Jugendzuständen er- haltene Bild ihrer Vorfahren eine ähnliche Bedeutung für die Klasse der Insecten beanspruchen dürfen, wie Nauplius für die Kruster. Die Antwort kann, scheint mir, schon jetzt, — schon ehe wir die späteren Schicksale der flügelförmigen Fortsätze kennen, — kaum zweifelhaft sein. Die jüngsten Larven von Calotermes rugostts leben mit ihren älteren Geschwistern an demselben Orte, von gleicher Nahrung, unter völlig gleichen Verhältnissen. Schon dies spricht dafür, dass ihre Eigenthümlichkeiten als ererbte, nicht als erworbene aafisufassen sind '). Wichtiger und ich glaube völ- lig durchschlagend ist ein anderer Grund. Die älteren Larven haben sich in ihrer Gestalt vollständig ihrem Aufenthaltsorte und ihrer Lebensweise angepasst ; sie zeigen die Walzenform, die allen in der Erde wühlenden, in Stein oder Holz bohrenden Thieren eigen ist und oft Thieren der verschiedensten Klassen eine auf- fallende Aehnlichkeit verleiht; man denke an Begenwurm (Lum- bricus) und Blindwühle (Coecilia lumbricoides), Tatuira (Hippa) und Tat^e (Dasypua)) Maulwurfegrille (Gryllotalpa) und Maulwurf (Talpa). Nicht so die jüngsten Larven. Ihre Ge- stalt ist 80 ungeeignet wie möglich für im Hohe nagende Thiere; sie würden hier gar nicht bestehen können, fänden sie nicht schon durch ältere Genossen für ihren geringen Um£uig überflüssig weite Gänge ausgehöhlt. Also die älteren , nicht die jüngeren Larven haben sich ihrer gegenwärtigen, für beidö gemeinsamen Lebensweise angepasst; letztere können ihren flacheren Leib, ihre weit vor- springenden flügeiförmigen Fortsätze nicht an ihrem jetzigen Aufent- haltsorte erworben , sie können sie nur von anderwärts mit her- übergenommen, d. h. von Vorfahren ererbt haben, die unter an- deren äusseren Verhältnissen lebten. Damit erscheinen aber die jüngsten Larven des Calotermes rugosus einer besonderen Beachtung uro so mehr werth, je all- gemeiner sich sonst die Jugendformen der Insecten als nachträg- lich erworbene herausstellen, die auf die dunkle Urgeschichte der Klasse auch nicht den Schimmer eines Lichtstrahls fallen lassen. 1) Linnaea entomo). XII, 8. 73. 2) Vergl. li^TS Müixbb, KUr Darwin S. 80. 81. 244 ^"*S5 Mnller, Die Larven des Calotermes rugosus sind auf ihrer ersten Altersstufe 1,5 bis 2,5 Mm. lang, wovon etwa 0,5 Mm. auf den Kopf, 0,3 auf Vorder- und Mittelbrust , der Rest auf Hinterbrust und Hinterleib kommt Der Kopf ist so breit wie lang, die Vor- derbrust mit den flügeiförmigen Fortsätzen doppelt so breit als der Kopf, der dritte breiteste Hinterleibsring fast so breit wie die Vorderbrüst. Die Larven sind von schneeweisser Farbe, welche von dem durchscheinenden Fettkörper herrührt. So weit sie der Fettkörper nicht verhüllt, sind die inneren Theile grossentheils schon von aussen wahrzunehmen; so das Bückengefäss , die ober- flächlichen Luftröhren, Gehirn und Bauchnervenknoten, ein Theil des Darmrohres und der Hamgefasse, sowie die Ausführungsgänge der Speicheldrüsen und Speichelblasen. Der Kopf erscheint von oben gesehen fast kreisrund ; in der hinteren Hälfte ist die Bundung fast regelmässig; vom zeigt er jederseits eine flache Bucht, in der die Kinnbacken sitzen und dicht hinter dieser eine kleine Fühlergrube. Die Fühler sind fa- denförmig, etwa 0,7 Mm. lang und haben neun deutlich geschie- dene borstentragende Glieder. Den Vorderrand des Kopfes über- ragt die Oberlippe, etwa halb so breit, als die Stirn, mit abge- rundeten Ecken. Ausserdem treten (namentlich unter dem Drucke eines Deckgläschens) die Mundtheile über den Band des Kopfes und der Oberlippe hervor, nicht weniger als 13 verschiedene Spitzen und Spitzchen (Taf. XI Fig. 17). Augen und Nebenaugen fehlen noch vollständig. Die Breite der Vorderbrust erscheint verdreifecht durch die wagerecht abstehenden flügelformigen Fortsätze, in welche ihre Bückenplatte nach rechts und links sich ausbreitet. Diese Fort- sätze (Taf. XII Fig. 28) sind in der Mitte leicht gewöfbt; Vorder- rand und Aussenrand bilden einen ununterbrochenen Bogen, der mit dem ausgeschweiften Hinterrande in einer abgerundeten hin- terwärts gerichteten Ecke zusammenstösst. Ganz ähnlich, nur etwas kürzer und schmäler sind die Fortsätze der Mittelbrust. Die einen wie die anderen tragen am Bande vier längere Borsten. Die Hinterecke der vorderen legt sich bei Bewegungen über den Vorderrand der hinteren Fortsätze. Die Hinterbrust scheint, von oben gesehen, eher dem Hinter- leibe als der Brust anzugehören, sie ist vorn schmäler als hinten, wo sie in voller Breite mit dem Hinterleibe verbunden ist und die Seitenränder des Hinterleibes setzen sich in unveränderter Bich- tung bis zum hinteren Bande der Mittelbrust fort Auch die Beiträge zur Kcnntniss der Termiton. 245 Rückenptatte der Hinterbrust trägt seitliche Fortsätze, die aber sehr winzig und bei den allerjüngsten Larven kaum wahrzuneh- men sind; sie entspringen nicht, wie bei Vorder- und Mittelbrust, vom ganzen Seiten rande,» den sie kaum überragen, sondern an dessen vorderer Hälfte. Die Beine gleichen denen älterer Thiere bis auf die noch fehlenden Enddornen der Schienen; die Ftisse haben bereits vier Glieder '). Der Hinterleib, der rasch wächst und dessen verschiedene Ausdehnung hauptsächlich die Verschiedenheit der Länge bei den Larven der ersten Altersstufe bedingt (Fig. 1 — 3), verbreitert sich bis zu seinem dritten Ringe, um dann nach hinten bis auf ein Drittel oder weniger der hier erlangten Breite sich zu verjüngen und mit der halbkreisförmig abgerundeten zehnten Rückenplatte zu enden. Er ist in der Mittellinie höher als an den Seiten, gegen die er von der Mitte aus dachförmig abfällt; die Bauchseite ist flach. Die abgerundeten mit einigen Borsten besetzten Seiten- ränder der Rückenplatten pflegen seitlich etwas vorzuspringen. Eine Reihe von sechs kurzen Borsten steht nahe dem Hinterrande jeder Rtickenplatte. Die seitliche Verbindungshaut zwischen Rü- cken- und Bauchplatten ist mit ganz kurzen spitzen Dörnchen be- sät (Taf. XII Fig. 28). Die Afteranhänge (Fig. 37 aa) überragen den Hinterleib nicht; noch kürzer sind die ungegliederten Bauch- anhänge (Fig. 37 ba). Ich wende mich nun zur genaueren Betrachtung einzelner Theile und der Veränderungen, die sie im Laufe der Entwickelung erleiden. Fühler (Taf. XI Fig. 13 — 16). Die Fühler der jüngsten Larve haben* neun deutlich geschiedene Glieder; das erste und zweite sind walzenförmig, letzteres dünner und bedeutend kürzer; das dritte etwa von Länge des ersten , nach dem Ende sich ver- dickend; vom vierten an, dem kürzesten von allen, nimmt die Länge der Glieder zu ; die beiden letzten haben etwa die Länge des ersten und dritten. Das vierte bis sechste Glied sind tonnen- 1) Dieselbe Gliederzahl finde ich an den Füssen der jüngsten Larven bei allen von mir nntersuchten Termiten. IIaqen unterschied (Linnaea entom. XII, S. 18) nur „ein kurzes Basal- und ein längeres plumpes Glied, das an der Spitze 2 Klauen trägt", walirscheiulich, weil seine Stücke nicht gut erhalten waren. Später (Linn. ent. XIV, S. 120) sagt er von den kürzlich dem Eic entschlüpften Jungen des Eutermes Rippcrtii: „die Trennung der drei ersten Fuss- gliedjar kaum ersichtlich." Bd. IX, N. P. ir. 17 246 ^ritc Holler, förmig , das siebente bis neunte umgekehrt ei Glied ist merklich dünner, als das vorletzte. I der Fühler bilden an jedem G-liede vom vierte: längeren und einen anteren kürzeren Kranz, ev zerstreute kürzere Borsten steben. Das dritti anfongs nur undeutlich, später immer deutliche furchen in drei Stücke getlieilt; nur das oberste, dickste trftgt einen Borstenkranz, die beiden unteren sind borstenlos. Gegen Ende dieser Altersstufe sieht man einen unter der Haut liegenden Kreis von Borsten am mittleren Stücke auftreten. Nach der Häu- tung, auf der folgenden Alterstufe (Jtig. 14) erscheint dann das obere Stück des früheren dritten als kuizee viertes Güed, das mitt- lere als oberstes borstentragendee Stfidt des dritten FflhlergliedeB. In gleicher Weise, durch Äbschnürung neuer Glieder aoi Grund« des dritten, findet auch weiterhin die Vermehrung der Fühlergüeder statt, deren Zahl bei den geflügelten Thieren dieser Art aaf 16 steigt. Vor der letzten Häutung (Fig. 15) finden sich 15 borsten- tragende Fühlerglieder, deren drittes durch eine Ringfiirche in einen oberen beborstet«a und einen unteren borstenlosen Abschnitt getheilt ist. Falls bei jeder Häutung ein neues Fühlerglied hinra- käme (eine nicht unnahrscheinlicbe , wenn schon noch nicht er- wiesene Annahme), so würden die Larven im Ganzen sieben Häu- tungen zu bestehen haben. — Die Soldaten (Fig. 16) haben ge- wöhnlich 13 Fühlerglieder, von denen das dritte bedeutend länger ist, als seine Nachbarn; doch schwankt die Zahl von 11 bis 14. Die ZaJil der Fühlerglieder gibt für die Beurtheilnng der Altersstufe der Larven einen bequemen Anhalt, bequemer and sicherer, als die Länge der Larven, die je nach der Fflllnng des Darmes sehr wechselt; der Hinterleib ^ines hungernden Thieres kann auf seine halbe Länge zusammenschrumpfen. Auf Grund dieser Entwickelungsweise darf man auch an den Fühlern der Termiten Schaft und Geissei unterscheiden, eraterer besteht aus den beiden Grundgliedern, letztere ans der weduebi- den Zahl der übrigen. Von der spateren Entwickelung auf die frühere innerhalb des Eies zurückscbliessend , durfte man erwar- ten, dass die Geissei ursprünglich nur aus einem einzigen GUede bestehen würde, von dessen unterem Ende sich das vorletzte ab- schnürt, von diesem das drittletzte n. s. w. Und wirkli<* sah ich (Fig. 12) imEi einer anderen Galotermes-Art zu einer Zeit, wo die Beine noch völlig ungegliederte Stummel waren, die Fühler iu Beiträge zur Kenntniss der Termiten. 247 drei deutliche Glieder (den zweigliedrigen Schaft und die ein- gliedrige Geissei), getheilt Die Zahl der Fühlerglieder ist, wie schon Hagen bemerkt, bei den einzelnen Termitenarten „nicht ganz constant; oft findet sich eins mehr oder weniger" '). Trotzdem bietet diese Zahl meist ein recht gutes Artkennzeichen, wenn man die eben geschilderte Ent- wickelungsweise berücksichtigt; die verschiedene Gliederzahl be- ruht fast immer darauf, dass eine der letzten Abschnürungen unter- bleibt, oder auch eine mehr als gewöhnlich eintritt; man findet daher bei überzähligen Ftlhlergliedern das dritte Glied kürzer, bei fehlenden länger als gewöhnlich; seltener finden sich zwei der nächsten Glieder verschmolzen, oder eines derselben in zwei zer- fallen. Man hat deshalb stets neben' der Zahl der Fühlerglieder auch Länge und Gestalt des dritten und der nächstfolgenden in's Auge zu fassen. Das dritte Fühlerglied ist bei den Termiten nach Grösse und Gestalt das wandelbarste, mag man verschiedene Arten oder die verschiedenen Stände derselben Art vergleichen. Der Grund mag einfach darin liegen, dass es, wie wir gesehen, das jüngste ist'). Mundtheile (Taf. XI Fig. 17—25). Oberlippe (labrum). Die Oberlippe pflegt in der Gattung Galotermes nicht länger oder selbst kürzer als breit zu sein, ziemlich geraden Vorderrand, abgerundete Vorderecken zu haben und etwa die halbe Breite der Stirn einzunehmen. So auch schon bei den jüngsten Larven des Galotermes rugosus (Fig. 17 ol). Eine andere Eigenthümlich- keit dieser Gattung besteht darin, dass nahe dem Vorderrande der Oberlippe eine Querreihe längerer Haare steht (Fig. 23); auch diese sind bei der jüngsten Larve schon vorhanden, wenn auch noch sehr kurz. (Man vergleiche Fig. 17 ol in Bezug auf Gestalt und Behaarung mit Fig. 27, welche die Oberiippe der jüngsten Larve von Anoplotermes pacificus darstellt.) Kinnbacken (mandibulae). Beim Auskriechen aus dem Ei sind die Kinnbacken weich und weiss; doch bald beginnen sie zu verhärten und ihr Innenrand bräunt sich. Wahrscheinlich sind die Larven von Galotermes rugosus, wie von anderen Calo- 1) Linn. entomol. XIl, S. 6. 2) Dasselbe Yerhältniss kehrt auch bei anderen Insectcn wieder, z. B. bei den Bienen, bei welchen bekanntlich dos dritte bisweilen das kürzeste, bis- weüen das l&nggte aUer Ftthlerglieder 18t. Auch bei den Bienen ist, wie mir scheint, das zweite Fühlerglied zum Schafte und nidit, wie ea jetst üblich ist, zur Oeissel zu rechnen. 17* 248 ^"^ Mfiller, termes- Arten, im Stande sieb selbst za ernäbren, sobald der NahningSYorratfa, den sie aus dem Eie mitbringen, verbrancht ist, ohne dass sie je von ihren älteren Geschwistern gefüttert werden. Sobald die Verhärtung des Innenrandes eingetreten ist, erscheinen dessen vorher minder scharf ausgeprägte Zähne und Vorsprünge in einer Form (Fig. 20), die kaum von derjenigen der älteren Larven und der geflügelten Thiere (Fig. 25) abweicht Man unter- scheidet dann, wie bei anderen Termiten ^), zwei scharfe Schneide- zähne am oberen, eine quergeriefte Kaufläche am unteren Ende des Innenrandes. (Auf der Zeichnung sind die bei Calotermes rugosus schwach entwickelten, nur bei stärkerer Vei^össerung zu erkennenden Querleisten der Kaufläche nicht zu sehen.) Die Richtung der Kaufläche ist bei dem Kinnbacken der rechten und dem der linken Seite sehr verschieden. Eine Gerade, die man von der Spitze des obersten Zahnes nach dem am untern Ende des Auss^randes liegenden Gelenkhöcker zöge, würde bei den jüngsten Larven des Calotermes rugosus mit der Kaufläche des linken Kinnbackens einen Winkel von etwa 45<^, mit dem des rechten von etwa 100<* bilden. Geringer ist die Verschiedenheit der Richtung bei den geflügelten Thieren. Zwischen den beiden oberen Zähnen und der Kaufläche liegt ein dritter Zahn, der am linken Kinn- backen der Kaufläche, am rechten den oberen Zähnen genähert ist. Dieser dritte Zahn des rechten Kinnbackens ist stumpf bei der jüngsten Larve, spitz bei den geflügelten Thieren. — Aehn- liche Verschiedenheiten zwischen rechtem und linkem Kinnbacken zeigen auch die übrigen Termiten (sowie nach Wbstwood') die verwandten Psociden) ; sie machen sich selbst noch geltend an den verkümmerten Kinnbacken der spitzköpfigen Soldaten von Eu- termes. Schneidende Zähne am oberen, eine quergeriefte Kaufläche am unteren Ende des inneren Kinnbackenrandes sieht man, wie bei den Termiten, so auch bei der Zoea-Form der aus Nauplius- Brut sich entwickelnden Garneelen. Ueberhaupt sind ähnlich ge- baute Kinnbacken unter den höheren Krustem sehr häufig, unter den Insecten nicht selten, und man fühlt sich versucht, dabei an gemeinsamen Ursprung zu denken. Für sich allein wird jedoch diesem ähnlichen Bau der Kinnbacken kein grosses Gewicht beizu- 1) Wenn ich von Termiten im Allgemeinen spreche, beziehe ich mich nur auf die mir bekannten Arten. Nach HAasM gibt es Arten mit sechs Zähnen am Innenrande der Kinnbacken. Solche kenne ich nicht. 2) Introduct. to the modern Classific. of Insects. Fig. 59. 2. 8. Beiträge zur Eenntniss der Termiten. 249 legen sein ; die Einrichtung ist zu bequem, als dass sie nicht leicht selbständig bei verschiedenen Thieren sich hätte ausbilden können. Zeigt doch unser eigenes Gebiss eine ähnliche Verbindung von Schneidezähnen mit dahinterliegenden Mahlzähnen. Zunge (liogua, hypopharynx) (Fig. 17 «, Fig. 19). Wie von vorn und oben durch die Oberlippe, so ist die zwischen den Kinn- backen liegende Mundöffnung von hinten und unten durch die so- genannte Zunge gedeckt. Bei den jüngsten Larven bildet diese ein ansehnliches gleichschenklig dreieckiges Blatt mit einem Win- kel von etwa 45* an der Spitze; am Grunde, wo sie mit der so- genannten Unterlippe verbunden ist, ist sie etwa so breit, wie die Oberlippe und dabei fast doppelt so lang. Es ist die mittelste, unpaare unter den zahlreichen Spitzen (Fig. 17), die den Vorder- rand des Kopfes überragen. Später bleibt die Zunge im Wachsthum gegen die benachbar- ten Theile etwas zurück; sie wird vorn breiter, stumpfer und na- mentlich wird sie dicker; beim geflügelten Insect (Fig.24, von der Seite) nähert sich ihre Geseilt der einer menschlichen Zunge ; ihre leicht gewölbte obere (vordere) Fläche ist dicht mit kurzen, zar- ten, rückwärts gerichteten Haaren bekleidet. — In den Eiern einer anderen Calotermes-Art sah ich hinter den Kinnbacken und zwischen den „Unterkiefern'' einen paarigen rundlichen Vorsprung (Fig. 12 or), dessen weitere Entwickelung zu verfolgen ich bis jetzt keine Gelegenheit hatte und von dem ich unentschieden lassen muss, ob er den inneren Ast des Unterkiefers oder die erste Anlage der Zunge darstellt In letzterem Falle wäre diese in frühester Zeit zweitheilig, wie sie es gewöhnlich bei den Krustern ist. Bei den Krustern pflegt man bekanntlich dieses unpaare meist zweispaltige Blatt, das von unten her die Mundöffnung deckt, Unterlippe zu nennen und das würde wohl auch fiir die Iiisecten der zutreffendste Name sein, wenn derselbe hier nicht unpassender Weise an das zweite Kieferpaar vergeben wäre. — Auffallend ist die Aehnlich- keit zwischen Oberlippe und Zunge bei den jüngsten Larven von Anoplotermes pacificus (Fig. 26, 27); beginnt man das Rohr des Mikroskops zu senken, nachdem man die Oberlippe eingestellt, so ist diese kaum verschwunden, wenn auch schon an gleicher Stelle und in täuschend ähnlicher Gestalt die Zunge sich zeigt; man meint noch einmal die ihrer Haare beraubte Oberlippe vor sich zu haben. Vordere Kiefer (Unterkiefer, maxillae). Taster und äus- sere Lade (Fig. 17, \% ki und kla) erscheinen schon bei der jung- 250 Frite Müller, 8ten Larve ziemlich in ihrer späteren Gestalt; an der inneren Lade (Fig. 18 kli, Fig. 18*) sind die beiden starken Zähne, in die sich später ihre Spitze spaltet, noch sehr klein und der breite häutige, am Bande mit kammartig geordneten steifen Borsten be- setzte Lappen, in welchen sich später der untere Theil ihres In- nenrandes ausbreitet, kaum angedeutet und nur mit ganz kurzen Borsten besetzt. — Bei den Soldaten (Fig. 22) bleiben an beiden Kieferpaaren (wie es überhaupt für die Termiten Kegel ist), die Laden in ihrem Wachsthum gegen die Taster zurück, sind aber in ihrer Gestalt kaum von denen dej älteren Larven und der ge- flügelten Thiere verschieden. Hintere Kiefer (Unterlippe, labium). Das zweite Kiefer- paar, die sogenannte UnterUppe erleidet^ während der Entwickelung der Larve keine bemerken^werthe Veränderung. Schon bei der jüngsten Larve ist die, wie es scheint, allen Termiten gemeinsame Verschiedenheit zwischen äusserer und innerer Lade (Fig. 18 la u. li) deutlich ausgeprägt; die äussere Lade trägt einzelne kurze Bor- sten; die innere I>ade ist in ihrer unteren Hälfte mit winzigen, sehr kurzen Börstchen bedeckt, ihr oberes Ende ist kahl, zart- häutig, an der Spitze meist abgerundet, und nahe der Spitze sieht man einen kleinen dunkelgerandeten Ki*eis, zu welchem man bis- weilen ein Nervenfädchen verfolgen kann, oder an dessen Stelle ein zartes blasses Haar (Euter mes), oder ein „Taststiftchen^' (Termes saliens, Arbeiter). Die flügeiförmigen Fortsätze (Fig. 28— 30). Wir kom- men nun zu der auffallendsten und wichtigsten Eigenthümlichkeit unserer Larve, den flügeiförmigen Fortsätzen der Vorder- und Mittelbrust. Zunächst ist hervorzuheben, dass dieselben ohne Frage vollkommen gleichwerthige („homodyname") Gebilde sind. Beide, die Fortsätze der Voiderbrust und die der Mittelbrust, nehmen die ganze Seite der Rückenplatte ein, ragen wagerecht nach aussen, sind leicht gewölbt; Vorder- und Aussenrand sind gewölbt und stossen mit dem ausgeschweiften Hinterrande in einer hinter- wärts gerichteten Ecke zusammen; bei beiden zeichnen sich unter den Haaren oder Borsten des Bandes vier durch ihre Grösse aus ; bei beiden zieht sich am Bande hin ein nicht von besonderen Wänden begrenzter Kanal; beide scheinen ausserdem von unregel- mässigen Kanälen oder Lücken durchzogen zu sein. Unter der grossen Zahl junger Larven, die ich lebend beobachtete, sah ich nur bei einer diese Lücken in den Fortsätzen der Mittelbrust von einem ziemlich reichen Blutstroni durchzogen ; zahlreiche Köirnchen Beiträge zur Kenotuiss der Termiten. 251 (Blutkörperchen ?) ') traten in den Randkanal ein am Anfang des hinteren Randes, umkreisten zum TheiL im Randkanal fortgehend den Fortsatz, iväbrend andere in anregelmässigen Bahnen ihn durchsetzten und traten vorn am Ende des Randkanals in den Leib zarflck. So ähnlich die Fortsätze der Vorder- und die der Mittelbrust bä den jtingsten Lanren sind, so verschieden sind ihre späteren Schickaale. Die Fortsätze der Vorderbrust unterliegen einer rückschrei* tenden Umwandlung; sie bleiben im Wachsthum zurück und wer- den geradezu kleiner bei späteren Häutungen. Ist anfangs die Yorderbrust mit ihren Fortsätzen doppelt so breit, als der Kopf, so ist sie schon bei Larven mit 11 Fühlergliedern nur noch etwa anderthalbmal so breit Dabei ändert sich ihre Gestalt in der Weise, dass die nach hinten gerichtete Ecke sich mehr und mehr abrundet und schwindet, so dass endlich der Hinterrand der Vor- derbrust mit dem Aussenrande der Fortsätze einen durch keine Aenderung der Krümmungsrichtung unterbrochenen Bogen bildet (Fig. 6). Schliesslich bleibt von ihnen nur ein schmaler, etwas herabgebogener Saum übrig, wie ihn auch andere Calotermes-Arten besitzen. Die Fortsätze der Mittelbrust scheinen, wenn man die Thiere nur oberflächlich von oben betrachtet, noch rascher zu schwinden, als die der Vorderbrust (Fig. 6). Sieht man genauer zu, so fin- det man, dass sie sieh (bei Larven mit 11 bis 12 Fühlergliedern), nach unten und hinten biQgen^ dicht dem Leibe anlegen und wei- terwachsend sich zu den Vorderflügeln entwickeln. Schon s^r frühe und ehe sich noch ihre ursprüngliche Gestalt und Behaa- rung wesentlich ändert, sieht man, als erste Anfänge der späteren Flügeladern, Luftröhren in sie hineinwachsen. Schon bei Larven mit 10 Fühlerglicdem (zweite Altersstufe) sab ich zwei noch ganz kurze Luftröhren. Bei Lanren mit 11 Fühlergliedeiii findet man diese Luftröhren bereits volbsäblig (Fig. 29), nämlich drei, die der Subcosta, Mediana und Submediana (nach Ha^en's Bezeichnung) entsprechen. Die Randader (Costa) erhält keine Luftröhre; sie entsteht aus dem Randkanal des Fortsatzes. (Vergl. die Verthei- 1) Bei Kru^iterliirvcu ist es mir wiederholt begegnet, dass ich au einzelnen ThitTcu den Kreislaul' bequem verfolgen konnte, während im Blute der Mehr- zahl gt formte Bestandtheilo fast vollständig fehlten und in einigen Fällen konnte ich mich überzeugen, dass bei ersteren nicht Blutkörperchen, boudeni schma- rotzende Infusorien mit dem Blute kreisten. 252 Fritz Möller, lung der Luftröhren in einem ausgewachsenen Flügelansatz des Calotermes Hagenii, Fig. 49). Die . anfangs sehr winzigen Fortsätze der Hinterbrust holen allmählich die der Mittelbrust ein und sind schliesslich von ihnen nur durch eine etwas verschiedene Anordnung der Luftröhren zu unterscheiden. Bei erwachsenen Larven reichen die Flügelansätze der Hinterbrust bis zum Ende des zweiten Hinterleibsringes. Fig. 10, von Calotermes Hagenii, der sich hierin ganz wie Calotermes rugosus und andere Calotermes verhält) Die seitliche Lage der Flügelansätze unterscheidet die Larven der Calotermes von denen derTermes, Eutermes undAno* plotermes (Fig. 11), bei welchen sie dem Bücken aufliegen. Bei letzteren Gattungen verlängern sich in der letzten Zeit des Larvenlebens (bei den sogenannten Nymphen) die Flügelscheiden bedeutend, so dass sie fast bis zum Ende des Hinterleibes reichen ; bei Calotermes findet eine solche Verlängerung nicht statt, da- gegen eine sehr merkliche Verdickung. Bei den Soldaten des Calotermes rugosus schwinden auch die Flügelfortsätze der Mittelbrust, wie die der Vorderbrust, bis auf einen schmalen, nach hinten etwas breiteten Saum (Fig. 7, 8). Diese verkümmerten Flügelfortsätze der Soldaten von Caloter- mes rugosus (Fig. 30) sind bei aller ünscheinbarkeit recht merkwürdige Gebilde. Einerseits verrathen noch die vier Borsten ihres Randes ihre Herkunft aus den ansehnlichen llügelförmigen Fortsätzen der jungen Larven, andererseits lässt der Verlauf ihrer Luftröhren nicht nur die Gattung Calotermes erkennen (an dem langen Aste, den die Subcosta (sc) ins Randfeld abgibt), sondern beinahe die Art (daran, dass sich kurz nach Abgabe dieses Astes die Mediana (w) an die Subcosta (sc) anlegt; denn nur bei Calo- termes rugosus und nodulosus findet eine ähnliche Verbin- dung dieser beiden Adern statt). Suchen wir die eben dargelegten „ontogeuetischen" That- sachen für die Urgeschichte (Phylogenie) der Insecten zu verwerthen. Die flügelförmigen Fortsätze der jüngsten Larven von Calo- termes rugosus sind nicht von diesen erworben, sondern von ihren Vorfahren ererbt worden. Die Fortsätze der Vorder- und die der Mittelbrust sind gleich werthige Gebilde. — Aus den Fort- sätzen der Mittelbrust entwickeln sich die Vorderfiügel. — Fassen wir diese drei, wie mir scheint, unanfechtbaren Sätze zusammen, so ergibt sich als Antwort auf die Frage nach der Herkunft der Insectenilügel : Beiträge zur Kenntniss der Termiten. 253 1) Die Flägel der Insecten sind nicht aus „Tracheenkiemen" entstanden '). — Die flügeiförmigen Fortsätze der jüngsten Larven sind gerade die einzigen Theile, denen Luftröhren vollständig feh- len, während sie im ganzen übrigen Leibe reichlich entwickelt sind (s. u.). 2) Die Flügel der Insecten sind entstanden aus seitlichen Fort- sätzen der Rückenplatten der betreffenden Leibesringe. — Aehn- liche Fortsätze treten in grosser Zahl und Mannichfaltigkeit bei den Krustern auf, den ganzen Leib oder Theile desselben schild- förmig deckend oder schalenartig umschliessend. Falls also, was allerdings noch des Beweises bedarf, die Insecten von Krustern abstammen, würde man die Flügel der ersteren als den Seiten- theilen des Rückenschildes der letzteren entsprechende Bildungen ansehen dürfen. Welche Verrichtung den flügeiförmigen Fortsätzen oblag, mit denen die Vorfahren der Termiten ausgestattet waren, darüber lassen sich natürlich für jetzt nur ganz unsichere Vermuthungen aussprechen. — Der Uebergang vom Leben im Wasser zum Leben in trockener Luft ist jedenfalls durch den Aufenthalt an feuchten Orten vermittelt worden. Die Gestalt unserer jüngsten Larven würde nun ganz wohl gepasst haben für den Aufenthalt zwischen feuchtem moderndem Laube. Hier oder an ähnlichen feuchten Orten dürften die flügeiförmigen Fortsätze in ähnlicher Weise der Athmung gedient haben, wie die seitlichen Fortsätze der Rücken- platte (die „Seitentheile des Panzers") bei Zoea und Tanais. Für diese Deutung der flügeiförmigen Fortsätze als Athmungs- werkzeuge in feuchter Luft dürfte namentlich auch ihr vollständi- ger und bei ihrer Grösse sehr auffalliger Mangel an Luftröhren anzuführen sein. Denn wenn später neben ihnen und mit der Zeit sie vollständig ersetzend, sich die Athmung durch Luftröhren ausbildete, und wenn diese auch sonst überallhin im Leibe sich verzweigten, so blieben sie doch natürlich jenen Flügelfortsätzen fern, so lange diese selbst in anderer Weise die Athmung ver- mittelten. Erst, als sie einer anderen Verrichtung dienstbar wur- den, zu Flügeln sich umwandelten, erhielten auch sie Luftröhren, wie wir es noch heute an diesen Urflügeln der Mittelbrust bei Calotermes ru,gosus sehen. 1) Kiup ausführliche Besprechung der Ausicht Geoekbaub'h, dat>8 dab ge- bchlosbieiir Trucheeusysiem vieler iusecteularven als Vorläufer den uach auüseu comniuiiicirendou zu b< trachten sei, luid da^s die Flügel der lusecieu aus Tra- checakiemcu hervorgegangeu, behalte ich mir für eine andere Gelegenheit vor. 264 Priti MOUer, Beine (Fig. 31 — 35). Die vier FoBSgÜeder sind bereits bei den jflngsten Idrven deatiicb gesdiieden ; die Sohle der beiden ersten springt nocb nicht nach ontea vor (Fig. 31), wie es ancb später (Fig. M, 35) nar in massigem Grade be4 Calotermes, veit höherem Grade bei den übrigen hiesigen T^miten st Die drei Enddomen der Schienen, anfangs fehlend a angedeotett treten sehr zotig als winzige HöckercbeB :heD aber erst bei den aosgewadisenen Larven ihre volle Der Haftlappen zwiseben den Faseklauen (Fig. S5 h) Larven und Soldaten. — Das Merkwfirdigste an den r Termiten ist ein Gebilde, das in Aea Schienen aller alles Ständen aller mir bekannten Arten vorkommt and ge meist schon äueBerÜcb an einem queren Eindro^ ;rhalb des Kniees, an der Streckseite der Schirae zu er- t. Dasselbe bildet einen bim- oder flaschenförmigen, ist kngligen Körper, der mit kurzem Stiel oder Hals an ihneten Stelle mit der Wand der Schiene verbunden ist. t nervöser Natttr zu sein nnd erinnert in seiner Lage örorgan der Laubheoschrecken; mein. Mikroskop genügt t eine befriedigende Einsicht in seinen feineren Baa zu Die am dem Schenkel in die Schiene einb-etende Luft- Itet sich sofort in zwei Aeste, die sieh in der Mitte oder Ende der Schiene wieder vereinigen und von denen der !r Gegend des fraglichen, ihm didit anliegenden GeMIdeij ichwillt. Diese Anschwellung der Luftröhre fehlt noch bei ten Larven des Calotermes rogoaus (Fig. 32). T R^el besteht bei den Termiten kein erheblicher Unter- ischen den Beinen desselben Thieres (die Hinterbeine > l&nger, die Vorderbeine bisweilen abweichend beborstet); len Arbeitern von Anoplotermes pacificns ist die . rderscbiene merklich verbreitert und die Ansehwellnng ihre erstreckt sich bis fast an's Ende derselben (Fig. 32). erleib. üeber die Formwandlungen des Hinterleibes a sagen, dass er sich allmählich mehr nnd mehr der ■m nähert, wie sie fllr die erwachsenen Larven und Sol- Galotermcs bezeichnend ist. Wann der Unterschied Männchen und Weibchen in der Bildung der achten :te de» Hinterleibes zuerst sich bemerklich macht, kann sagen, da ich nicht darauf geachtet habe. i^leichcm Grunde kann ich nicht über etwaige, jedenfalls Beiträge zur KennlDiBS der Termiten. 2B5 unerhebliche Veränderiingen des Bückeogefösses und des Nerven- systems berichten. Verdauungswerkzeuge. Darmrohr. Die enge Speise* röhre der jüngsten Larve von Calotermes rugosus erweitert sich in der Mitte der Brust allmählich, um ohne scharfe Grenze in den spindelförmigen Vormagen (Fig. 38 vm) überzugehen, der in der Nähe seines hinteren Endes mit einem Kranze von Kau- leisten (Fig. 38 kl^ Fig. 40, 41) versehen ist Der Vormagen liegt nicht in der Mittellinie , sondern ist schief nach links und hinten gerichtet (Fig. 6 vm) und reicht bis in den dritten Hinterleibs- ring. Sein Ende ist meist ziemlich stark in den Anfang des fol- genden Darmabschnittes, des Magens oder Mitteldarmes, eingestülpt. Der Mitteldarm (Fig. 38 md) wendet sich nach oben, läuft dicht unter der Rückenwand des dritten Hinterleibringes nach rechts und wenig nach vorn, um dann wieder nach links und unten um- zubiegen ; er bildet so eine fast vollständige Schlinge, und das durch die Einmündung der Harngefasse bezeichnete Ende liegt seinem Anfange nahe. Hinter der Einmündung der Harngefasse erweitert sich der Darm zu einem kugligen Sack oder Blinddarm (Fig. 38 M), dessen Eingang und Ausgang nahe beisammen liegen; der nun folgende dünnere Theil ^es Enddarmes (Fig. 38 ed) beschreibt einen kurzen na«h vorn gerichteten Bogen und läuft dann an- fangs an der rechten Seite, zuletzt in der Mittellinie nahe der Rückenwand nach hinten und endet mit einem kurzen erweiterten Endstück. Schon sehr zeitig, sobald die Kinnbacken erhärtet sind, findet man Holz im Darme. Der anfangs kuglige Blinddarm nimmt rasch an Grösse zu und füllt schon bei halbwüchsigen Larven den grösseren Theil des Hinterleibes, vom dritten Ringe an bis fast an's Ende, in seiner ganzen Breite aus. Bei den Soldaten scheint sein Umfang wieder etwas abzunehmen, und in höherem Grade ist dies bei den ge- flügelten Männchen und Weibchen der Fall. Während die übrigen Arten der Gattung Calotermes in dieser Beziehung mit Calotermes rugosus übereinstimmen, zeigen dagegen die Arten der Gattungen Ter m es, Euter m es, Anoplotermes eine so überraschende Mannichfaltigkeit im Baue ihres Darmrohres, wie sie vielleicht nirgends sonst innerhalb eines Kreises äusserlich so ähnlicher Thiere sich findet. Allen hiesigen Arten gemeinsam und sie von Calotermes unterscheidend ist die Gestalt des Vormagens (Fig. 39 cm), dessen linke Seitenwand verkürzt, die rechte kuglig aufgetrieben ist, so dajss Eingang und 256 Fritz Mnller, Ausgang nicht mehr einander gegenüberliegen, sondern ersterer vorn, letzterer links. Bisweilen ist der mit Kauleisten bewehrte Endabschnitt ziemlich scharf abgesetzt, so dass man mit Hagen den Vormagen in Kropf und Kaumagen scheiden könnte. Die Kauleisten (Fig. 40, 41) sind bei den allerjüngsten Lar- ^ ven des Calotermes rugosus noch weich und farblos und deshalb leicht zu übersehen. Doch bräunen sie sich, wie der Rand der Kinnbacken, sehr zeitig, noch ehe die Zahl der Fühlergliedcr wächst; und gerade solche junge Larven sind dann besonders ge- eignet, ein klares, übersichtliches Rild derselben zu geben. Man unterscheidet sechs Kauwülste erster Ordnung {kw I), die aus einem schmalen aber höheren vorderen und einem Hacheren kreis- förmig verbreiterten hinteren Theile bestehen ; letzterer bleibt farb- los ; die gleichlaufenden Bänder des vorderen Theiles werden durch dunklere harte Leisten gebildet. — Mit diesen ersten sechs wech- seln sechs Kau Wülste zweiter Ordnung {kw II) ab, von jenen durch den Mangel der grossen flachen Scheibe am hinteren Ende unter- schieden und endlich wechseln mit diesen zwölf grösseren wieder zwölf bedeutend kleinere Kauwülste dritter Ordnung (kw III) ab. — Obwohl im Einzelnen bei verschiedenen Arten von Termes und Eu termes ziemlich verschieden gestaltet, lassen sich deren Kauleisten doch alle auf die von Calotermes* als ihre Grund- form zurückführen, wobei die sechs überall deutlich entwickelten blassen Endscheiben einen bequemen Anhaltspunct bieten. Der soldatenlosen, Erde fressenden Gattung Anoplotermes fehlen die Kauleisten. Speicheldrüsen (Fig. 42). Nach den Angaben Hagen's über Termes belli cosus') würden erhebliche Verschiedenheiten im Bau der Speicheldrüsen bei den verschiedenen Ständen der- selben Art bestehen; ich habe solche nirgends bei den von mir untersuchten Arten gefunden. Die Termiten scheinen allgemein zwei sehr ansehnliche Speicheldrüsen zu besitzen, die ihrer Haupt- masse nach im Anfang des Hinterleibes, rechts vom Vormagen zu liegen pflegen, sowie zwei grosse dünnhäutige Speichelblasen, die nach hinten noch über die Speicheldrüsen hinausragen. In der dünnen Wand der Speichelblasen konnte .ich nie eine Spur von drüsigen Bau gewahren. Dis Speicheldrüse bildet bald eine zu- sammenhangende tiefgehippte Masse, wie bei Calotermes, bald ist sie mehr weniger vollständig in einzelne rundliche, den End- 1) JLiiiuiaea «iutumul. Xll, S. 302. Beitr&ge zur Kenntniss der Termiten. 257 zweigen des baumförroig verästelten Ausführungsganges aufsitzende Theile zerfallen. Der Speichelblasengang (Fig. 42 sbg) liegt nach aussen vom Speicheldrtisengang (adg); er ist weiter, aber viel dünnwandiger, als letzterer. Die innerste Haut beider Gänge zeigt quere (wahrscheinlich wie in den Luftröhren schraubenßnnige) Linien, wie sie ja auch in den Speichelgängen anderer Insecten, z. B. der Bienen, auftreten. Der Speichelbiasengang mündet unter spitzem Winkel in den Speicheldrüsengang seiner Seite meist erst beim Eintritt oder nach dem Eintritt in den Kopf. Der rechte und der linke Speichelgang münden entweder getrennt, dicht neben einander, am Grunde der Zunge, wie bei Termes Lespesii und saliens (Fig. 43), oder sie vereinigen sich zu einem unpaaren, bei Calotermes (Fig. 18 ag) ziemlich langen Gange. Bei Ter- mes bellicosus, der auch im Bau der Soldaten die Mitte hält zwischen Calotermes und Termes Lespesii, zeichnet Hagen ') einen ganz kurzen unpaaren Speichelgang. Schon bei den jüngsten Larven von Calotermes rugosus zeigen sich an den Speicheldrüsen die Eigenthümlichkeiten ihrer Gattung vollständig ausgeprägt. Man kann, wenn man diese Lar- ven von der Unterseite betrachtet, von der Mitte der Unterlippe aus (Fig. 18) den unpaaren Speichelgang (sg) nach hinten ver- folgen bis zu seiner Entstehung aus den beiden seitlichen Speichel- gängen und diese weiter bis über die Stelle hinaus, wo sich Spei- chelblasengang (abg) und Speicheldrüsengang (adg) vereinigen. Harngefässe. Die jüngste Larve besitzt vier Hamgefässe ; doch bald sieht man neben ihnen ein drittes Paar hervorsprossen und bei einer Larve etwa vom Alter der Fig. 5 gezeichneten fand ich bereits die volle Zahl, nämlich acht, von denen jedoch vier kürzer und erst kaum halb so weit waren, als die vier älteren. Bei vielen Arten von Termes und ebenso bei Eutermes und Ano- plotermes bleibt die Zahl der Hamgefässe zeitlebens auf vier beschränkt Athemwerkzeuge (Taf. XIII). Ueber die Luftröhren der Termiten liegen nur sehr dürftige und selbst in Betreff der Zahl und Lage der Luftlöcher nicht übereinstimmende Angaben vor. Die Luftröhren sind schon bei den jüngsten Larven des Ca- lotermes rugosus wohl entwickelt und gerade bei ihnen leich- ter als in späterer Zeit im Zusammenhange zu überblicken. Es sind 10 Paar Luftlöcher vorhanden, zwei in der Brust, acht im 1) I'xtbbb' Natarw. Reise nach Mossambique. Insecten. Taf. III Fig. 18i». 256 ^"^ Malier, Hinterleibe. Das erste Paar liegt zwischen Vorder- und Mittel- brust, das zweite zwischen Mittel- und Hinterbrust. Zwischen Hinterbrust und ersten Hinterleibsringe finden sich keine Luft- löcher. Die ttbrigen acht Paare liegen ara Rande der acht ersten Rückenplatten des Hinterleibes. Die Verästelung der von den Luftlöchern der Brust entsprin- genden Luftröhren, welche starke Aeste in den Kopf, andere in die Beine abgeben, ist eine sehr verwickelte; ich habe sie nicht vollständig entwirren können (vgl. Fig, 48, von der jüngsten Larve einer anderen Calotermes-Art). In die flügelformigen Fortsätze der Vorder- und Mittelbrust treten, während der ersten Alters- stufe keine Luftröhren, in die der Vorderbrust auch später nicht. Die Luftlöcher des Hinterleibes fähren zunächst in ein kurzes SfÖrmig gebogenes blindes Rohr (Fig. 44 a), das vor der Mitte ein ganz kurzes Aestchen hat. Etwa in der Mitte dieses blinden Rohres, oder noch vor derselben entspringt der Stamm der Luft- röhren, der jetzt, in frühester Jugendzeit, bedeutend enger ist, als das Sformige Rohr. Der Stamm der Luftröhren theilt sich bald in einen Baueh - und einen Rückenast \b und r), und jeder von diesen wieder in einen vorderen und einen hinteren Zweig (6r, bh; ru, rh); ersterer verbindet sich mit dem hinteren Zweige des vorhergehenden, letzterer mit dem vorderen Zweige des fol- genden Paares. So wird jederseits sowohl auf der Rücken-, wie auf der Bauchseite ein im Zickzack verlaufendes Längsrohr her- gestellt, von welchem in jedem Ring ein nach der Mittellinie sich wendender Querzweig (69, rq) abgeht. Der Bauchast ist bis zur Theilung kffrzer als der Rückenast; bei jenem ist der vordere, bei diesem der hintere Zweig der längere. — Der quere Zweig des Rückens (rq) verästelt sich, ohne weitere Verbindungen mit anderen einzugehen, und scheint namentlich das Rückengefass zu versorgen. Der quere Zweig des Bauches (bq) verbindet sich mit dem der anderen Seite und sendet in der Nähe der Mittel- linie einen Längszweig (f) nach vorn, einen anderen nach hinten zur Verbindung mit dem davor und dem dahinter liegenden Quer- zweige. Es wird auf diese Weise in der Mitte der Bauchseite eine Leiter von Luftröhren gebildet, zwischen deren Sprossen die Bauch- nervenknoten liegen, welche ihre Luftröhren (w), eine von rechts, eine von links, aus der hinter ihnen liegenden Sprosse der Leiter emp&ngen. — Von der Vertheilung der Luftröhren an das Darm- rohr habe ich kein zusammenhängendes Bild erhalten. Die spätere Entwickelung bringt nur insofern eine Aenderung Beiträge zur Kenntnies der Termiten. 259 JB deo eben geschilderten Verhältnissen der Athemwerkzenge her- vor, als das Sförmige blinde Rohr fast gar nicht weiter wftefast und daher schlieeslich weit enger ist, als die von ihm ausgehen- den Luftröhren. Man vergleiche die bei gleicher Vergrössening gezeichneten Figuren 46 und 47, von denen erstere der jüngsten Larve, letztere dem geflügelten Weibchen des Caloterroes ru« goBus entnommen ist Der frühe Stillstand im Wachsthum des Sförm^n Rohres, sein winziger Umfang beim erwachsenen Thiere, scheinen darauf -hinzuweisen, dass dasselbe ein aus entlegener Vor- zeit ererbtes, für die heutigen Termiten fast oder völlig nutzloses Gebilde ist. — MitCalotermes rugosus stimmen, soweit meine Erfahrung reicht, alle übrigen Arten der Gattung m der Anordnung der Luftröhren überein. Auch bei allen übrigen Termiten scheint Zahl und Lage der Luftlöcher stets dieselbe zu sein; das Sförmige blinde Rohr scheint am Hinterleibe nirgends zu fehlen, an den beiden Paaren der Brust nirgends vorzukommen, so wenig wie bei Calotermes. Im Uebrigen finden sich manche Verschieden- heiten; als Beispiel derselben gebe ich (Fig. 45) die Anordnung der Luftröhren im Hinterleibe von Termessaliens. Es fehlen hier die Längszweige, durch welche bei Calotermes die Leiter in der Mitte der Bäuchseite hergestellt wird und auch die Ver- zweigung des Rückenastes ist eine etwas abweichende. Dem Calotermes rugosus steht im geflügelten Zustande des C. nodulosus so nahe, dass Haoxm zweifelhaft blieb, ob nicht ersterer nur „eine varietas thorace nigro von C. nodulo- sus sei^^ 0* ^uch in ihren Jugendzuständen stimmen diese beiden Arten darin überein und unterscheiden sich von allen übrigen Termiten dadurch, dass die jüngsten Larven flügeiförmige Fort- sätze an Vorder- und Mittelbrust tragen. Doch scheint die Ge- stalt der Larven von Calotermes nodulosus (Fig. 9) schon eine weniger ursprüngliche zu sein. Die Fortsätze der Mittelbrust sind nur klein und schmal, der Hinterleib länger, weniger flach, in der Mitte weniger verbreitert — In zweifelhaften Fällen bieten diese augenfälligen Verschiedenheiten der jüngsten Larven ein bequemes Mittel, um zu entscheiden, ob man eine Gesellschaft von Calotermes rugosus oder von C. nodulosus vor sich habe, 1) Linnaca entomol. XII, S. 68. 260 Fnt2 Müller, Wünschenswerth und wahrscheinlich lohnend wäre die Ver- folgung der Entwickelung der Termiten und besonders der Calo- termes im Ei. Vielleicht fiele dabei ein ähnliches Streiflicht auf den Ursprung der Luftröhren der Insecten, — (das mehrerwähnte Sförmige blinde Rohr, von dem die Luftröhren des Hinterleibes ausgehen, erweckt diese Hoffiiung), — wie es die spätere Ent- wickelung der Larve des Calotermes rugosus auf den Ursprung der Flügel wirft. Mir selbst gestattet mein Mikroskop nicht, eine solche Untersuchung mit einiger Aussicht auf Erfolg zu unter- nehmen. Beiträge zur Kenntniss der Termiten. 261 Erklärung der Abbildungen. Taf. X. Fig. 1 — 8. Calotermes rugosus Hag. Wandlungen der äusseren Gestalt (8:1). Fig. 1 — 3. Jüngste Larve, mit 9 Fühlergliedern. 8 von der Bauchseite; die 6 Nervenknoten des Hinterleibes schimmern durch. Fig. 4. Larve mit 10 Fühlergliedern. Der Innenrand der Kinnbacken ist hart und dunkel geworden. Die Fortsätze der Hinterbrust sind deut- licher, der Hinterleib länger. Fig. 5. Larve mit 11 Fühlergliedern. Die Fortsätze der Mittel- und Hinter- brust haben sich herabgebogen und liegen den Seiten »des Leibes an: der Hinterleib nähert sich der Walzenform ; die Schienen haben deut- liche Enddornen. Die eigenthümliche Zeichnung des Hinterleibes ist durch das Durchschimmern der in der folgenden Figur im Umrisse gezeichue- . ten Theiie bedingt. Fig. 6. Larve mit 12 Fühlergliedem. Fühler im Verhältniss viel kürzer, als anfangs. Rückenplatte der Yorderbrust kaum noch breiter als der Kopf, ihrer bleibenden Gestalt sich nähernd. Man sieht durchschimmern : das Rückengefäss (rg) in der Mittellinie; den Vormagen (vm), von der Mittelbrust aus schief nach links bis zum dritten Hinterleibsring sich er- streckend; den Mitteldarm (m4), der im dritten Hinterleibsring einen Bogen von links und hinten nach rechts und vorn beschreibt ; den Blind- darm (frd), die ganze Breite des Hinterleibes bis fast zum Hinterrande der achten Rückenplatte einnehmend, den Enddarm (ed), der anfangs an der rechten Seite des Blinddarms, dann über demselben nach hinten läuft und mit einer Erweiterung endet. Fig. 7. Soldatenlanre. Fig. 8. Soldat. Fig. 9. Jüngste Larve von Calotermes nodulosus Hag. (15:1). Fig. 10. Erwachsene Larve von Calotermes Hagenii F. M. (4:1). Flu. gelansätze den Seiten anliegend. Fig. 11. Erwachsene Larve von Anoplotermes pacificus F. M. (8:1). Flügelansätze dem Rücken aufliegend. Taf. XI. Fig. 12. Ei eines (namenlosen) Calotermes aus Canella preta (50:1). L. Oberlippe (labrum). /. Fühler, bereits dreigliedrig. //. Kinnbacken (mandibula). III. Vorderer Kiefer (maxilla). IV, Hinterer Kiefer (labinm). F— FJJ. Vorder-, Mittel- und Hinterbein. X. Innerer Ast des vorderen Kiefers, oder Zunge? — Bd. IX, N. F. IL 18 262 Fritz Müller, Fig. 13 — 16. Entwickclimg der Fühler von Calotermcs rugosus. Fig. 13. Fühler der Larve Fig. 3 (50:1); nenngliedrig , drittes Glied mit zwei Ringfiirchen. Fig. 14. Fühler einer wenig älteren Larve (50:1); zehngliedrig , drittes Glied mit einer Ringfurche. Fig. 15. Fühler der Nymphe (50:1); fun&eliDgliedrig, das dritte Glied in einen oberen beborsteten und einen unteren borstenlosen Abschnitt getheilt. Beim geflügelten Thiere trägt auch letzterer Borsten, die P'ühler sind sechszehngliedrig. Fig. 16. Fühler des Soldaten (25: 1). Fig. 17 — 25. Mundtheile des Calotermes rugosus. Fig. 17. Kopf der jüngsten Larve, von oben (50:1) ol Oberlippe. Kb Kinnbacken, z Zunge. Kt Kiefertaster. Kla Aeussere Kieferlade, an deren Innenseite man die Spitze der inneren Lade sieht. Li Lippen- taster, la Aeussere, li innere Lade der Unterlippe, f E/rstes Glied des rechten Fühlers, sp Speiseröhre, h Hirn. Fig. 18. Vorderer und hinterer Kiefer („Unterkiefer und Unterlippe") der jüngsten Larve, von unten (100 : 1). Buchstaben, wie in Fig. 17, ausser- dem: hli Innere Kieferlade, sp Speichelgang, sbg Speichelblasengang. sdg Speicheldrüsengang. Fig. 18». Innere Kieferlade, gequetscht. Fig. 19. Zunge der jüngsten Larve (50:1). Fig. 20. Kinnbacken einer Larve mit zehn Fühlergliedern, von Oben (90:1). Fig. 21 — 23. Mundtheile des Soldaten (25:1). Buchstaben, wie vorher. Fig. 21. Hintere Kiefer („Unterlippe"). Fig. 2 2. Vorderer Kiefer („Unterkiefer"). Fig. 23. Oberlippe. — ep. Epistom. Fig. 24. Zunge des geflügelten Thieres, von der Seite. Fig. 25. Kinnbacken desselben, von oben (25 : 1). 1-.- c^n' -nu 1- f der jüngsten Larve des Anoplotermes pacifi- Fig. 27. Oberlippe ^ j » *' ^ cus (50: 1). Taf. XII. Fig. 28 — 30. Flügelfortsätze der Brust von Calotermes rugosus. Fig. 28. Von der jüngsten Lai-ve (50: 1). K Kopf. V Vorder-, M Mittel-, H Hinterbrust. I— III. Erste bis dritte Rückenplatto des Hinterleibes. Zwischen V und M das zweite, an den Seiten von I — III drittes bis fünf- tes Luftloch der linken Seite, letztere drei mit dem Sförmigen blinden Rohre. Fig. 29. Von einer Larve mit elf Fühlergliedern (25:1). In den Flügel- fortsatz der Mittelbrust treten Luftröhren ein, als erste Anlage der spä- teren Flügeladern, sc Subcosta. m Mediana, sm Submediana. Fig. 30. Verkümmerter Flügelfortsatz der Mittelbrust des Soldaten (25:1). Buchstaben, wie in Fig. 29. Fig. 31—85. Zur Entwickelung der Beine. Fig. 31. Vorderschiene uod Fnss der Fig. 1 gezeichneten Larve (90:1). Enddornen der Schienen fehlen. Fussgliedcr deutlich geschieden. Beiträge zur Kenntniss der Termiten. 263 Fig. 32. Theil der Vorderschiene der jüngsten Larve (200:1). Die Luft- röhre theilt sich bei ihrem Eintritt in die Schiene in zwei jetzt noch gleich starke Aeste. Fig. S 3. Die drei ersten Fussglieder des Mittelbeins der jüngsten Larvr, von der Sohle (100:1). Fig. 34. Vorderschiene und Fuss einer 5 Mm. langen Larve (90:1). End- dornen der Schienen vorhanden, der eine Ast der Luftröhre aufgetrieben. Fig. 35. Ende der Schiene und Fuss vom Mittelbein des geflügelten Thie- res 100:1). h Haftlappen zwischen den Fussklauen. Ir Luftröhre, bis in den Haftlappen zu verfolgen, s Sehne des Beugemuskels. Fig. 36. Vorderschiene und Fuss des Arbeiters von Anoplotermes pa- cificus F. M. (50:1). Die reichliche Behaarung ist weggelassen. Fig. 87. Ende des Hinterleibes der jüngsten Larve von Calotermes ru- gosus, von unten, a After, aa Afteranhänge (appendices anales). 6a Bauch- anhänge (appendices abdominales). Fig. 38. Darmrohr der jüngsten Larve von Calotermes rugosus, etwas aus seiner natürlichen Lage gezogen (15 : 1). vm Vormagen, kl Eauleisten. md Mitteldarm (Magen), bd Blinddarm, ed Enddarm, hg Harngefässe. Fig. 39. Vormagen (vm) und Anfang des Mitteldarms (md) der Nymphe von Anoplotermes pacificus (8:1). Fig. 40. Endstück des Vormagens („Kaumageu") einer 8 Mm. langen Larve von Calotermes rugosus (90:1). rm Ringmuskeln. kwl, kw U, Ato III, Kauwülste erster, zweiter und dritter Ordnung. Fig. 41. Ein Theil der Kauwülste, aus demselben Voimagen, ausgebreitet (90:1). Fig. 42. Speicheldrüse (sd) und Speichelblase (sb) von Calotermes rugo- sus, Soldat (25 : 1). sg Speichelgang, sbg Speichelblasengang. . I -^ ■ / Jniaae/f Zatidtfifi, Bd. IX. V" M KP .ö:: '^ AI UJ « . .i^ a thnaisdia Ititsdinfl, Bd. L \,*- . T JenaischeZeitschnfl,Bd IX. 16. I :iu.\ 'i'-.\ \ I S ' / sä, * .^i, -^"r^M -Ti;-- M X. Vv i J 6. inil V\a/ : y * t V^■•■ ; ( 1 ■ J 1 ; ■ »■ Jeaaiteht ZmtadtrUt, Bd. IX. ! %4i\-? Q /S'r^^ \ ' u -■' 22. A/, s- •;. t o • * tt- JwtöA» Z»füdirifi.&/. IX. T,r.xiii. 45. T ,.' tt 1 y^Ai Jl ** \ *" *'' U( -' 49 ' '■ r^ •„^ -.h.rli.i.in Juff-M™ Ziir Lehre von der Struktur der Zellen. 281 Durch Bildung von Vakuolen und Durchbruch derselben wird die Peripherie des Klümpchens in ein Maschenwerk von Fäden umge- wandelt die feinere oder derbere Körnchen in den Knotenpunkten tragen, während das Centrum, der Kern, homogen bleibt. Dann erfolgt die Differenzirung zu einem Fach- später zu einem Ma- schenwerke auch im Kern, so dass hier wieder compakte kleinere Centren als Kemkörperchen zurückbleiben! Geht die Differenzi- rung weiter, so ist kein Kern, später auch kein Kemkörperchen sichtbar, der ganze Körper stellt ein Maschenwerk mit gröberen oder feineren Knotenpunkten dar und dieser. Zustand ist der un- mittelbare Vorläufer der Bildung einer Grundsubstanz. Die Entstehung feiner Fadennetze aus derben Protoplasma- körnem hat Hbitzmann bei den Blutkörperchen des Krebses ver- folgt und macht über dieselben die folgenden Angaben. In dem frisch untersuchten Blut finden sich 2 Arten von Blut- körperchen, erstens blasse, feinkörnige, mit je einem grossen blassen oder einem kleineren grobkörnigen Kern; zweitens mit groben gelblichen, stark glänzenden Körnern versehene. Die Kör- ner der letzteren sind in der Regel um je einen helleren, unregel- mässig begrenzten, spärliche Kömer zeigenden Hohlraum hemm- gelagert. Bei gewöhnlicher Zimmertemperatur zeigen die blassen Körper einen trägen Formenwechsel, bei fortwährendem Wechsel in der Grappirung der zarten Körnchen des Protoplasnfa. An den grobkömigen Körpern beobachtet man im Laufe einer halben bis einer Stunde die folgenden Veränderungen. Jedes einzelne Kom stellt Anfangs einen kugeligen, gelblichen, stark glänzenden Kör- per dar, welcher von seinen Nachbarkörnern durch einen schma- len, hellen Saum getrennt erscheint und in diesem Saum erkennt man, wenn auch nur undeutlich , zarte Speichen , welche je ein Kom mit allen seinen Nachbarn verbinden. Jedes Kom verändert ununterbrochen seine Lage und zwar um so deutlicher, in je grös- seren Entfernungen von einander die einzelnen Körner liegen.« Gleichzeitig treten an der Peripherie des granulirten Blutkörpers an wechselnden Stellen , hyaline Buckel auf. In kurzer Zeit ver- flacht sieb nun jedes Korn derart, dass es napfförmig wird und sich der Form seiner Nachbarkömer anschmiegt, die die Kömer verbindenden . grauen Speichen werden deutlich sichtbar und der Umfang des gesammten Körpers merklich grösser. In weiterer Folge treten fast in jedem einzelnen Kom je eine centrale oder zwei excentrische Vakuolen auf, wodurch das Korn zu einer einfachen oder Doppelschale, im optischen Durchschnitt B4. IX, N. F. n. 20 282 ^' Frommann, ZU einem gelb glänzenden einfachen oder Doppelringe umgewan- delt wird. Man sieht hierauf, wie 2 oder mehrere hohl gewordene Kömer mit einander ruckweise zusammenfliessen und sich ruck- weise zu einem sehr zarten Maschenwerk umwandeln, so dass an Stellen wo früher grobe Körner in dichter Anhäufung lagen, jetzt blasses, feinkörniges Protoplasma aufgetaucht ist Während der Blutkörper zu einem blassen, immer weniger rundliche Körner enthaltenden Klümpchen umgestaltet wird , - er- scheint in demselben ein von einer relativ dicken, an ihrer Aussen- flä^e zackigen Schale der glänzenden Substanz umschlossener hohler Körper, dessen Inneres etliche gröbere Kömer und ein sehr engmaschiges Netzwerk aufweist und der nach dem Sprachgebrauch als Kem bezeichnet wird. Die aus grobkörnigen hervorgegangenen blassen Protoplasma- körper verändern ihre Form noch eine Zeit lang, der Kem und dessen Körner hingegen ändern ihre Gestalt von dem Augenblicke an, als sie deutlich sichtbar wurden, nicht mehr. Nach Behandlung der Blutflüssigkeit mit Goldlösung war die gelbe, glänzende Substanz, welche im Protoplasmakörper und des- sen Kerne das zarte Netzwerk erzeugte, deutlich violett geworden, während die in den Maschenräumen enthaltene helle Substanz un- gefärbt blieb. Die beiden ersten der von Hbitzhann erwähnten Zellformen bieten in frischem, den Scheerenmuskeln entnommenen Blut das folgende Aussehen. Es finden sich 1) mndliche, ovale oder spin- delförmige Blutkörperchen, die bei Bewegungen kolbige, zackige oder strahlenförmige Fortsätze entsenden. Das Protoplasma er- scheint bei den im Formwechsel begriffenen Zellen homogen, und auch die runden . und spindelförmigen Zellen verlieren ihr körniges Aussehen und werden homogen wenn sie anfangen, sich zu bewe- gen oder das letztere bleibt beschränkt auf eine schmale Zone in »der unmittelbaren Umgebung des Kerns. An mnden oder spindel- förmigen Zellen mit feinkörnigem Protoplasma lassen sich bei hin- reichend starker Vergrösserung (Immersionssystem N. 3, Zeiss) die Kömchen als die Mittelpunkte von Netzen feinster grauer Fäden erkennen und treten Ortsveränderungen der Körnchen, ein Näheraneinander - und Voneinanderrücken derselbw hervor. — Der Kem hat ebenfalls ein mattgraues Aussehen, scheint von dem ihn umgebenden Protoplasma nicht scharf abgesetzt, besitzt aber eine doppelt contourirte, wenn auch nicht stark glänzende Membran. Das Innere des Kerns wird eingenommen durch blasse, Zur Lehre von der Struktnr der Zollen. 283 wenig glänzende Körnchen and Fäserchen, die hier ebenfalls zu einem zarten und feinen Netz mit derberen und feineren Kömchen in den Knotenpunkten verbunden sind, das sich an die Innenfläche der Kemmembran befestigt, während einzelne Fäden durch die Kemmembran und mit Kömchen des Zellkörpers in Verbindung treten. Neben feinen Kömchen finden sich im Innern des Kems und z. Th. wandständig derbe runde oder nnregelmässig geformte, z. Th. polygonale Körner, von welchen ebenfalls Fäden zu anderen Kömem und Kömchen oder zur Kernwandung ausgehen. Ausser diesen Zellen und häufig in grösserer Zahl kommen 2) andere vor, die ein ziemlich verschiedenes Aussehen besitzen, fast sämmtlich eine mnde oder ovale Gestalt zeigen, Bewegungs- erscheinungen nicht oder nur selten wahmehmen lassen und bei denen eine verhältnissmässig geringe Protoplasmaschicht den meist runden, durch eine stark glänzende Membran eingefassten Kern umschliesst. Das Protoplasma ist hyalin, von einer zarten Mem- bran umschlossen und enthält in seinem Innem keine oder nur sparsam eingestreute helle und glänzende Körnchen. Die den Kem umschliessende Protoplasmaschicht ist mitunter so schmal, dass sie nur die doppelte oder dreifache Breite des Durchmessers der Kemmembran besitzt, die Zellmembran der letzteren ziemlich dicht anliegt. Die Kemmembran ist sehr derb, in dieselbe eingelagert oder mit ihrer Innenfläche verschmolzen finden sich Kömchen und derbe, zum Theil sehr unregelmässig geformte, zackig auslaufende Kömer, welche den inneren Contour der Membran vielfach unter- brechen und bei dichter Stellung derselben ein quergestricheltes Aussehen verleihen können. Das Innere des Kems ist licht und enthält in der Regel mehrere grössere, unregelmässig geformte, .eckige, stark glänzende Kömer, welche unter sich und mit Körn- chen des Keminnem oder mit der Kemmembran durch bald feine bald derbere und mehr glänzende Fäden verbunden sind. Neben diesen Zellen finden sich in wechselnder Häufigkeit freie Keme von der gleichen Beschaffenheit wie die in den letz- teren enthaltenen. Obschon die beiden erwähnten Zellformen ein sehr verschie- denes Aussehen darbieten, so gebt doch die eine aus der anderen hervor und die Verfolgung dieses Uebergangs gelingt leicht, da er sich häufig ziemlich rasch vollzieht Fasst man eine Zelle der ersten Art mit blassem, grauen Protoplasma und grauem Kem für einige Zeit in's Auge, so sieht man plötzlich die Form der Zelle sich ändern. Die in Formwechsel begriffenen Zelten ziehen ihre 20* 284 C- Frommann, Fortsätze ein, sie, wie die spindelförmigen Zellen, nehmen eine ovale oder runde Gestalt an, die Zellgrenze wird durch einen scharf markirten Saum bezeichnet, das hyaline Protoplasma zieht sich mehr und mehr um den Kern zusammen und bildet eine schmale, schalenartig den letzteren unischliessende Schicht. Köm- chen sind innerhalb desselben nicht oder nur in geringer Menge, in reihenweiser Anordnung um den Kern vorhanden. Dabei tre- ten die Contouren des bis dahin mattgrauen Kerns heller und schärfer hervor, die Kemmembran wird dicker, an ihrer bis dahin glatten Innenfläche treten Unebenheiten auf, sie zeigt kömige und knotige oder zackige Prominenzen, die sich bald langsam bald rasch bilden, das Kern-Innere wird lichter, verliert sein matt- graues Aussehen und statt dichtgestellter wenig glänzender Körn- chen treten in demselben neben den Körnchen derbere, stark glänzende Körner von rundlicher oder unregelmässig eckiger Form auf. Während dieser Vorgänge verändert der Kern häufig seine Form, Einkerbungen und Ausbuchtungen desselben werden ausge- glichen, ovale und längliche Kerne nehmen bald rasch, bald lang- samer eine runde Form an, indem die den Polen entsprechenden Abschnitte eingezogen werden, während seitlich von den Mittel- partieen der Keraumfang sich mehr vorwölbt. Der Uebergang der einen ZeUform in die andere erfolgt häufig schon innerhalb weni- ger Minuten, in anderen Fällen erst nach 10--25 Minuten. In manchen grauen Zellen mit kömigem Protoplasma sind die Fasernetze etwas derber als es gewöhnlich der Fall ist, man sieht dann längs eines grösseren oder geringeren Theils des Kem- umfangs ein bald weiteres, bald sehr enges Fadennetz, das sich wieder zu einzelnen reihen- oder truppweise gestellten Körnchen auflösen und aus denselben von Neuem bilden kann. Die zweite Form der von Heitzmann beschriebenen Blut- körperchen ist ausgezeichnet durch die groben, stark glänzenden und deutlich gelb gefärbten Körner das Protoplasma, welche meist in sehr dichter Stellung den grössten Theil des Zellkörpers durch- setzend, nur von einer schmalen Schicht grau und homogen aus- sehenden Protoplasma's umschlossen werden, das entweder zackige, strahlige oder buchtige Fortsätze entsendet oder als schmale, schalenartige Hülle den Köraerhaufen umgiebt. Die mittelgrossen und grösseren der gelben Körner besitzen einen Durchmesser von 0,0018—0,0036 Mm. und erweisen sich als mndliche oder ovale oder 3 — Geckige Körper. Sie liegen z. Th. so dicht zusammen, dass sie sich zu berühren scheinen, z. Th. sind sie durch feine Zur Lehre von der Stmktnr der Zellen. 28ö spaltartige Zwischenräume von einander getrennt, ihre oberfläch- liche Lage bildet ein zierliches, mosaikartiges Pflaster und lässt die Formverhältnisse der einzelnen deutlich erkennen. Die Grenz- linie des Körnerhaufens ist entweder eine gleichmässig fortlaufende oder zeigt kleine Einkerbungen und Ausbiegungen, entsprechend dem isolirten Vortreten der peripheren Abschnitte einzelner oder mehrerer Körner. Zwischen den einzelnen Körnern sind sehr feine, sie verbindende Fäden zu erkennen, deren Wahrnehmung durch die Feinheit der spaltformigen Räume zwischen den Kömern sehr erschwert wird. Einzelne Fäden schienen mit einem dichteren mehr glänzenden Theil im Iqneren eines Korns in Verbindung zu treten, andere über das nächstgelegene Korn hinwegzuziehen, um sich in das darauf folgende einzusenken. In der Mitte mancher Kömerhaufen findet sich eine rundliche, ovale oder unregelmässig begrenzte Lichtung, welche durch Köm- chen und Fäserchen ausgefüllt wird und in welche die feinen Spalten zwischen den einzelnen Kömera der sie umfassenden Kör- nerschicht unmittelbar einmünden. Mitunter wird diese Lichtung durch eine feine, dicht an der Körnerschicht hinlaufende Faser ganz oder theilweise eingefasst, welche Körnchen in ihren Verlauf eingeschaltet enthält; in anderen Fällen wird die Lichtung einge- nommen durch einen bläschenförmigen Kern. Die Continuität anderer Körnerhaufen wird ganz oder Üieil weise unterbrochen durch Lücken, welche den Haufen ganz oder theilweise durchsetzen, im letzteren Fall als eine nach Aussen sich verbreiternde Spalte erscheinen; dieselben schliessen ebenfalls Körnchen und Fäser- chen ein. Behält man zur Verfolgung der Veränderungen an den Kör- nern eine Zelle im Auge, so sieht man, wie einzelne Körner oder (iruppeu derselben ihren starken Glanz verlieren, sich vergrössern und schärfer gegen einander abgegrenzt werden, während gleich- zeitig die feinen Spalten zwischen ihnen deutlicher vortreten. Der ursprüngliche Contour des Köraerhaufeus wird uneben, indem ein- zelne Körner etwas von einander — andere über das Niveau der übrigen Körner hinausrücken, so dass der Grenzcontour ein maul- beerförmiges Aussehen bekommt und weiter nach der Zellgrenze vorrückt. Zwischen den einzelnen etwas von einander gewichenen Körnern treten jetzt die verbindenden Fäden deutlicher hervor und dieselben können in grösserer Ausdehnung übersehen werden, wenn die Umfangszunahme der Körner gleichmässig die Gesammt- beit dei*selbeu betroffen hat, der Zusammenhang zwischen den 286 ^* Frommann, mehr central gelegenen und den peripheren noch nicht verloren gegangen, einzelne Körnergruppen noch nicht von einander durch grössere Lücken getrennt sind. Bald schon wenige Minuten nach Beginn der Beobachtung, bald erst später bemerkt man, wie ein- zelne Körner oder kleine Gruppen and. Reihen derselben weiter von einander weichen, im Innern des Haufens entstehen Lücken die dem Umfang einzelner oder mehrerer Körner entsprechen und Anfangs noch keine geformten Bestandtheile oder nur spärlich ein- gelagerte Körnchen erkennen lassen. Während nun ein Theil der Kömer noch grösser wird, ihr Durchmesser den früheren um das Doppelte oder Dreifache übertrifft, sie blässer, in den centralen Partieen durchscheinender werden, verändern sie ihre gegenseitige Lage mehr und mehr, einzelne rücken wieder dicht aneinander, während andere zu 2 und 3 zu grösseren rundlichen, ovalen oder stumpf polygonalen Körpern verschmelzen die im optischen Durch- schnitt als plattenartige Gebilde erscheinen und ihre Form wieder ändern können. Die im Innern des Körnerhaufens entstandenen Lücken communiciren mit ähnlichen an den Kandpartieen und das früher dichte Agglomerat von Körnern erlangt mehr und mehr ein durchbrochenes Aussehen, hat sich zu einzelnen Gruppen und Reihen von Körnern aufgelöst, welche giössere und kleinere häu- fig durch feine Fäden geschlossene Lücken zwischen sich fassen in denen mitunter noch einzelne Kömer liegen, während andere zerstreut und vereinzelt in die peripheren Abschnitte des Proto- plasma eingebettet sind. Der Umfang der ganzen Zelle kann sich dabei bis um das Doppelte vergrössern und das graue, homogene Protoplasma wird dabei so zart und durchscheinend, dass seine ab- gerundete oder zackig auslaufende Grenzlinie nur mit Mühe unter- schieden werden kann. Während dieser Veränderungen sieht man benachbarte Kömer häufig ihre Stelle wechseln, sich näher rücken und wieder von einander entfernen. Isolirt liegende rücken mit- unter um das Doppelte bis Dreifache ihres Durchmessers von der Stelle. Ausgiebigere Lokomotionen der Körner können durch Be- wegungen der Protoplasmaschicht in welche sie eingebettet sind bewirkt, einzelne derselben mit der Entwickelung von Ausläufern auf grössere Strecken fortgezogen werden. Gleichzeitig mit der Zunahme des Umfangs des Körneragglo- meratö und der Vergrösserung der einzelnen Körner folgend kommt es zur Bildung von Vakuolen in denselben. Nachdem erst die centralen Theile der Körner heller und weniger glänzend gewor- den, wandeln dieselben sich in eine, von einer stark glänzenden. Zur Lehre von der Struktur der Zellen. 287 gelblich aussehenden Hülle umschlossene Höhlung um , das ganze Gebilde ei'scheint dann unter der Form eines einfachen, oder wo 2 Vakuolen sich in einem Korn gebildet hatten, unter der Form eines Doppelrings. In grösseren Körnern können sich neben einer grösseren noch mehrere kleinere Vakuolen bilden und im Innern der grösseren Vakuolen beobachtet man häufig das Auftreten von einem oder von mehreren Körnchen. Die Vakuolen können einige Zeit fortbestehen, man kann sie 10—15 Minuten beobachten, ohne dass weitere Veränderungen vorgehen, als dass sie ihre Form und ihren Durchmesser etwas wechseln, oder es bildet sich aus einem vakuolenhaltigen wieder ein solides Korn mit lichterem Centrum , innerhalb des letzteren dann von Neuem eine Vakuole, in den meisten Fällen aber sieht man ziemlich bald nach Bildung der Vakuole, dass dieselbe sich rasch, wie mit einem Ruck schliesst, so dass es auch bei aufmerk- samer Beobachtung kaum möglich ist der Verkleinerung des ur- sprünglichen Korns zu folgen. Andere Male erfolgt die Verkleine* rung langsamer, das Korn verkleinert sich um die Hälfte seines Durchmessers und lässt noch eine kleine Höhlung erkennen, nach kurzer Zeit schwindet auch die letztere und in beiden Fällen sieht man schliesslich an Stelle des früheren vakuolenhaltigen Korns ein oder mehrere dicht beisammenstehende kleine, glänzende, scharf umschriebene Körnchen, die mitunter in einer lebhaften oscilliren- den Bewegung begriffen sind und daneben noch einzelne Fäserchen. Einzelne Körner in denen es noch nicht zur Vakuolenbildung ge- kommen, können mit anderen vakuolenhaltigen verschmelzen, andere treiben, ehe sich in ihnen Vakuolen bilden stiel- oder schmal-lan- zettförmige Fortsätze, welche sich abschnüren. Nicht alle Körner wandeln sich in Vakuolen um ; einzelne verbreitern sich mehr und mehr, verblassen, verlieren ihren Glanz und gehen in blasse, graue Kugeln über, welche schliesslich mit dem homogenen Theil des Pro- toplasma zu verschmelzen scheinen. Nach Ablauf von 10-25 Minuten sind die meisten Körner geschwunden, an ihre Stelle sind Gruppen und reihenweise oder netzförmig geordnete Züge von feinen glän- zenden Kömchen getreten, neben und zwischen welchen feine Fäser- chen eingelagert sind die mit den Körnchen zwar vielfach zusam- menhängen, aber mit ihnen nicht zur Bildung eines geschlossenen engmaschigen Fadennetzes verbunden scheinen. Noch ehe es zur Umwandlung sämmtlicher Körner gekommen ist wird die Zelle iu das erwähnte Fachwerk mit uuregehuässig begrenzten rundlichen, ovalen oder eckigen Maschen abgetheilt, die bald nur den Kaum 288 ^* Frommann, von wenigen, bald den von 6, 10 oder einer grösseren Anzahl Körner einnehmen und die feinen, aus der Dififerenzirung der Kör- ner hervorgegangenen Körnchen und Fäden enthalten. Die Ma- schen werden eingefasst durch feine oder derbere glänzende Fäden, welche Verbindungen zwischen den auseinander gerückten Reihen und Gruppen von Körnern herstellen, häufig auch in ihren Kno- tenpunkten vereinzelte Kömer einschliessen. In den Verlauf der Fäden sind mitunter Körnchen einzeln oder reihenweise einge- schaltet und in kleinen Gruppen finden sich dieselben auch in den Knotenpunkten des Fachwerks. In den Maschen des letzteren sind Kömchen und Fäserchen bald nur sparsam eingebettet, bald in dichterer Anordnung, einzelne Maschen zeichnen sich aber häu- fig vor den übrigen dadurch aus, dass ihr Inneres gleichmässiger und dichter von den Kömchen und Fäserchen erfüllt ist. Dieser Abschnitt des Fachwerks erscheint, sobald er überhaupt deutlich vortritt, entweder als mnder oder ovaler Kern, dessen Membran häufig in einem Theile ihres Umfangs durch aufliegende und dicht gestellte Körner verdeckt wird, in anderen Fällen, wo sie sich nicht scharf abhebt, nach Essigsäurezusatz scharf hervortritt-, oder es tritt ein deutlicher Kern überhaupt nicht hervor, sondern an seiner Stelle ein sehr nnregelmässig geformter, mit zackigen Fortsätzen in' die Fäden des umgebenden Fachwerks auslaufender Körper, der bald in seinem ganzen Umfang, bald nur längs eines Theils desselben durch einen Doppelcontour begrenzt wird. Die zackigen Vorsprünge desselben werden bald Vasch, bald langsamer zurück- gezogen, die Ecken ausgeglichen und er nimmt eine runde oder ovale Gestalt an. Gleichzeitig wird sein Inneres lichter, Körnchen und Fäden treten in demselben deutlicher und scharf umschrieben hervor, die Membran bekommt ein glänzenderes Aussehen, erhält häufig Verdickungen an ihrer Innenfläche und das ganze Gebilde gleicht dann vollkommen den Kernen der oben erwähnten Zellen mit lichtem, derbe Körner einschliessendem Innern. So lange der Kern seine zackigen Fortsätze besitzt, scheint er durch dieselben an den Fäden des umgebenden Fachwerks, in welche sie auslaufen, fixirt und das Zurückziehen dieser Fortsätze wie der Ucbergang in die runde oder ovale Form erfolgt unter Sonderung der Fäden des umgebenden Fachwerks zu reihen- oder gmppenweise gestell- ten Körnchen. Nach Auftreten des Kerns schwinden die noch vorhandenen Körner, diflFerenziren sich ebenfalls unter vorausgegangener Vakuo- lenbildung zu Körnchen und Fäserchen , das Fachwerk der Zelle Zur Lehre von der Struktur der Zellen. 289 schwindet zum grossen Theil wieder, an Stelle seiner Fäden er- scheinen ebenfalls Körnchen, oder es bildet sich ein neues Maschen- netz mit anderer Anordnung seiner Fäden und der Umfang der ganzen Zelle nimmt mehr oder weniger beträchtlich ab. Nach deutlichem Vortreten des einen Kerns wird mitunter nach Zusatz von Essigsäure noch ein zweiter sichtbar. Dass die eben mitgetheilten Vorgänge als Lebenserscheinun- gen des Protoplasma aufzufassen sind, kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dagegen bleibt es fraglich, in wie weit dieselben inner- halb des lebenden Thieres sich ganz in der gleichen Weise voll- ziehen. Am auffallendsten waren die eigenthümlichen zackigen Formen des hervortretenden Korns, seine Bewegungserscheinungen und Formveränderungen und der oft sehr rasch erfolgende Ueber- gang aus einer unregelmässig ausgebuchteten oder ausgezackten in eine runde oder oval^Form, bei glänzender und dicker werden seiner Membran. Die Bildung engmaschiger, geschlossener Fadenuetze aus den vakuolenhaltigen Körnern in der von Heitzmamn angegebenen Weise habe ich nicht wahrnehmen können. Es bildeten sich nach Um- wandlung eines grösseren oder geringeren Theils der Kömer Fä- den aus, welche ein verhältnissmässig weites Netz bildeten in des- sen Maschen neben noch unveränderten Körnern Körnchen und Fäserchen lagen und diese Fäden hingen theils mit vereinzelten Körnern, theils mit reihen- oder gruppenweise nach zusammenlie- genden Kömern zusammen und schienen sich aus den Körnchen hervorzttbilden zu denen die vakuolenhaltigen Körner sich diffe- renzirt hatten. Dagegen Hess sich auch die Möglichkeit nicht in Abrede stellen, dass sich an ihrer Bildung Verdichtungen des anscheinend hyalinen Protoplasma betheiligen. Sie erwiesen sich nicht als beständige Bildungen, lösten sich zum Theil wieder zu Körnchen auf, während neue in anderer Anordnung und Verbin- dung entstanden. Auf Tafel XV sind von a — e Zellen mit grauem, theils homo- genem, theils feinkörnigen Protoplasma abgebildet, welche einen blassen grauen Kern mit wenig glänzender Membran und körnig faserigem Innern enthalten. Die Zellen /' g und h sind aus der Umwandlung von Zellen wie d und e hervorgegangen, besitzen eine schmale Schicht homogenen Protoplasmas mit zarter Zellmembran und wenigen in der Umgebung des Kerns eingelagerten Körnchen. Die Kernmembran war namentlich bei / und A sehr derb, stark glänzend und zeigt an ihrer Innenfläche zackige und knotige Pro- 290 ^' Frommann, minenzen. Das Kern-Innere ist licht, enthält einzelne sehr derbe, mit Fäden in Verbindung stehende Körner, daneben feine unter sich durch zarte Fäserchen verbundene Körnchen. Bei I ist der bläschenförmige, mit derber Membran versehene Kern von einer breiten Zone dichter Fadennetze umgeben, bei Ar sind die in dem bläschenförmigen Kern hervortretenden Fasernetze sehr derb und deutlich, das Protoplasma ist hyalin und zeigt nur eine schmale Körnchenzone um den Kern. Bei l m n zeigt die- selbe Zelle eine verschiedene Beschafifenheit ; bei / und m ist der Kern noch von einer breiteren Protoplasmaschicht umschlossen, die bei m schon merkliche Verkleinerung des Kerns tritt bei n noch mehr hervor, die Fadennetze in seinem Innern sind dichter, die ihn umgebende Protoplasmaschicht sehr schmal. o und p sind Abbildungen derselben Zelle die bei o einen ovalen Kern besitzt, der nach unten von Einern feinen und engen Fadennetz umfasst wird, während bei p der Kern eine runde Form angenommen und das Fadennetz in seiner Umgebung sich in ein- zelne Körnerreihen und Gruppen aufgelöst hat. . Bei q ist eine Zelle mit einem unregelmässig geformten Ag- glomerat von vergrösserten Körnern abgebildet, die sich von ein- ander zu^ sondern beginnen und einen bläschenförmigen Kern mit lichtem Innern und derben Kömchen umschliessen. Bei r umschliesst der Körnerhaufen eine centrale Lichtung in welche die feinen Spalten zwischen den Körnern einmünden. Fig. 8 und t stellen dieselbe Zelle zu verschiedenen Zeiten dar, die bei » am unteren Rande einige Körnchen und Fäserchen in der centralen Lichtung erkennen lässt, bei i an Stelle der letz- teren einen bläschenförmigen Kern mit feineren Kömchen und derberen zackigen Körpem. In Fig. u wird die centrale Lichtung eines Körnerhaufens durch feine und einzelne derbere zackige Körnchen eingenommen. Die Körner sind zum Theil untereinander durch feine Fäserchen in Verbindung, die feinen Spalten zwischen ihnen münden frei in die centrale Lichtung. Bei ü ein rundliches Agglomerat von unter sich zum Theil durch Fäden verbundenen Körnern, das von einer schmalen Zone hyalinen Protoplasmas umschlossen wird. Fig. a, Taf. XVI, die- selbe Zelle nach Differenzimng der Körner und deutlichem Hervor- treten des lichten, von einer sehr derben unregelmässig geformten Membran umschlossenen Kerns. Das Protoplasma enthält noch ein paar Körner und lässt ausserdem an geformten Bestandtheileu nur Körnchen in wechselnd dichter Stellung erkennen. Zar Lehre von der Straktor der Zellen. 291 Fig. b und c geben dieselbe Zqlle wieder, vor und nach deut* liebem Hervortreten des Kerns. Bei b findet sich nur noch eine geringe Zahl theils solider, theils vakuolenhaltiger Körner und zwischen denselben ein verhältnissmässig weites Maschennetz mit Körnchen in den Knotenpunkten. Bei c sind die meisten Kömer geschwunden, im Protoplasma nur Kömchen enthalten, während der Kern neben Körnchen noch mehrere unregelmässig gestaltete Körner einschliesst. Fig. d — g geben dieselbe Zelle zu verschiedenen Zeiten wie- der. Bei d hat sich der Körnerhaufe bereits zu mehreren Gmp- pen und zu vereinzelt liegenden Körnern gesondert, zwischen wel- chen graues Protoplasma, einzelne Kömchen und Fäden und netz- förmig verbundene Fäden hervortreten. Bei e ist ein ovaler, bläschenförmiger Kern vorgetreten , mit feinen Fadennetzen und mehreren blassen Körnern im Innern. I>ie Kömer des Proto- plasma haben sich anders grappirt, zum Theil zu grösseren, un- regelmässig gestalteten Körpem vereinigt und sind zum Theil va- kuolenhaltig. Längs des unteren Kernumfangs findet sich ein wei- tes Maschennetz. Bei f sind fast alle Kömer geschwunden , der Inhalt der Zelle wird durch verhältnissmässig breite Fasern, die bis an die Peripherie der letzteren reichen in ein weites Fach- werk abgetheilt. Bei g haben sich die Fasem dieses Fachwerks zu Zügen von Kömchen differenzirt, welche in der Umgebung des Kerns zu einer denselben umfassenden Körnchenzone verschmelzen. Die Abbildungen h — o geben die Umwandlungen derselben Zelle wieder. Bei Fig. i hat der Körnerhaufe seine Form ge- ändert, sich verbreitert und nach oben zugespitzt; bei A haben sich am Rande Lücken gebildet, bei / sind aus Differenzimng der Körner in der Mitte des Haufens feine Körnchen und Fäsercben hervorgegangen, bei m erscheinen dieselben theilweise zu feinen Netzen verbunden. Die noch vorhandenen, verbreiterten Kömer sind auseinandergerückt, die sie verbindenden Fäserchen deutlich sichtbar. Bei n sind die Körner geschwunden, ein Kem mit dop- peltcontourirter Membran und mit feinen Netzen im Innern ist sichtbar geworden und in dem feinkörnig - faserigen Protoplasma haben sich ziemlich derbe Fasern gebildet, die in engeren und wei- teren Bogen den Kern umfassen. Bei o haben sich wieder weitere und engere Netze im Protoplasma gebildet, die nicht bis an den Kern heran reichen, der letztere hat seine unregelmässige Gestal^ verloren und sich etwas verkleinert. 292 C- Frommann, Bei p und q dieselbe Zelle vor und nach Vortreten des Kerns. Die Körner sind zum Theil vakuölenhaltig. Auf Fig. r — c sind die stufenweisen Veränderungen derselben Zelle wiedergegeben. Bei r sind die Körner zum Theil differeozirt, zum Theil aus einander gewichen, die Lücken durch ein fädiges Netz geschlossen. Bei 8 ist ein nach unten doppelt contourirter, in eine zackige Spitze auslaufender, dunklerer Körper sichtbar, aus welchem nach rascher Fiinziehung des zackigen Fortsatzes und unter Bildung eines Doppelcontours in seinem ganzen Umfang, ein ovaler Kern hervorgeht, der dann in die runde Form übergeht. Die Fadennetze des Protoplasma, welche bei s und i sichtbar sind, gehen bei u und r in Gruppen und Reihen von Körnchen über. Nach Behandlung der Blutflüssigkeit mit V« procentiger Gold- chloridlösung waren sowohl Zellkörper als Kern violett geförbt, der letztere häufig in geringerem Grade als der Zellkörper und die Kernmembran sowie die derbren Kömer des Kerns schwächer al» der übrige feinkörnige Inhalt des Kerns. Dass die Färbung vor- wiegend auf Rechnung der geformten Zellbestandtheile komme, schien mir bei der dichten Stellung der letzteren und bei der Ver- schiedenheit in der Tiefe ihrer Färbung schwer zu constatiren. Auch die Untersuchung der Ganglienzellen des Krebses gab in dieser Beziehung keinen sicheren Aufschluss. Bei tiefer Färbung waren die verschiedenen Theile der Zelle in gleichem Grade gefärbt ; bei weniger tiefer Färbung erschien der Kern lich- ter als die Zellsubstanz, seine Membran, Kernkörperchen und der- bere Körner Uchter als die zwischen ihnen befindlichen Theile, und die Körnchen im Zellkörper dunkler gefärbt als die gleich grossen des Kerninnern. In Betreflf ihrer Strukturverhältnisse ergab die Untersuchung der Ganglienzellen aus den BrustgaugUen des Krebses eine Be- stätigung der früher von mir gewonnenen Resultate. An frisch in Serum untersuchten Zellen wie an solchen die mit Goldlösuug behandelt waren, erscheint das Innere des Zellkörpers durch aus- serordenthch feine und zarte Netze feinster Fäden gebildet, die überall in den Knotenpunkten die Körnchen tragen und die an spindelförmigen Zellen eine streifige und der Längsaxe der Aus- läufer parallele Zeichnung hervorrufen, während in rundlichen oder ovalen Zellen die Fadennetze in der Umgebung des Kerns häutig concentrisch zur Peripherie desselben angeordnet scheinen. Die Mehrzahl der Körnchen war fein, sie entsprachen nach ihrer Grösse den feineren Kömchen des Kerns, dagegen kamen vereinzelt der- Zur Lehre von der Stniktnr der Zellen. 293 bere Körner sowie zu 2 — G in einer Zelle Bildungen vor, die nach Grösse, Aussehen- und Glanz den Kernkörperchen des Kerns ent- sprachen. Die Fäden des Protoplasma inserirten sich in die Kernmembran oder standen mit einem in dieselbe eingelagerten Korn in Verbindung, oder sie durchsetzten die Kernmembran, um sich mit einem Korn des Kerninnern in Verbindung zu setzen. Vom Kern aus Hessen sich kleine Ketten von durch feine Fäser- chen verbundenen Körnchen auf kürzere oder grössere Strecken in das Protoplasma hinein verfolgen. — Der Kern besitzt häufig eine ungleich dicke Membran, es erscheinen an derselben schmä- lere und breitere Abschnitte und Körnchen, welche in ihre Sub- stanz eingelagert sind, ausserdem liegen ihr häufig Körner des Kerninnern oder Kernkörperchen dicht an oder sind mit ihr ver- schmolzen. Im Kern sind meist 3 — 4, in anderen Fällen bis 10 runde oder ovale, 3 oder 4 eckige Kernkörperchen enthalten, die mitunter in ihrem Innern wieder ein stärker lichtbrechendes Korn erkennen lassen. Von den Kernkörperchen treten feinere oder derbere Fäserchen ab, die letzteren zum Theil so, dass das Kei-n- körperchen nach der einen oder anderen Seite sich in einen dün- ner werdenden stielartigen Fortsatz auszieht, während die feineren Fäden sich mit benachbarten Kömchen des Kerns verbinden, die untereinander wieder durch feine und kurze Fäden zusammen- hängen. In manchen Kernen war ein Kernkörperchen überhaupt nicht und neben den feineren Körnchen eine wechselnde Zahl der- berer Körner eingebettet. Einzelne Beobachtungen schienen dafür zu sprechen, dass den untersuchten Ganglienzellen noch weitere Besonderheiten ihrer Struktur zukommen, indessen lag es nicht in meiner Absicht, die- selben hier weiter zu verfolgen und gedenke ich derselben nur mit Bezug auf die früher von mir gemachten Befunde in Betreff der vom Kernkörperchen und Kern abgehenden und die Zelle verlassen- den Gebilde. In Betreff der elementaren Strukturverhältnisse hatte ich nicht nur auf das Bestehen von Fadennetzen in deren Knoten- punkte Kömchen eingelagert sind, innerhalb des Kems wie inner- halb des Zellkörpers hingewiesen, sondern auch den Umstand betont, dass die Körnchen des Kerns mit den benachbarten Körnchen des Protoplasma häufig durch Fäden verbunden sind, welche die Kern- membran durchsetzen, so dass ich mich gerade mit Bezug darauf- ausdrücklich gegen die Auffassung des Kems als eines innerhalb der Zelle ganz in sich abgeschlossenen Körpers, für die in Rede 294 ^- Frommann, stehenden Zellen ausgesprochen habe *). Die an den Ganglienzellen früher gemachten Befunde, schienen mir nicht sowohl dafür zu sprechen, dass den Ganglienzellen Strukturverhältnisse zukommen, welche ihnen eine ganz besondere Stellung unter den übrigen Zellen zuweisen, mussten vielmehr die Frage anregen, ob nicht anderen Zellen eine ähnliche elementare Beschaffenheit zukommt und die durch die Untersuchung von Knorpel, Knochen und vom Gewebe der Nabelschnur erhaltenen Befunde machten es mir wahr- scheinlich, dass die Kömchen des Kerns und die des Zellkörpers die Knotenpunkte eines ausserordentlich feinen Netzes unter sich verbundener Fasern bezeichnen, dass von den aus dem Kern tre- tenden Fasern der bei Weitem grössere Theil nur die Verbindung zwischen den im Kern und den im Protoplasma enthaltenen Köm- chen herstellt, selbst also nur einen Bestandtheil dieses Faser- netzes bildet, von dem dann wieder einzelne Fasern frei abtretend die Zelle verlassen, um in den Geweben mit Grundsubstanz, inner- halb derselben, ein ähnliches Netz zu bilden '). Ganz analoge Ver- hältnisse boten die Gapillaren, indem auch hier benachbarte Kerne durch feine Fäden verbunden waren, ähnliche Fäden von den Kernen ab- und in ein ausserordentlich feines, engmaschiges, gazeartig aussehendes Netzwerk von feinen Fäden und Körnchen übertraten, welches die Capillarmembran durchzieht. Auch an der Wandung der Gapillaren konnte ich den Abgang von äusserst feinen cilienartigen Fäden constatiren, die mitunter von einem in die Wandung eingelagerten und innerhalb des Doppelcontours sichtbaren Körnchen entsprangen, an ihrem peripheren Ende wie- der ein Körnchen trugen. Die von Hbitzmann über die Entwickelung der Fadennetze aus soliden Klümpchen Protoplasma gemachten Mittheilungen scheinen eine Stütze zu finden in dem seit längerer Zeit bekannten Vorkommen von Vakuolen in den Kemkörperchen der Ganglien- zellen, wenn auch die häufig im Innern des Kernkörperchens wahr- nehmbaren und wie es scheint mit abgehenden Fäserchen zu- sammenhängenden Körnchen darauf hinweisen, dass die Masse desselben aus Substanzen von verschiedenem Lichtbrechungs- vermögen bestehen kann. Die Auffassung des Kernkörperchens als eines Klümpchens von contraktilem Protoplasma erhält eine 1) Untersuchungen über die normale und patholog. Anatomie des Rücken- marks. 2. TheU S. 88. 2) Ebendas. S. 29. Zur Lehre von der Struktur der Zellen. 295 weitere Stütze darch die von Brandt beobachteten und bei Tem- peraturerhöhung besonders lebhaften Formveränderungen des Kern- körperchens in den Eiern von Blatta orientalis '). Der Nachweis des Uebergangs der Fadennetze der Zellen in die der Grundsubstanzen beim Bindegewebe, Knorpel und Knochen bertihrt unmittelbar die schon so oft diskutirte Frage, ob und in wie weit die ersteren als umgewandelte Theile der Zellkörper oder als von den letzteren gesetzte Abscheidungen anzusehen sind und hat bekanntlich nach den Untersuchungen von M. Schultzb und Bbalb die erstere Ansicht sich immer mehr befestigt und nament» lieh auch durch die neueren Beobachtungen aber die Bildung der Grundsttbstanz des Knochens neue Stützen gewonnen. Aber ge- rade die bei der Knochenbildung zu beobachtenden Vorgänge sprechen gegen die oben erwähnte Aeusserung Hbitzmann's, dass der Zustand der Zellen der unmittelbare Vorläufer der Bildung einer Grundsubstanz sei, in welchem der ganze Körper ein Ma- schenwerk mit gröberen oder feineren Knotenpunkten bildet, ein Kern und Kemkörperchen nicht sichtbar sind. Schon Waldsybe hat hervorgehoben, dass. die Grundsubstanz des Knochens aus den metamorphosirten , verdichteten, äussersten Partieen des Proto- plasma der Osteoblasten hervorgeht, während der dem Kern zu- nächst liegende Theil der Zellsubstanz sich zu einem sternförmigen Körper umgestaltet, dass sich aber bei einem grossen Theil der Osteoblasten diese Umwandlung in eine homogene Substanz nicht auf die peripheren Abschnitte der Zellkörper beschränkt, die mit der bereits fertigen Grundsubstanz zur Bildung einer continuir- lichen Masse verschmelzen, sondern auch der Kern sammt dem Rest des Zellkörpers schmilzt ein zur Bildung der Grundsubstanz, so dass von den' Osteoblasten , welche früher vorhanden waren, innerhalb der letzteren nur noch ein Theil erhalten bleibt und auch dieser Theil andere Formen und Grössenverhältnisse zeigt als früher. An mit Carmin gefärbten Schnitten sieht man bei Verfolgung der Vorgänge bei der periostalen Verknöcherung inner- halb der Grundsubstanz einzelne gefärbte Kerne mit einem schma- len Hof ebenfalls, wenn auch schwächer gefärbten Protoplasmas, kann also von diesen Resten der früheren Zellen, die zur Bildung der Grundsubstanz bereits eingeschmolzenen Theile und Fortsätze der letzteren noch innerhalb derselben erkennen. Man trifft fer- 1) lieber aktive FormTeründerungen des Kemkörperchens. Schultzx's Archiv. 10. Band. 4. Heft. 296 ^' Frommann, ner gefärbte Kerne, die überall von Grundsubstanz dicht um- schlossen werden, keinen Hof unveränderten Protoplasmas mehr besitzen und sieht weiter Kerne die keine Carminfärbung mehr annehmen, da ihr Inneres ebenfalls von Grundsubstanz durchsetzt ist Es können dann noch die Kernmembran, die Kömclien und • Fäden des Kern-Innern deutlich unterschieden werden, man kann den Uebertritt von Fäden aus dem Kern-Innern in die Grundsub- stanz verfolgen, bis später seine Durchsetzung durch letztere eine dichtere wird, der Kern als Ganzes innerhalb der Grundsubstanz nicht, mehr unterschieden werden kann. Dass die letztere von Aussen her in die Zellen eingedrungen, in sie infiltrirt sei, schien mir schon aus dem Grunde wenig wahrscheinlich, weil dann wohl die einem Markraum zugehörigen Osteoblasten in gleichem oder ähnlichem Grade die bezeichnete Umwandlung erfahren würden, während die Knochenzellen eine Regelmässigkeit in ihrer Ver- theilung und Anordnung erkennen lassen; wahrscheinlicher schien es mir, dass die Abscheidung von Theilen des Zell-Innern aus er- folge, von einzelnen Abschnitten der Peripherie und von den Fort- sätzen aus nach dem Centrum vorschreitend, zuletzt das Kern-Innere betrifft und vermuthete ich, dass die Grundsubstanz als ein Ab- scheidungsprodukt der Fadennetze aufzufassen oder aus veränder- ten Ernährungsverhältnissen und gegenseitigen Beziehungen zwi- schen Fadennetzen und der in ihren Maschen enthaltenen Substanz hervorgegangen ist Bei unserer völligen Unkenntniss der elemen- taren Lebensvorgänge in den Zellen ist es nicht möglich bestimmtere Anhaltepunkte über den in Rede stehenden Vorgang zu gewinnen, indessen für die gedachten Beziehungen schienen noch andere an der Ossifikationsgrenze zu machenden Beobachtungen zu sprechen. Bekanntlich hat Gegenbauk gegenüber den Anschauungen von Waldeybr die Ansicht vertreten , dass die Knochengrundsubstanz ein Ausscheidungsprodukt der Osteoblasten sei und nach den von mir gemachten Beobachtungen muss ich dieser Ansicht für die Bälkchen osteoiden Gewebes, die von Zügen dicht gedrängter Spindel- zellen eingefasst sind, beitreten. Da wo die letzteren etwas von einander weichen treten noch seitliche Ausläufer und Verbindungen derselben untereinander hervor, die in der Regel wegen der dich- ten Anordnung der Zellen nicht sichtbar sind. Die Grundsubstanz ist an manchen Bälkchen durchsetzt von einem Netzwerk verästel- ter Zellen, deren Fortsätze zum Theil noch in ihrer Verbindung zur Bildung eines geschlossenen Maschennetzes deutlich erkannt werden können, zum Theil aber nur als lichte, schmale und nicht Zur Lehre von der Struktur der Zellen. 297 scharf begrenzte Einfassungen der rundlichen oder länglichen, die Maschen ausfüllenden Anhäufungen von Grundsubstanz wahrge- nommen werden können. Die Bildung der letzteren scheint hier so vor sich zu gehen, dass sie von den scheinbar spindelförmigen Zellen aus erfolgt und dass mit ihrer Absetzung das Netz ana- stomosirender, vorher nicht sichtbarer Ausläufer nur entfaltet wird, so dass die letzteren in ihrer Verbindung überall die Einfassung der von der abgeschiedenen Grundsubstanz erfüllten Maschen bilden. Später schmilzt ein immer grösserer Theil der Zellaus- läufer in der Grundsubstanz ein, dieselben werden schmäler und kürzer, die peripheren Abschnitte der Zellkörper erfahren die gleiche Umwandlung und ein Theil der Zellen verschwindet ganz, aber auch hier können an älteren Bälkchen einzelne Kerne noch recht gut unterschieden werden, während vom Zellkörper und von den Ausläufern nichts mehr zu sehen ist Wenn bei diesen Vorgängen zunächst die Grundsubstanz von den Zellen abgesondert wird und erst später die letzteren mit ihren Ausläufern in derselben verschwinden, so lässt sich anneh- men, dass die von den geformten Theilen des Protoplasma abge- schiedene Substanz zunächst nach Aussen und erst später in die Zelle und in ihre Ausläufer selbst abgesetzt worden ist; da ich aber wiederholt von der Zelle wie von den Ausläufern und zwar von ihren Kömchen ausgehend, feine Fäserchen in die Ballen und Schichtungen der Grundsubstanz übertreten sah, musste die Frage entstehen, ob nicht gleichzeitig mit Abscheidung der Grundsubstanz ein Auswachsen aus den Fäserchen und Kömchen des Protoplasma der Zelle und ihrer Ausläufer stattfinde, so dass schliesslich die Grundsttbstanz hier dieselbe oder eine ähnliche Beschaffenheit haben würde, wie an den Stellen, wo sie aus einer direkten Um- wandlung der Osteoblasten eine& Markraums hervorgegangen ist. Auch die an den Ganglienzellen bei Sklerose derselben ge- machten Beobachtungen sprechen dafQr, dass aus den Theilen im Innern der Zellen die Substanz abgeschieden wird, welche all- mählig den ganzen Zellkörper infiltrirt, demselben ein gleichmässig glänzendes Aussehen verleiht, während alle Besonderheiten der Struktur verschwinden. Es beginnt bekanntlich die Sklerose von der Peripherie der Ganglienzellen und von den Ausläufern her und im Innern der Zelle erscheint der Kem sammt einer ihn um- schliessenden Protoplasmaschicht von Anfang an unverändert, bis später die letztere mit dem Kem ebenfalls ein homogenes, glän- zendes Aussehen erhält, der Kem nicht mehr unterschieden B4. IX, N. F. IL 21 298 ^' Frommann, Zur Lehre von der Struktur der Zellen. • werden kann und das Eernkörperchen allein noch deutlich her- vortritt. Wollte man annehmen, dass eine die Ganglienzellen ver- ändernde Substanz von Aussen in sie eindringe, so fehlt einmal jeder Anhaltepunkt für die Bildung derselben und ausserdem wür- den dann die denselben Ernährungsgebieten zugehörigen Zellgrup- pen in gleicher Weise und in gleichem Orade verändert sein, was nicht der Fall ist ; vielmehr scheint es sich hier um eine lokale, mit den Veränderungen im Bindegewebe in Zusammenhang stehende Ernährungsstörung zu handeln und analoge Vorgänge lassen sich ja auch bei dem letzteren nachweisen, indem Fibrillenlagen, die aas Umwandlung der Bindesubstanz in der Umgebung der GefSsse hervorgegangen sind, durch Abscheidung einer homogenen form- losen Zwischensubstanz zu einer stark glänzenden soliden Masse verschmelzen. Der Annahme, dass die Fäserchen und Körnchen des Protoplasma hohle uftd für die Emährungsvorgänge der Zelle bestimmte Gebilde seien, lagen eben die Erwägungen zu Grunde, dass in den angezogenen Fällen sich die eintretenden Veränderun- gen in den Geweben aus einer unmittelbaren Wechselwirkung zwischen dem aus den Gefässen ausgetretenem Emährungsmaterial und der Zellsubstanz schlechterdings nicht erklären lassen, viel- mehr als das Produkt von Vorgängen erscheinen die in den ge- formten Theilen des Zellkörpers ablaufen. ieber die Entwiekelnngsgeseliichte von Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie und Phylogenie der Pulmonaten. Von Dr. Hermann Ton Jlierin§^ in Oöttingen. (Hiem Taf. ZVII.) Die hier voriiegenden Untersuchungen über die Entwickelungs- geschichte von Helix pomatia und Helix nemoralis wurden im Laufe des Juli und August 1874 inGöttingen angestellt Dadurch begannen sie erst zu einer Zeit, wo die meisten Schnecken schon ihre Eier abgelegt hatten. Wurden nun auch immer noch neue Eier, grossentheils unter meinen Augen abgelegt, so hatte ich auf diese Weise doch nicht die Gelegenheit so lange, resp. so eingehend alle einzelnen Punkte der Entwlckelungsgeschichte unserer Pul- monaten zu verfolgen, als ich es wohl gewüpscht hätte. Ein wei- teres Moment, welches gerade die Untersuchung der Ontogenie von Helix besonders erschwert, liegt in der Undurchsichtigkeit der Kalkschale des Eies. Man kann hier nicht wie bei den zu solchen Studien mit mehr einladenden Eiern der Lymnaeiden an dem- selben Eie zahlreiche Stadien der Entwickelung verfolgen, es wird vielmehr durch das Oeffnen des Eies dessen weiterer Entwickelung ein Ziel gesetzt. Man hat also es nicht in seiner Hand, den Em- bryo gerade in einem bestimmten Stadium zu untersuchen. Ein- mal sind die Eier, welche an einem bestimmten Tage von einer Schnecke abgelegt werden unter einander nicht übereinstimmend in Bezug auf die Stufe ihrer Entwickelung, wohl in Folge der verschiedenen Termine ihrer Befruchtung. Sodann geht aber auch der weitere Verlauf der Entwickelung je nach den Witterungs- und Temperaturverhältnissen in sehr ungleicher Weise vor sich. Durch diese ungünstigen Umstände sind, trotz anhaltendster Aus- dauer im Untersuchen und reichem Material noch zahlreiche Punkte unaufgeklärt geblieben, zumal da ich eine Reihe von Fragen, die 21* 300 Hennann von Jhering, mir besonders interessant schienen, einer ganz speziellen Aufmerk- samkeit würdigte. Wenn ich dennoch jetzt schon meine Untersuchungen ver- öffentliche, so geschieht es nicht sowohl, weil ich für die nächste Zeit keine Aussicht habe, dieselben wieder aufnehmen zu können, sondern auch weil ich glaube, dass doch eine Anzahl von Beob- achtungen in ihnen vorliegen, welche mit Interesse aufgenommen werden dürften. Ich mache hier nur aufmerksam auf die Ent- deckung des rudimentären Yelum , durch welche zugleich alle früheren Versuche den Pulmonaten ein Homologen des Velum, namentlich in den sog. Lippenwülsten zuzuschreiben, als verfehlt erwiesen werden , ferner auf die genaue Verfolgung der Genese von Mantel, Schale, Fuss und Geschlechtsapparat. Von ganz be- sonderem Interesse war für mich die Verfolgung der Anlage des Nervensystems, die zu unerwarteten Ergebnissen führte, in Folge deren ich mich auch genöthigt sehe, die bisherige resp. von Gb- GENBAUR vertretene Deutung der einzelnen Abschnitte des Nerven- systems anzugreifen, um eine andere an ihre Stelle zu setzen. lieber diejenigen Punkte, welche wie ümiere, Schwauzblase u. a. schon von früheren Untersuchem, namentlich von Giegbnbaur genau erforscht worden sind, glaubte ich mich sehr kurz fassen zu müssen. Meine Untersuchungen über die Ontogenie der Heliciden sind theils an Helix nemoralis theils an Helix pomatia angestellt Beide Schnecken legten, zum Theil vor meinen Augen, im Juni ihre grossen durch eine weisse Kalkschale geschützten Eier in ziemli- cher Menge ab. Während die Kalkschale der Hei. nemoralis sehr hart und spröde ist, so dass beim Zerbrechen derselben sofort die Eiweissmasse ausfiiesst, sind die Eier der Helix pomatia nicht nur durch ihre beträchtlichere Grösse — 6 Mm. — sondern auch da- durch besonders zur Untersuchung geeignet, dass sich die weiche äussere Kalkschale bei einiger Sorgfalt leicht von der unter ihr gelegenen zarten durchsichtigen Membran abziehen lässt, worauf man dann bequem das Ei oder den Embryo erkennen und seine Botationen verfolgen kann. Dieses so seiner Kalkschale beraubte Ei entspricht vollkommen dem Ei der Süsswasser - Pulmonaten. Beide enthalten in einer zarten membranösen Kapsel (Chorion) eine zur Ernährung dienende zähflüssige Eiweissmasse, in welcher das Eierstocksei, resp. der Embryo schwimmt und rotirt. Die Kalkhülle ist ein accessorisches Gebilde, ähnlich wie die gallertige Eiweissmasse, in welcher die Eiernder Limnaeen abgesetzt werden. Ueber die Entwickeltuigsgeschichte von Helix. 301 und sie wird erst im Uterus während das Ei durch ihn hinab- steigt, um dasselbe abgelagert. OefFhet man eine beim Eierlegen gestörte Schnecke, so findet man nur die untersten Eier schon reif, während bei den höher oben gelegenen diese Kalkhülle noch sehr dünn ist, oder nur durch einzelne der membranösen EihüUe aufliegende Kalkspathrhomboeder repräsentirt erscheint, oder end- lich noch gänzlich fehlt Diese hoch oben im Uterus gelegenen Eier sind schon befruchtet, der Furchungsprozess ist hier schon eingeleitet und er ist oft schon ziemlich weit vorgerückt, wenn das Ei abgelegt wird. Ueberraschen darf uns dieses Factum nicht, denn es kann gegenwärtig die Annahme nicht mehr aufrecht er- halten werden, dass das Receptaculum seminis in irgend einer Beziehung zum Befruchtungsacte stehe. Das Receptaculum semi- nis hat nur die Aufgabe bei und nach der Begattung die Sperma- tophore aufzunehmen. Lange bleibt indessen der Same hier nicht. Sobald durch den Zerfall der Spermatophore die Samenelemente frei geworden, gelangen sie durch Vorgänge, deren Mechanismus noch immer nicht aufgeklärt ist, in den Uterus, in dem sie hin- aufsteigen. — Dass der ürt, wo die Samenfäden an das Ei herantreten und es befruchten, nicht die Mündung des Recept. seminis sein könne, ist schon klar aus dem Umstände, dass die Eier wenn sie hier vorbeikommen, schon jene dicke für Samenfäden undurchlässige Kalkhülle besitzen und dass sie auch, wie ich schon mittheilte, bereits befruchtet und in der Entwickelung begriffen hier vor- beikommen ')• Andererseits kann man nur dann mit Sicherheit darauf rechnen, das Receptaculum seminis mit Samenfäden gefüllt zu finden, wenn man die Schnecke bald nach der Begattung töd- tet. Ich habe viele Schnecken untersucht, welche ich gerade beim Eierlegen abfasste, und deren Uterus noch bis oben hin mit be- fruchteten Eiern gefüllt war, in deren Receptaculum seminis *) auch nicht ein einziger Samenfaden sich vorfand, dagegen jene bekannte röthlichbraune schmierige Masse, mit welcher man auch ausser der Fortpflanzungszeit das Receptaculum erfüllt findet. Es hatte nachweisbar in diesen Fällen ein langer Zwischenraum sich zwi- 1) ob die Fiirchuug regelmässig uud bei alleu Eieru einer ^Schuecke schou oben im Uterus beginnt, vermag ich nicht zn sagen. Jedenfalls aber i^t die mitgetheilie Thatsache für eine Anzahl von Eiern durch meine Beobachtungen sicher constaürt. 2) Selbstverständlich meine ich hier nicht nur die Blase, sondern auch ihren Ausführuugsgaug. 302 Hermann Ton Jbering, sehen der Begattung und der Eierablage befunden, indem die von mir untersuchten Schnecken nach einem starken Regen hervor- gekommen waren, dem eine längere heisse und regenlose Zeit vorausgegegangen war. In solchen Zeiten herrscht bekanntlich kein oder nur wenig Leben unter den Landschnecken, namentlich aber unseren Helices, welche dann im Boden ruhen. Es ist ver- kehrt anzunehmen, dass die Termine der Begattung und der Eierablage immer nahe zusammenlägen. Es liegen vielmehr oft Wochen dazwischen, und in diesem Zeiträume tritt dann der Same in den oberen Theil des Uterus. Hier, wo durch die Eiweissdrüse das Eierstocksei seine Hülle erhält, muss den oben angegebenen Argumenten zufolge die Befruchtung vor sich gehen. Gerade hier liegt nun auch ein Organ, welches schon oft gesehen, noch nie untersucht, jedenfalls als die eigentliche wahre Samentasche an- gesehen werden muss. Obwohl schon in Bbandt's und Ratzebdbo's Med. Zoologie ihrer Erwähnung geschah, auch Paasch undMEcusL von ihr Kenntniss hatten, haben doch auch Ebfebstbin und Ehlbrs, welche ihre Bedeutung richtig erfassten, den Bau dieser Samen- blase, der Vesicula seminalis nicht erkannt'). Diese Samenblase, auf welche wir unten gelegentlich der Genese des Geschlechts- apparates zurückkommen werden (vergl. Fig. 20), ist in der Fort- pilanzungszeit beständig mit Samenfäden gefüllt, und von ihr aus werden die vorbeistreichenden Eier befruchtet. Wir hätten hiernach bei vielen Zwitterschnecken mehrfache, den Lei tungs wegen des Geschlechtsapparates anhängende, zur Auf- bewahrung des Samens dienende Blasen, nämlich ausser dem längst bekannten Receptaculum seminis die von mir beschriebenen Samen- blasen oder Vesicae seminales 1 Wie sollen wir diess physiologisch verstehen? Denn es leuchtet doch ohne weiteres ein, dass zwei an weit von einander getrennten Stellen des Geschlechtsapparates befindliche Organe nicht wohl dieselbe Funktion haben werden. Nun, das gleichzeitige Vorkommen zweier verschiedener als Auf- bewahrungsort für das Sperma dienenden Organe kann uns, so scheint mir, an und für sich kaum erstaunen bei einem Thiere, 1) „Trotz vieler Muhe konuteu wir den Bau dieses Körpers nicht klar er- keimeu; jedenfallb ist es kein blosses Divertikel, souderu ein imehrfacb yer- schlungener Gaog. lujektioueu vom oriäuct aus, auf die wir unsere HofTuun- gen gesetzt hatten, traten nie in diesen feinen Gang ein.** W. Kbferstbin und E. Ehlebs, Beiträge zur Kenntniss des Geschlechts Verhältnisses von Helix po- matia. Zcitschr. f. wisa. Zoologie. Bd. X. 1860. 8. 269. Ebenso auch Psbktz in Comptes rendus. Tome LXXI. 1870. p. 281. üeber die EnlwickelungsgeBchicbte von Helix. 303 welches Zwitter ist, und sich nicht selbst befruchtet. Denn ein Samenbehälter kann offenbar auf zweierlei Weise einem solchen Thiere dienen, entweder indem er das in der eigenen Zwitter- drttse bereitete fertige Sperma bis zum Momente der Begattung aufbewahrt, oder indem er den Samen aufnimmt, welchen das Thier von einem anderen bei der Begattung empfängt. Da wir nun überhaupt an den Zwitterschnecken die zum männlichen Ge> schlechtsapparate gehörenden Organe von den zum weiblichen ge- hörenden trennen mttssen, so werden wir den Samenbehälter im ersten Falle als einen männlichen, im anderen als einen weib- lichen zu bezeichnen haben. Es lässt sich nun leicht nachweisen, dass in der That in dieser Weise die beiden Organe aufzufassen sind. Die oberen Samenblasen findet man fast immer, also auch ausserhalb der Begattungs- und Fortpflanzungszeit mit Samen er- füllt. Dieser Umstand, sowie ihre Lage am Ende des Zwittergan- ges, 'WO der vorbeikommende Samen leicht in sie gelangen kann, bieten wohl Anhalt genug, um sie als männliche Samen'blasen ent- gegenzustellen, der am unteren Theile des gesonderten weiblichen Leitungsapparates, d. h. der Vagina ansitzenden Blase, dem Re- ceptaculum seminis. Letzteres ist also der weibliche Samenbehälter, wie nicht nur aus seiner Lage hervorgeht, sondern auch aus dem Umstände, dass man es nur nach der Begattung, resp. also wäh- rend der Fortpflanzungszeit mit Sperma erfüllt antrifft. Ich glaube danach ein Recht zu haben die Vesicula seminalis (die also nicht zu verwechseln ist mit dem Receptaculum seminis) als den männlichen, das Receptaculum seminis als den weib- lichen Samenbehälter zu bezeichnen. Eines der grössten von den zahlreichen Räthselu, die a«f die- sem Felde noch zu lösen bleiben, ist dabei noch die Frage, durch welche Vorrichtungen das Eintreten der eigenen Sameuelemente der Schnecke in diese Samenblase und damit die Selbstbe- fruchtung verhindert werde. — Ueber die Furchung können wir uns kurz fassen; sie bietet nichts besonders Bemerkenswerthes dar, so dass schon die Zeich- nungen Fig. 1—6 genügen würden. Während das reife Eierstocks- ei eine Grösse von 0,14 — 0,16 Mm., einen Kern von 0,045—0,053 Mm. mit einem nucleolus von 0,012 besitzt, ist im gelegten Ei der Dotter (Fig. 1) 0,2—0,29 Mm. gross mit einem Kern von 0,07 Mm. Die ürössendilferenzen zwischen dem Dotter von Helix nemoralis und von Helix pomatia sind zu dieser Zeit nur gering. Mit oder gleich nach dem Verschwinden des Keimbläschens treten 1 — 3 304 Hermann von Jhering, Bichtungsbläschen aus. Die Undurchsichtigkeit des dunklen Eies in Verbindung mit dem Umstände, dass man durch Oeffnen der Eischale jedesmal auch die Weiterentwickelung aufhebt, gestatte- ten nicht zu erkennen, ob das Keimbläschen einfach zu Grunde ging oder ob es, an die Peripherie herantretend ausgestossec werde, undob damit die Bichtungsbläschen in Beziehung gesetzt werden können. Zur Entscheidung solcher Fragen sind gerade unsere beiden Species wenig geeignet. Beachtung verdiente in- dessen vielleicht die erhebliche Anzahl der Richtungsbläschen und die eigenthümliche Beschaffenheit ihres Inhaltes, welcher bei den meisten aus zahlreichen sehr kleinen runden blassen Eügelchen besteht. Ihre Grösse ist bei beiden Arten nahezu gleich, indem der Durchmesser bei Helix nemoralis 0,035—0,04, bei Helix po- matia 0,046 Mm. misst. Das Austreten der Richtungsbläschen macht zugleich die Existenz der feinen Dotterhaut sehr deutlich, indem dieselbe sich über das Richtungsbläschen hinwegspannt, wie auch aus unserer Fig. 2 d ersichtlich ist. Die Zweitheilung des Eies leitet sich ein durch die Bildung einer centralen Höhlung wie Fig. 2 zeigt. Hierauf fogt dann in ganz regelmässiger Weise die Yiertheilung, wobei eine Zeitlang die beiden je aus einer Zelle stammenden neuen Zellen einander noch mehr genähert bleiben. Nun wird die Furchung eine ungleichmässige indem eine der vier Kugeln sich rascher als die anderen theilt, wie unsere Fig. 4 es zeigt. — An diesem von Helix pomatia stammenden Eie maassen die grossen dunklen Kugeln 0,14 — 0,17 Mm., die kleineren 0,08 — 0,09 Mm. An letzteren erkannte man einen 0,023 Mm. grossen Kern. Die rascher sich theilenden kleineren Zellen sind viel blas- ser uid durchsichtiger als die grossen dunklen. Indem die erste- ren sich bedeutend abplatten, wie es auch an Fig. 4 schon an den nach aussen gelegenen Zellen erkenntlich ist, bilden sie, die gros- sen dunklen Zellen rasch umwachsend, bald eine geschlossene zarte Hülle um jene. Durch die bedeutende Vergrösserung des cen- tralen Zellenhaufens werden nur die äusseren Zellen, resp. die Membran, welche sie bilden ausserordentlich verdünnt, so dass man in diesen Stadien — Fig. 5 — nur sehr schwer und nach Osmiumbehandlung das dünne geschlossene Ectoderm erkennen und es als einen feinen Ueberzug, an dem man nur selten die Grenzen der einzelnen Zellen unterscheidet, über die dunklen sehr scharf contourirten Entodermzellen nachweisen kann. Auch im weiteren Verlaufe der Entwickelung bleibt das Ectoderm noch lange Zeit eine äusserst dünne feine Membran. Unterdessen haben Üeber die Entwickelungsgeschichte von Helix. 305 auch die Entodermzellen sich erheblich vermehrt und der Embryo (Fig. 6) stellt uns nun eine aus zwei concentrischen Hohlkugeln zusammengesetzte Keimblase dar. Die Entodermzellen sind grös- ser als die des äusseren Keimblattes, sie messen 0,04 — 0,06 Mm. im Durchmesser, gegen 0,021—0,25 Mm. für den Durchmesser, und 0,011 — 0,013 Mm. für den Kern bei den Ectodermzellen. Schon jetzt sind die Entodermzellen mit einem grossen, fast die ganze Zelle einnehmenden Fetttropfen erfüllt. Es beginnt nun eine Differenzirung der Ectodermzellen, in Folge deren an dem oralen Pole, welchem die Entodermblase anliegt, die Zellen kleiner und zahlreicher werden, als in der andern Hälfte. Die kleineren Zellen sind es, welche an der weiteren Dififerenzirung der Organe den regsten Antheil nehmen, aus welchen Mundmasse, Velum, Nervensystem, Urniere und Fuss sich jetzt rasch anlegen, wogegen jene grösseren Ectodermzellen, aus denen die Körperwandung her- vorgeht, sich nicht so rasch 'vermehren und zunächst keine so wichtige Bolle spielen. Jene kleineren oberen Ectodermzellen messen 0,015 — 0,02 Mm., während die anderen, welche wie die Entodermzellen durch den Besitz von Fetttropfen ausgezeichnet sind, 0,04 — 0,05 Mm. gross sind. Letztere zeichneu sich auch da- durch aus, dass sie durch Fortsätze unter einander perlschnur- förmig verbunden sind, was auch späterhin noch der Fall ist, wie z. B. Fig. 10 es zeigt, nur sind die Verbindungen dann keine einzelnen Fortsätze mehr, sondern die Zellen bilden durch ihre zahlreichen Anastomosen ein Netzwerk. Das Entoderm liefert den Darm, mit Ausschluss der vom Ectoderm stammenden Mundmassc, und die Leber, lieber den Ursprung der Speicheldrüsen besitze ich keine sicheren Beob- achtungen. Der dem Munde zunächst liegende Theil des Entodermes besteht aus grösseren, fettreicheren Zellen, während die entgegen- gesetzte Partie aus kleineren Zellen gebildet wird., welche die Leber und den Enddarm bilden. Letzterer entsteht als ein zapfenförmiger , hohler, blindgeschlossener Zapfen, der im weite- ren Verlaufe seines Wachsthumes sich nach vorne umbiegt und endlich sich dem Ectoderm sehr nähert. So bildet sich der After, indem eine flache Einsenkung des Ectodermes mit dem blinden Ende des. Mastdarms verschmilzt. Am Ectoderm treten sehr früh zahlreiche wichtige Anlagen hervor. Am oralen Pole bildet sich eine blindsackförmige Einstül- pung, aus welcher späterhin die Mundmasse wird. Ueber ihr ent- steht ein flimmernder lappenartiger Fortsatz, welcher meist in das 306 Heimann von Jhering, Lumen der Mundmasse von oben hineinragt (Fig. 7 r), wie wir weiter- hin sehen werden, ein rudimentäres Velum. Zu beiden Seiten der Mundmasse sieht man dieUrnieren entstehen, jene bekannten nur dem Embryonalleben angehörigen Organe. Ihre dem Munde zu- nächst liegende Partie ist am ersten völlig entwickelt, die hintere differenzirt sich in von vom nach hinten weiter schreitender Weise erst allmählich. Am aboralen Pole hat sich unterdessen eine schild- förmige Verdickung des Ectoderms gebildet, welche durch eine Furche umgrenzt, sich in leichter Wölbung über die übrige Ecto- dermfläche erhebt, es ist die Anlage des Mantels (Fig. 7 u. 8 mt). Mehr dem Mundpole genähert bildet sich an der dem Velum ent- gegengesetzten Seite eine kielförmige Verdickung des Ectoderms (Fig. 7 und 8/), welche in der Medianebene in eine scharfe Leiste ausgeht, andererseits nach oben bin in zwei Lamellen auseinander weicht, die den Körper zwischen sich fassen. Die Lamellen liegen anfangs als gesonderte Häute dem Ectoderm auf; je weiter sie sich aber von ihrer Verwachsungsstelle entfernen, desto weniger scharf ist die Grenze zwischen ihnen und ihrer Unterlage zu zie- hen, bis beide endlich verschmelzen. Der äusserste kieUornüge Theil bildet die contractile Schwanzblase, der andere dem Körper mehr genäherte den Fuss. Das Ectoderm hat jetzt an Dicke er- heblich zugenommen, es haben sich von ihm durch Wucherungen über und unter der Mundmasse die Ganglien abgetrennt, es sind ferner nach innen hin andere Zellenhaufen abgelöst und zum Mesoderm geworden, aus dem sich schon früh das Herz (Fig. 10 c) später erst Niere und Geschlechtsapparat bilden. Jetzt sind wir schon völlig orientirt über die Anlage des Körpers, dessen Bauchseite uns durch den Fuss ebenso genau an- gezeigt wird, wie die Kückenhälfte durch das Velum, während die Mundmasse den vorderen, die Mantelanlage den hinteren Pol bezeichnet. Wir werden späterhin noch einzelne dieser Punkte «genauer in's Auge fassen, namentlich diejenigen, auf welche durch diese Untersuchungen ein neues Licht gefallen ist, wogegen die Organe, welche wie Urniere, Schwanzblase u. s. w. schon durch frühere Arbeiten hinlänglich erkannt sind, nicht speziell behandelt werden sollen. Wir müssen hier aber einen Rückblick werfen auf das bisher Mltgetheilte , namentlich mit Rücksicht auf die Genese der Keimblätter. Es treten also bei unseren Embryonen zwei Keimblätter auf, von denen das eine, das Eutoderm, nur Darm und Leber den Ursprung giebt, während das andere, das Ectoderm, Ueber die Eotwickelungsgeschlehte von Helix. 307 Alles übrige liefert. Dabei tritt jedoch insoweit noch eine Diife- renzirnng ein, als ein Theil .des Ectodermes als Mesoderm einen gewissen Grad von Selbständigkeit erlangt. Die Genese beider Keimblätter lässt uns sowohl das Studium der einschichtigen Bla- stosphaera wie das derGastrula vermissen. Indem dieEctoderm- zellen die Entodermzellen umwachsen, entstehen zwei concentrische Hohlkugeln, deren Verbindung erst in sehr später Zeit durch Wucherungen des Ectodermes und Verwachsungen derselben mit dem Entoderm hergestellt wird. Ich habe das gleiche Verhalten auch an Gyclas beobachtet und dieser Umstand macht mich zu einigen Zweifeln geneigt gegen die Angaben Ray-Lankestsr's und E. Habcksl's, nach welchen die. Gastrula nicht nur bei Cyclas, sondern überhaupt bei den Mollusken sehr allgemein verbreitet vorkommen solle. Sicher scheint die Gastrula bei den Süsswas- ser-Pulmonaten beobachtet zu sein, wogegen die übrigen Angaben jedenfalls mit einiger Vorsicht aufzunehmen sein dürften. Gehen wir nunmehr über zur genaueren Betrachtung der- jenigen einzelnen Punkte, hinsichtlich deren meine Untersuchungen besonders neue, oder von den bisherigen Angaben abweichende Resultate ergeben haben. Wir werden dieselben in folgender Rei- henfolge behandeln: 1) Das Velum, 2) Mantel und Schale, 3) den Fuss, 4) das Nervensystem, 5) den Geschlechts- apparat. — 1) Das Telttin, Der Nachweis des Vorhandenseins eines rudimentären Velums bei den Embryonen der Landpulmonaten scheint mir von be- sonderem Interesse zu sein. Einmal ist die Beachtung dieses Factum wichtig für die Systematik. Der Mangel des Vcluni in der Ontogenie bildete für die Pulmonaten eines der wichtigsten Kennzeichen, durch welches sie den anderen Ordnungen der Ga- stropoden gegenüber als eine eigene, scharf geschiedene Abtheilung sich charakterisirten. Dieses Merkmal fallt nun hinweg und das Velum muss als ein allen Ordnungen der Gastropoden gemeinsam zukommendes Organ betrachtet werden* Den Uebergang zu dem cataplastischen Zustande des Velum bei den Pulmonaten bildet seitens der mit einem so mächtigen Velum begabten Prosobranchien Paludina, bei welcher dasselbe bekannt- lich schon eine bedeutende Rückbildung erlitten hat. Das Velum von Helix entspricht nach seiner Stellung über dem Munde ganz den Vorstellungen, welche man sich von 308 Hermann von Jhering, einem verkümmerten Velüm im Voraus machen konnte (vergl. Figur 7, 12 und 13 v). Die Deutung desselben wird gesichert durch den Umstand, dass es flimmert, während alle umgebenden Theile der Cilien entbehren. Unsere Auffassung stützt sich daher ebensowohl auf die Gestalt dieses keiner anderen morphologischen Deutung fähigen Organes, wie auf seinen auffälligen Flimmerbesatz und auf seine Lage. Auf diese zuverlässigen, an das Verhalten der Prosobranchien sich eng anschliessenden Beobachtungen ge- stüzt wird es gestattet sein, die bisher gemachten Versuche, das Veluni als ein auch den Pulmonatenembryonen zukommendes Organ nachzuweisen, einer Kritik zu unterziehen, resp. sie als nicht zu- treffend zu erweisen. Zuerst hat wohl ß. Lbückart diesen Ver- such gemacht, indem er bemerkte^): „dass die Lippenwülste der Pulmonaten morphologisch den Segellappen der übrigen Gastero- poden entsprechen, scheint mir besonders durch das übereinstim- mende Verhältniss, in welchem dieselben zum Fusse stehen er- wiesen." Unabhängig davon ist neuerdings dieselbe Deutung an den Embryonen von Limnaeus versucht worden. E. Ray-Lanke8ter ^) hat in einer Abhandlung über die Ent- wickelungsgeschichte der Limnaeen die bekannten Theile anders wie bisher aufgefasst. Den ringförmigen Wulst, den man als den Mantelrand zu betrachten pflegt, erklärt Ray-Lankestbr, nachdem er ihn mit Cilien besetzt gefunden'), für die erste ringförmige Anlage des Velum (S. 367). Im weiteren Verlaufe der Entwicke- lung lässt er daraus die grossen zur Seite des Mundes stehenden „subtentacular lobes" entstehen (S. 381), aus welchen dann knos- penförmig die Tentakeln hervorsprossen. Limnaeus biete dadurch ein ganz auffälliges Verhalten, durch welches er sich wesentlich von allen übrigen Mollusken unterscheide, indem seine vela nicht Larvenorgane, sondern Theile vorstellten, welche wei- ter wachsend noch am erwachsenen Thiere jeder Zeit mit unbe- 1) K. Leuckart, Ueber die Alorphologiü u. die Verwaudtschaftsverliältnisse der wirbellosen Thiere. lö4S. S. 142 Aum. 2. — Vergl. auch Bebomamk u. Ledokart, Vergl. Anatomie u. Physiologie. 1855. Ö. 670 u. 671. 2) £. Kay-Lankesteb, Observations on the development of the i oud-suail (Lymuaeus stagiialis) aud ou the Karly ätages of other Mollusca. Quaterly Jourual of inicroscop. science. New ISeries No. LVI. London, Oct. 1874. S. 365—391. 3) Sollten diese nur auf dem liingwalle, nicht auch auf einem grossen Theile des übrigen Körper stehen? üeber die Entwickeln ngsgescbichte von Helix. 309 waffnetem Auge erkenntlich seien. Es sind dies eben jene „sub- tentacular lobes", welche nach seiner Ansicht zugleich die Homo- loga des Räderapparates der Rotiferen sein sollen (S. 367). Haben die Limnaeen, wie wohl anzunehmen, wirklich auch ein rudimentäres Velum, so wird dasselbe keinesfalls mit den von Ray-Lanks8tbr dafür angesehenen Theilen etwas zu thun haben, sondern eher dem Velum der Heliciden gleichen. Näheres lässt sich jedoch hierüber nicht sagen, bevor nicht erneute Unter- suchungen diesen Punkt ganz speziell berücksichtigt haben werden. Ganz dasselbe gilt natürlich von den Untersuchungen Ganin's ') über die Entwickelung der Wasser-Pulmonaten. Er betrachtet zwei Wülste die rechts und links zur Seite des Mundes stehen als die Hälften des Velum. Es ist wohl allen diesen Angaben gegenüber nicht überflüssig, nochmals zu bemerken, dass sie nichts zu thun haben mit dem hier nachgewiesenen wirklichen rudimentären Ve- lum, welches von den bisherigen Beobachtern übersehen wurde. Was jene Forscher als Velum deuteten, hat also in Wahrheit zu ihm keine Beziehung, wie das gleichzeitige Vorkommen des Ve- lum und jener Lippenwulste bei den Heliceen genugsam beweist. Die Lehre von den rudimentären Organen, die Dysteleologie wie E. Habckbl sie trefifend bezeichnet, gilt mit Recht als einer der stärksten Beweise für die Wahrheit der Abstammungslehre, sie ist, wie Hakckbl (Gen. Morph. II, S. 267) bemerkt, „geradezu der unmittelbare Tod aller Teleologie^^ Immerhin ist nicht zu verkennen, dass nicht für alle rudimentären Organe in gleicher Weise ihre Zwecklosigkeit oder Unzweckmässigkeit sicher erweis- bar ist. Gar viele derselben leisten, sei es im ausgebildeten Thier- körper, sei es während der Entwickelung desselben noch andere Dienste, als die, welche wir in der Regel nur berücksichtigen, in- dem uns so leicht die Hauptleistung eines Organes als seine ein- zige erscheint. Ganz besonders werden daher diejenigen rudimen- tären Organe unser Interesse fesseln müssen, bei welchen der teleologischen Spekulation jeder Ausweg verlegt ist Solche Bel- li Uanin, Beitrag zur Lehre von deu embryonalen Bl&tteru bei den Mol- lusken. Nach dem Referat von Hotbb in Hofmank und Schwalbb's Jahres- bericht I, 1878. S. 358. Diese OAiON^sche Arbeit wird hier keine weitere Itr- rttcksichtigung finden, da ilire Ergebnisse so wenig mit allem ttbereinstimmon, was bisher ttber Lymnaeus und C*yclas Entwickelung bekannt geworden, dass man bis auf etwaige Bestätigung zu einigem Misstrauen berechtigt ist, umso- mehr, da meine eigenen Untersuchungen an Cyclas mich zu einer Bestätigung der bisherigen Ansichten führten. 310 Hennann von Jhering, spiele wird gerade die Ontogenie uns leichter liefern können. Sel- ten aber liegt das Verhältniss in solcher Klarheit vor, wie in dem hier mitgetheilten Falle. Das Velum der Heliciden ist ein em- bryonales Organ, welches, bald wieder zu Grund gehend, zu keiner Zeit irgend welchen physiologischen Werth besitzt. Es ist viel zu klein, um auf die Ortsbewegung des Embryo einen Einflnss üben zu können, es ist überhaupt ein höchst entbehrliches und über-, flüssiges Gebilde. Wenn aber mit aller Gewalt jedes Organ, folg- lich auch dieses rudimentäre Velum einen Nutzen und Zweck haben muss, so kann der Zweck des letzteren nur der sein, den moder- nen Zoologen als eine Leuchte zu dienen auf dem dunklen Gebiete der Phylogenie der Pulmonaten, als ein Hinweis auf ihre Abstam- mung von marinen, während der Ontogenie mit einem mächtigen Velum ausgerüsteten Mollusken. 2) Mantel und Schale. Der Mantel legt sich nicht in seiner ganzen Ausdehnung gleich- massig an, sondern er entsteht am aboralen Pole als eine kleine Ectodermwucherung , die sich erst während des weiteren Wachthums des Embryo so beträchtlich vergrössert. Schon sehr frühe schnürt sich die am aboralen Pole gelegene Partie des Ectodermes, indem sie sich schildbuckelförmig vorwölbt (Fig. 8 mt), durch eine flache Furche von dem übrigen Körper etwas ab. Von oben gesehen erscheint diese Partie wie ein ovaler Schild, der von einem hellen und einem dunkleren Hofe umgeben ist. Diese schildförmige Ectodermverdickung ist die erste Anlage des Man- tels, welcher rasch weiterwächst, indem sein peripherischer Theil, derselbe welcher von der Ringfurche begrenzt ist, sich immer wei- ter über den Körper ausbreitet, resp. ihn umwächst. In dem cen- tralen ältesten Theile entsteht von der obersten Epidermislage verdeckt, die zarte durchsichtige Schale, welche schon sehr früh durch Einreissen ihrer zarten Decke frei wird. Unsere Figuren 9 und 14 5 werden dieses Verhältniss hofifentlich klar machen. Die Mantelanlage hat in neuester Zeit zu einem eigenthüm- lichen Missverständniss Anlass geboten. Die betrefifenden Angaben, gleichfalls in der schon citirten Abhandlung Rat-Lankestbb's ent- halten, sind für Jeden, der nicht die staunenswerthe Unkenntniss und zugleich die zügellose Phantasie des Autors jener wunder- baren Abhandlung besitzt, so unfasslich und der Widerlegung un- werth, dass nur der Umstand mich veranlasst sie überhaupt zu lieber die Entwickeliingsgeschichte von Hclix. 311 berücksichtigen, dass Ray-Lankbstbr für die Bestätigung seiner Ansichten ausdrücklich an die Erfahrungen späterer Schriftsteller über Pulmonatenentwickelung appellirt. Ray-Lankbstbr hält näm- lich die Byssusdrüse der Acephalen resp. ihr Sekret nicht nur für die erste Anlage des Schalenligamentcs der Muscheln, sondern er lässt sie auch beiLimnaeus unter der Schale, beziehungsweise dem Mantel existiren, Grund genug für ihn, um nun die innere Schale von Limax mit ihr, seiner „Shell-gland^^ für homolog zu erklären (S. 371). Ich würde nie auf den Gedanken gekommen sein, dass mit jener „Shell-gland" die Byssusdrüse gemeint sei, hätte er nicht eine ziemlich treffende Abbildung von dem Embryo eines Fisidium gegeben. Da ich mich selbst längere Zeit mit der Entwickelungsgeschichte von Gyclas und Pisidium befasst habe, halte ich mich hierin einigermaassen zum Urtheilen für berechtigt. Das was nun an jenem Pisidiumembryo (Fig. 1 S. 368) Ray-Lan- KB8TBR für die Shell-gland^ erklärt, ist dasselbe, was seit langer Zeit als die Byssusdrüse bezeichnet wird, eine Drüse, die Ray- Lankbstbb nicht einmal dem Namen nach kennt (sie) ! Die Byssus- drüse der Acephalen und ihrer Embryonen ist aber ein Organ, welches durchaus an den Fuss gebunden *) erscheint, so dass der Versuch, sie mit auf dem Rücken der Muscheln und Gastropoden gelegenen Theilen in Beziehung zu setzen gar keiner Widerlegung bedarf. Welche Organe es in Wahrheit sind, die Ray-Lankbstbr so sehr in die Irre geführt haben, vermag ich nicht zu sagen, da ich mich nicht selbst mit der Ontogenie der Limnaeen befasst habe. Nach den Abbildungen aber, welche er selbst, sowie Lbrbboullbt ') von Limnaeusembi7onen gegeben, ist das was Lankbstbr als die Shell-gland auffasst identisch mit dem Rectalkegel (tube rectal) Lbrbboullbts. Sollte dieses Organ nicht vielleicht die Anlage der Zwitterdrüse darstellen? Jedenfalls bedarf Ray-Lankbstbr's Annahme, dass die Schale von Limax, weit davon entfernt derjenigen von Limnaeus zu ent- sprechen dem Byssusfaden der Lamellibranchien-Embryonen homolog 1) Wie das Verh<niss bei den Nsgadenembryonen steht, ist noch nicht recht ernchUich. Hier ist durch den frühzeitigen Eintritt der Embryonen in (las freie Leben das Auftreten der Byssusdrüse in eine ungewöhnlich frühe Zeit der Ontogenie auf dem Wege der embryonalen natürlichen Zuchtwahl verlegt. Den Nachweis der Byssusdrüse gab ich in den „Sitzungsberichten der naturf. Gesellschaft zu Leipzig** Kr. 1. April 1874. S. S ff. 2) Annales des sc. nat IV. S6r. Zoolog. Tome XVIII 1862. p. 142 n. 144. PI. 12 Fig. 47 und 49 g. 312 Henniuin von Jliering, sei, keiner ausdrücklichen Zurückweisung. Es ist im Gegenthcile die Pulmonatenschale anfangs eine innere, und es ist daher auch morphologisch wie genetisch die Schale von Helix und Limnaens derjenigen von Limax gleichzusetzen. Bemerkenswerth ist nur das frühe Freiwerden der Schale, die schon in einem Stadium wie es uns durch Figur 10 repräsentirt wird frei zu Tage liegt. Es scheint mir indessen immerhin sehr wünschenswerth, dass die Ge- nese der Pulmonaten- und Prosobrajichien - Schale noch genauer verfolgt werde. Die Schale ist von Anfang an rechtsgewunden, d. h. also der üblichen Terminologie zufolge ihre Mündung liegt rechts, wenn man sich die Schale mit der Spitze nach oben, der Basis nach unten und mit nach vorne gewandter Mündung vorhält. Welches Prinzip man bei der Schalen-Terminologie zu Grunde legen will, ist eigent- lich ganz gleichgültig. Wenn ich, anderweitigen Bestrebungen ') gegenüber, an dem in der Systematik üblichen Gebrauche festhalte, so veranlasst mich ausser praktischen Gesichtspunkten dazu noch eine andere Erwägung, die merkwürdiger Weise so wenig bekannte oder beachtete Thatsache nämlich , welche bei allen Puhnonaten sich bestätigt, dass bei den rechtsgewundenen Schnecken rechts die Oeffnungen des Geschlechtsapparates, so- wie After, Ureter und Athemloch ausmünden, während bei linksgewundenen Schnecken alle diese Oeffnungen an der linken Seite gelegen sind. Die Mehrzahl der Pul- monaten ist rechtsgewunden, nur Physa, Planorbis und Glausilia sind (von wenigen anderen einzelnen Species abgesehen) unter den Schnecken unserer Fauna linksgewunden und daher erklären sich denn wohl auch die zahlreichen unrichtigen Angaben, vor allem das Uebersehen des soeben angeführten Verhaltens. Das- selbe ist so auffällig und constant, dass ich in ihm auch die Ur- sache für die Windungsverhältnisse der Schneckenschale suchen möchte. Die ungleiche Vertheilung der Eingeweide bei den Pulmonaten, und die dadurch bedingte Asym- metrie des Körpers ist das bestimmende Moment für die Windungsverhältnisse ihrer Schale. Man würde mir entgegnen können, dass, wie meine eigenen Untersuchungen lehr- ten, die Windungsrichtung der Schale schon zu einer Zeit ent- 1) Keferbtbik's Versuch, die LisTiNG'schen Termini : dexiotrop und laeo- trop einzuführen, welche dcti von uns benutzten gerade entgegengesetzt sind, hat die hergebrachte Terminologie nicht zu verdrängen vermocht. (Vcrgl. Bbonn, Klassen u. Ordnungen d. T. III, 2 S. 301 ff.) rjeber die Entwickelnngsgeschichte von Helix. 313 schieden sei, wo der ganze Geschlechtsapparat noch einen feinen fadenartigen Strang darstelle, wo er also noch nicht wie späterhin einen Einfluss auf die Gestaltungsverhältnisse des Körpers ausüben könne. Allein man muss sich dagegen auch vergegenwärtigen, dass nicht nur der Oeschlechtsapparat, sondern auch Mastdarm, Lunge und Niere jenes Verhalten aufweisen. Sehr instructiv zur Demonstration dieser Verhältnisse ist das Genus Ancylus, in wel- chem von den 2 bei uns vorkommenden Arten die eine — A. flu- viatilis Müll. — das Athemloch und die anderen bezeichneten Oeffnungen auf der linken, die andere A. lacustris Linn. — sie auf der rechten Seite besitzt, und wo die kleine napfförmige Schale dann auch bei jener links-, bei letzterer rechtsgewunden ist. Auf- falliger noch und sicher ein sprechendes Argunent für meine An- sicht ist die Beobachtung, dass bei den abnomer Weise linksge- wundenen Exemplaren von Helix pomatia auch alle jene Oefihun- gen auf der linken Seite liegen, wie durch häufig wiederholte Untersuchungen sicher constatirt wurde '). Existirt aber demnach ein unverkennbarer Causalnexus zwischen der durch das Verhalten der Eingeweide bedingten Asymmetrie des Körpers und der Win- dungsweise der Schale, so ist es doch sicherlich rationeller, erste- res Moment für das primäre und maassgebende zu halten. Es könnte scheinen, als sei diese Annahme unbestritten, da ja Jeder- mann in der Schale ein Product des Mantels sieht, das natürlich auch in seiner Form von der Gestaltung jenes abhängig sein müsse. Allein die Frage lautet auch nicht, ob die Gestalt der Schale von der des Mantels abhänge, sondern, warum die Windungen des Mantels und damit auch der Schale das eine Mal eine linksläufige das andermal eine rechtsläufige Spirale bilden. Als die Ursache davon nun sehe ich jenes beschriebene Verhalten der Eingeweide an, das mir bisher zu wenig gewürdigt, resp. vielfach auch übersehen worden zu sein scheint. Mehrfach hat man auch versucht, die Ursache der Windung von Mantel und Schale in äusseren auf beide gemeinsam einwir- kenden Momenten zu suchen. Als ein solches sah man mit J. G. Carüs die Richtung der Rotation des Dotters oder Embryos an. So bestechend auf den ersten Blick diese Ansicht scheinen könnte, so einfach ist sie zu widerlegen durch die Frage, warum denn nicht immer diese gleiche Ursache dieselbe Wirkung habe. Ob- 1) J. H. Mabti9, Neues systematisches Concbylien-Cabioet. Fortgeseut durch J. H. CHnoarz. Bd. IX. S. 11. B4. IX, N. F. n. 22 314 Hennuin von Jhering, wohl sie ebenso rotiren, haben doch Lünax sowohl wie die La- mellibranchien nicht jene Spiralwindung erlangt. Auch ist die Rotationsrichtung durchaus keine constante. Lbrrboullst ') hat gezeigt, dass sie bei Limnaeus zwar in der Regel von rechts nach links, häufig jedoch auch in umgekehrter Richtung vor sich gehe- Er bemerkt z. B. S. 128: „Le plus souvent, c'est vers la gauche que la rotation se fait Quelquefois cependant, asaez souvent mfime, c'est vers la droite que le d^placement s'op5re.'' Diese Beobachtungen sprechen nicht gerade für die von Lbbbboullet (S. 176) weiterhin vertretene Ansicht, dass die Rotationsrichtung diejenige der Schale bestimme. Er bemerkt hierüber z.B. S. 190: „La spire de la coquille s'enroule peu ä peu suivant la direction du mouvement qu'eserce Fanimal, c'est-ä-dire de droite ä gauche.'' Nach den hier mitgetheilten Daten über das Rotiren der Lim- naeusembryonen und nach dem Hinweise auf das Rotiren der zweischaligen Lamellibranchienembryonen dürfen wir wohl den Versuch, die Windungsverhältnisse der Schale mit der Rotations- richtung des Embryo in Beziehung zu setzen als gescheitert an- sehen, und nur um so mehr unsere oben gegebene Erklärung für zutreffend halten. 3) Der Fuss* Der Fuss entsteht, wie schon oben hervorgehoben wurde, als ein unpaares, bauchständiges zapfen- oder zungenförmiges Gebilde durch die mediane Verschmelzung zweier lamellöser Ectoderm- wucherungen — Fig. 8 /* — , er ist mithin nicht als eine einfache Verdickung der Bauchseite des Körpers anzusehen, sondern als eine Neubildung. Nur die Basis derselben wird indessen zum Fusse, wogegen aus der äusseren Partie die contractile Schwanzblase hervorgeht. Hinsichtlich der letzteren sei noch bemerkt, dass deren Name eigentlich hier nicht zutreffend erscheint, indem das betreffende Organ keine Blase, sondern eine einfache Hautfalte darstellt, einen grossen aus zwei Platten zusammengesetzten Lap- pen*). Gbgbnbaur betrachtet die Schwanzblase als die embryonale Kieme, wie ich nach meinen Erfahrungen annehmen muss, mit 1) Lbkeboullbt, Embryologie du Limn^e des ^tangs. Annales des sc. nat. IV. S6r. Tonje XVIII. 1862. p. U7; auch p. 138: der embryo rotire: „le plus souvent vers la gaucbe; dans beaucoup d'oeufs cependant, vers la droite." 2) Durch das Auseinanderweichen derselben würden wir die wirkliche Blase von Limax erhalten. (Jeber die Entwickelnngsgeschicbte von Helix. 315 vollem Recht. Allerdings beweist das GEGBNBAun'sche Experiment ') durch Ueberziehen der Eier mit Lack die Embryonen zu tödten, zunächst nur, dass überhaupt ein respiratorischer Gaswechsel statt- findet, nicht aber, dass die Schwanzblase das Athmungsorgan ist. Letzteres wird indessen erwiesen durch die von mir gemachte Be- obachtung, dass der Embryo mit seiner grossen flächenhaft aus- gebreiteten Schwanzblase lebhaft an der Innenseite der Eischale umherkriecht. Da ich ausserdem fand, dass schon in sehr früher Zeit, wo das Gefässsystem kaum angelegt ist, ein sehr mächtiger Gefassstamm in die Schwanzblase eintritt und hier sich verzweigt, so wird man in der That letztere als eine embryonale Kieme an- sehen dürfen. Dazu ist es wohl auch für den Stoffwechsel nicht ganz bedeutungslos, dass durch den nachgewiesenen Ortswechsel des Embryo dieser mit einem grösseren Theile seiner Umgebung in Beziehung tritt, wie ja auch der Nutzen der Rotationen des Embryo, als deren Fortsetzung dieses Umherkriechen erscheint, kaum ein anderer sein dürfte. — Ueber die Auffassung des Fusses bei den verschiedenen Ab- theilungen der Mollusken bestehen uoch immer sehr widerspre- chende Absichten. An die Stelle der HuxLET'schen bekannten r Deutung hat neuerdings Grenacheb'), in dem ebenso geistvollen wie gründlichen Abschnitte : „zur Kritik der morphologischen Theo- rieen des Cephalophoren- und Cephalopodenfusses^' seiner Cephalo- podenentwickelungsgeschichte eine andere minder künstliche Auf- fassung gesetzt, welche zugleich unseren jetzigen Anschauungen über die Verwandtschaftsverhältnisse Rechnung trägt. Wir können hier nicht auf die Einzelheiten der angezogenen Abhandlung ein- gehen, müssen aber hevorheben, dass Grenacher's Ansicht durch die vorliegenden Untersuchungen volle Bestätigung findet. Der Fuss der Pulmonaten ist in der That ein „Protopodium"'). Ueber die Genese des letzteren bemerkt Grenacher (S. 466): „Das Protopodium tritt ganz allgemein als ein unpaares, auf der sog. Bauchseite hinter der Mundöffnung gelegenes medianes Gebilde auf, das bald höckerartig, bald zapfenförmig, bald zungen- oder zipfelartig erscheint und, wenn eine gedeckelte Larvenschale 1) C. Geqbvbaüb, Beiträge zur Entwickelongsgeschichte der Landgastro- poden. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 1851. III. S. 408. 2) H. Gbenachbr, Zur Entwickelangsgeschichte der Cephalopoden. Zu- gleich ein Beitrag zur Morphologie der höheren Mollusken. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. XXIV. 1874. S. 419—499. S) Gbekacheb a. a. 0. S. 465. 22* 316 ^ Hermann von Jliering, < zur Ausbildung kommt, auf seiner aboralen Fläche den Deckel trägt." Dass diese Angabe wörtlich auf die Genese des Helix- Fusses stimmt, bedarf keiner Erwähnung. Besondere Modifika- tionen sind hier nur geboten durch das Uebergreifen der basalen Theile des Fusses auf den Körper in Form zweier Lamellen und durch die Umbildung der Spitze desselben in die Schwanzblase. 4) Das Nervensystem. In keinem Gebiete der Biologie haben sich unter dem Einflüsse der Descendenzlehre grössere innere Umwandlungen vollzogen, als in dem der vergleichenden Anatomie. In der That ist diese unter den Händen Gbgenbaur's eine ganz andere Wissenschaft ge- worden. Ziel und Weg haben sich geändert, seit das biogenetische Grundgesetz das Fundament der vergleichenden Anatomie ge- worden. So fruchtbar aber auch d^r Einfluss des Darwinismus auf die vergleichende Anatomie gewesen, so ist doch die Zeit seiner Einwirkung, zumal bei der geringen Zahl der Mitarbeiter eine zu kurze, als dass schon alle Zweige des Thierreiches in gleicher Weise davon Nutzen gezogen haben könnten. Während die vergleichende Anatomie der Wirbelthiere so gewaltige Aende- rungen erfahren hat, stehen die Mollusken und speziell die Gastro- poden noch auffallend zurück. Mit richtigem Takte hat Gbqen- BAüR ') nicht angestanden „die Vergleichung der einzelnen Ab- schnitte des centralen Nervensystems der Cephalophoren als eine ihrer empirischen Unterlage harrende anzusehen". Und wenn auch Eefbrstbin^) bemerkt: „zu einer speziellen Beschreibung des Nervensystems der Prosobranchien fehlen leider fast alle genaue- ren Vorarbeiten" so darf dieser Ausspruch ruhig auch auf die Pulmonaten ausgedehnt werden. Nur so erklärt sich die unbe- strittene Herrschaft, deren noch immer die alte Darstellung von der Anordnung der Ganglien bei den Mollusken sich erfreut. Die drei Paare der Hirn-, Fuss- und Mantel-Ganglien sollen in ihrer Lagerung und Verbindung charakteristisch sein für den Typus der Mollusken. Nun ist ja ohnehin der Typenlehre durch den Darwi- nismus der Boden entzogen, und wenn man auch zunächst noch nicht geneigt scheint, sie fallen zu lassen, so sind doch nur Gründe 1) C. Gegbnbaub, Grundzüge der vergleichenden Anatomie. IL Aufl. Leipzig 1870. S. 506. 2) Dr. H. G. Bbonn's Klassen und Ordnungen der Weichthiere. Fortge- setzt von W. Kefsbstbin. III, 2. S. 966. üeber die Entwickelangsgeschichte von Helix. 31 7 praktischer Natur daran Schuld. Für die Systematik mögen solche Motive auch von Bedeutung sein, sie können es aber nicht fQr die vergleichende Anatomie, welche den scheinbar in sich abgeschlos- senen Typus als durch Uebergänge mit einfacher organisirten For- men verbunden und aus ihnen genetisch ableitbar erweist. Durch diese Betrachtungen wird es schon a priori klar, dass jene für typisch gehaltene Anordnung der Ganglien wie wir sie fast aus- schliesslich bei den Lamellibranchien deutlich nachweisbar finden, nur für einen Theil der Mollusken richtig sein kann, und erst dann verständlich sein wird, wenn mit Hülfe anatomischer und onto- genetischer Studien die Brücke zu den von den Würmern uns be- kannten Verhältnissen geschlagen sein wird. Erst durch die höchst bemerkenswerthen neueren Untersuchungen von Laoazb-Duthibrs) an welche sodann die hier von mir mitgetheilten sich anschliessen, ist die Aussicht auf einen Fortschritt unserer Erkenntniss nach dieser Richtung hin für die Pulmonaten gegeben. Ich werde am Schlüsse dieses Abschnittes hierauf zurückkommen, zuvor aber die Thatsachen mittheilen, auf welchen meine Folgerungen basiren. Dass das Nervensystem von Helix dem morphologischen Ver- ständnisse besondere Schwierigkeiten entgegenstelle, war schon öfters empfunden worden. Indessen konnte es scheinen, als sei das abweichende Verhalten der Ganglien bei Helix leicht ver- ständlich durch die Annahme einer Verschmelzung der Fuss]- und Mantelganglien. Nur die Ontogenie konnte hierüber Auskunft geben. Dass letztere so ganz anders ausfallen sollte, als man obiger An- nahme zufolge hätte erwarten können, war mir indessen höchst überraschend. Die Darstellung der Ontogenese des Nervensystems unserer Helix würde eine weit einfachere Aufgabe sein, wenn die Kenntniss vom Baue des Nervensystems bei dem ausgewachsenen Thiere als bekannt vorausgesetzt werden könnte. Diess ist jedoch nur bis zu einem gewissen Grade der Fall Wenn auch seit Swammeuoah's vorzüglicher Beschreibung im Einzelnen mancher Fortschritt zu verzeichnen ist, so kann für unsere Zwecke doch keine der zahl- reichen späteren Beschreibungen und Zeichnungen für genügend angesehen werden. Ich halte es daher für nothwendig, erst eine Beschreibung des Nervensystemes der erwachsenen Helix pomatia zu geben, wobei auch die entsprechenden älteren Angaben berück- sichtigt werden sollen, oder doch wenigstens die wichtigeren auf eigene Untersuchungen gestützten, vor allen also diejenigen von SwAJIMSRDAM UUd GuVIBB. 318 Hermann von Jbering, Das Centralnervensystem der ausgewachsenen Helix pomatia besteht aus drei Ganglienmassen oder Ganglienpaaren, die in näher zu bezeichnender Weise durch Gommissuren unter einander verbunden sind. Von ihnen liegt ein Paar, nämlich die Himgang- lien über dem Schlünde (Mundmasse), während die sympathischen Ganglien und die dritte durch Verschmelzung zahkeicher Ganglien- paare entstandene Ganglienmasse unter dem Schlünde gelegen ist. Letztere als unteres Schlundganglion zu bezeichnen ist nicht ge- stattet, da ausser diesem noch andere Ganglien an der Bildung desselben betheiligt sind; man bezeichnet es daher wohl passend als Ganglion visceropedale. Die sympathischen Ganglien sind zwei kleine, der obe- ren Wandung der Mundmasse aufliegende Knötchen, welche jeder- seits an der Stelle liegen, wo der Ausfiihrungsgang der Speichel- drüsen in die Wandung des von der Mundmasse abtretenden Oeso- phagus sich einsenkt. Von ihnen gehen Nerven sowohl in die Mundmasse wie an die Speicheldrüsen und auf die Wand des Oesophagus, welche letztere den Darmtractus und die Leber inner- viren. Die sympathischen Ganglien stehen durch eine kurze unter dem Oesophagus gelegene Gommissur in Verbindung, wogegen zwei längere, den Oesophagus umfassende Gommissuren sie mit den oberen Schlundganglien verbinden. Die oberen Schlundganglien oder Hirnganglien liegen gleichfalls der oberen Fläche der Mundmasse auf. Sie sind unter einander durch eine unpaare, kurze dicke Gommissur, und mit dem Viscero-Pedalganglion durch eine kurze, jederseits an der Mundmasse hinabsteigende Doppelkommissur verbunden. Von ihnen entspringen mehrere sensitive und alle Sinnesnerven. Aus- ser dem unpaaren Penisnerven und mehreren unbedeutenden, an Zahl und Dimensionen variabelen Hautnerven, welche sich am Kopfe verbreiten, entspringen aus den Hirnganganglien jederseits vier starke Nerven, die von den Autoren richtig beschrieben wur- den und zu denen als fünftes Paar noch die zarten Gehörnerven hinzukommen. Am vorderen, medialen Rande des Ganglion nimmt zunächst 1) der Nervus labialis exterior seinen Ursprung. Er kreuzt sich mit dem folgenden und ist stets leicht dadurch kennt- lich, dass er ziemlich bald sich in zwei Aeste gabelförmig theilt, deren einer sich nach den Lippen, der andere zu den seitlichen Theilen des Kopfes begiebt. Er ist bei Swauhbrdam als m, bei CuviBR als 2 bezeichnet. üeber die Entnickelnngsgeschichte von Helix. 3ig 2) Nervus labialis interior schlägt sich nach innen zur Mundmasse und tritt in diese nahe beim Kiefer ein um sich in den Lippen und dem SsMPER'schen Organe zu verzweigen. Er ist bei SwA.MMERDAM als 71, bci CuviER als 1 bezeichnet 3) Nervus facialis ein ziemlich starker Nerv, welcher sich in 2 Stämme theilt, von denen einer (/ bei Swammbbi>a]i) in den kleinen Tentakel tritt, der andere in der Haut in der -Umgebung beider Tentakeln sich verzweigt. Er führt bei Swahmerdau die Bezeichnung A, bei Ovibr 5. 4) Nervus opticus, der stärkste von den aus dem Gehirn entspringenden Nerven, ausserdem auffällig durch seine braun- röthliche Färbung, welche von dem in den Bindegewebszellen des Neurilemm enthaltenen Pigmente herrührt. Sein Verhalten im' grossen Tentakel, ist hinlänglich bekannt. Bei Swaiihbrdaii t, bei CüVIBR 6. 5) Nervus acusticus ein sehr feiner, nahe dem N. facialis entspringender Nerv, der beim Embryo leichter sich verfolgen lässt, als bei dem erwachsenen Thiere, wo er mit den betreffenden Gom- missuren zu der dem Fussganglion anliegenden Otocyste (Lagazb- DuTHiBRs) hinabsteigt. 6) Der unpaare, nur rechts sich findende Penis-Nerv, den SwAMMBRnAM ulcht kaouto, GuviBR aber abbildete. Die Commissuren, welche vom Himganglion ausgehen, sind die schon erwähnten zu den sympathischen Ganglien, sowie die unpaare beide Himganglien verbindende, und ferner jederseits zwei dicke zum Viscero-Pedalganglion hinabsteigende, welche so nahe neben einander hinziehen, dass man sie, bis Berthold das richtige Verhalten zeigte, für eine einzige hielt. Die weiter unten von mir mitgetheilten Daten beweisen, dass beide Commissuren nicht nur hinsichtlich ihres Verlaufes, sondern auch bezüglich ihres Ursprungs streng auseinander zu halten sind. Das Ganglion viscero-pedale versorgt den Fuss, den Mantel, den Geschlechtsapparat und Theile von anderen inneren Organen mit Nerven. Es ist der hergebrachten Angabe zufolge hervorgegangen aus der Verschmelzung der bei den meisten La- mellibranchiern und Gastropoden getrennten Fuss- und Mantel- oder Eingeweideganglien. Damit steht die Wahrnehmung im Ein- klänge, dass die motorischen Nerven alle von der vorderen Ab- theilung der gesammten Ganglienmasse, und zwar von ihrer unte- ren Fläche entspringen, die übrigen aber von der hinteren Partie derselben. Die ersteren entspringen in symmetrischer Anordnung 320 Hermaim von Jhering, ZU beiden Seiten der Mittellinie. Sie senken sic& alle nach kür- zerem oder längerem Verlaufe in die Muskelmasse der Fusssohle. Mit Ausnahme eines einzigen Astes treten diese Nerven nicht zwischen den Bündeln des an die Fusssohle sich anheftenden gros- sen Muse, retractor hindurch, sondern verlaufen in dem von ihm freigelassenen Baume. Ihre Zahl ist schwer festzustellen, da schon sehr weit oben dicht bei ihrem Austritte aus dem Ganglion die einzelnen Stämme sich in mehrere Zweige theilen. Es schien mir jedoch, als ob sich durch Zusammenfassen der nahe neben ein- ander entspringenden Nerven 6 (oder 7) Hauptstämme jederseits nachweisen Hessen. Aus der hinteren dem „Visceralganglion" entsprechenden Ab- theilung unserer Ganglienmasse kommen 4 grosse Nervenstämme, die zwar schon wiederholt beschrieben und abgebildet worden sind, aber nichts destoweniger bis jetzt weder ihrem Verlaufe, noch ihrer Verbreitung noch genügend bekannt sind. Drei derselben verbreiten sich in dem Mantelwulst und der Körperwand oberhalb desselben, der andere folgt in seinem Verlaufe der Aorta und ver- sorgt den Geschlechtsapparat, die Niere und das Herz mit Zwei- gen. Von rechts beginnend stossen wir zunächst auf den 1) Nervus pallialis dexter. Er läuft, was ich besonders hervorheben möchte, über den Uterus hingegen das Athemloch, in dessen Nähe er sich in zwei Aeste theilt, welche rings um den Eingang in die Lunge und im Mantel sich verzweigen. 2) Nervus pallialis medius entspringt nahe dem vorigen, und begiebt sich gleichfalls zur rechten Hälfte des Mantels. £r läuft unter dem Uterus hin. Nahe bei ihm entspringt 3) der Nervus genitalis. Er begleitet die Aorta bis er ziemlich hoch oben, d. h. nicht weit von der Eiweissdrüse an den Uterus tritt. Hier spaltet er sich in zwei Aeste, von denen der eine den Geschlechtsapparat versorgt, der andere sich auf die Niere schlägt und sich hier in zahlreiche Zweige theilt, von wel- chen einzelne an das Herz resp. das Pericardium treten. 4) Nervus cutaneus, ein feiner, bisher übersehener Nerv. Er läuft gerade nach hinten wie der Vorige und tritt durch den oberen hinteren Theil des Fusses, um die Körperwand und die Haut zu innerviren. Er indessen sehr schwer zu verfolgen. 5) Der Nervus pallialis sinister, welcher die linke Hälfte des Mantels innervirt, zerfällt, im Gegensatze zu den so eben besprochenen schon sehr bald in 2 Aeste von gleicher Stärke, welche auch in dem gemeinsamen Stamme nur lose vereint zu sein Deber die Entwickelungsge schichte von Heliz. 321 scheinen. Bei dem Embryo lässt sich deutlich erkennen, wie die- ser Nerv aus zwei neben einander liegenden Hälften besteht. Es wäre von Wichtigkeit jede derselben rtlcksichüich ihres Ursprun- ges genauer zu verfolgen, da ja möglicher Weise einer derselben aus dem Mantelganglion, einer aus dem Genitalganglion entspringt, wodurch dann für die Mantelnerven der rechten wie der linken Seite eine ursprüngliche Symmetrie erwiesen wäre. Nachdem wir in der hier gegebenen gedrängten Darstellung des Nervensystems der ausgewachsenen Helix pomatia einen zu- verlässigen Ausgangspunkt für unsere weiteren Betrachtungen ge- wonnen haben, wollen wir nunmehr die Anlage des Nervensystems ins Auge fassen. Hinsichtlich der sympathischen und der Hirn- ganglien ist in dieser Hinsicht nichts Besonderes zu bemerken. Sie entstehen wie alle anderen Ganglien durch eine locale Wuche- rung des äusseren Keimblattes, und treten von Anbeginn an in der Form und Lagerung auf, in welcher wir sie auch späterhin finden. Nicht so dagegen steht es mit der unter dem Schlünde gelegenen von uns als Ganglion viscero-pedale bezeichneten Ganglienmasse. Während man hier schon eine ursprüngliche Zusammensetzung aus mehreren Ganglien, aus den beiden Paaren der Fuss- und Mantelganglien nämlich hätte erwarten können, ergab die Beob- achtung ein complicirteres Verhalten. Es zeigte sich nämlich, dass in die Bildung des späteren Yisceropedalganglion sieben einzelne Ganglien eingehen^). Zwei von diesen, die vorderen, sind die Fussganglien, welche jederseits durch eine starke Commissur mit dem Hirne, und durch mehr oder minder unregel- mässig verlaufende Fasern mit dem sogleich zu beschreibenden Ganglion commissurale verbunden sind. Dagegen stehen die ande- ren fünf unter einander in Verbindung, in der Art, dass sie mit dem Hirn zusammen eine vorn und hinten geschlossene Kette bilden. Die grössten dieser Ganglien sind die Fussganglien, wel- chen die Otocysten anliegen. Sie stehen mit dem Hirn durch eine jederseits an der Mundmasse hinabsteigende Commissur in Ver- bindung. Ich konnte an ihnen nur die Ursprünge von 4 Nerven- paaren nachweisen, während man nach meiner oben gegebenen Darstellung, deren 6 hatte erwarten sollen. Es ist jedoch leicht möglich, dass hier ein Versehen vorliegt, da bei der Präparation des kleinen Ganglion leicht Verletzungen vorkommen können. Die Fasern der vom Hirne kommenden Commissur vertheilen sich 1) S. Fig. 15. ^22 Hermann von Jbering, in diesem Ganglion, in welches ausserdem noch Fasern aus dem sogleich zu erwähnenden Gommissuralganglion eintreten. Das Ganglion commissurale steht durch eine andere neben jener hinlaufende Gommissur mit dem Hirn in Verbindung. Aus ihm entspringen keine Nerven. Mehr oder weniger an- regelmässig verlaufende Fasern verbinden dieses Ganglion mit dem Fussganglion und dem folgenden, dem Ganglion palliale oder Mantelganglion. Aus dem linken entspringt der Nerv, pallialis sinister, aus dem rechten der Nerv, pallialis dexter. Beide sind durch Faserzüge resp. Gommissuren mit den Commissuralganglien und mit dem Genitalganglion verbunden. Das unpaare Ganglion genitale liegt in der Mittellinie, ist durch Gommissuren mit den Mantelganglien verbunden und entsendet 2 grosse Nerven, den Nerv, genitalis, den Nerv, pal- lialis medius und einen kleineren, unseren Nerv, cutaneus. Bei Helix pomatia erreicht die Verschmelzung dieser 7 Gang- lien zu der einen Masse des Ganglion viscero-pedale einen ganz besonders hohen Grad, ^nn selbst bei Helix nemoralis sind wenig- stens die beiden von den Autoren als Fuss- und Mantelganglien geschiedenen Partieen des Visceropedalganglions leichter aus ein- ander zu halten. Und doch stehen diese beiden , zu der Familie der Pentataenien gehörigen Arten einander anatomisch so nahe, während von fast allen anderen Familien noch gar keine Reprä- sentanten auf diese Verhältnisse untersucht worden sind, ganz im Sinne der bisherigen Behandlung der vergleichenden Anatomie der Pulmonaten, bei welcher immer wieder nur Helix pomatia, Lim- naeus stagnalis, Planorbis corneus und einige wenige andere spe- cies in Betracht gezogen wurden, die zufälliger Weise sich bei ans besonders zur Untersuchung eignen. Wir müssen daher hier auf jeden Vergleich mit anderen Heliciden verzichten. Dagegen ge- stattet uns die vorzügliche Arbeit von Laoaze-Dutbibrs über das Nervensystem der Süsswasser-Pulmonaten *) eine Anknüpfung au das bei jenen bestehende Verhalten. Die Uebereinstimmung zwi- schen dem Nervensysteme der Limnaeen , Planorben u. s. w. und dem der Helixembryonen ist eine überraschende, vorausgesetzt natürlich, dass die kleinen Unterschiede in der Länge der Gommis- suren u. s. w. nicht in Betracht gezogen werden. 1) U. DE Lacazb-Duthiers, Du Systeme uerveux des moilusquus gast^ro* podes pulmoDes aquatiques. Arcbives de Zoologie exp. et gen. p. par H. ds Lacazb-Duthiebs. Tome I, 1872 p. 437—500. TJeber die Entwickelangsgeschichte von Helix. 323 Lacaze-Duthisrs giebt von dem Nervensysteme der Wasser- Pttlmonaten folgende Darstellung, wobei von dem sympathischen Ganglion, seinem Centre stomato-gastrique, abgesehen wird. Es exi^tirt ein centre postoesophagien ou c^r^broide, unser Hirn- oder oberes Schlundganglion, ein centre ant^rieur on p^dieux, unser Fussganglion, und ein centre asym^trique unsere Bauchganglien- kette, resp. die dem Mantel- oder Eingeweideganglion entsprechen- den Ganglien. Die beiden letzteren sind unter einander durch eine Gommissur verbunden, und da ebenso vom Hirne zu ihnen Gommissuren gehen, so entsteht der charakteristische „triangle la- t^raP^ ')• D^tö centre asym^trique besteht aus 5 Ganglien, einem unpaaren und einem ersten und einem zweiten auf jeder Seite. In seinen Figuren ist g = dem sympathischen Centrum, t = dem oberen Schlundganglion, x = Fussganglion, Zd* und Zg* = unseren Gangl. commissuralia , Zd!* und Zg" = unseren Gangl. pallialia und Z ::= unseren Gangl. genitale. Es finden sich also im Nerven- system der Wasserpulmonaten alle jene Ganglien, die wir oben im Nervensystem der Embryonen von Helix nachwiesen, und der we- sentlichste Unterschied besteht nur in der Kürze der Gommissuren bei letzteren, während dieselben bei jenen Zeitlebens ziemlich lang bleiben. Es spricht sich hier also in der Anlage des Nerven- systems eine weit grössere und auffalligere Verwandtschaft zwischen Limnaeiden und Heliciden aus, als wir von vornherein zu erwar- ten geneigt gewesen wären. Die hier besprochenen Untersuchungen von Lacazb-Duthibbs und von mir über das Nervensystem der Pulmonaten sind die ersten, welche den Anforderungen zu entsprechen suchen, die beu- tigen Tages die vergleichende Anatomie stellen muss. Ist das da- mit gebotene Material auch noch ein recht wenig umfangreiches, so gestattet es doch schon eine Reihe von wichtigen Schlussfolge- rungen, und jedenfalls stützen sich dieselben auf ein zuverlässi- geres Material als das ist, auf welches die jetzt geltenden Lehren gebaut sind. Ich sehe mich dabei genöthigt, die herrschende, resp. von Gegbkbaub vertretene Deutung der einzelnen Abschnitte des Nervensystems anzugreifen, um eine andere an ihre Stelle zu setzen. Ich betone aber dabei, dass ich im Allgemeinen ein so entschiedener Anhänger der GBOBUBAüK^schen Auffassung bin, auch hinsichtlich der phylogenetischen Anschauungen, zu welcher er durch die vergleichende Anatomie der Mollusken gelangt ist, dass 1) lii uuserer Fig. 16 gebildet durch g* ce^ g. co und g. pd. 324 Hermann von Jhering, 9 ich die Ursache dieser speziellen Differenz nur in der Beschaffen- heit des neuen, mir zur Beurtheilung vorliegenden Materials suchen kann. Ich glaube sogar, dass gerade diese meine Argumente eine Stütze für Gegbnbaur's Meinung beibringen, von einer Seite, jvon welcher er selbst sie nicht ei'wartet zu haben scheint Gbgbnbadb scheidet die verschiedenen Abschnitte des Nervensystems der Ce- phalophoren in zwei Gruppen, indem er die den Schlundring bil- denden nervösen Centralorgane scharf von den das Eingeweide- nervensystem bildenden Ganglien sondert Um speziell bei unse- rem Beispiele stehen zu bleiben, so wären hiernach einerseits die Buccal- oder sympathischen Ganglien zum Eingeweidenervensysteme zu rechnen, andererseits das Mantel- oder Eingeweideganglion, von dem oben nachgewiesen wurde, dass in seine Bildung 5 einzelne Ganglien eingegangen seien. Die peripherischen Nerven nehmen nun von dem aus den Hirn- und Fussganglien gebildeten Schlund- ringe ihren Ursprung. Der Centralapparat des Nervensystems bietet Anknüpfungspunkte mit den Würmern, indem er sich wie bei jenen in eine obere, dem Anfangstheile des Darmes aufliegende Ganglienmasse, die oberen Schlundganglien, und in eine ventral gelagerte durch Commissuren mit der ersteren verbundenen Masse, die unteren Schlundganglien oder Fussganglien scheidet. Ein wesentlicher Unterschied vom Nervensystem der gegliederten Wür- mer beruht darin, dass die unteren Schlundganglien niemals in eine Ganglienkette aufgelöst sind, also keine Andeutung einer Metamerie erkennen lassen. Die Bildung der unteren Schlund- ganglienmasse ist nicht etwa als eine Verlegung sonst in oberen Gangüen enthaltener Apparate nach der ventralen Seite, aber auch nicht als eine nur durch die Ausbildung der ventralen Körpertheile vorzüglich des Fusses erworbene Neubildung zu erklären, es sind vielmehr die unteren Schlundganglien oderFussganglien für homolog mit der Bauchganglienkette der Würmer zu halten. — Geobnbaur's Ansichten sind hier etwas ausführlich, zum Theil mit seinen eigenen Worten mitgetheilt *). Die Bedenken , welche gegen sie aus den oben mitgetheilten Untersuchungen sich ergeben, beziehen sich nicht auf alle Theile gleichmässig, sondern nur auf die Deutung der Fuss- und Mantel- oder Eingeweideganglien. Es soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, eine andere Auf- 1^) S. G. GiGBifBAUB, Gruudriss der vergleicheudcu Anatomie. Leipzig 1874. S. 866. — lieber die Entwickelungsgesch lebte von Helix. 325 fassung durchzuführen, nach welcher das Mantel- oder Ein- geweideganglion, resp. die ihm entsprechende Gang- lienkette nicht zum sympathischen Nervensystem zu stellen, sondern als Homologon der Bauchganglien- kette der gegliederten Würmer anzusehen ist, wogegen die Fussganglien (Qbgbnbadr's untere Schlundganglien) an keinen besonderen Theil des Nervensystems der Würmer anknüpfen, vielmehr eine erworbene Neu- bildung repräsentiren, bedingt durch die bedeutende Entwickelung des Fusses, des einzigen Gebildes das von ihnen mit Nerven versorgt wird. Am wenigsten Widerstand dürfte wohl Angesichts des jetzt vorliegenden Materials die Behauptung finden, dass das Einge- weideganglion oder die ihm entsprechende Bauchganglienkette nicht zum sympathischen oder Eingeweidenervensysteme gehöre. Um jedoch hierüber eine Verständigung erzielen zu können, bedarf es zuvörderst einiger Worte über den Begriff des Eingeweidenerven- syst^ms überhaupt. Offenbar ist nämlich dieser doch mehr ein morphologischer wie ein physiologischer. Wir nennen nicht jeden Nerven, der zu einem Eingeweide tritt einen Eingeweide- nerven, denn wenn wir dies durchführen wollten, würden wir gar häufig in die allergröbsten Widersprüche verwickelt werden. Zahl- reiche Spinalnerven der Wirbelthiere würden wir als sympathische bezeichnen müssen, des Vagus gar nicht einmal zu gedenken. Aus dem Plexus sacralis z. B. kommt der Nervus haemorrhoidalis in- ferior (oder ext.) der u. a. zu dem Endabschnitte des Mastdarms, zu dem M. sphincter ani Zweige giebt. Auch der M. levator ani bekommt aus dem Plexus sacralis seine Nerven, aber ausser ihm werden auch die höher gelegenen Theile des Mastdarms an denen keine Spur von quergestreifter Muskulatur mehr nachweisbar ist, von denselben Nerven, den N. haemorrhoidales medii versorgt. Solleu wir nun die letzteren Nerven als Eingeweidenerven be- zeichnen, obwohl sie morphologisch unzweifelhaft Spinalnerven sind? So erhält auch die Harnblase ausser sympathischen Ner- ven noch Zweige von Rückenmarksnerven und ebenso steht es mit den Samenblasen und dem vas deferens. Wir brauchen femer nur an die Endausbreitung des Nerv, phrenicus zu erinnern, sowie an den Nerv, spermaticus extemus um Beispiele genug angeführt zu haben von Spinalnerven die theils ganz, theils mit einzelnen Zweigen an Eingeweide herantreten. Es ist nur im Grossen und Ganzen richtig, dass die Eingeweide vom sympathischen Nerven- 326 Hermann Ton Jbcring, Systeme mit Zweigen versehen wwden. Wir haben daher nur die Alternative, entweder diejenigen Spinalnerven, welche oder so weit sie an Eingeweide herantreten als sympathische zu bezeichnen und den Begriff des Eingeweidenervensystems damit als einen rein physiologischen zu statuiren, oder anzuerkennen, dass die Ent- scheidung über die Frage, ob ein Nerv ein sympathischer oder ein spinaler sei, nur der Morphologie anheimfalle und nicht der Physiologie. Bleiben wir gerade bei unserem Falle, dem Nerven- system der Vertebraten stehen, so kann in der That auch die Morphologie die Frage viel leichter entscheiden als die Physiolo- gie. Wir haben es gegenüber dem Cerebrospinalnervensysteme in dem Eingeweidenervensysteme zu thun mit Nerven, welche, meist an den Gefässverlauf gebunden, an Eingeweide treten und ihren Ursprung nehmen aus einem Centralorgane, aus einem Gang- liensysteme, das, wenn auch mit Spinalnerven in unmittelbarstem Zusammenhange stehend, doch einen hohen Grad von Selbständig- keit besitzt. Diese Betrachtungen drängen dazu, den Begriff des Eingeweidenervensystems auch noch von einer anderen Seit^ zu betrachten. Wäre es nicht möglich ihn auch als einen genetischen aufzufassen, indem man sagt, alle Organe, welche Vom Entoderm abstammen, resp. von ihm ihre Epithelauskleidung erhalten, werden vom sympathischen Nervensysteme innervirt, diejenigen aber welche aus dem Ecto- und Mesoderm abzuleiten sind, erhalten ihre Ner- ven aus dem Gentralapparat des Nervensystems ? Für die Wirbel- thiere, wo die Verhältnisse so viel complicirter erscheinen, dürfte sich diese Definition wohl nicht mehr durchführen lassen, dag^en ist sie für die Mollusken nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen, wiewohl ich anerkenne, dass jetzt noch nicht das zur Entscheidung nöthige Material vorliegt. Bei Helix entsteht aus dem Entoderm nur der Darm mit seinen Drüsen. Hier werden nun auch alle diese Theile vom sympathischen Ganglion innervirt, während alle von Ecto- und Mesoderm stammenden Theile vom Himganglion und der Bauchkette, sowie dem Fussganglion ihre Nerven bekommen. Mag es nun berechtigt sein oder nicht, den Begriff des Ein- geweidenervensystemes so, wie es hier geschehen, als einen gene- tischen zu fassen, und dabei das Entoderm als eine vollkommen gleichwerthige Gruppe den beiden übrigen Keimblättern entgegen- zustellen : richtig ist und bleibt jedenfalls unsere Forderung, den Darmtractus mit seinen Annexen als eine selbständige Gruppe der Eingeweide anzusehen, welche auch gesondert, d. h. von den übri- Uaber die Entwiekelnngsgeschicfate von Helix. 827 gen Eingeweiden getrennt bei Fragen der Innervirung discutirt werden muss. Der Begriff „Eingeweide" ist ja überhaupt ein so roher, so wenig morphologisch begründeter, und kann hinsichtlich der ihm einzureihenden Systeme bei den einzelnen Thierklassen so ganz verschieden aufgefasst werden, dass man ihn bei wissen- schaftlichen Erörterungen lieber nicht verwenden, und ihm nur aus Zweckmässigkeitsrücksichten in der beschreibenden Zootomie noch einen Platz belassen sollte. Kehren wir nunmehr zurück zu der oben aufgeworfenen Frage, welcher Theil des Nervensystemes denn als Eingeweidenerven* System aufgefasst werden müsse. Halten wir unser Ergebniss fest, dass die Begriffe des cerebrospinalen und des sympathischen Ner- vensystems nicht physiologische, sondern morphologische sind, und wenden wir uns nunmehr wieder zum Nervensysteme der Pulmo- naten, so kann es keinen Augenblick zweifelhaft sein, dass unsere Bauchganglienkette nicht dem Eingeweidenervensysteme zugezählt werden darf. Die Bauchganglienkette, welche bei den Limnaeiden zeitlebens in dieser Form sich erhält, bei den Heliciden späterhin zu einem Ganglion zusammenwächst, welches identisch ist mit dem seit langer Zeit als Eingeweide- oder Mantelganglion bezeichneten, giebt Nerven ab an die versehiedensten Organe und Theile des Körpers. Denn wenn auch einerseits der Geschlechtsapparat, das excretorische und das Gef&sssystem von hier aus innervirt werden, so treten andere Zweige zur Körperoberfläche, zum Mantel und der Athemhöhle. Da man die letzteren absolut nicht zum sym- pathischen Nervensystem zählen kann, so bliebe nur noch die eine Möglichkeit gerade dasjenige Ganglion der Bauchganglienkette, resp. die Partie das Eingeweideganglion, aus welcher der Genital- nerv entspringt, als sympathisch zu bezeichnen, wobei man z. B. bei Limnaeus doch wieder einen Mantelnerven aus dem Einge- weideganglion würde entspringen lassen müssen. Solchen That- sachen gegenüber kann man wohl nicht mehr festhalten an der Annahme, dass das Eingeweide- oder Mantelganglion zum sympa- thischen Nervensystem zu rechnen sei. Dagegen wird man nach wie vor die Buccalganglien mit den von ihnen auf den Darm- tractus tretenden Nerven als sympathische bezeichnen müssen, ebenso wie etwaige andere dem Darm in seinem weiteren Verlaufe auflagernde und ihn innervirende Ganglien. Hiermit steht denn auch das morphologische Verhalten in vollem Einklänge. Das Hirn- oder obere Schlundganglion entspricht nach seiner Lage, Wie nach dem Verbreitungsbezirke seiner Nerven ganz dem gleich- 328 Hermann von Jhering, ■ namigen Ganglion der gegliederten Würmer und der Arthropoden, wogegen das Buccalganglion mit der ursprünglichen Anlage des Centralnervensystems nicht in ähnliche Beziehungen gebracht wer- den kann, vielmehr als eine erst später erworbene Neubildung aufzufassen ist. Dürfen wir hoffen hiermit die bisherige Auffassung widerlegt zu haben, nach welcher das Eingeweide- oder Mantelganglion zum sympathischen Nervensysteme gestellt wurde, so fragt es sich, welche morphologische Deutung dann die richtige sei. Mit dem oberen Schlundganglion sind jederseitts durch 2 Gommissuren zwei andere Ganglien verbunden. Eine der beiden Schlundcommissuren tritt an das Fussganglion, die andere an das Eingeweideganglion resp. an die ihm entprechende Bauchganglienkette, und es ist nun zu untersuchen, welches derselben der Bauchganglienkette der Würmer homolog sei. Der bisherigen, von uns nicht getheilten Annahme zufolge wäre es das Fussganglion. Während aber das Fussganglion niemals in eine Ganglienkette aufgelöst erscheint, finden wir diess als das regelmässige Verhalten bei dem Einge- Weideganglion der Pulmonaten, ein beachtenswerthes Moment, das uns von vornherein geneigt machen muss, die Bauchganglien- kette der Mollusken für homolog mit derjenigen der Würmer zu halten. Das Fehlen von transversalen Gommissuren zwischen den einzelnen Ganglienpaaren der Bauchkette kann nicht gegen unsere Auffassung geltend gemacht werden, denn dasselbe Verhalten kommt auch manchen segmentirten Würmern wie z. B. Mala- cobdella zu. Sehr für unsere Deutung spricht dagegen die Ver- theilung der Nerven. Aus dem Fussganglion entspringen nur die Nerven für den Fuss, eine, den Würmern fehlende, erworbene Neubildung der Mollusken, und auch dieser Umstand wird es uns nicht wahrscheinlich machen, dass der Bauchgahglienkette der Würmer ein Ganglion homolog sein solle, dessen Nerven sich zu einem bei den Würmern fehlenden Gebilde begeben. Sehen wir daher von dem Fusse und seinem Ganglion ab, so versorgt die Bauchganglienkette der Pulmonaten in der That wie diejenige der Würmer alle Theile des Körpers, welche nicht vom Hirne oder dem sympathischen Nervensysteme innervirt werden. Wir halten uns daher für berechtigt, gegenüber der bisherigen An- nahme nicht das Fussganglion, sondern das Einge- weide- oder Mantelganglion resp. die ihm entspre- chende Bauchganglienkette der Pulmonaten für homo- Ueber die Entwickelnngsgeschichto von Helix. 329 log mit der Baiicbganglienkette der gegliederten Würmer zu erklären. Weist uns schon die Existenz einer doppelten Sehlundcommis- Rur bei den Pulmonaten darauf hin, dass hier etwas andere Ver- hältnisse als bei den Würmern vorliegen» resp. dieselben compli- cirter erscheinen durch das Hinzutreten eines neuen, dort fehlen- den Ganglions, so kann über die Deutung des Fussganglions jetzt wohl kein Zweifel mehr obwalten, nachdem wir gesehen haben, wie das obere Schlundganglion der Pulmonaten dem gleichnami- gen Ganglion der gegliederten Würmer, das Eingeweide- oder Mantelganglion jener aber der Bauchganglienkette der letzteren homolog ist. Es stellt uns das Fussganglion eine den Mollusken charakteristische Neubildung dar, deren Entstehung durch die Ausbildung des Fusses verständlich wird. Hierbei wird uns denn auch die Anlage der Commissuren völlig begreiflich. Nehmen wir an, die Bildung der Fussganglien habe ihren Ausgang genommen von einem einfacheren Stadium, auf welchem die Theile der Bauch- fläche, die jetzt von dem Fusse eingenommen werden, von dem oberen Schlundganglion und dem ersten Ganglion der Bauchkette innervirt waren, so wird es uns nicht wundem können, wenn auch späterhin noch die Fussganglien gerade mit diesen beiden Centren verbunden sind. Ob die Fussganglien unter einander durch eine Commissur verbunden sind, vermag ich nicht zu sagen, da ich beide Ganglien zwar von Anfang an sehr nahe zusammenliegend fand, ohne jedoch eine Verbindung zwischen ihnen deutlich nach- weisen zu können. Andererseits aber ist es wohl überhaupt nicht gerechtfertigt, zu erwarten, dass irgend ein Theil des centralen Nervensystems der Würmer unserem Fussganglion homolog sei. Denn Homologieen dürfen wir doch nur dort anzutrefi'en erwarten, wo schon bei den phylogenetischen Vorgängern eines Thieres die gleichen oder ähn- liche Verhältnisse der Gestalt und Organisation vorlagen. Hier ist diess offenbar nicht der Fall. Andererseits liess sich wohl von vornherein erwarten, dass eine so wichtige Umänderung im Körper- bau, wie sie uns in der Entstehung des Fusses bei den Mollusken vorliegt, auch im Nervensysteme ihren entsprechenden Ausdruck finden müsse. Ueberall sehen wir die Ausbildung des Nerven- systvies im Einklänge stehend oder richtiger gesagt abhängig von der jedesmaligen besonderen Beschaffenheit des Körpers und seiner Organsysteme. So treffen wir, um nur ein Beispiel anzuführen, bei den mit Siphonen ausgestatteten Lamellibranchien ein eigenes Bd. IX, M. F. II. 23 330 - Hermann von Jliering, Siphonalganglion, welches den Asiphomen abgeht; es hat die Neu- bildung des Sipho auch die Neubildung eines eigenen Ganglion zur Folge gehabt. Es kann daher auch die, an keinen Theil des Nervensystems der Würmer sich anlehnende stattliche Entwicke- hing des Fussganglion der Mollusken uns nicht im geringsten be- fremden. Bis jetzt war immer nur vom Nervensysteme der Pulmonaten die Rede, nicht von dem der anderen Mollusken, während es doch von selbst einleuchtet, dass die Phylogenie der Pulmonaten nicht von derjenigen der anderen Cephalophoren, ja der Mollusken über- haupt getrennt werden kann. Der Grund, weshalb diess geschah, und warum ich auch hier nicht näher auf die Morphologie des Nervensystems der anderen Mollusken eingehe, liegt einfach in der Beschränkung, die mir geboten wird durch den Mangel von solchen Untersuchungen über das Nervensystem der übrigen Mol- lusken , wie sie jetzt für die Pulmonaten schon vorliegen. So wenig ich es bezweifele, dass z. B. das Kiemen- oder Eingeweide- ganglion der Lamellibranchien mit dem der Pulmonaten homolog ist und daher gleichfalls mit dem sympathischen Nervensysteme nichts zu thun hat, so verzichte ich doch aus den angedenteten Gründen ganz auf ein näheres Eingehen auf das Nervessystem der übrigen Mollusken, in der Hof&iung, bald durch dgene Unter- suchungen zuverlässigeren Boden hierfür zu gewinnen. Es scheint mir geeignet, hier Bm Schlüsse des Abschnittes die allgemeinen Ergebnisse übersichtlich zusammenzufassen, zu wel- chen wir hinsichtlich der Deutung der verschiedenen Absdinitte des centralen Nervensystems der Pulmonaten gelangten. Nach der herrschenden Auffassung soll das obere Schlund- ganglion der Mollusken dem gleichen Theile der ge- gliederten Würmer, das Fussganglion deren Bauchgang- lienkette homolog sein, wogegen des Mantel- oder Ein- geweideganglion gemeinsam mit dem Buccalganglion zum sympathischen oder Eingeweidenervensystem ge- hören soll. Nach der von mir hier vertretenen Auffassung dagegen ist wohl die Deutung des oberen Schlund- ganglion richtig, nicht aber die der übrigen Theile des Gentralapparates, indem das Eingeweide- oder Man- telganglion resp. die ihr entsprechende Ganglienkiitte der Bauchganglienkette der .Würmer homolog ist, das Fussganglion aber eine für die Mollaken charakteri- stische durch die Ausbildung des Fusses bedingte Neu- [Jeher die EntwickelungBgeschichte von lielix. 331 bildung darstellt. Das sympathische oder Eingeweide- nervensystem redncirt sich auf die Buccalganglien mit ihren zu den Mundtheilen, den Speicheldrüsen und dem Darmtractus tretenden Nerven, wogegen der Genital- apparat, das Gefäss- und das excretorische System vom Mantelganglion innervirt werden. ' Zur Erläuterung des Gesagten soll die schematische Fig. 16 dienen, welche die Anordnung des Nervensystems von Helix giebt. Es ist dabei das sympathische Nervensystem roth gehalten, wo- gegen die Fussganglien gelb, das Hirn mit Bauchganglienkette blau colorirt sind. Dieses Schema enthält übrigens nichts, als was wir oben bei dem Nervensysteme der Helixembryonen nach- zuweisen im Stande waren. Das einzige nicht genau den wirk- lichen Verhältnissen entsprechende ist die Länge der einzelnen Gommissuren, die der Uebersichtlichkeit halber grösser genommen wurde. 5) Der Gesehlechtsapparat. Die Genese des Geschlechtsapparates der Pulmonaten ist bis jetzt sehr unvollkommen bekannt. Die bisherigen Untersuchungen beschränken sich eigentlich auf die Arbeit von Eisio') über die Entwickelung der Geschlechtsorgane von limnaeus, welche indessen noch manche Lücken bietet, die gerade für die Vergleichung mit der Entwickelung des Geschlechtsapparates von Helix sich empfind- lich bemerkbar machen. Nach Eisio soll sich der Geschlechts- apparat nicht gleichmässig in seiner ganzen Länge anlegen, son- dern in drei Abschnitten, welche erst später mit einander in Ver* bindung treten. Diese Angabe, welche an und für sich durchaus nichts Unwahrscheinliches enthält, steht in directem Gegensatze zu der von mir bei Helix beobachteten Anlage des Genitalapparates. Hier entsteht nämlich gleich in der ganzen Länge das Material, aus welchem sich die einzelnen Abschnitte des Geschlechtsappara- tes bilden. Bedenkt man die von Eisio selbst hervorgehobene grosse Schwierigkeit dieser Untersuchungen, so ist der Gedanke jedenfalls nicht ohne weiteres zurückzuweisen, es könne wohl die zarte Verbindungsmasse von Eisig beim Präpariren verletzt oder übersehen worden sein, in welchem Falle auch bei Limnaeus die ursprüngliche Anlage des Geschlechtsapparates eine einheitliche sein würde. 1) Zetschr. f. wiBS. Zool. XIX. 1869 8. 2Ö7-821. 23* 332 Hermann von Jhering, Der Geschlecfatsapparat von Helix legt sich in seiner ganzen Länge aus den Mesodermzellen an und stellt an nahezu reifen Embryonen einen langen dünnen Faden dar, an dem sich indessen bei genauerer Untersuchung schon alle wichtigeren Theile nach- weisen lassen. Die eigentliche Ausbildung der einzelnen Theile des Geschlechtsapparates ist indessen eine postembryonale. Es fehlen bei dem auskriechenden Embryo noch manche Theile desselben gänzlich, und diese sollen hier besonders eingehend berücksichtigt werden. Es sind diess vor allen jene accessorischen für zahlreiche Heliceen so charakteristischen Organe, die unter dem Namen des Flagellum, des Pfeilsacks und der büschelförmigen Drüsen be- kannt sind (vgl. Fig. 17). Das Flagellum entsteht erst ziemlich spät als eine blindsack- artige Ausstülpung der Röhre des vas deferens (s. Fig. 19), resp. des Penis, wächst aber ziemlich rasch zu ansehnlicher Grösse heran. Ganz in derselben Art entsteht der Pfeilsack, ebenso auch die büschelförmigen Drüsen. Letztere stellen in ihrer ersten Anlage 2 kleine einfache hohle Ausstülpungen dar, an welchen erst später eine Theilung in mehrere Endabschnitte mit ihren neuen Aesten erscheint, wie dies aus unserer Fig. 18 wohl ersichtlich sein wird. Das späte Auftreten dieser Gebilde der Ontogenie kennzeichnet sie als spät erworbene Neubildungen der Heliciden und gerade dieses Ergebniss, welches durch die vergleichende Anatomie unter- stützt wird, veranlasst mich, hier ein wenig auf die vergleichende Anatomie jener Organe einzugehen. Liegen auch, namentlich durch A. Schmidts und für die exotischen Formen durch C. Sbm- psb's Untersuchungen zahlreiche Details über den Geschlechts- apparat der Heliceen vor, so sind dieselben doch bis jetzt mehr systematisch als vergleichend anatomisch ausgebeutet worden, und es darf daher wohl nicht zu viel als bekannt vorausgesetzt werden '), wie denn auch die Erfahrung zeigt, dass meistens das Bild vom Geschlechtsapparate der Helix pomatia den Beschreibun- gen zu Grunde liegt. In Wahrheit findet sich innerhalb der Familie der Heliciden, ja selbst innerhalb des Gebietes des artenreichen Genus Helix eine grosse Mannigfaltigkeit, welche nicht erlaubt irgend eines dieser Gebilde als ein charakteristisches Merkmal der Heliciden 1) Die im Folgenden gemachten Angaben sind meinen eigenen Zusammen- stellungen über die vergleich. Anatomie des Geschlechtsapparates der Pulmo* naten entnommen. Auf Einzelheiten werde ich dabei nicht näher eingehen, und eben deshalb unterlasse ich auch die Beibringung literarischer Belege. — üeber die Entwickelnngfsgeschichte von Heliz. 833 anzusehen. Dagegen wird man das Oenus Helix wohl durch das Vorhandensein des Pfeilsackes und der Glandulae mucosae kenn- zeichnen können. Ich kenne wenigstens bis jetzt keine andere Gattung der Pulmonaten, welcher wahre Homologa der letzt- erwähnten Organe zu können, und ich halte es auch für geeignet, diesen Charakter als einen entscheidenden fflr die Diagnose des Gen. Helix festzusetzen. Wohl giebt es dagegen Helixarten mit rudimentärem, keinen wirklichen* Liebespfeil producirendem Pfeil- sack wie Leucochroa und Anchistoma ^), bei welchen sich auch an Stelle der sog. büschelförmigen Drüsen nur eine einzige schlauch- förmige Drüse findet. Zahlreiche Helixarten besitzen an Stelle der büschelförmigen Drüsen, für welche wir eben deshalb die Bezeic- hnung der Glandulae mucosae vorziehen, zwei einfache, d. h. un- getheilte lange wurstförmige Drüsenschläuche, wie z. B.*) Helix pisana, arbustorum, lapicida u. a. — Aehnliche Verschiedenheiten sind auch hinsichtlich des Pfeil- sackes zu bemerken, der bei manchen einen Nebensack hat oder in doppelter Zahl vorhanden ist, wie bei Hei. ericetorum, varia- bilis fruticnm. Bei anderen, wie bei Hei. striata, hispida rufes- cens u. a. sind 4 kleine Pfeilsäcke vorhanden. Das Flagellum fehlt zahlreichen Helixarten, wie Hei. pisana, obvoluta und vielen Fruticolen, sehr kurz ist es bei Hei. candi- dula, caperata u. a., auffallend lang bei den Campylaeen und Pen- tataenien. Haben wir schon durch diesen flüchtigen Ueberblick die grosse Mannichfaltigkeit kennen gelernt, mit der alle diese accessorischen Theile des Geschlecbtsapparates ') selbst innerhalb des einen Genus Helix auftreten können, so wird uns auch ihr spätes Er- scheinen in der Ontogenie sehr begreiflich werden. Einer beson- 1) Die Helixgruppe Leacochroa, wohin a. a. Hei. candidissima , cariosa gehören , ist als eigene Gattung von Helix getrennt worden. Ihr nahe steht Anchistoma, wohin Hei. obvoluta gehört, während Hei. personata gerade wegen des Baues ihres Geschlechtsapparates davon getrennt und zu den Campylaeen gestellt werden musste. £in klares Urtheil über den Geschlechtsapparat der Leucochroen und Aiichistomen besonders mit Rücksicht auf Pfeilsack und Gl. mucos. wird erst nach erneuter, gründlicher Untersuchung möglich sein. 2) Bei Anführung dieser Beispiele werde ich mich möglichst bemühen immer einigermaassen bekannte, der Untersuchung leicht zugängliche Arten aussnsuchen. 8) Dasselbe wird natürlich von dem, den meisten Pentataonien zukommen- den Divertikel am Gang des Recept seminis gelten , das zuweilen auch bei Helix pomatia, wenn auch nur als ein kurzer Stummel, auftritt. I 334 Hennami von Jheringy deren Beachtung müssen wir noch das gleichzeitige Auftreten des Pfeilsackes und der Gland. mucosae würdigen, indem damit das vergleichend anatomische Verhalten übereinstimmt Ueberall be- steht nämlich ein Parallelismus zwischen beiden hinsichtlich des Grades ihrer Ausbildung. Nirgends beobachten wir den Pfeilsack okae die Gland. mucos. und umgekehrt, ein Verhalten, dem hin- sichtlich der übrigen accessorischen Theile nichts Aehnliches zur Seite gestellt werden kann und das mir kein zufälliges zu sein scheint. Ich nehme dasselbe daher als eine wichtige Stütze für meine Ansicht in Anspruch, dass das Material für die Bildung des Liebespfeiles von den Gland. mucos. ^) geliefert werde, nicht vom Epithel des Pfeilsackes selbst, wie Kefbbsteim und Ehlbrs^) mit Leydig annehmen. Wir müssen hier nun noch genauer eingehen auf die schon oben erwähnte Samenblase, jenes am oberen Ende des Uterus, da wo sich die Eiweissdrüse an ihn festsetzt, befindliche Organ, den „Talon'' der französischen Autoren. Wir verweisen zur Orientirung über diesen Theil des Geschlechtsapparats auf unsere Fig. 20. Es ist aus ihr ersicht- lich, dass da wo das Ende des Vas deferens in den Uterus mün- det sich zwei kleine gestielte Blasen, unsere Samen blasen oder vesiculae seminales an dem obersten blindendenden Theile des Uterus ansetzen. Diese ziemlich dickwandigen Blasen bestehen aus einer derben bindegewebigen äusseren Hülle, und einem nicht flimmerndeu inneren Epithelbelag. Sie sind zur Zeit der Eierablage stets strotzend mit Samenfaden gefüllt. Eier fand ich nicht in ihnen, ich halte es auch für sehr unwahrschein- lich, dass gelegentlich solche in die Samenblasen gelangen, da deren Gang zu eng ist. Bei recht jungen Thieren erkennt man oft schon mit blossem Auge die Samenblasen, welche dann an Grösse noch nicht sehr viel hinter der Eiweissdrüse zurückstehen, also relativ viel grössere Organe darstellen wie späterhin, wo sie der grossen Eiweissdrüse gegenüber sehr zurücktreten und auch so vollständig von ihr eingeschlossen werden, dass man Mühe hat sie herauszupräpariren. Gerade dadurch konnte es auch kommen, dass man sie so lange übersehen. Wahrscheinlich sind unsere beiden Helices zu ihrer Untersuchung wenig günstig, so 1) Sie würdeu dauach statt als „Schleimdrüsen^* wohl richtiger als „Kalk- drüsen** bezeichnet. 2) W. Kbferstbin und E. Ehlkbs, Beiträge zur Kenntniss des Geschlechts- Verhältnisses von llelix pomatia. Zeitschrift f. wiss. Zoologie. Bd. X, 1860 S. 269. L üeber die EntwiekelungflgeBchichte von Helix. 335 dass man bei vergleichend anatomischen Studien*, wenn sie auch über andere Helixgmppen ausgedehnt werden, wohl bessere Er- folge erwarten darf. Jedenfalls darf man diese Samenblasen in sehr grosser Verbreitung bei den Zwitterschnecken anzutreffen er- warten. Es wttrde mir leicht sein, aus meinen eigenen Unter- suchungen Belege für diese Behauptung hier anzuführen. Da ich mich jedoch dabei zu weit von meinem eigentlichen Thema ent- fernen würde, so verspare ich mir eine eingehendere Besprechung dieser Organe auf eine andere Gelegenheit. Hier darf ich aber wohl noch hervorheben, dass die Samenblasen der Pulmonaten, wie sie ontogenetisch früher auftreten als die oben besprochenen accessorischen Organe des Geschlechtsapparates, auch phylogene- tisch viel weiter zu verfolgen sein werden. Wahrscheinlich sind sie identisch mit den an ähnlicher Stelle gelegenen Samenblasen der übrigen Zwittergastropoden, wobei die Pulmonaten sich indessen wohl durch die Duplicität ') der Samenblasen unterscheiden. Sollen wir nun eine Entscheidung geben über die Bedeutung der einzelnen Abschnitte des Geschlechtsapparates der Heliciden, so dürfen wir aus vergleichend anatomischen und embryologischen Gründen das Flagellum, den Pfeilsack und die Glandulae mucosae als später differenzirte Neubildungen betrachten. Einen weiteren Hinweis auf die Phylogenie der Pulmonaten liefert uns auch das Verhalten des Endabschnittes des Geschlechtsapparates, der Ge- schlechtscloake. Bekanntlich findet sich eine solche nicht bei allen Pulmonaten, indem z. B. bei den Limnaeen die bei den Heliciden schon eingeleitete Trennung der beiden Ausführwege so weit ge- gangen ist, dass der männliche und der weibliche Geschlechts- apparat weit von einander getrennt münden. Wir brauchen uns nur die Cloake der Heliciden etwas verkürzt zu denken, so haben wir das den üebergang bildende Verhalten von Succinea, wo beide Oeffnungen getrennt aber dicht neben einander münden. Auch bei den Limnaeen ist, wie aus Eisio's Beobachtungen hervorgeht, die Anlage der Ausführgänge des Geschlechtsapparates ursprüng- lich eine gemeinsame. Die Trennung der weiblichen und männ- lichen Leitungswege ist erst eine sekundäre, namentlich für die oberen Theile, während die Genes« des Endabschnittes nicht mit gleicher Sicherheit von Eibig erkannt und beschrieben worden ist. Bei Helix tritt nun in der Ontogenie von Anbeginn an die Ge- schlechtscloake auf, ja sie ist sogar verhältnissmässig noch viel 1) Hierüber sind natürlich erst weitere UnterBUchaiigeü abzuwarten. 336 Hermann Yon Jhering» länger wie späterhin. Man wird daher wohl das letztere Ver- halten als das primäre ansehen und davon das Verhalten der Aus- fährgänge der Limnaeen als eine spätere Modifikation ableiten dürfen. Hiemach gewinnen wir über den muthmaasslichen Geschlechts- apparat der phylogenetischen Vorgänger der Pulmonaten folgen- des Bild. Von der Zwitterdrüse entspringt ein einfacher Ausführ- gang, der sich im weiteren Verlaufe zu einem uterusartigen Theile erweitert, an welchem oben eine Samenblase und eine Eiweiss- drüse, unten ein Receptaculum seminis ansitzt und der in einer einzigen Oeffnung nach aussen mündet. — Ueber die Entwickelungegeschicbte von Helix. 337 Erklärung der Abbildungen. Tat XVm. c zz Herz. cl = Geschlechtscloake. CO* = commissura cerebro pedalis. o—p. CO** = commisBura cerebro-visceralis. d = Dotterbaut. ec = Ectoderm. en = Entoderm (der ,^otter8ack** der Autoren). f = Fuss. fl = flagellum. g = Ganglien. g h ^ gl, buccale oder sympatbicum. g ee = Hirn, oberes Schlund- oder Cerebralganglion. g pd r^ Fussganglion. g CO zz gl. commissnrale. g pl zz gl. palliale. g ge zz gl. genitale. g al :=z Eiweissdrüse. gl m zz glandulae mucosae (bttscbelf. Drüsen). m = Mundmasse. m r ^ musc. retractor penis. mt =: Mantel. mir = Mantelrand. fl = Niere. p = penis. ps = Pfeiisack. r = Ricbtungsbl&scben. r j = receptaculum seminis (Samentasche). s = Schale. sb =: contractUe Schwanzblase. tt =: Umiere. ut == Uterus. V = velum. V d = vas deferens. V « = vesiculae semiuales (Samenblasen). %w = Zwitterdrüse. twg =: Zwittergang. 1 = nerv, pallialis dezter. 2 = n. pall. medius. 3 = n. genitalis. 4 = n. cutaneus. 5 = n. pallialis sinister. 338 H. V. Jheiing, üebet die Entwickelungsgeschichte von Helix. Fig. 1. Reifes £i von Helix pomatia mit Keimbläschen und Eeimfleck. Fig. 2. Ein solches in der Zweitheilnng. Man erkennt deutlich die feine Dotterhaut. Fig. 3. Ei desselben Thieres in der Viertheilung. Fig. 4. H. pom. Die vierte Kugel ist zerfallen in vier kleinere (ec), welche nun die dunklen rasch umwachsen. Fig. 5. H. pom. Die Entodermzellen sind vom Ectoderm schon umwachsen. Letzteres bildet einen feinen durchsichtigen Ueberzug, den man an dieser Zeichnung nicht als solchen erkennen kann. Fig. 6. H. pom. Die Ectodermzellen haben sich bedeutend vermehrt und schliessen das geschlossene Entoderm ein. Man erkennt die Differenzirung des Ectoderms in einen oberen kleinzelligen und einen unteren Theil. Fig. 7. Embi70 von Hei. nemoralis. Mit Anlage von Mantel, Fuss, Yelum und Mundmasse. Fig. 8. Embryo von Hei, nem. Man erkennt schon die Umiere und die Diffe- renzirung des Entodermes in einen vorderen grosszelligen und einen hinteren kleinzelligen Abschnitt. Fig. 9. Hei. nem. Im Mantel ist die Schalenanlage sichtbar, bei der Mund- masse die Ganglien. Der kleinzellige obere Theil des Entoderms hat sich in einen stumpfen zum Mastdarm werdenden Fortsatz ausgezogen. Fig. 10. Hei. pom. Das Herz ist sichtbar. Fig. 11. Hei. pom. Herz und Niere auf einem späteren Stadium. Fig. 12. Hei. nem. Die Mundmasse herauspräparirt. Man sieht das Velum. Fig. 13. Hei. nem. Das Yelum und die Oeffnung der Mundmasse. Fig. 14. Hei. nem. Der Mantel mit der Schalenanlage. Fig. 15. Die unter dem Schlünde gelegeneu Theile des Nervensystems von Hei. pomatia. Die Verbindung mit dem Hirne ist durch die Durchschnei- dung der Schlundcommissuren (co' und co") aufgehoben. Ansicht von oben. Fig. 16. Schematische Uebersicht des Nervensystems von Helix. Das sym- pathische Gaugliensystem ist roth colorirt, das Fussganglion mit seinen Commissuren gelb, und das Hirn mit der Bauchganglienkette blau. Die Anordnung und Verbindung der Ganglien ist bei den Limnaideu die gleiche. Die Fussganglien hat man sich, statt wie es hier geschehen, nach aussen geschlagen, in der Mittellinie einander sehr angenähert resp. durch eine kurze Commissur verbunden zu denken. Fig. 17. Der Geschlechtsapparat einer jungen, noch nicht lange freilebenden Helix pomatia. Die Eiweissdrüse ist noch klein, die Samenblasen relativ sehr gross. Das Flagellum ist noch kurz, die glaudulae mucos. und der Pfeilsack sind erst im Begriffe sich zu bilden. Fig. 18. Anlage der Glandul. mucos. Hei. pom. Fig. 19. Erste Anlage des Flagellum. Hei. pom. Fig. 20. Theil des Geschlecbtsapparates einer jujigp.n Helix nemoralis. Nahe der Eiweissdrüse münden beide Samenblasen und der Gang dAr Zwitter- drüse. üeber die Begriffe Species and Tairietas im Pflanzenreiche. Von Dr. H¥. O. Focke in Bremen. lieber Artrecht, das Wesen der organischen Art, das Species- dogma, den Unterschied zwischen Arten und Varietäten, Varia- bilität der Arten und ähnliche Themata ist in neuerer Zeit un- endlich viel geredet und geschrieben worden. Die Unfruchtbarkeit der grossen Mehrzahl dieser Erörterungen ist gewiss sehr oft da- rin begründet, dass zwar Jedermann genau zu wissen glaubt, was eine „Species*^ ist, dass aber dennoch der Begriff der Species ganz ausserordentlich verschieden aufgefasst zu werden pflegt. Eine Erscheinung, an welche wir bei philosophischen und namentlich bei theologischen Streitigkeiten längst gewöhnt sind, tritt bei der Behandlung jener Fragen auch auf naturwissenschaftlichem Gebiete hervor; es ist die Verwechselung von Begriff und Benennung: Mit Worten lässt sich trefTlich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte Iftsst sich trefflich glauben, Von einem Wort l&sst sich kein Jota rauben. Dieser Erfahrungssatz bewährt sich aufs Glänzendste in einer grossen Zahl von Abhandlungen über die Speciesfrage ; man wird sich auch schwerlich der Wahrnehmung entziehen können, dass sich gerade da, wo die Begriffe fehlen, eine besonders reiche Fülle von Worten einzustellen pflegt. Seit Linn^ unter den organischen Formencomplexen Genera, Species und Varietates unter- schieden hat, glaubt jeder Zoologe und Botaniker Dasselbe thun zu müssen. Die Folge dieses an sich ganz vernünftigen Verfahrens ist nun aber, dass die grosse Mehrzahl der Naturforscher sich daran gewöhnt, die lebendige Natur gleichsam als nach Büchern und Systemen geordnet aufzufassen, während doch die formale sprach- liche Beschreibung und Benennung der Naturkörper zunächst nur 340 W. 0. Focke, ein Hülfsmittel zum Stadium sein kann. So ist denn auch die Vorstellung von der Wirklichkeit der Species, als eines scharf ab- gegrenzten Individuencomplexes , mehr und mehr eingewurzelt. Merkwürdiger Weise glaubt man jetzt vielfach in der Theorie fest an die Existenz der Species, obgleich man zugeben muss, dass man in der Praxis noch nicht weiss, was die eigentliche, die wirkliche Species ist. Was Linni^ eine Art nannte, hält Jordan in der Mehrzahl der Fälle flir eine Artengruppe ; er ist der Meinung, dass jede solche Artengruppe am richtigsten als besondere Gattung oder mindestens als ein Subgenus aufzufassen sei. Da nun aber viele Botaniker noch den weiten LiNNi^'schen Artbegriff festzuhal- ten suchen, so nennen sie Species, was Jordan als Genus betrach- tet, während sie die JoRDAN'schen Species nur als Varietates gelten lassen. Zwischen diesen Gegensätzen suchen Viele eine vermittelnde Stellung einzunehmen, die in der Regel durch ein ziemlich will- kürliches und wenig consequentes Verfahren bezeichnet ist, aber den Vorzug hat, dem Durchschnittsmaass der Formenkunde unter den systematischen Botanikern zu entsprechen. Die Theoretiker lassen nun diese Meinungsverschiedenheiten wo möglich auf sich beruhen; sie schreiben ausführliche und gelehrte Abhandlungen über das Wesen und die Eigenschaften der Species und über das Wesen und die Eigenschaften der Varietas; allein sie betrachten es als eine offene, der Zukunft zur Lösung vorbehaltene Frage, ob die 'LiNNi'schen oder die JoRDAN^schen Arten die „wahren^* Species sind. Da nun die JoRDAN'sche Species mit der Varietas der Linn^ner zusammenfällt, so muss Alles, was über die Linni^'- sehe Varietas und deren Eigenschaften ausgesagt wird, natürlich von der JoRDAN'schen Species gelten. Kümmert man sich nicht um diese Verschiedenheit im Gebrauche der Bezeichnung Species, so kann selbstverständlich von einer inductiven Entwickelung des Begriffs der Art keine Bede sein. Die Spedes-Idee wird durch eine solche Behandlung der Sache eine rein aprioristische oder dogmatische; inzwischen ist es wundersam, zu beobachten, wie selbst scharfsinnige Gelehrte davon gar Nichts merken und ganz unbefangen meinen, ihr dogmatischer Speciesbegriff sei der Er- fahrung entlehnt. Es handelt sich nämlich nicht um den Artbe- griff als solchen, sondern um zwei besondere Eigenschaften, welche der Species zugeschrieben werden. Die organische Species soll nämlich nach der Doctrin erstens durch scharfe, unver- rückbare Grenzen von allen übrigen Species getrennt, somit ein absolutes und reales Wesen sein, zweitens soll sie, trotz üeber die Begriffe Species and Yarietas im Pflanzenreiche. 341 aller Veränderlichkeit in untergeordneten Merkmalen, so bestän- dig sein, dass ein Uebergang in andere Formen selbst im Laufe geologischer Zeiträume unmöglich ist. Es fragt sich, welche Gründe für diese Ansicht sprechen. Eine Prüfung der beobachteten That- Sachen muss ergeben, ob die Thier- und Pflanzen- Arten in der That jene ihnen zugeschriebenen Eigenschaften besitzen. Wer als Naturforscher aus den wirklichen Beobachtungen seine Begriffe ab- leiten und damit die „Realität der absoluten Species^^ vertheidigen will, der darf auch keinerlei Zweifel darüber obwalten lassen, ob er sich zur Species Homo sapiens oder zur Species Homo Medi- terraneus (H. euplocamus) rechnet. Wer diesen ersten Schritt in der Deutung der Thatsachen scheut, dessen Darstellungen des Speciesbegrifb können in formaler und sprachlicher Beziehung sehr gelehrt und geistreich sein, müssen aber in sachlicher Hinsicht nothwendig auf der Stufe des Gefasels stehen bleiben. In der Theorie herrscht verhältnissmässig viel Einstimmigkeit darüber, durch welche Merkmale ein Formenkreis als Species charakterisirt wird, denn die Doctrin vom Wesen der Art ist für Diejenigen, welche die „Bealität der absoluten Species** festhalten, in neuerer Zeit nicht wesentlich modificirt worden. Die Grund- lage des Speciesbegriffes ist natürlich stets die Idee einer gemein- samen Abstammung aller zur Species gehörigen Individuen; es fragt sich nur, durch welche Mittel die gemeinsame Abstammung bei den gegenwärtig existirenden Organismen erkannt werden kann. Man wird indess kaum viel Widerspruch zu befürchten brauchen, wenn man folgende Eigenschaften eines Formenkreises als ent- scheidend für seinen Artwerth bezeichnet: 1) die vollständige mor- phologische Aehnlichkeit aller Individuen des Formenkreises unter einander; 2) das Vorhandensein erheblicher und beständiger, vor- zugsweise morphologischer Eigenthümlichheiten, durch welche die Individuen des Formenkreises von allen andern Organismen unter- schieden werden können (Mangel an Uebergangsformen); 3) die Beständigkeit der unterscheidenden Merkmale in der Folge der Generationen; 4) die Unbeständigkeit der innerhalb des Formen- kreises etw» vorhandenen Verschiedenheiten in der Folge der Generationen; 5) fruchtbare gegenseitige Kreuzung aller einander sexuell entsprechenden Individuen des Formenkreises mit Erzeu- gung fruchtbarer Nachkommenschaft; 6) verminderte Fruchtbarkeit der etwaigen Kreuzungsproducte aus allen Individuen des Formen- kreises mit denen ähnlicher Formenkreise. Sobald ein Formen- kreis alle diese Eigenschaften besitzt, wird man über sein „Art- 842 W. O. Focke, recht^' nicht in Zweifel sein. Die Species, welche sich so charak- terisirt, ist sowohl vom Genus, wie von der Varietas bestimmt verschieden. Innerhalb eines Formenkreises, der als Gattung (Genus) erscheint, braucht die morphologische Aehnlichkeit aller Individuen unter einander nicht so vollständig zu sein; es genügt z. B. bei den Pflanzen eine Uebereinstimmung in den wichtigeren Merkmalen an den Reproductionsorganen. Die zweite Bedingung, der Mangel an Uebergangsformen zu andern Gattungen, muss bei einem gut umgrenzten Genus eben so wohl zutrefifen, wie bei einer gut umgrenzten Species ; man pflegt indess zuzugeben, dass solche Grenzen zwischen den Gattungen in der Natur nicht in allen Fäl- len vorhanden sind. Die vierte Bedingung, die Beständigkeit der unterscheidenden Merkmale, muss für eine Gattung mindestens ebenso streng gültig sein, wie für eine Art; dagegen können inner- halb der Grattung allerdings zahlreiche verschiedene beständige engere Formenkreise (Punkt 4) neben einander bestehen. Die Kreuzungsproducte zwischen den Individuen einer Gattung brau- chen nicht fruchtbar zu sein (5), während selbstverständlich eine Kreuzung zwischen Individuen verschiedener Gattungen, wenn sie überhaupt erfolgreich ist, stets eine wenig fruchtbare Nachkommen- schaft liefern wird (6). Es sind also die Punkte 1, 4 und 5, durch welche sich Gattungen, die mehrere Arten umfassen, von den engeren Formenkreisen der einzelnen Art unterscheiden. In den Punkten 2, 3 und 6 liegen dagegen die Unterscheidungsmerkmale der Art von der Varietät. Die Varietät soll durch Uebergangsformen mit andern Varietäten, und zwar namentlich mit der angeblichen Stammform, zusammenhängen, sie soll in der Folge der Genera- tionen unbeständig sein und soll fruchtbare Kreuzungsproducte mit andern Varietäten liefern. Man giebt nun allerdings zu, dass die Uebergangsformen nicht immer nachweisbar sind, dass aber in diesen Fällen die Untei*scheidungsmerkmale sehr geringfügig zu sein scheinen; man giebt femer zu, dass manche Varietäten, so weit unsere Erfahrung reicht, beständig sind, und giebt drittens zu, dass man über die Kreuzungsproducte vieler Varietäten Nichts weiss. In diesen Fällen beruhigt man sich dabei, die Erfahrung werde schon zeigen, ob solche zweifelhafte Formenkreise Arten oder Varietäten seien. Ausser den angegebenen Kennzeichen für die Arten wird man bei verschiedenen Schriftstellern noch mancherlei untergeordnete Merkmale aufgeführt finden, durch welche sich die Species unter- scheiden lassen sollen. Diese Merkmale sind theils anatomischer, üeber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 343 theils biologischer, theils chorologischer Art; bei den Pflanzen be- treffen sie Zahlen- und Grössenverhältnisse, Ausbildung von Neben- organen, Blüthezeit, chemische Bestandtheile (Farbe, Geruch), Lebensdauer, Widerstandsfähigkeit gegen schädliche Einflüsse, Ver- breitung u. s. w. Man wird kaum in der Lage sein, allgemein- gültige Regeln über den Werth derartiger Kennzeichen zu geben, wird jedoch den Grundsatz aufstellen können, dass die Individuen einer und derselben Art auch in ihrer äusseren Erscheinung und in ihren biologischen Eigenschaften keine allzu grossen Verschie- denheiten zeigen dürfen. Es sollte eigentlich jedem Naturforscher, der Ansichten oder Theorieen über das Wesen der organischen Art aufstellt, zur Pflicht gemacht werden, seine Lehren zunächst an der Gattung Homo, deren am besten und allgemeinsten gekannten Formenkreise, zu prüfen und zu erläutern. Nicht nur dem Zoologen, sondern auch dem Botaniker würde ein solches Examen sehr nützlich sein. Die genauen Verhältnisse jeder Pflanzengattung, die er zur Er- läuterung wählen könnte, werden stets nur wenigen Fachgenossen hinreichend bekannt sein, während man voraussetzen darf, dass jeder wirkliche Naturforscher — auf welchen Titel Leute, die nur Naturkörper sammeln und bestimmen, keinen Anspruch haben — mit der Gattung Homo einigermaassen vertraut ist. Prüfen wir also, welche Formenkreise in der Gattung Homo nadi Maassgabe der obigen Merkmale für die Species dem eigentlichen Artbegriffe entsprechen. Wir fragen zunächst, ob die Gattung monotyp ist, d. h. nur eine einzige Art enthält, ob also der LiMiri'sche Homo sapiens unserer Definition vom Wesen der Art entspricht. Zu 1 werden wir bemerken, dass wir die morphologische AehnUchkeit aller Individuen nicht als vollständig anerkennen können; zu 2 und 3 geben wir zu, dass Uebergänge zu andern Formenkreisen vollständig fehlen und dass die Unterscheidungsmerkmale von andern Geschöpfen beständig und zuverlässig sind; zu 4 ist zu erinnern, dass in der Gattung Homo viele durchaus beständ^e engere Formenkreise vorbanden sind, also jede Formeneinheit fehlt; auf 5 können wir noch keine ganz bestimmte Antwort er- theilen, doch ist eine Verminderung der Fruchtbarkeit bei gewissen Kreuzungen innerhalb des Formenkreises Homo sapiens wahr- scheinlich; zu 6 ist zu constatiren, dass Kreuzungsproducte von Homo mit andern Organismen gar nicht bekannt sind. Die Be- dinginigen 2, 8 und 6 sind somit erfüllt, wodurch indess wie oben gezeigt, Nichts weiter bewiesen wird, als dass Homo sapiens nicht 344 W. O. Focke, etwa eine Varietät einer andern organischen Art ist. Die Be- dingung 5 ist wahrscheinlich nicht erfüllt, 1 ist nur erfüllt, wenn man den dehnbaren Begriff der Aehnlichkeit ungewöhnlich weit fasst, 4 dagegen ist unzweifelhaft gar nicht erfüllt. Unter diesen Umständen werden wir Homo sapiens nicht für eine Art, soBdem für einen Artencomplex halten. Prüfen wir nun, ob etwa Homo afer eine der dahin gehörigen Arten darstellt. Auch innerhalb dieses engeren Formenkreises werden unsere Bedenken, ob die muthmaassliche Art der Bedingung 1 genügt, nicht gehoben sein. Andererseits scheint aber auch die Erfüllung der zweiten Bedin- gung äusserst zweifelhaft, während der dritten, so weit es unter diesen Umständen möglich ist. Genüge geleistet wird. Für Punkt 4 haben wir durch die Verengerung des Formenkreises eigentlich Nichts gewonnen; die Bedingung 5 wird zutreffen, 6 aber nicht. Wi^ sehen somit, dass der Formenkreis Homo afer noch viel zu weit ist, um der Bedingung 4 und selbst um 1 zu genügen^ aber andererseits schon zu eng, um in Bezug auf 2 und 6 ein befrie- digendes Ergebniss zu liefern. Fasste man den Artbegriff noch enger, z. B. Homo Ashanti, so wird man allerdings für Punkt 1 und 4 Viel gewinnen, fUr 2, 3 und 6 aber eben so viel verlieren. Wir kommen somit zu der Schlussfolgerung, dass weder Homo sapiens, noch H. afer, noch H. Ashanti wirkliche Arten sind; es bleibt uns also nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: ent- weder sind die Erkennungsmerkmale, durch welche wir das Art- recht eines Formenkreises feststellen, nicht richtig aufgefasst, oder es giebt in der Gattung Homo weder eine Art noch Arten, wenig- stens keine Arten, wie sie die Speciesdoctrin verlangt. Nun ist es allerdings wohlbekannt, wie die Anhänger der alten Lehre diese Schwierigkeit in dem vorliegenden Falle umgehen: sie streichen einfach die Bedingung 4. Dann bleiben zur Unter- scheidung von Species und Varietas nur noch 1 und 5 übrig und mit Benutzung dieser ist die Art Homo sapiens allenfalls zu ret- ten, denn die Auffassung des Begriffes der Aehnlichkeit ist sehr dehnbar und über die Kreuzungen liegen die Erfahrungen noch nicht vollständig genug vor. Wir können indess mit Sicherheit behaupten, dass bei Kreuzungen innerhalb der Gattung Homo Er- scheinungen vorkommen, wie sie nach der Speciesdoctrin bei Va- rietäten-Blendlingen nicht auftreten sollen. Die Mischlinge von Europäern und Negern oder Europäern und Bothhäuten scheinen durchschnittlich nicht gerade schwächer zu sein, als die Stamm- eltem, während die Mischlinge von Negern und Bothhäuten als ein lieber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 345 schwächliches, entschieden unter den Stammeltern stehendes Ge- schlecht geschildert werden. In Birma erweisen sich die Misch- linge von Portugiesen und Eingebornen als' ein ganz tüchtiger Schlag, während die Engländer mit den Eingebornen keine lebens- fähige Nachkommenschaft erzielen. Diese Erscheinung passt durch- aus nicht zu der gewöhnlichen Vorstellung von dem Wesen der Varietäten ; man wird es indess für wahrscheinlich halten müssen, dass die Ursache des Nichtgedeihens von anglobirmanischen Misch- lingen im Klima zu suchen ist und dass solche in einem mittel- warmen Lande allerdings lebensfähig sein würden. — Wenn man nun aber auch den bedeutenden anatomischen und physiologischen Unterschieden zwischen den verschiedenen Menschenstämmen kei- nen specifischen Werth beilegen will, so dürfte es sich doch als verhängnissvoll für die Speciesdoctrin erweisen, wenn man zugiebt, dass innerhalb einer und derselben Art so durchaus verschiedene und in der Folge der Generationen durchaus beständige Varietäten vorhanden sein können, wie es beim Menschen der Fall ist. Die Gegner Darwin's pochen bekanntlich darauf, dass man die Um- wandlung der Arten in einander nicht direct nachweisen könne; eine solche Beweisführung ist aber selbstverständlich unmöglich, so lange man alle Formen, zwischen denen allmähliche Uebergänge nachgewiesen werden, sofort für Varietäten einer und derselben Art erklärt. Es wird indess nützlich sein, von den Anhängern des Speciesdogmas eine Meinungsäusserung darüber zu verlangen, ob sie Europäer und Neger für verschiedene Arten oder für Va- rietäten einer und derselben Art halten. Im letzten Falle wird man constatiren, dass noch niemals von europäischen Eltern ein Negerkind erzeugt ist oder umgekehrt, dass also auch die Ver- änderlichkeit von Varietäten nicht erfahrungsgemäss nachgewiesen werden kann; im ersten Falle wird man bei dem Versuche der Umgrenzung der Menschen-Arten auf Schwierigkeiten stossen, die sich nicht mit der Doctrin in Einklang bringen lassen. Wenden wir uns nun zur Pflanzenwelt, so werden wir einige möglichst bekannte Beispiele wählen, um auch hier zu prüfen, welche Formenkreise als Species betrachtet werden dürfen. Neh- men wir die Gattungen Rosa und Quercus, so finden wir, dass diese weiten Formenkreise nur den Forderungen 2, 3 und 6 ent- sprechen, also denen, welche auch für die Gattungen Gültigkeit haben können. Nehmen wir enge Formenkreise, wie Quercus pu- bescens Willd., oder Rosa dumetorum Thuill, so erfüllen dieselben die Bedingungen 1, 4 und 5, wahrscheinlich auch .'], aber schwer- B4. IX, M. F. n. 24 346 W. O. Focke, lieh 2 und 6. Versuchen wir nun, ob eine mittlere Fassung des Artbegriflfs zum Ziele führt und prüfen Quercus Robur L. und Bosa canina L., beide im weitesten Sinne genommen, so werden wir nur Punkt 3 und 6, bei Quercus vielleicht auch Punkt 2 ent- schieden als zutreffend bezeichnen können, also diejenigen, welche auch für die weiten Formenkreise, die Gattungen, gelten können. In Bezug auf Punkt 5 werden wir unsere Unwissenheit bekennen, 1 und 4 aber entschieden verneinen müssen. In diesem Falle nützt es nun der Speciesdoctrin kaum etwas, wenn wir die For- derung 4 streichen; wir finden trotzdem keinen Formenkreis, der einigermaassen genau dem Artumfange entspricht. Weder Quercus Robur L. noch Q. pubescens Willd., weder Rosa canina L. noch R. dumetorum Thuill. sind demnach wirkliche Arten. — Prüfen wir die bestcharakterisirten unzweifelhaften Varietäten, z. B. Fra- garia monophylla L. , so werden wir die Bedingungen 1, 2, 4, 5 als vollkommen erfüllt betrachten können, um den Formenkreis als Art zu charakterisiren ; in Bezug auf 3 werden wir Bedenken hegen, welche indess nur aus unserer besonders genauen Kennt- niss jener Pflanze geschöpft sind ; über Punkt 6 wissen wir nichts Bestimmtes, wenn wir es auch für sehr unwahrscheinlich halten, dass er bei Fr. monophylla in einer für deren Artrecht günstigen Weise in's Gewicht fallen würde. Wenn man diese Thatsachen erwägt, so wird man zu derEr- kenntniss gelangen, dass man eine verschiedene Umgrenzung der Arten bekommt, ja nachdem man das eine oder das andere Kenn- zeichen als entscheidend für das Wesen der Species betrachtet. Wir erhalten nicht dieselben Arten, wenn wir ausschliesslich die morphologischen Eigenschaften in's Auge fassen, wie wenn wir zu- gleich die sonstigen Eigenthümlichkeiten heranziehen. Legen wir das Hauptgewicht auf den Mangel an Uebergangsformen, so wer- den wir ganz andere Artgrenzen erhalten, als wenn wir das We- sen der Art vorzugsweise in der Stammeseinheit suchen, also in möglichster morphologischer und physiologischer Gleichwerthigkeit der zu einer Art gerechneten Organismen. Die verschiedenen Kennzeichen, welche nach der Doctrin einen Formenkreis als Art charakterisiren sollen, decken sich somit nicht, und es liegt daher in der Willkür des Systematikers, ob er dem einen oder dem andern Umstände eine grössere Wichtigkeit beilegen will. Jordak legt den Nachdruck auf die wirkliche innere Gleichwerthigkeit der zu einer Species verbundenen Organismen, B^nthah dagegen auf die Möglichkeit einer guten Abgrenzung des als Art charakterisi- lieber die Begriffe Spccies und Varietas im Pflanzenreiche. 347 ten Formenkreises. Es wird daher nothwendig sein, die einzelnen Anforderungen an eine gute Species gesondert zu besprechen. Man mag über den Ursprung der Arten denken, wie man will, so ist doch, wie es scheint. Jedermann damit einverstanden, dass die Art als eine genetische Einheit aufzufassen ist. Wir sehen, dass die Organismen von nachweisbar gleicher Abstam- mung einander sehr ähnlich sind, wir sehen aber auch, dass sie sich keineswegs völlig gleichen, sondern dass sich, namentlich nach mehreren Generationen und unter wechselnden äusseren Umstän- den, mehr oder minder deutliche Verschiedenheiten herausstellen. Der Betrag dieser erfahrungsmässig ermittelten Verschiedenheiten ist bald grösser bald kleiner. Wir rechnen nun unbedenklich zu derselben Art alle diejenigen Organismen, die nicht viel mehr Abweichungen von den unzweifelhaft genetisch zusammengehörigen Individuen zeigen, als diese unter sich. * Nach dem Maassstabe dieser Erfahrung würden die Arten im Allgemeinen sehr eng ausfallen ; kein Mensch würde daran denken, den Weissen und den Neger unter einen Artbegriff zu bringen, denn niemals ist beobachtet, dass unter den Nachkommen der Weissen auch Individuen von grosser Negerähnlichkeit auftreten oder umgekehrt. Indess giebt es andererseits Beispiele, dass im Laufe der Zeit sehr zahlreiche und bedeutende Abänderungen au^ einer und derselben Art hervorgegangen sind. Im Pflanzenreiche sind aber fast alle diese Beispiele nicht frei von dem Verdachte, dass Kreuzung ursprünglich getrennter Formen an den beträcht- lichen Verschiedenheiten, die sich allmählich herausgebildet haben, einen wesentlichen Antheil hat Der Einfluss von Boden und Klima auf die Umbildung der Formen ist viel geringer, als man in der Regel angenommen hat; die Wirksamkeit dieser Factoren bethätigt sich nur dann , wenn sie ein besonders bildungsfähiges Material vorfinden, wie es namentlich durch Kreuzung hervorge- bracht wird. Es wird nun unsere Aufgabe sein, zu untersuchen, ob und in wie weit sich die pflanzlichen Formenkreise mit Hülfe der ange- gebenen Merkmale als Arten charakterisiren. Zunächst ist also die Bedeutung und die wirkliche Tragweite jedes einzelnen der sechs Merkmale zu erörtern. Daran wird sich naturgemäss eine Besprechung des Artbegriffes und der Descendenztheorie reihen. Es wird sich dann empfehlen, die wesentlichen Thatsachen noch einmal in anderer Gruppirung zu vergleichen, und schliesslich 24* 348 W. 0. Focke, einige der bemerkenswertheren Einwände zu prüfen, welche gegen die Entwickelungstheorie erhoben worden sind. Das erste und wichtigste Kennzeichen der „Art" ist die vollständige morphologische Aehnlichkeit aller Indi- viduen des betreffenden Formenkreises. Schon unsere bisherigen Betrachtungen lassen es indess von vornherein als unmöglich er- scheinen, festzustellen, wie gross der Betrag der Abweichung sein muss, um zwei Formen als zu verschiedenen Species gehörig zu charakterisiren. Es ist daher auch den Systematikern sehr wohl bekannt, wie leicht man in offenbare Irrthtimer verfallt, wenn man die Pflanzen einzig und allein nach den äusseren Merkmalen in Arten zu scheiden sucht. Irgend bestimmte Principien darüber, wie die Kennzeichen beschaffen sein müssen, welche zwei Arten trennen, giebt es nicht. Neben den morphologischen Unterschieden kommen unzweifel- haft auch chemische und physiologische vor, die keineswe^ un- beachtet gelassen werden dürfen. Neuerdings legt man, wenigstens in Deutschland, den rein biologischen Thatsachen nicht viel „spe- cifischen Werth" bei. Man leugnet zwar die Bedeutsamkeit solcher Erscheinungen, z. B. der Lebensdauer, der Widerstandsfähigkeit gegen Frost, der Blüthezeit u. s. w., keineswegs, erachtet sie aber an und für sich nicht wichtig genug, um wirkliche „Arten" da- ' durch zu unterscheiden. Man wird indess wohl thun, die Bedeut- samkeit der biologischen Eigenthümlichkeiten nicht zu unter- schätzen. Es ist unter den Gärtnern noch ein Streitpunkt, ob und in wie weit sich Pflanzenarten an Kälte „gewöhnen" lassen. Man glaubt im Allgemeinen, dass die specifische Organisation einer Pflanze auch den Grad ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Frost bedingt; jedenfalls muss anerkannt werden, dass die Fähigkeit, bestimmte Temperaturen zu ertragen, ein biologisches Merkmal ist, welches sich, so weit die Erfahrung reicht, in den meisten Fällen als sehr beständig bewährt hat, welches auch weit geringeren Schwankungen unterworfen ist, als viele morphologische Kenn- zeichen. — Auch den chemischen Eigenschaften der Pflanzen pflegt man wenig „specifischen Werth" beizulegen; der Gehalt an ge- wissen aufialligen Stoffen, Farbe, Geruch und Geschmack gelten als zu veränderlich, um Arten als solche zu charakterisiren. Man wird indess zugeben, dass der Bitterstoff bei einigen Polygala- Art^n, der Pfefferstoff bei Polygonum Hydropiper, das Cumarin bei Anthoxanthum odoratum, endlich auch der Geruch und die Farbe mancher Blüthen und Früchte eine sehr bemerkenswerthe Be- Ueber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 349 ständigkeit zeigen, so dass Gewächse, die einander morphologisch sehr ähnlich sind, in der That durch chemische Charaktere be- sonders leicht und sicher unterschieden werden können. Die wichtigsten Kennzeichen der Arten sind indess unstreitig die morphologischen. Die höheren Einheiten im Pflanzenreiche, die Gattungen, Familien, Glassen und Hauptabtheilungen, werden ausschliesslich nach morphologischen Merkmalen von einander ab- gegrenzt. Es würde also nur consequent sein, wenn man auch die Arten und Varietäten in ähnlicher Weise ausschliesslich durch morphologische Eigenthümlichkeiten unterscheiden wollte. Allein eine solche Eintheilung würde in vielen Fällen unnatürlich sein, sie würde Pflanzen, die genetisch unzweifelhaft zusammenhängen, aus einander reissen. Man ist im Allgemeinen übereingekommen, zur Unterscheidung der Gattungen die Merkmale zu benutzen, welche der Bau der Blüthen und Früchte bietet. Allein auch da- rin ist keine strenge Gonsequenz möglich. Es giebt Pflanzen, die — ganz abgesehen von den sexuellen Differenzen — zweierlei Blüthen tragen (z. B. einige Arten von Viola, die Blüthenstände mit heteromorphen Rand- oder Gipfelblüthen) ; ebenso giebt es pflanzen mit zweierlei Früchten (z. B. Dimorphotheca, einige Poly- gonum- und Atriplex-Arten). Der Unterschied in der Gestalt die- ser Früchte ist beträchtlich genug, um darauf unter andern Um- ständen zwei gut charakterisirte Gattungen gründen zu können. Andererseits giebt es grosse Pflanzengruppen, in denen der Bau der Blüthen und Früchte so gleichförmig ist, dass man in ihnen gar keine wirklichen Anhaltspunkte zur Umgrenzung von Gattun- gen findet (z. B. Vicieae). Endlich giebt es wiederum Beispiele, dass zwei deutlich verschiedene Gattungstypen sich gelegentlich in einander umwandeln;! so gleichen z. B. die normalen Blüthen der Gattung Diclytra den Pelorien von Corydalis. — In einigen Fällen unterscheiden sich zwei verschiedene Formenkreise fast ausschliesslich durch Gattungsmerkmale, während sie im Uebrigeu völlig oder nahezu übereinstimmen, so Raphanus und Raphanistrum, Ramondia und Haberlea, Amygdalus communis undPersica. Man wird in diesen Fällen Bedenken wegen der specifischen Verschie- denheit der betreffenden Gewächse nicht unterdrücken können, wie denn auch die Zusammengehörigkeit von Raphanus und Ra- phanistrum bereits nachgewiesen worden ist Die morphologischen Speciesmerkmale werden von allen Tbeilen der Pflanze entnommen. Besondern Werth legt man Un- terschieden in den Wachsthumsverhältnissen, der Sprossfolge und 350 W. 0. Focke, der Gestalt der wichtigeren Organe bei. Absolute Grössenverhält- nisse gelten mit Recht als wandelbar, relative dagegen als durch- schnittlich beständiger. Den Zahlen schreibt man einerseits eine sehr hohe Wichtigkeit zu, und meint, dass man durch dieselben die grossen Ordnungen charakterisiren könne, andererseits glaubt man sie nur mit Vorsicht zur Unterscheidung von Arten verwer- then zu dürfen. Man sieht wie in den Blüthenorganen Zahlen wie 4 und 5, 3 und 6, 4 und 8, 6 und 8, 1—5 und 10, 8 und 10 häufig genug mit einander wechseln, in den Blattquirlen auch 2 und 3. Die Wahrheit ist, dass die Zahlenverhältnisse in manchen Familien (Cruciferae, Leguminosae, Umbelliferae, Compositae, Labiatae u. s. w.) sehr beständig, in andern (Kanunculaceae, Alsineae, Saxifragaceae, Caprifoliaceae, Polygoneae u. s. w.) dagegen sehr wandelbar sind. Die Form der Blätter ist bei manchen Arten beständig, bei andeiii veränderlich, ganz abgesehen von den Pflanzen mit verschieden gestalteten Blättern, von denen manchmal nur die eine Form aus- gebildet wird. Die krausblättrigen, schlitzblättrigen und ganzblätt- rigen Varietäten können als Abweichungen, die einer besondern Kategorie angehören, aufgefasst werden, dagegen ist die Veränder- lichkeit der normalen Blattformen bei vielen Fflanzenarten bekannt. Im Ganzen gehören indess die der Blattform, den Nebenblättern, den Wachsthumsverhältnissen , der Verästelung der Achsenorgane (Blüthenstand) u. s. w. entlehnten specifischen Merkmale zu den besten und constantesten. Die Oberhaut bietet namentlich durch die Trichombildungen mannichfaltige Charaktere, die indess mit Recht als wenig beständig gelten. Es giebt einzelne Arten, die nur durch ein einziges, gutes und scharfes Kennzeichen unterschieden werden, z. B. Valerianella olitoria Mnch. und V. carinata Lois., oder Rosa alpina L. und R. Hampeana Griseb., oder Juncus bufonius L. und J. sphaerocarpus Nees; in allen drei Fällen liegt der wesentliche Unterschied in der Fruchtform, da die begleitenden sonstigen Abweichungen un- erheblich sind. I Durch die Gestalt der Früchte unterscheiden sich auch z. B. die Racen von Berberis Aquifolium Pursh und Pirus aucuparia Gaertn. — In der Gestalt der Blüthenköpfchen weichen Scabiosa columbaria L. und Sc. ochroleuca L. von einander ab, in diesem Falle ist in der Regel, aber allerdings nicht immer, eine verschiedene Blüthenfarbe mit der Formverschiedenheit verbunden. In den Blättern sind Dryas octopetalaL. und Dr. integrifolia Vahl, Hepatica triloba Gil. und H. angulosa Fuss, Primula chinensis typica und Pr. cliineus. macrophylla, oder Camelina sativa Crntz. üeber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 351 and C. dentata Pers., in der Behaarung Hemiaria glabra L. und H. hirsuta L., im Winden die cultivirten Phaseolus-Racen (ein Beispiel, welches sich ganz besonders zur Illustrirung der gelehrten Dedttctionen bei Wigand, Darwinismus S. 131 empfiehlt!) von ein- ander verschieden. Auch in diesen Fällen sind mit den abweichen* den Hauptmerkmalen geringfügige sonstige Unterschiede verbun- den. Man pflegt indess mit vollem Rechte Zweifel gegen die spe- cifische Verschiedenheit solcher Formenkreise zu hegen, die sich nur durch ein einziges Kennzeichen unterscheiden. In einigen Fäl- len gleichen sich zwei Pflanzenformen vollständig, bis auf zwei Unterscheidungsmerkmale, so Malva borealis Wallm. und M. ne- glecta Wallr. ; in der Kegel sind selbst nahe verwandte Arten durch zahlreiche Charaktere verschieden, von denen freilich oft nur ein- zelne eine schärfere Abgrenzung gestatten (Melandryum, Cerastium, Stellaria, Lappa). — Man ist übrigens bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse nicht in der Lage, zu beurtheilen, ob untergeordnete Merkmale, die neben einem wesentlicheren Unter- schiede vorkommen, einfache Correlationserscheinungen sind, oder ob sie eine selbständige Entwickelung der abweichenden Form in verschiedenen Richtungen anzeigen. Bei einer Reihe von Rubus- Arten habe ich das Vorkommen von Varietäten beobachtet, die sich durch einen constanten Gomplex von Charakteren auszeich- nen, nämlich durch tie^ eingeschnittene , also mehr oder minder geschlitzte Blätter, stärker verästelte Blüthenstände, kleinere Blü- then, Verringerung der Zahl und Grösse der Stacheln. Offenbar besteht eine bis jetzt noch nicht genügend zu deutende Correlation zwischen diesen Eigenthümlichkeiten, so dass die Varietäten, die scheinbar durch vier oder fünf Kennzeichen abweichen, in Wahr- heit nur als einfache Abänderungen aufzufassen sind, weil die verschiedenen Merkmale einander gegenseitig zu bedingen scheinen. Es zeigt sich in einigen Fällen, dass anscheinend wichtige und tiefgreifende morphologische Verschiedenheiten in Wirklichkeit doch keine specifischen Differenzen bedingen. Ich will nicht wie- der auf die in verschiedene Gattungen gestellten leichten Abän- derungen zurückkommen, auch nichf an Fragaria monophylla L. erinnern, sondern nur auf Fälle verweisen, wie die von Salix triandra L. (bei Limkk zwei Arten) und S. repens L. (bei Linke drei oder vier Arten, bei den nächsten Nachfolgern noch einige mehr, z. B. S. argentea, S. fusca u. s* w.). Man hat sich jetzt vollkommen überzeugt, dass in dem.P'ormenkrcise dieser so ver- schieden gestalteten Pflanzen keinerlei Abgreuzungen auch nur an- 352 W. 0. Focke, nähernd haltbar sind. Die Morphologie lässt uns ferner vollständig im Stich, wenn es sich um die Frage handelt, ob zwei sehr ähn- liche Formenkreise Arten oder Varietäten sind. Wie steht es mit den Cedern vom Atlas, Libanon und Himalaya; wie mit Filago lutescens Jord. und F. canescens Jord. ; wie mit den Glockenblumen aus der Gruppe der Campanula rotundifolia L. , den Seerosen aus der Gruppe der Nymphaea alba L. ? Man mag die Sache an- fangen , wie man will , es ist volbtändig hofinungslos, irgend eine Grenze zu ziehen zwischen Kennzeichen, die noch als specifische Unterschiede dienen können, und solchen, durch welche nur Va- rietäten charakterisirt werden. Man könnte alle biologischen, che- mischen, auf Färbung und Behaarung bezüglichen Merkmale als nichtspecifisch bezeichnen , man könnte alle auf Zahl und Maass beruhenden Unterschiede für unwesentlich erklären und würde doch Nichts gewonnen haben, denn in den rein morphologischen Charakteren sind die mannigfaltigsten Zwischenstufen möglich vom linealen bis zum kreisrunden Blatte (Campanula rotundifolia) und vom runden bis zum scharfkantigen Stengel (untere und obere Stengeltheile vieler Cyperaceen). Nach diesen Betrachtungen dürfte es hinlänglich klar sein, dass die Würdigung der Merkmale zweier Pflanzenfor- men an und für sich keine bestimmten Schlussfolge- rungen darüber gestattet, ob und in wie weit dieselben genetisch zusammenhängen. Wir erhalten durch die Unter- suchung der morphologischen Charaktere Individuenreihen und Individuengruppen, die wir wiederum durch Sammelbegriffe höhe- rer Ordnung theils zusammenfassen, theils trennen können. Es lässt sich somit zwar ein System nach morphologischen Charak- teren aufbauen, aber es lässt sich nicht erkennen, ob oder in wie weit ein solches System den Thatsachen der wirklichen Abstam- mung entspricht. Um nun zu bestimmen, ob ein aus morphologisch ähnlichen Organismen bestehender Formenkreis eine Art ist oder nicht, müssen andere Kennzeichen herangezogen werden. Eine wirkliche Species soll nach der Doctrin durch erhebliche und be- ständige, vorzugsweise morphologische Eigenthümlich- keiten so ausgezeichnet sein, dass alle zugehörigen Individuen sichrer von allen andern Organismen unter- schieden werden können. Es sollen also alle vermittelnden Uebergangsformen und JZwischenformen fehlen. Diese Eigenthümlichkeit , die oben als das zweite Erkennungszei- üeber die Begriffe »Spedes und Varietas im Pflanzenreiche. 353 chen einer Species aufgeführt worden ist, verdient eine besondere Besprechung.; und handelt es sich zunächst darum, festzustellen, ob solche scharfe Grenzen einzig und allein zwischen Formen- kreisen vorkommen, die als Species bezeichnet werden können oder nicht. Die grossen Hauptabtheilungen des Pflanzenreiches hat man obgleich man im Wesentlichen über ihren Umfang einig ist, nach verschiedenen Charakteren zu unterscheiden gesucht. Die schärfste Unterscheidung ist die zwischen Kryptogamen und Phanero- gamen oder wie man auch sagen könnte, zwischen Hygrogamen oder Pflanzen, deren Befruchtung im Wasser oder auf der benetz- ten Erde geschieht, und Aerogamen, oder Pflanzen, deren Be- fruchtung in der Luft vollzogen wird. Unter den Kryptogamen (Hygrogamen) sind die Thallophyten und Characeen in ihren ve- getativen Organen für ein Wasserleben oder Parasitenleben ge- baut ; selbst die ihrem eigentlichen Wesen nach so problematischen Flechten sind nur scheinbar Landpflanzen, denn sie leben und wachsen nur, wenn sie nass werden, ertragen aber allerdings lange Unterbrechungen ihres Lebenszustandes durch Austrocknen. Die Muscineen und Filicineen sind ihrem Wesen nach vegetative Luft- und Landpflanzen, wenn auch einzelne Gruppen sich wieder mit ihrer höheren, dem Luftleben entsprechenden Organisation dem Wasserleben accommodirt haben. Bei den Filicineen ist im Inter- esse einer höheren vegetativen Ausbildung das sonst in der ganzen organischen Natur gültige Princip geopfert worden, dass der Sexualact erfolgt, während sich der Organismus selbst auf der Höhe der Entwickelung befindet. Bei hochstehenden Luftpflanzen, wie die Farrn, würde, wenn dies Prinzip beibehalten wäre, auch eine Luftbefruchtung nothwendig geworden sein; die Farrn sind aber sexuell auf einer tieferen Stufe stehen geblieben ; sie werfen gewissermaassen die Knospenanlagen ihrer Blüthenzweige ab, und diese entwickeln sich dann selbständig auf dem feuchten, die Wasserbefruchtung gestattenden Erdboden. Die grossen Abtheilungen des Pflanzenreiches lassen sich da- her charakterisiren als 1) Wasserpflanzen und Schmarotzer : Thallophyten und Cha- raceen. 2) Vegetative Luft-, sexuelle Wasserpflanzen: a) Befruchtungsvorgang an der entwickelten Pflanze: Muscineen. b) Befruchtungs Vorgang an der unentwickelten Pflanze: Fili- cineen. 354 W. 0. Focke, 3) Luftpflanzen: Phanerogamen. Parasitismus und Rückkehr einzelner Reihen aus dem Luftleben zum Wasserleben machen die Erscheinungen etwas complicirter, die im Uebrigen, sobald man die wesentlichen Thatsachen und die im Sinne der Entwickelungstheorie gedeutete Genesis festhält, mit der grössten Klarheit hervortreten. Eine Analogie zwischen der Gliederung des Pflanzenreiches und der Gliederung des Wirbel* thierreiches ist unverkennbar und beruht dieselbe in den Wirkun- gen der Accommodation an das Luft- oder an das Wasserleben. Der absolute Unterschied, der zwischen Luft- und Wasserleben, Luft- und Wasserbefruchtung, Geschlechtsthätigkeit im höchstent- wickelten und im embryonalen Zustande besteht, erklärt die Noth- wendigkeit scharfer Grenzen zwischen den jenen Accommodations- verhältnissen entsprechenden Glassen. Unter den Phanerogamen ist der Unterschied zwischen Monocotyledonen und Dicotyledonen ein scharfer, weil der Unterschied zwischen 1 und 2 ein scharfer ist; die morphologische Annäherung mancher Dicotyledonengrup- pen (Piperaceae, Polygoneae) an die Monocotyledonen ist indess unverkennbar. Die weiteren Eintheilungen der Phanerogamen sind mehr oder minder künstliche; morphologische Verhältnisse, Lebensbedingungen, Thier- und Pflanzenwelt haben in mannich- faltigster Weise die Entwickelung der einzelnen Organismen be- einflusst, so dass dieselbe in den verschiedensten Richtungen er- folgt ist Um indess zu den einfachen gegebenen Thatsachen zurückzu- kehren, so braucht man sich nur an Familien wie die Characeae, Lycopodiaceae , Gycadeae , Palmae , Aroideae, Orchideae, Labiatae, Ericaceae, Umbelliferae , Cucurbitaceae , Cruciferae u. s. w., oder an Gattungen wie Sphagnum, Equisetum, Isoetes, Eriophorum, Potamogeton, Iris, Casuarina, Quercus, Plantago, Digitalis, Begonia, Bupleurum, Rosa, Thalictrum zu erinnern, um Beispiele, scharf ab- gegrenzter grösserer Formenkreise vor Augen zu haben. Anderer- seits sind aber auch zahlreiche Beispiele von Familien und Gat- tungen bekannt, deren Grenzen sehr schwer zu bestimmen sind, z. B. die Liliaceae, Amentaceae, Amarantaceae , Saxifragaceae, Hyacinthus, Senecio, Genista u. s. w. — Die scharfen Grenzen sind aber keineswegs eine Eigenthümlickeit der weiteren Formen- kreise; sie kommen eben so wohl bei den engsten vor. Als die unerheblichsten Modificationen gelten im Allgemeinen die Abände- rungen in der Blüthenfarbe. Dieselben können sehr allmählich ab- gestuft sein, z. B. bei Crocus vernus All., Erythraea litoralis Fr., üeber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 355 Erica Tetralix L., Anemone nemorosa L., Achillea Millefolium L., Pflanzen, bei denen sich alle Mittelglieder zwischen weiss und rotb, resp. blau vorfinden. Häufiger sini indess diejenigen Fälle, in denen ausschliesslidi die ausgeprägten Farben vorkommen, so dass Mittelformen fehlen oder sehr selten sind. Beispiele sind: Cam- panula persicifolia L., Lappa tomentosa Lam. , Galluna vulgaris Salisb., Symphytum officinale L., Kaphanus Raphanistrum L., fer- ner die manchmal als besondere Arten betrachteten abweichend gefärbten Formen von Anemone alpina L., Papaver alpinum L., Scabiosa columbaria L., Phyteuma spicatum L., Datura Strammo- nium L., einigen Anagallis-Arten u. s. w. Auch die Färbung der Früchte zeigt manchmal scharfe Unterschiede, z. B. bei Actaea, Atropa, Solanum, Crataegus, Gotoneaster, Vaccinium Myrtillus u.a.m. Aehnliche bestimmt ausgesprochene Verschiedenheiten bieten mit- unter die Behaarung (z. B. bei Spiraea Ulmaria L., Potentilla verna L., Veronica scutellata L.) oder Flecken auf den Blättern (Pul- monaria officinalis L.) oder die Blattform (Variet. monophyllae von Fraxinus, Robinia, Juglans und Fragaria). Ferner gehören zu den leichten, aber scharf ausgeprägten Verschiedenheiten die strahl- blüthigen und strahllosen Blüthenköpfchen bei Aster TripoliumL., Bidens cernuus L., Senecio Jacobaea L., Chrysantheidum corym- bosum L. u. s. w., die stacheligen und stachellosen FrUchte bei Banunculus arvensis L. und Datura Strammonium L., die braunen Blätter bei Varietäten von Oxalis coruiculata L., Fagus silvatica L., Corylus u. s. w.; endlich mag an Lilium bulbiferum L. und L. croceum Chaix, sowie an Pfirsich und Nectarine und an die be- reits erwähnten Fälle von Raphanus, Rosa Hampeana undValeria- nella carinata erinnert werden. Die Gärtner sind der Ansicht, dass die „sprungweise" auftretenden Abänderungen viel häufiger sind als die allmählichen. Indess gilt diese Regel keineswegs von allen Eigenschaften ; bekannt ist z. B., dass zwischen immergrünen und sommergrünen Pflanzen alle Zwischenstufen gefunden werden. Es ist daher wohl hinreichend klar, dass scharfe Grenzen zwischen den Formenkreisen auf allen Stufen der Systematik, bei den Classen, Ordnungen, Familien und Gattungen sowohl wie bei den leichtesten Abänderungen vorkommen; es kann daher wohl vorausgesetzt werden, dass sie bei den Arten nicht fehlen werden, mag man nun den Begriff derselben weit oder eng fassen. Da man, wie gezeigt, nicht im Stande ist, den wahren Um- fang einer Art allein nach den morphologischen Merkmalen zu erkennen, so hat mau den Versuch gemacht, die Arten, je nach- 356 W. O. Focke, dem sich eine Grenze findet, eng oder weit zu fassen. So z. B. hält WiGAivD (Darwinismus S. 69) es für möglich, dass die Adonis aestivalis L. var. citrina, die sich nur durch die Biüthenfarbe unterscheidet, eine eigene Art bildet, während' er andererseits als Beispiele wirklicher Arten mit besonderer Vorliebe Rubus frutico- sus (S. 17, 23, 63) und Rosa canina (S. 17, 211, 227) auflFührt, beide im denkbar weitesten Sinne genommen („3 einheimische Rubus- Arten^^ S. 23). Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass sich innerhalb dieser sehr weiten Formenkreise zahlreiche engere samen- beständige Formenkreise finden, die sich durch weit wichtigere Merkmale als durch die Färbungsverhältnisse scharf von allen andern Formen abgrenzen lassen. Es ist sicherlich ein untrüg- liches Zeichen von Unwissenheit über einen bestimmten Gegenstand, wenn man einfache Fragen als zweifelhaft, schwierige und ver- wickelte dagegen als vollkommen gelöst hinstellt. Es gilt indess einmal als ein Zeichen von Scharfsinn und feiner Beobachtungs- gabe, wenn der Systematiker recht scharf zwischen den Species unterscheidet, während er die innerhalb der Species vorkommen- den engeren Formenkreise als verschwommen und unsicher be- grenzt darzustellen hat Oberflächlichkeit und Willkür in der Be- obachtung der Thatsachen werden durch diese Neigung, die ver- meintlichen Species zu trennen, die sogenannten Varietäten zu ver- binden, ausserordentlich begünstigt. Die Annehmlichkeit, ein gutes systematisches Schema zu besitzen, ist so gross, dass man gänz- lich übersieht, wie wenig sich die wirklichen Pflanzen an die Reglements der Bücher und Diagnosen kehren. Der gewissenhafte Forscher, der sich vorsichtig ausdrückt und sich scheut, die That- sachen zu entstellen, findet wenig Aufmerksamkeit, wenn die Er- gebnisse seiner Beobachtungen, wie es so oft der Fall ist, nicht in die Fächer des Systems passen. Von andern Seiten ist der Grundsatz, die durch Zwischen- stufen verbundenen engeren Formenkreise unter einen gemeinsamen Artnamen zusammenzufabsen, mit mehr Verständniss und Sachkunde in Anwendung gebracht worden. Ein interessantes Beispiel bieten z. B. die Euphrasien, aus der Gruppe der E. officinalis L. Die- selben treten in Nordeuropa in wenigen Formen auf, die aber nach Süden zu, namentlich in den Alpen, sehr zahlreich werden und zum Theil sehr beträchtlich von einander abweichen. Als eine durch- aus verschiedene Art galt bisher die südeuropäische E. tricuspi- data L. Nachdem Hall nun aber kürzlich in einem Thale FriauFs eine seltene Mittelform gefunden hat, welche die E. tricuspidata lieber die Begriflfe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 357 L. mit der E. Salisburgensis Fnk., einer noch zu E. officinalis in weitestem Sinne gezählten Fonn, verbindet, hält er auch E. tricus- pidata für eine Unterart von E. officinalis (vergl. Journ. of bot. 1873 p. 272). Bei dieser Auffassung des Sachverhalts ist das Verhältniss der Arten oder Unterarten zu einander ein völlig kla- res; so lange die seltene Mittelform noch existirt, ist E. tricuspi- data keine selbständige Art, sie wird aber eine solche werden, sobald das letzte Exemplar der anscheinend im Erlöschen be- griffenen Zwischenform zu Grunde gegangen ist. Durch Ausfallen seltener Mittelglieder würde dann vielleicht zunächst auch E. Salis- burgensis eine besondere Art werden, beim Fortschreiten dieses Processes aber schliesslich der grosse Formenkreis der E. offici- nalis sich in eine aus engeren Formenkreisen bestehende Arten- gruppe verwandeln. In ähnlichqj Weise würden sich die Verhält- nisse bei Thymus Serpyllum, Thalictrum minus, Viola tricolor, Batrachium, Armeria, Scleranthus, auch wohl bei der Dactyloides- Gruppe von Saxifraga, bei Rosa, Rubus, Hieracium (vgl. Nägbli!) u. s. w. auffassen lassen. Andererseits würden z. B. die Salices Capreae (S. Caprea, Silesiaca, grandifolia, cinerea, aurita), die europäischen Lappa- und Fragaria - Arten Beispiele von Gruppen nahe verwandter Arten sein, zwischen welchen keine Mittelformen mehr bekannt sind. — Soweit erscheint das von Ball eingeschla- gene Verfahren nicht unangemessen ; die Consequenzen würden in- dess in manchen Fällen recht weit führen. Es könnte doch sehr leicht sein, dass man die ganze Gruppe des Ranunculus acer L. von R. montanus Willd. und R. polyanthemos L. bis R. velutinus Ten. zu einer Art vereinigen mO^ste, ebenso die sämmtlichen Centaureen der Gruppe Jacea (C. splendens L., C. Phrygia L. u. s. w.). Was aus Gattungen wie Aster, Draba oder Cochlearia werden würde, ist noch gar nicht zu übersehen, doch dürfte es kaum zu bezwei- feln sein, dass das Verfahren in diesen Fällen nicht gerade zur Klärung der Sachlage beitragen möchte. Die Erfahrung zeigt, dass an jedem einzelnen Punkte der Erdoberfläche die grosse Mehrzahl der Arten gut geschieden ist. Diese Thatsache erklärt sich dadurch, dass allzu nahe verwandte Fonnenkreise in der Regel durch Kreuzung zusammenfliessen. Es wird sich somit überall im Laufe der Zeit eine gewisse Stabilität der Formenkreise herausbilden, die dadurch bedingt wird, dass zwischen den einzelnen „Arten^' eine geschlechtliche Absonderung eintritt. Die Mittelformen müssen von den ausgeprägten, den ört- lichen Verhältnissen besser angepassten Formen absorbirt werden. 358 W. O. Pocke, — Der falsche Schluss, zu dem der Unerfahrene durch Beobach- tung dieser Thatsachen und durch die theils in ungenQgenden Kenntnissen, theils in der Sache selbst begründeten Mängel der Nomenclatur verleitet wird, ist der, dass die gleichnamigen Pflanzen sich in verschiedenen Gegenden auch wirklich gleich verhalten. Mit diesen Bemerkungen könnten wir unsere Betrachtungen über die Umgrenzung der Arten schliessen. Um indess einen an- nähernden Begriff davon zu erhalten, ob scharfe Grenzen zwischen den Arten Regel oder Ausnahmen sind, wird man sich am besten die bekannten Baumgattungen ansehen, deren Abänderungen in verschiedenen Himmelsstrichen durchschnittlich bereits mehr Be- achtung gefunden haben, als die örtlichen Varietäten der krautigen Gewächse. Gut geschiedene Arten findet man im Allgemeinen bei den Erlen, Buchen, Pappeln, manchen Gruppen von Weiden und Eichen, bei den Nussbäumen, Rosskastanien, Ahomen und Trau- benkirschen. Unsicher begrenzte, durch Mittelformen verbundene Arten treffen wir namentlich bei den Kiefern, Weisstannen, Birken, asiatischen Eichen, den Kastanien, Hainbuchen, Platanen, Ulmen, Eschen, Aepfeln, Weissdornen, Pflaumen, Linden. Natürlich ist über die einzelnen Fälle noch sehr viel Meinungsverschiedenheit mög- lich, allein ein unbefangener Ueberblick über die bis jetzt bekann- ten Thatsachen wird gewiss den Eindruck hinterlassen, dass so- wohl gut umschriebene, als auch unbestimmt umgrenzte Arten in grosser Zahl vorkommen. Es erhalten sich somit die Abgrenzungen unter den Arten durchaus analog den Abgren- zungen unter den Familien und Gattungen, wie unter den Ab- änderungen und Varietäten. Wir können uns somit zu dem dritten Merkmal wenden, durch welches eine Art als solche erkannt werden soll, nämlich zu der Beständigkeit der unterscheidenden Merkmale in der Folge der Generationen. Die Sache bedarf kaum einer näheren Erläuterung; Formen, die unter dem Einflüsse äusserer Verhältnisse, ohne Einwirkung von Kreuzungen, in einander übergehen können, dürfen nicht als Species unterschieden werden. Es ist indess sehr schwer, den Einfluss der Kreuzung bei den betreffenden Unter- suchungen mit Sicherheit auszuschliessen ; durch Kreuzung lassen sich aber sehr verschiedene Gewächse in einander überführen, z. B. Aegilops in Triticum. Um ein bestimmtes Beispiel zu wäh- len, so wird man den specifischen Unterschied von Raphanus sa- tivus L. und R. Raphanistrum L. leugnen, falls sich die Möglich- keit der UeberfElhrung der vermeintlichen Arten in einander unter Ueber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 359 Ausschluss jeder hybriden Einwirkung bestätigt. Allein man wird doch zugeben müssen, dass trotzdem ein Unterschied vorhanden ist, denn die Samen von R. Raphanistrum L. und R sativus L. sind keineswegs gleichwerthig und es sind zur Beseitigung der Verschiedenheiten mehrere Generationen erforderlich. Angenom- men, es genügen dazu unter günstigen Umständen durchschnittlich 5 Generationen, so lässt sich der Fall denken, dass es Formen giebt, die durch 10, andere, die durch 50 oder 100 oder 1000 Generationen in einander übergeführt werden können. Es würde dann die Frage entstehen, wie viele Generationen trennen zwei wirkliche Arten? Es ist doch durchaus willkürlich, anzunehmen, dass es nur solche Formen giebt, die durch wenige Generationen in einander übergeführt werden können, und solche, die absolut constant sind. Bevor man eine derartige seltsame Annahme macht, würde man doch einige Wahrscheinlichkeitsgründe dafür beibrin- gen müssen. Unser Gesichtskreis erstreckt sich in der Regel nur auf wenige Generationen ; aus diesem Grunde kann uns die Er- fahrung über den Grad der Beständigkeit zweier einander nahe- stehenden Formen nicht eben viel lehren. Es ist indess ausser- ordentlich thöricht, sich auf die Länge unserer historischen Er- fahrung zu berufen, um dadurch die Constanz der Species zu beweisen. Es ist nicht der mindeste Grund vorhanden, zu ver- muthen, dass sich eine Pflanze z. B. unter den unveränderten natürlichen Verhältnissen Aegypten's im Laufe von 5000 oder 6000 Jahren verändert haben sollte. Die Schweizer Pfahlbauten, die zu einer Zeit errichtet wurden, als die Topographie des Landes wenig von der jetzigen abwich, weisen in ihren Resten bereits auf einzelne Abänderungen der Formen bin, die sich seit jener Zeit herausgebildet haben. Ein Urtheil über die mehr oder minder vollkommene Uebereinstimmung subfossiler oder fossiler Pflanzen mit den lebenden bleibt aber stets unsicher. Manche feineren Unterschiede, denen wir specifischen Werth beizulegen gewohnt sind, werden in fossilem Zustande sehr selten erkennbar sein. In- dess haben wir einen andern Maassstab, um die Beständigkeit der Arten zu prüfen. Die arktischen und die alpinen Formen vieler Pflanzen sind aller Wahrscheinlichkeit nach seit der Eiszeit von einander getrennt, also seit einer Periode, in welcher die physischen Bedingungen des Pflanzenlebens und die Vertheilung von Land und Meer auf der Erdoberfläche durchaus anders waren als gegen- wärtig. Eine grosse Anzahl von Pflanzenarten findet sich femer sowohl in Amerika als in Europa. Die Periode, in welcher ein 360 W. (). Focko, Zusammenhang zwischen Amerika und Europa oder Nordasien bestanden haben mag, dürfte noch viel weiter rückwärts in der Vergangenheit zu suchen sein, als die Eiszeit. Wenn diese An- schauungen im Wesentlichen richtig sind, so folgt daraus, dass manche Pflanzenarten , z. B. die nordischen Ericaceen , seit dem pliocänen Zeitalter keine Abänderungen erfahren haben, da es doch nicht glaublich ist, dass sie überall in gleicher Weise variirt haben sollten. In andern Fällen, wo geringe Unterschiede vorhanden sind, wird man eine Umbildung eines oder des andern der beiden getrennten Stämme (wenn nicht beider) annehmen dürfen. End- lich darf nicht übersehen werden, dass in pliocänen Ablagerungen manche, in miocänen einzelne noch lebende Pflanzenformen ge- funden worden sind. Der Thatsache gegenüber, dass wenigstens einige unserer lebenden Arten in ihrer gegenwärtigen Gestalt bereits in der plio- cänen, ja in der miocänen Periode vorhanden waren, verlieren alle Angaben über die Beständigkeit einzelner Pflan- zenformen während der historischen Zeit jegliche Be- deutung für die Speciestheorie. Das vierte Merkmal, durch welches eine Art als solche charakterisirt werden soll, ist die Unbeständigkeit der inner- halb ihres Formenkreises etwa vorhandenen Verschie- denheiten in der Folge der Generationen. Dieser Punkt ist von ganz besonderer Wichtigkeit, weil der Umfang der Arten davon abhängig ist. Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass solche Arten, die viele in einander übergehende Formen vereinigen, unhaltbar sind, wenn man an der Bedingung festhält, dass die Formenkreise innerhalb einer Art unbeständig sein müssen. Es wird daher nothwendig sein, die Frage nach allen Seiten hin unbefangen zu prüfen, um zu einer bestimmten Anschauung darüber zu gelangen, was denn eigentlich eine Art ist. Von einigen Forschern ist zunächst geltend gemacht worden, dass Variabilität eine specifische Eigenthümlichkeit mancher Arten sei. An und für sich ist diese Behauptung nicht unrichtig, aber man hat dieselbe mitunter in einer sehr sonderbaren Weise ver- werthet. Wir wissen sehr gut, dass manche unserer Culturpflan- zen leicht variiren, eine Eigenschaft, die von den Gärtnern in grossem Maassstabe ausgenutzt wird. Die zahlreichen Farben- varietäten von Althaea rosea, Matthiola, Zinnia, Chrysanthemum, Aster, Impatiens, Portulaca, Salpiglossis , Gomphrena, Hyacinthus u. s. w. sind ja allgemein bekannt. Andererseits giebt es manche (Jeber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 361 seit längerer Zeit cultivirte Gewächse, welche sehr wenig variiren, z. B. die Lilien, Narcissen, Richardia, Seeale, Cannabis. In der freien Natar sind Beispiele von Varietäten, die nicht nur gemischt, sondern auch zahlreich mit einander vorkommen, ziemlich selten; indess gehören die Farbenvarietäten von Polygonum Persicaria L. Crocus vernus All. und Phlox Sibirica L. dahin, femer die in Be- haarung und Blattform schwankenden Weidenarten Salix repens, S. nigricans, S. triandra. Man hat ein gewisses Recht, in solchen Fällen die Variabilität als eine Eigenschaft der Species zu bezeichnen. Nicht ganz genau würde eine solche Bezeichnung für die Farben- varietäten vieler Polygala - Arten sein. Angenommen, es würden irgendwo zwei neue weissblühende Pflanzenarten, eine Polygala aus der Gruppe der P. vulgaris und eine Potentilla entdeckt werden. Wenn nun einige Jahre später ein Reisender in der Heimath die- ser beiden neuen Species eine blaue Abänderung der Polygala fände, so würde diese Entdeckung kaum beachtet werden. Die Naehricht von der Auffindung einer blaublüthigen Abänderung der Potentilla würde dagegen im höchsten Maasse Unglauben und Staunen erregen. Dies Beispiel zeigt, dass die Variabilität keines- wegs eine der einzelnen Species eigenthümliche Erscheinung sein kann, denn man wusste in dem angenommenen Falle gar Nichts von dem Grade der Variabilität der beiden Arten. Trotzdem er- scheint uns die blaue Abänderung der Polygala fast als selbst- verständlich, die der Potentilla fast als unmöglich. Wir schliessen also auf die Variabilität einer unbekannten Art aus der Variabi- lität der Artengruppe oder Gattung, zu der sie gehört, folglich ist bei der Polygala die Variabilität in dem betreffenden Sinne eine Eigenthümlichkeit einer grossen Artengruppe, nicht einer einzelnen Art Man ist indess weiter gegangen und hat häufig unbedenklich Draba vema, Armeria vulgaris, Thymus Serpyllum, ja Euphrasia officinalis, Rubus fruticosus und Rosa canina im weitesten Sinne als Species valde variabiles bezeichnet. Ein solches Verfahren ist natürlich rein willkürlich. Die Ueberführung der sogenannten Varietäten dieser Pflanzen in einander ist noch Niemandem ge- lungen, und ist nach den bisher vorliegenden Erfahrungen auch nicht die mindeste Aussicht vorhanden, dass dieselbe je gelingen wird. Immerhin lässt sich nicht bestimmt in Abrede stellen, dass es möglich sein könnte, die Armerien in fünfzig bis hundert, die Thymus, Euphrasien und Rosen in einigen hundert und die Draba- und Rubus-Formen in einigen tausend Generationen in einander Bd. IX, N. F. U. 25 862 W. 0. Focke, überzuführen. Auf diesen Punkt ist bereits bei Besprechung der Beständigkeit der Formen hingewiesen worden. Wenn nun Die- jenigen, welche den weiten Artbegriff bevorzugen, annehmen, dass die Unterschiede von Kubus suberectus Anders, und R. Bellardii Wh. et N. sich im Laufe von etwa 5000 Generationen herausge- bildet haben, so darf man wohl fragen, wie hoch sie die abändernde Wirkung von 50000 Generationen schätzen I Glauben sie aber, dass R. suberectus schon durch 50 Generationen in R. Bellardii umgewandelt werden kann, eine Ansicht, die schwerlich irgend ein Kenner dieser Pflanzen theilen dürfte, so wird man zunächst ein- fach fragen, welche Vorstellung sie sich von dem Maasse der Ab- änderungen machen, die binnen 500 und 5000 Generationen erfolgen können. Es ist daher nicht wohl einzusehen, wie Jemand, der an „Arten" in dem angedeuteten weiten Umfange glaubt, irgend welche Zweifel an der Richtigkeit der Grundanschauungen der Entwicke- lungstheorie hegen kann. Die Abänderungen, welche wir bei unsern Gulturpflanzen auf- treten sehen, erreichen nicht entfernt den Betrag der bei jenen „Arten" von Euphrasia, Rosa, Rubus beobachteten Verschiedenhei- ten. Vorsichtigere Botaniker werden daher Einschränkungen des allzu weiten Artbegriffs in solchen Fällen vorziehen, allein sie werden dann auf Schwierigkeiten in der Abgrenzung der engeren Formenkreise stossen. Als Ausweg, um den missliebigen Conse- quenzen der Entwickelungstheorie zu entgehen, lässt sich dies Verfahren nicht benutzen. Die Theorie, nach welcher die Variabilität als specifischer Charakter gewissen Arten zukommt, ist auch nicht im Stande, die einfachen Thatsachen zu erklären. Weshalb variiren solche Arten, die ihrer Natur nach variabel sind, nicht überall? Einige be- thätigen diese Eigenschaft in den arktischen Gegenden mehr als in den Gebirgen (z. B. die Draben), andere beschränken sich da- rauf, in den europäischen Gebirgen zu variiren (z. B. Papaver alpinum L.), während sie im Norden constant sind. Einige Arten sind in Europa constant, aber in Amerika variabel (z. B. Stachys palustris L», Polygonum Bisto^ta L.), andere umgekehrt (Viola canina L., Campanula rotundifolia L.). Andere Arten oder selbst Artengruppen variiren nur in einzelnen Gegenden; die Farbenab- änderungen der gelbblüthigen Arten aus der Gruppe der Primula veris sind z. B. in der Normandie häufig, an andern Orten selten, in Deutschland fast unerhört. Wenn man die Variabilität als eine besondere Eigenschaft gewisser Formenkreise auffasst, so üeber die Begriife Species und Varietas im Pflanzenreiche. 863 muss man zugeben, dass dieselbe bald an geographischen Racen, bald an Arten, bald an ganzen Artengruppen oder Gattungen (Polygala, Rosa, Hieracium) haftet, dass sie aber weder zu den weiteren noch zu den engeren Species besonders nahe Beziehun- gen zeigt. Die Vereinigung verschiedener wesentlich von einander ab- weichender, wenn auch durch Zwischenstufen verbundener Formen- kreise unter einen gemeinsamen Speciesnamen ist ein technischer KunstgriflF zur Erleichterung der systematischen Uebersicht. In dieser Weise aufgefasst hat das Verfahren seine volle Berechtigung. Leider ist aber die heutige Menschheit dazu erzogen, alle Oedan- kenoperationen mit Hülfe von Worten und Formeln vorzunehmen, anstatt direct die Vorstellungsreihen und Begriffe mit einander zu vergleichen. Sobald man einmal für die Formenkreise a, b, c, d (man erinnere sich der Racen oder Arten bei Tubocytisus, Viola, Scabiosa oder dergl.) den gemeinsamen Stamm B und für die Formenkreise e, f, g, h den gemeinsamen Namen F erfunden hat, beschäftigt man sich nur noch mit B und F, ohne zu bedenken, dass d und e sich sehr nahe berühren, während b und f, als typische Formen von B und F, allerdings deutlich verschieden sind. Diese Sachlage macht jede Erörterung über einen einzelnen Fall sehr schwierig, denn der Vertheidiger der Vorstellung von den scharfen Grenzen zwischen den Arten wird , wenn er auf die engen Beziehungen von d und e zu einander aufmerksam gewor- den ist, behaupten, es seien d und e Varietäten einer eigenen so- wohl von B als auch von F zu trennenden Art. Ist auch dieser Standpunkt als unhaltbar erkannt, so heisst es schliesslich, B und F seien, weil Uebergangsformen zwischen ihnen vorkommen, zu einer einzigen Art zu vereinigen. Man wird dann aber zugeben müssen, dass innerhalb einer Art, die doch stets als einheitlich entstanden gedacht wird, im Laufe der Zeit sich weit grössere Unterschiede herausgebildet haben, als die sind, welche sonst zwei verschiedene Arten trennen — eine Annahme, auf deren Conse- quenzen bereits hingewiesen worden ist. Diese Betrachtungen führen nothwendig zu der Frage, was denn eigentlich die Varietäten sind. Praktisch genommen ist da- rauf zu antworten, dass nach den ländläufigen Ansichten Species diejenigen Formen sind, mit welchen sich der Botaniker, Varie- täten diejenigen, mit welchen sich der Gärtner zu beschäftigen hat. Man erachtet die Varietäten als einer wissenschaftlichen Be- handlung unzugänglich und überlässt sie dem Züchter, der sie 25* 364 W. O. Focke, einfach nach ihrem Verkaufswerth classificirt. Wagt ein Botani- ker es, sich mit Varietäten zu beschäftigen, so pflegt er, um doch den Schein zu retten, sie Species zu tituliren. Daher der Streit über LiNNs'sche oder JoRDAN'sche Arten. Wissenschaftlich richtiger wäre es natürlich gewesen, wenn Jordan den Namen Species, der einmal für die weiten Formenkreise allgemein gebräuchlich war, nicht auf seine engen Formenkreise übertragen hätte. Wenn die LiMNi&'schen, DoLL'schen, NsiLREicH^schen, BsNTHAM^schen, Rbosl^- sehen Arten als Species bezeichnet werden sollen, so gebührt den JoRDAN'schen eine andere Benennung. Allein kein Mensch hätte sich um Jordan's Arten bekümmert, wenn er sie nicht Species genannt hätte, denn die Botaniker würden sogleich gemerkt haben, dass es nur „Varietäten^^ seien, sie also Nichts angingen. Die Gärtner würden sich andererseits ohne beigefügten Preiscourant eben so wenig mit jenen „Neuheiten" beschäftigt haben. Jordaz? drückte daher einfach die systematischen Bangordnungen um eine Stufe herab; was Andere Species nennen, nannte er Genus, wäh- rend seine Species einem Theil.der Varietäten anderer Botaniker entsprechen. Die Behandlung der Varietäten ist ein Schandfleck der heu- tigen wissenschaftlichen Botanik. Nur wenige botanische Schrift- steller giebt es, welche sich mit Umsicht und ausdauerndem Fleisse die Untersuchung aller Varietäten der von ihnen bearbeiteten Pflanzengattungen zur Aufgabe gestellt haben. Eine solche rühm- liche Ausnahme bildet namentlich J. N. Baybb (Monogr. Tiliae generis in Verhandl. zool. bot. Ges. Wien 1862), der die Formen der Linden übersichtlich dargestellt') hat. Noch wichtiger sind die Studien Caspary's über Nymphaea alba, weil sie durch Cultu- ren und Hybridisationsversuche vervollständigt werden. Ueber die Samenbeständigkeit der Varietäten hat femer H. Hoffmann in Giessen längere Reihen von lehrreichen Experimenten angestellt, freilich zum Theil in einer Weise, die manchen Einwürfen Raum giebt. Jordan's und Naudin's Pflanzenkulturen hatten zunächst andere Ziele im Auge, kommen aber doch der Lehre von der Art zu Statten. Auch Godron hat manche brauchbare Versuche gemacht. Um aber eine Vorstellung davon zu erhalten,^ in wie planloser Weise mit sogenannten Varietäten experimentirt werden 1) Donec ex una formanim serie anicum solum specimeu in herbarüs do- tnm est diagnosin componere non est difficile : quando vero e regionibns et terris compluribus diversissimae formae colliguntor, litcs de quaestione bonae vol malae speciei numquam fere componuntar. Batbr 1. c. pag. 7. üeber die Begriffe Species and Varietas im Pflanzenreiche. 365 kann, muss man Wigand's Darwinismus S. 414 — 417 lesen. Ein einstündiger Spaziergang durch die Saatbeete eines Blumenzüch- ters dürfte lehrreicher sein, als ganze Reihen derartiger wissen- schaftlicher Versuche. Die Vernachlässigung, welche die Varietä- ten Seitens der grossen Mehrzahl der Systematiker erfahren haben, kann nicht nachdrücklicher gerügt werden, als es durch die Be- griffsverwirrung geschieht, welche über das Wesen der Varietäten herrscht Man spricht und schreibt einander gewöhnlich den Lehrsatz nach, die Erfahrung zeige, dass die Arten beständig, die Varietä- ten veränderlich seien. In Wahrheit glaubt Niemand an diese Doctrin, denn Jedermann bewilligt ganz unbedenklich für besonders ausgezeichnete Zuchtthiere oder Sämereien die dop- pelten oder vielfachen Preise, weil er überzeugt ist, dass die Nach- kommenschaft die Eigenschaften der vorigen Generation erben wird. Die Erfahrung zeigt daher in Wirklichkeit etwas ganz An- deres, als was jener unsinnige Lehrsatz behauptet; wir wissen, dass in der unendlichen Mehrzahl der Fälle die Nachkommenschaft ihren Vorfahren ausserordentlich ähnlich ist. Man ziehe seine Er- fahrungen beim Menschengeschlechte zu Rathe und man wird finden, dass sich diese Regel überall bestätigt; man muss indess berücksichtigen, dass es nicht die unmittelbaren Stammeltern eines Organismus allein sind, welche dessen morphologische und phy- siologische Charaktere bestimmen. Für das Thierreich sind die Gesetze der Vererbung sorgflUtig untersucht worden (vergl. z. B. Habckbl, Natürl. Schöpfungsgesch. Neunter Vortr.). Im Pflanzen- reiche ist die sichere Erkenntniss der Vererbungsgesetze dadurch erschwert, dass man wegen der meist zwitterigen Blüthen und der Uebertragbarkeit des Pollens aus grösserer Entfernung die Bil- dungsgeschichte jeder einzelnen Form viel schwerer überwachen kann. Wenn man von Beständigkeit einer Pflanzenform spricht, so sind zunächst zwei verschiedene Fälle aus einander zu halten, nämlich erstens die Beständigkeit bei reiner Inzucht und zweitens die Beständigkeit bei Mischung mit nahestehenden Formen. Ein sicheres Urtheil über das Verhalten der einzelnen Formen unter verschiedenen Umständen lässt sich nur durch den Versuch ge- winnen. Es ist aber vor allen Dingen erforderlich, dass die be- absichtigten Experimente auch in wirklich sacbgemässer Weise angestellt werden. So sollte es sich von selbst verstehen, dass man alle von Händlern bezogenen Samen vor Anstellung von Ver- suchen einige Jahre hindurch prüfen muss, um zu erfahren, ob 366 ^* ^- Focke, man überhaupt mit rein gehaltenen Formen experimentirt. Ohne diese Vorsichtmaassregel sind die vermeintlichen Aussaatversuche Nichts als Spielereien. Bei einigen Nachdenken und einiger Er- fahrung wird man sich die Regeln der botanischen Experimentir* kunst leicht ableiten können. Wenn man aber alle Formen, die in irgend welcher Weise von einem angenommenen Normaltypus abweichen, Varietäten nennt, und wenn man sich dann eine be- liebige Anzahl solcher Varietäten aus Feldern und Gärten zusam- mensucht, so darf man sich nicht wundern, wenn man die wider- sprechendsten Resultate erhält. Es fehlt uns bisher durchaus an Versuchsgärten, welche sich mit der Prüfung der Abänderungen nach wissenschaftlichen Grundsätzen beschäftigen. Solche Gär- ten sind aber ein dringendes Bedürfniss nicht nur für die Wissen- schaft, sondern auch für den Züchter, dem jetzt jede wissenschaft- liche Grundlage für seine einmal üblichen Metboden fehlt. Unter diesen Umständen kann man nur über ein verhältniss- mässig kleines Material wirklich zuverlässiger Beobachtungen ver- fügen. Einzelne Thatsachen sind natürlich in grosser Zahl be- kannt, allein in der Regel ohne genügend umsichtige Prüfung aller für die Beurtheilung wichtigen Umstände. Bei Untersuchung der Beständigkeit wildwachsend gefundener PÜanzenformen hat man im Allgemeinen folgende Ergebnisse verzeichnet. Abgeänderte Formen, welche in einer bestimmten Gegend in grosser Individuen- zahl vorkommen, ohne sich von ganz besonderen Standortsverhält- nissen abhängig zu zeigen, sind in der Regel streng samenbestän- dig, die Abänderung mag in noch so geringfügigen Merkmalen begründet sein (Jorban's Species). Abänderungen, welche an Bo- denverhältnisse gebunden scheinen, sind theils ganz unbeständig, theils zu Rückschlägen geneigt, theils aber auch, so weit die Ver- suche reichen, wirklich beständig. Abänderungen, welche ver- einzelt zwischen den Normalformen gefunden werden, sind im All- gemeinen unbeständig. Abweichende Blattformen und Mangel von Nebenorganen scheinen in solchen Fällen leichter vererbt zu wer- den, als Blüthenfarbe, Füllung der Blüthen, monströse Bildungen u. s. w. , die , sobald sie isolirt auftreten, gar keine Neigung zur Vererbung ihrer abweichenden Eigenschaften auf die Nachkommen zu besitzen scheinen. Solche isolirte Abänderungen, die unter dem Einflüsse starker Düngung oder Bewässerung entstanden sind, lassen sich auf anderem Boden niemals aus Samen fortpflanzen. Unter unsern angebauten Pflanzen kennen wir unzählige Ab- änderungen, die streng erblich zu sein scheinen, namentlich sobald Ueber die Begriffe Speciee and Varietas im Pflanzenreiche. 367 Kreuzung verhütet wird. Unsere Landwirthe, Gemüsezüchter und Gärtner cultiviren zahlreiche Varietäten, die sie als durchaus samenbeständig betrachten. Indess giebt es auch manche wenig beständige Abarten, welche sich trotzdem von den Züchtern unter dem Einfluss der Auswahl und besonderer Bodenverhältnisse er- halten lassen. Die Zahl der auf gewissen Bodenarten und in ge* wissen Klimaten constanten, unter abweichenden Lebensbedingun- gen aber unbeständigen Formen scheint nicht gering zu sein. Die Formenkreise, welche sich bei vermiedener Kreuzung als durchaus beständig erweisen, sind viel enger, als der Artbegriff bisher jemals gefasst worden ist. Die Farbenvarietäten der Bohnen (Phaseolus) sind zum Theil durchaus beständig ; die Abänderungen, welche H. HoffmInn nach mehijähriger Cultur bei einigen anfangs constanten Formen erhalten hat, sind vielleicht nur unter dem Einflüsse von Kreuzungen entstanden. Anch zahlreiche Maissorten ' sind bei Ausschluss der Kreuzung anscheinend streng samen- beständig. Diese Pflanzen eignen sich vorzüglich deshalb als Beispiele, weil die grosse Zahl ihrer Abänderungen allgemein be- kannt ist, und weil Niemand es für möglich halten wird, daraus lauter besondere „Species^^ zu jnachen. Wenn wir somit durch Erfahrung wissen, dass viele nicht specifisch verschiedene Formen- kreise (zufällige Abänderungen) samenbeständig sind, so scheint es zweckmässig, eine besondere technische Bezeichnung für den Be- griff des in der Folge der Generationen beständigen Formenkrei- ses einzuführen. Es empfiehlt sich nach Maassgabe des bisherigen Sprachgebrauches dafür der Ausdruck ß a c e (Subspecies ). Kürzlich hat Gblakovsky (Oesterr. Bot. Z. 1873 N. 8, 9, 10) vorge- schlagen, die Race als eine Art Mittelstufe zwischen Species und und Varietät in die systematische Rangordnung einzuschalten. Eine etwas modificirte Fassung des Racenbegriffs scheint mir empfehlenswerther. Ich kann es nur für richtig halten, wenn man den Racenbegriff vollständig vom Artbegriff sondert. Eine Art ist ein Formenkreis, der durch wichtige und erhebliche Merkmale von allen andern Formenkreisen unterschieden werden kann. Eine Race dagegen ist ein Formenkreis, der sich in der Folge der Generationen als beständig erweist, wenigstens so weit die ge- wöhnliche Erfahrung reicht. Rückschläge kommen auch bei den Racen vor (z. B. die weissblüthigen Abänderungen von Phyteuma nigrum Schm.), aber sie pflegen unbeständig zu sein und wieder zu verschwinden. Im Allgemeinen wird man innerhalb einer Race keine engeren beständigen Formenkreise abgrenzen können und 368 W. 0. Focke, wird daher auch die Samen einer und derselben Race als nahezu gleichwerthig betrachten dürfen. Es ist indess nicht durchführ- bar, den Racenbegriff von vornherein auf die allerengsten Formen- kreise zu beschränken, vielmehr kann man unter Umständen zweck- mässig noch Unterracen unterscheiden. Beispielsweise können wir Datura Strammonium in weiterem Sinne als Species, D. eu-Stram- monium und D. Tatula als Racen, die dornenlosen Abänderungen beider Racen als Unterracen bezeichnen. Es entspricht eine solche Gruppirung den thatsächlichen Verhältnissen besser, als wenn man die 4 Racen coordinirt neben einander aufführen wollte. Um das Verhältniss von Arten und Racen durch Beispiele zu illustriren, können zunächst die bekannten drei Gedern, Gedrus Deodara Loud., G. Atlantica Manetti, G. Libani Barrel, angeführt werden, welche unter einem gemeinsamen Artnamen, etwa G. monticola — falls kein geeigneter bereits vorhanden ist — zusammenzufassen sind. Ferner ist z. B. Armeia vulgaris Willd. (erweitert) die Art, welcher die Racen A. alpina Willd., A. elongata Hoffm., A. purpurea Koch, A. Halleri Wallr., A. maritima Mill. unterzuordnen sind; Scabiosa columbaria ist die Art, Sc. eu-columbaria , Sc. ochroleuca L., Sc. gramuntia L., Sc. lucida Yill. sind die Racen. Eine Vereinigung aller untergetauchten Batrachien (nach Hookbr) und Euphrasien (nach Ball) oder der meisten Hieracien und Rubi unter einen ge- meinsamen Artbegriff soll damit nicht befürwortet werden. Viele Botaniker werden versucht sein, mit Jordan und H. Hoffmann in den Racen die echten Species zu sehen. Allein im Zusammenhange mit einander betrachtet, erscheinen ähnliche Ra- cen als. flüssige, oft unbestimmt begrenzte Formenkreise. Zwei Racen, die hier deutlich getrennt erscheinen, fliessen an einem andern Orte in einander oder sind durch Mittelformen verbunden. Auch durch Kreuzungen scheinen manche Racen (Brassica!) sehr leicht beeinflusst zu werden. Nicht selten tritt eine Form in einer Gegend als sporadische unbeständige Abänderung vereinzelt zwi- schen der herrschenden Race auf, während die nämliche Form in einer andern Gegend mehr oder minder ausschliesslich vorkommt und durchaus beständig geworden ist. Die Unterscheidung zwischen beständigen und unbeständigen Formen nimmt sich in der Theorie recht gut aus und ermöglicht den Doctrinären die Errichtung jenes geschlossenen Lehrsystems von der Species-Gonstanz. Es ist indess notbwendig, zunächst die Frage zu beantworten, was denn eigentlich Beständigkeit ist und woran man sie erkennt. Prüft man eine seltene Form auf ihre Ueber die .Begriffe Species niid Yarietas im Pflanzenreiche. 369 Samenbeständigkeit, so wird man bei der Aussaat zunächst viel- leicht zu dem Ergebniss gelangen , dass sie ihre Charaktere bei- behält Allein dadurch ist keineswegs bewiesen, dass nicht unter Umständen doch einzelne Sämlinge vorkommen können, welche in ihren Eigenschaften einer ähnlichen häufigeren Form sehr nahe kommen. Gewiss ist eine Pflanzenform unbeständig, wenn 1 Proc. der Sämlinge in einen andern bekannten Typus übergeht Allein wie verhält es sich, wenn nur ein Rückschlag unter 1000 oder 100000 oder unter 1 Million Exemplare vorkommt? Wie steht es, wenn nicht eine seltene und eine häufige, sondern zwei gleich- berechtigte Formen neben einander vorkommen, z. B. die ver- schiedenen Racen von Anagallis, Symphytum ofificinale, Scabiosa columbaria, Phyteuma spicatum V Ob die Formen von Thalictrum minus oder Draba vema oder Viola tricolor oder Armeria vulga- ris unter hunderttausenden von Sämlingen nicht einzelne Exemplare liefern, welche einen abweichenden Typus darstellen, vermag Nie- mand zu behaupten oder zu leugnen. Samenbeständig nennen wir eine Form, wenn sie sich, so weit unsere Erfahrung reicht, unver- ändert aus Samen fortpflanzt; nun müssen wir aber zugeben, dass unsere Erfahrungen über wilde Racen nicht eben weit reicheni und dass zahllose Culturracen, nach demselben Maassstabe beur- theilt, für beständige Formen gehalten werden würden. Es ist also eine arge Selbsttäuschung, wenn man sich einbildet, die Frage der dauernden Beständigkeit nach einigen Aussaatversuchen entschei- den zu können. Wir sind nicht einmal im Stande, die Beständig- keit in der Gegenwart sicher zu erkennen, geschweige denn die Beständigkeit innerhalb geologischer Zeiträume. Es ist einfach Unsinn, wenn man sich fiir die Entscheidung solcher Fragen auf die durch einige Aussaatversuche gewonnene Erfahrung beruft. Zwischen den nach Maassgabe der gewöhnlichen Erfahrung beständigen und den völlig unbeständigen Formen giebt es alle möglichen Zwischenstufen. Wir unterscheiden: 1) Abarten (Scheinracen) ; dieselben sind in der Regel be- ständig, liefern aber von Zeit zu Zeit Rüdeschläge, deren Nach- kommenschaft nicht zur Abart zurückkehrt; sie sind nicht in auf- fallender Weise von äusseren Verhältnissen abhängig. 2) Spielarten oder Schläge; dieselben sind bedingungs- weise beständig, nämlich unter Voraussetzung gewisser äusserer Verhältnisse, also in einem bestimmten Boden oder Klima. Unter Umständen, die ihnen nicht zusagen, zeigen sie Neigung zur Rück- kehr in die Stammform. 370 W. 0. Pocke, 3) Spielformen; sehr unbeständig', treten gelegentlich auf, bleiben aber in ihrer Nachkommenschaft veränderlich. 4) Individuelle Abänderungen; ohne merkliche Neigung zur Vererbung. Es ist natürlich völlig unmöglich, scharfe Grenzen zwischen die- sen Abstufungen zu ziehen, aber es ist durchaus nothwendig, sie im Wesentlichen festzuhalten. So lange man Bacen mit Spielfor- men und individuellen Abä^nderungen auf eine und dieselbe Stufe stellt, weil man eben Alles als Varietät bezeichnet, wird man nie- mals* zur Klarheit über die wirklichen Eigenschaften der Formen- kreise gelangen. In den gewöhnlichen Au&ählungen der Varie- täten wird Alles durch einander geworfen, denn ausser den Abän- derungen werden selbst einfache durch den Standort bedingte Zustände als Varietäten aufgeführt, z. B. die Landformen und die Wasserformen von Sumpfgewächsen. Man reiht die verschie- densten Dinge neben einander, und verfährt so, als ob man beim Menschen zusammenstellen könnte: var. a den Juden, var. If den Cretin, var. -^ den Gelbsüchtigen, var. 6 den Chinesen, var. € den Kaminfeger, var. ^ den Neger u. s. w. Die Wissenschaft darf solche Nachlässigkeiten nicht mehr gestatten. Es ist Zeit, der Anmaassung jener gedankenlosen Systematiker entgegenzutreten, welche zweifelhafte Pflanzenformen ohne wirkliche Prüfung mit der grössten Bestimmtiieit bald für „gute Species^', bald für „Varietä- ten^* erklären. Selbst erfahrene Botaniker, die dem weiten Art- begriff huldigen , scheuen sich nicht , die Entscheidung über den Artwerth der einzelnen Formen von Culturversuchen abhängig zu machen. Dieselben Männer werden sich gewiss bitter beklagen, wenn vom Gärtner bezogene Gemüse- oder Blumen-Sämereien ein- mal nicht die versprochene Varietät liefern; sie haben keine Ahnung davon, dass das Princip der Samenbeständigkeit als Merk- mal des Artwerthes nothwendig und unbedingt zu Jorpad'- sehen Arten führt. Die morphologischen Abänderungen werden nach ihrer Be- ständigkeit sehr verschiedene Rangstufen einnehmen. Manche Formen mit aufiallig abgeänderten Blättern sind ziemlich bestän- dig, so z. B. Fagaria vesca var. monophylla, Fraxinus excelsior var. monophylla, Rubus laciniatus, die krausblättrige Petersilie; sie werden als Abarten bezeichnet werden können. Auch unter den abnoimen Blüthengestalten sind manche ziemlich beständig, so manche Pelorien , die gefüllten Astern , Zinnien , Balsamiuen, Stockrosen u. s. w., die meistens den Rang von Spielarten haben. üeber die Begriffe Spedes nnd Yarietas im Pflanzenreiehe. 371 Andere, z. B. die gefüllte Agrostemma coeli rosa sind nur Spiel- formen. Farbenabänderungen in den Blüthen sind oft sehr con- stant, so dass man einige geradezu als Racen ansehen muss. Die Blutbuche ist nur eine Spielform, die entsprechende Varietät von Oxalis comiculata (var. tropaeoloides) ist dagegen eine sehr con- * staute Abart, wenn nicht eine Bace. Die braunen Amarantus- Arten scheinen z. Th. echte Racen zu sein. Selbst manche Mon- strositäten sind erblich, so z. B. Papaver somniferum monstrosum, namentlich aber die Celosia cristata, der fast constant viviparen Formen einiger Qräser und Jun'caceen nicht zu gedenken. Der Blumenkohl ist eine Spielart. — Es ist somit keine allgemeine Regel darüber aufzustellen, welche morphologische Abänderungen sich vererben und weiche nicht. Zu beachten ist, dass die Gärt- ner gewohnt sind. Formen als beständig zu bezeichnen, sobald der Procentsatz der Rückschläge nicht allzu gross ist. Bei Besprechung aller dieser Fälle ist ein Moment bisher möglichst sorgfaltig aus- geschlossen worden, nämlich das der hybriden Einflüsse. Es wäre denkbar, dass die Unbeständigkeit mancher Formenkreise viel ge- ringer sein würde, wenn keine gelegentlichen Kreuzungen einträten. Die Hybridität ist noch ausführlicher zu erörtern, doch darf hier nicht verschwiegen werden, dass die Variabilität bis zu einem ge- wissen Grade und in sehr vielen Fällen durch Hybridität bedingt scheint Das Schlussergebniss unserer Betrachtungen über das vierte Merkmal der Species würde sein, dass die innerhalb einer Art vorhandenen Verschiedenheiten nicht nothwendig in der Folge der Generationen unbeständig sein müssen. Nach allen bisherigen Anschauungen über die Art kann der Be- griff derselben nicht so eng gefasst werden, um der vierten For- derung zu genügen. Die engsten samenbeständigen Formenkreise nennen wir Racen ; von den mehr oder minder unbeständigen Ab- änderungen sind mehrere Stufen zu unterscheiden. Zwischen den Racen sind bald scharfe Grenzen (sprungweise Abänderungen) vor- handen, bald fliessen sie in einander über. Eine absolute Grenze zwischen beständigen und unbeständigen Ab- änderungen giebt es nicht. Die meisten Botaniker haben noch keinen Begriff von der grossen Zahl der wirklich vorhandenen Racen. Ich kann nicht glauben, dass die Gattung Rubus weniger als 10000 constante Racen zählt, bin vielmehr der Ansicht, dass die Zahl derselben mehr als doppelt so gross ist Gattungen wie Rosa, Hieracium, 372 W- ^- Fockc, Gentaurea würden jede tausende von Racen liefern, Thymus, Eu- phrasia, Sempervivum, die Dactyloides - Gruppe von Saxifraga mehrere hundert. Man vergegenwärtige sich femer, dass Beichen- bach, Wallroth, Jordan, Kerner fast in jeder Gattung, die sie auf einem meist beschränkten Gebiete genau untersuchten, neue Racen entdeckt haben. Man wird somit, wenn man den Begriff der Art auf die Race überträgt, einer maasslosen Vervielfältigung der Species entgegengehen. Will man dies nicht, so muss man sich aber auch nicht auf „vierjährige Culturversuche" berufen, um die Verschiedenheit zweier „Arten" zu beweisen. Wenden wir uns nun den beiden letzten Merkmalen zu durch welche das Artrecht eines Formenkreises erkannt werden soll Wir können diese beiden Merkmale als zusammengehörig auch gemeinsam besprechen, müssen nun aber, den Angaben An- derer folgend, wieder von Arten in dem gebräuchlichen unbestimm- ten Sinne reden. Die Unmöglichkeit, die Grenzen von Arten und Varietäten nach den morphologischen Eigenschaften und der Be- ständigkeit festzustellen, brachte einige Botaniker, insbesondere Decaisne, auf den Gedanken, in der Bastardbildung Kenn- zeichen für den Artwerth zu suchen. Decaisne berief sich in- dess, was wohl erwogen zu werden verdient, auf Naudin, dessen weittragende Erfahrungen auf diesem Gebiete nicht leicht ilber- troffen werden können. Naudin hielt allerdings das Verhalten der Racen bei der Kreuzung für ein gutes Mittel, um ihre verwandt- schaftlichen Beziehungen zu erkennen, ja, wenn man will, um den Grad ihrer specifischen Verschiedenheit zu bestimmen, aber er er- klärte sich gleichzeitig mit der grössten Entschiedenheit gegen die Idee der Beständigkeit der Arten. Er nahm rückhaltslos dieEnt- wickelungsthcorie an und zwar bereits vor dem Erscheinen von Darwin's „Entstehung der Arten". Naudin hatte also, bevor von Darwinismus die Rede war, aus seinen Versuchen den Schluss ge- zogen, dass die Arten ungleichwerthig und unbeständig sind. Be- reits 20 Jahre vor Naudin war der erfahrenste der damaligen englischen Hybridenzüchter, W. Herbert, zu der Ueberzöugung gelangt, dass jede Unterscheidung zwischen Species und constanten Varietäten willkürlich, künstlich und bedeutungslos sei. Es ist daher wohl zu beachten, dass es die Doctrinäre sind, die in ihrer Studirstube eine durch die Kreuzungsverhältnisse angezeigte Grenze zwischen Species und Varietät ausfindig gemacht haben wollen, während die Experimentatoren, welche sich im Garten eigene Er- lieber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 373 fahrungen erworben haben, zu dem entgegengei^etzten Ergebniss gelangt sind. Nach den Theoretikern sollen die Producte der Artenkreuzung mehr oder minder unfruchtbar und bei der Fortpflanzung unbe- ständig, die der Varietätenkreuzung dagegen fruchtbar und in der Nachkommenschaft beständig sein. Vergegenwärtigen wir uns in Kürze die wichtigsten Thatsachen. Fruchtbare Kreuzung ist nur zwischen solchen Pflanzen möglich, die sich im Blüthenbau einiger- maassen ähnlich sind. Bastarde zwischen Pflanzenformen, die ver- schiedenen Familien angehören, giebt es nicht. Allerdings ist mir ein einziger Fall bekannt, der indess zwei Familien betrifil, die wohl nur den Rang von Tribus beanspruchen können, nämlich Scrofularineae und Gesneriaceae. Es ist ein Bastard von Digitalis und Gloxinia, abgebildet und beschrieben in Maund, Bot. Gard. V 468. Nicht ganz selten sind Bastarde zwischen Arten verschie- dener Gattungen, z. B. Papaver x Glaucium, Papaver x Chelido- nium, Lychnis X Silene , Lychnis x Melandryum, Silene x Melan- dryum, Lavatera x Hibiscus, Malvaviscus x Hibiscus, Vicia x Pisum, Gampanula x Phyteuma, Bhododendron x Kalmia, Rhododendron X Menziesia, Ipomoea x Gonvolvulus, Philesia x Lapageria, Nico- tiana x Datura, Lamium x Leonurus, Aceras x Orchis, Gymnadenia X Nigritella, Chamaerops x Phoenix, Aegilops x Triticum, Elymus X Triticum, Lolium x Festuca; zweifelhafter ist die generische Verschiedenheit bei Berberis und Mahonia, Pirus und Sorbus, Ervum und Vicia, Lagenaria und Sphaerosicyos , Rhododendron und Azalea, Gloxinia und Sinningia, Ammophila und Calamagrostis u. a. m. Unähnliche Arten einer und derselben Gattung sind nicht häufig zu kreuzen; solche Arten, welche einander in Bau und Grösse der Blüthen ähnlich sind, pflegen mehr oder minder leicht Bastarde zu liefern. Indess lässt sich darüber keine allgemeine Regel aufstellen. Apfel und Birne oder Apfel und Quitte lassen sich z. B. nicht fruchtbar kreuzen , obgleich man bei der nahen systematischen Verwandtschaft der drei Arten wohl Bastarde zwi- schen ihnen erwarten dürfte. Die Birne scheint dem Apfel doch ungleich näher zu stehen als der Eberesche, mit der sie anschei- nend fruchtbare Hybride liefert. Ueberhaupt darf man nicht ver- gessen, dass die Fähigkeit, fruchtbare Kreuzungen mit einander einzugehen, in keiner bestimmten Beziehung steht zu dem Grade der systematischen Verwandtschaft der betreffenden Formen, oder zu der Fruchtbarkeit der aus den Kreuzungen hervorgegangenen Hybriden. Es ist noch nicht gelungen, die blauen und rothen 374 W. 0. Focke, Racen von Anagallis arvensis L. (A. coerulea und A. phoenicea) zu kreuzen; die gelbblüthigen und weissblüthigen Racen mancher Verbascum-Arten sowie die verschiedenen Racen das Mais liefern bei der gegenseitigen Kreuzung eine spärliche Nachkommenschaft, die indess ihrerseits vollkommen fruchtbar ist. Man hat nun die Lehre aufgestellt, die Bastarde aus sehr verschiedenen Arten seien völlig unfruchtbar, diejenigen aus nahe verwandten Arten theilweise fruchtbar, diejenigen aus einfachen Varietäten dagegen vollkommen fruchtbar. Immerhin wird diese Regel in manchen Fällen zutreffen, indem insbesondere die nächst- verwandten Racen unter einander völlig fruchtbare Blendlinge lie- fern und zwar auch dann, wenn die Kreuzung selbst nicht ganz leicht erfolgt (Zea, Verbascum). Allein es ist nicht die geringste Aussicht vorhanden, dass dies Verhalten je eine durchgreifende Trennung ermöglichen wird. So ist z. B. der Bastard zwischen Aegilops und Triticum noch einigermaassen fruchtbar. Aus Gart- mer's Beobachtungen geht deutlich hervor, und Herbbrt, Naudin und andere Züchter bestätigen es ausdrücklich, dass es alle Zwi- schenstufen zwischen vollkommen fruchtbaren und vollkommen unfruchtbaren Mischlingen giebt. Uebrigens ist die absolute Un- fruchtbarkeit eines Bastards keineswegs leicht zu constatiren. Man kann bei einer Pflanze hunderte und tausende von Blüthen ohne Fruchtansatz verkümmern sehen, bis schliesslich einmal einige Blüthen desselben Exemplars dennoch Früchte bringen. Besondere Umstände, namentlich ein wärmeres Klima, scheinen die Frucht- barkeit der Hybriden zu begünstigen. Die künstlich erzeugten Bastarde aus Digitalis purpurea L. und D. lutea L. waren stets unfruchtbar, aber dennoch pflanzt sich die wilde Bastardform D. purpurascens Roth durch Samen fort (Koch, Deutschi. Fl. II S. 612). Die Primula variabilis Goup. fanden Godron bei Nancy und Gat bei Paris immer unfruchtbar, während die Gärtner die Pflanze durch Samen vermehren. Darüber, ob die Nachkommen von Bastarden in der Folge der Generationen allmählich fruchtbarer oder unfruchtbarer wer- den, geben die Erfahrungen noch keinen genügenden Aufschloss; Manches scheint für die eine. Manches für die andere Meinung zu sprechen. Gärtner hat sich eine Anzahl von Hybriden während einer Reihe von Generationen erhalten , aber die Nachkommen- schaft schliesslich doch verkümmern sehen. Seine Pflanzen sind aber meistens in Töpfen gezogen ; auch kannte man zu seiner Zeit weder die Wirkungen der Insectenbefmchtang noch die der In- Ueber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 375 zucht. Es ist daher nothwendig, diese Versuche unter Berück- sichtigung aller neueren Erfahrungen zu wiederholen. Die Blu- menzüchter, welche in grösserem Maassstabe zu experimentiren und dadurch, wenn auch unabsichtlich, die strenge Inzucht zu ver- meiden pflegten, scheinen in manchen Fällen zu ganz andern Er- gebnissen gelangt zu sein. So weit unsere bisherigen Erfahrungen reichen, zeigt sich die Fruchtbarkeit der Bastarde von Nebenum- ständen abhängig, die wir noch nicht zu übersehen vermögen. Die Abkömmlinge hybrider Pflanzen sind in der Regel unter einander ungleich, manchmal nähern sie sich in späteren Genera- tionen wieder den Stammeltern, selbst wenn keine Rückkreuzungen erfolgen. Andererseits können auch durch die schwer zu vermei- denden Rückkreuzungen mancherlei Zwischenproducte entstehen. Indessen giebt es doch einzelne künstliche Bastarde, die samen- beständig sind, z. B. die Weiden nach Wighura, femer verschie- dene Hybride in den Gattungen Dianthus, Lavatera, Geum, Poten- tilla, Rhododendron, Petunia, Veronica, Galceolaria und andern. Solche Hybride verhalten sich ganz wie eigene Arten. Ueberhaupt ist der Grad der Veränderlichkeit der Nachkommenschaft von Hybriden ebenso unberechenbar und scheinbar willkürlich, wie der Grad ihrer Fruchtbarkeit. Offenbar ist es indess durchaus falsch, wenn man das Kreuzungsvermögen zweier Pflanzenformen und die Fruchtbarkeit und Lebensfähigkeit ihrer hybriden Nachkommen wie Erscheinungen behandelt, die in einem bestimmten Verhältniss zu einander stehen. Dass Bastarde, die nicht lebensfähig sind, keine Früchte tragen, ist selbstverständlich ; dagegen giebt es viele sehr lebenskräftige Hybride, die selten oder nie Früchte bringen (Mentha, Gircaea, Triticum, Ammophila, Lolium X Festuca) ; auch im Thierreiche lässt z. B. der unfruchtbare Maulesel an indivi- dueller Lebensfilhigkeit Nichts zu wünschen. Man darf daher über die sexuellen Beziehungen der verschiedenen Organismen zu einander keine allgemeinen Regeln aufstellen, ohne gleichzeitig zahlreiche Ausnahmen zu constatiren. Was indess die Phantasie der Doctrinäre aus solchen unbestimmten Regeln aufzubauen ver- mag, indem sie dieselben für „Gesetze" ausgiebt, davon liefert WiQAND (Darwinismus S. 27) ein ergötzliches Beispiel. Es kommen nun auch in der freien Natur nicht selten Arten vor, welche die grösste Aehnlichkeit mit Bastarden haben, so dass man sie nothwendig für Nachkommen von Hybriden halten muss. So ist z. B. Aesculus rubicunda Lois. allem Anschein nach ein zufällig im Garten entstandener fruchtbarer und samenbeständiger 376 W. O. Focke, Bastard. Rumex paluster Sm., R. pratensis M. et E., R. maxi- mus Schreb. treten in einigen Gegenden als seltene Bastarde zwischen den Eltern, in andern als selbständige Arten auf. Zwi- schen Lamium purpureum L. und L. amplexicaule L. findet sich zuweilen ein augenscheinlicher Bastard, der zwischen den. Eltern die Mitte hält Derselbe gleicht dem Lamium hybridum Vill., einer samenbeständigen und ziemlich verbreiteten Mittelform zwischen den beiden Arten. Cirsium tataricum Wimm. et Grab. (C. canum x oleraceum Naegeli) verhält sich in manchen Gegen- den Schlesiens wie eine eigene Art (Uechtritz in Verh. bot. V. Brandbg. Jahrg. VIII). Unter den Potentillen erinnern P. canescens Bess., P. coUina Wib., P. procumbens Sibth., P. aurulenta Gremli, P. splendens Ram. ausserordentlich an hybride Formen, wenn auch ihre gegenwärtige Verbreitung nicht immer mit der der beiden denkbaren Eltern zusammenfiUlt Mehrere der genannten Potentillen sind übrigens augenscheinlich gar keine homogene Arten, sondern, gemäss der Polymorphie so vieler Hybriden, Gruppen äusserst ähnlicher aber doch deutlich verschiedener Formen. Bei Dianthus, Viola (Formenreihe V. hirta — odorata, tricolor — lutea u. s. w.), Alchemilla, Polygonum scheint Aehnliches vozukommen (Oesterr. Bot. Z. XXI N. 2, XXIII N. 6 S. 190). Wer diese Ver- hältnisse mit Aufmerksamkeit verfolgt hat, wird sich schwerlich dem Eindrucke entziehen können, dass es Hybride sind, welche zu selbständigen Arten (Blendarten) geworden sind. Ein werthvoUes Kennzeichen der Hybridität besteht in der Verbildung und Verkümmerung, welche ein Theil der Pollenkömer zu erfahren pflegt. Alle Bastarde und Blendarten haben einen mehr oder weniger unregelmässig gebildeten Blüthenstaub. Die- selbe Erscheinung treffen wir indess bei manchen Arten an, für deren hybriden Ursprung wir sonst keinerlei Andeutungen haben und die wir geradezu von ausgestorbenen Stammeltcm ableiten müssten. Es bietet daher die Verbildung des Pollens zwar einen Fingerzeig, der auf die Möglichkeit einer hybriden Abstammung hindeutet, dieselbe aber nicht unbedingt beweist '). Indess dürfte 1) WiCHüBA hält die Verbildung des Pollens für ein Zeichen mangelhafter Accommodadon ; richtiger scheint es mir statt dessen za sagen: geschwächter Constitution. Eine solche, mit Verkümmerung verbundene Schwächung der Constitution tritt bei manchen Pflanzen ein, wenn sie in ein ihnen nicht zu- trägliches, namentlich ein kühleres Klima versetzt, oder wenn sie lange Zeit nur auf vegetativem Wege vermehrt werden (diese (Jrsache ist vielleicht auch für manche Rubi zutreffend). In andern Fällen, in denen die Ursachen der lieber die Begriffe Species und Varietas im PflaDzenreicbe. 377 eine sorgfältigere Benutzung dieses Merkmals doch überraschende Thatsachen an's Licht ziehen. Von den deutschen Rubus-Arten und Racen fand ich nur bei folgenden einen völlig regulären Blü- thenstaub: R. ulmifolius Schott f. (R. discolor Aut. mult.), R. to- mentosus Borkh., R. caesius L., R. Idaeus L., R. saxatilis L. — R. Chamaemorus L. konnte ich noch nicht untersuchen. Nun sind die genannten sechs Rubi die einzigen deutschen Arteu, deren Ver- breitung bis nach Asien oder Nordafrika reicht Meine Beobach- tungen über die Rosen sind weniger vollständig, indess fand ich bis jetzt einen regulären Pollen bei Rosa alpina L., R. pimpinelli- folia L., R. arvensis Huds., R. sempervirens L. und R. gallica L. Man wird wiederum zugeben, dass unter den europäischen Rosen gerade diese Arten die geschlossensten und am weitesten verbrei- teten sind. Von den VSTeiden haben nach Wichüba alle Hybride einen irregulären Pollen, alle echten Arten, ausser Salix fragilis L., einen regulären; nur bei S. triandra kommen einzelne Indivi- duen mit irregulärem Pollen vor. Ich kann diese Erfahrung be- stätigen, doch verhält sich S. repens wie S. triandra, während der Pollen von S. purpurea x repens oft kaum Spuren von Irregulari- tät zeigt. — Diese Thatsachen führen zu der Vermuthung, dass die Polymorphie bei Rosa und Rubus (auch wohl bei Hieracium und Centaurea) auf Hybridisationen beruht. Man würde indess bei Durchführung dieses Gedankens einerseits viele ausgestorbene Stammarten annehmen, andererseits die Idee einer dauernd ver- minderten Fruchtbarkeit der Blendarten aufgeben müssen. Die Annahme ausgestorbener Stammarten wird man wohl nicht eher als zulässig betrachten können, als bis auch andere Gründe dafür aufgefunden worden sind. Die Sache mag sich indess verhalten, wie sie will; jedenfalls sprechen sehr gewichtige Gründe dafür, dass in den genannten Gattungen Kreuzungen einen wesentlichen Antheil an der Erzeugung der vorhandenen, völlig beständigen Racen gehabt haben. Constitutionen cn Schwäche unbekannt sind, ist die Vcrbildung des Pollens von Leiicisnius (weisser BliUhe in imntblüihigeu Artongi-uppen) begleitet. Leucis- mus ist aber auch als ein Zeichen c^nstitutioncller Schwäche aufzufassen ; viele Arten ändern sehr leicht in AVeiss ab und diese Abänderungen scheinen oft sehr samenbeständig zu sein. Trotzdem sind die weissen Varietäten in der Kegel vereinzelte Erscheinungen. — Dass mit dem Ausdruck „geschwächte Constitution^^ keine Erklärung gegeben, vielmehr nur die Uruppe von That- sachen angedeutet ist, zu welcher die Erscheinung gehört, bedarf kaum der Erwähnung. Bd. IX, M. F. u. 26 378 W. O. Fockp, • Durch diese Thatsachen wird man unwillkürlich an die Er- fahrungen der Gärtner erinnert So lange man eine Art nur in einer einzigen Race oder Form besitzt, ist es in der Regel schwer, Abänderungen davon zu erhalten. Bekommt man eine zweite Form, die sich mit der ersten kreuzen lässt, so ist die Möglichkeit von Abänderungen geboten, denn die Producte erweisen sich nun als äusserst bildsam, sie variiren unter dem Einflüsse von Boden, Klima, Kreuzung u. s. w. Die entstehenden Abänderungen können einander bald viel unähnlicher werden, als die Stammeltern sind. Es liegt daher der Oedanke nahe, ob die Bildsamkeit der Blend- linge, welche die Entstehung von besonders gut accommodirten Abänderungen begünstigt, nicht eine reiche Quelle neuer Arten ist. Betrachten wir artenreiche Gattungen, so finden wir, dass die Formenkreise derselben in gewissen Gegenden gehäuft vorkom- men, dass sie dann in grösserer Entfernung seltener werden, bis zuletzt nur eine einzelne Art die Gattung an den Grenzen ihrer Verbreitung vertritt. Wäre nun die Entstehung von Abänderungen eine Folge klimatischer Verhältnisse, so müssten diejenigen Arten, welche dem Verbreitungsmittelpunkte am weitesten entrückt sind, auch die abweichendsten und veränderlichsten sein. Dieselben sind nun aber in Wirklichkeit gerade die beständigsten. Da wo die Arten gehäuft sind, kommen auch die Zwischenformen und anscheinenden Varietäten in grösster Zahl vor, so dass Jeder, der sich näher mit der Sache beschäftigt, den Eindruck empfangen muss, dass die Arten in denjenigen Gegenden ihre Bildungsstätte haben, wo sie in grösster Zahl neben einander wachsen. Die Kreuzung scheint das bildungsfähige Material zu liefern, aus dem durch den Einfluss der äusseren Verhältnisse die Arten hervor- gehen. Man hat nicht so sehr an wirkliche Bastarde als Stamm- väter der neuen Arten zu denken, als an Modificationen , welche die vorhandenen Arten unter dem Einflüsse der Kreuzung (Ab- sorption der Bastarde) erleiden. Nach dieser Vorstellung müssen stets neue Abänderungen und Racen entstehen, die durch Inzucht constant werden können, unter Umständen aber mit verwandten Racen Kreuzungen eingehen, die dann bildungsfähiges Material zur Entstehung fernerer neuer Formen liefern. Die Arten, welche man durch das Studium der morphologi- schen Verhältnisse und der von der Natur gegebenen Abgrenzun- gen erhält, fallen keineswegs mit denjenigen Arten zusammen, welche durch die Kreuzungen angezeigt werden. Wie bereits er- wähnt, hat Gasfary die Nymphaea studirt; er war nach Unter- Ueber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 379 suchung der Formen unserer einheimischen Seerosen zu dem Re- sultat gekommen, es gebe nur eine einzige trefflich umgrenzte europäische Species : Nymphaea alba L. Als er nun aber die bei- den ausgeprägtesten Formen kreuzte, fand er, dass di^ Hybriden nicht vollkommen fruchtbar sind. Er änderte demgemäss seine Ansicht, indenu er nun annahm , der weite Formenkreis der N. alba bestehe aus zwei verschiedenen Arten. Es wird aber noth- wendig sein, die übrigen Formen mit jenen beiden Arten zu kreu- zen. Ganz analoge Verhältnisse wie bei Nymphaea finden sich bei vielen andern vielracigen Formenkreisen, so dass eine sorg- fältige Untersuchung des Verhaltens der einzelnen Racen zu ein- ander eine sehr wichtige Aufgabe ist. Angenommen, es giebt von einer Pflanzenart (in weiterem Sinne) drei Hauptformen a, b und c; der Bastard axc zeigt eine verminderte Fruchtbarkeit Nun kann sich b verschieden verhalten ; entweder ist die Fruchtbarkeit von axb und bxc ebenfalls vermindert, dann ist nach der Doctrin auch b eine besondere Art; oder es ist nur eine der bei- den Formen axb oder bxc nicht völlig fruchtbar, dann ist b eine Varietät derjenigen Form, mit der es sich völlig fruchtbar kreuzen lässt ; oder axb und bxc sind beide vollkommen frucht- bar, dann ist die Doctrin falsch. Man hat in dieser Richtung noch nicht planmässig experimentirt, obgleich es nicht schwer sein dürfte, geeignetes Material zu finden. In einem wissenschaftlichen Ver- suchsgarten würde diese wichtige Frage unschwer zu lösen sein. Fragen wir nun, was wir durch die Betrachtung der Verhält- nisse der Bastarderzeugung für den Artbegriff gewonnen haben, so werden wir zunächst gestehen, dass es noch an Untersuchungen fehlt, die bestimmt nachweisen, wo in Gruppen nahe verwandter Formen die Grenzen der völlig fruchtbaren Kreuzung liegen. So- bald man nur die ausgeprägten Formen vergleicht, sind die Art- unterschiede unstreitig vorhanden und offenbaren sich auch bei der Kreuzung. Aber die Zwischenstufen, die man so vielfach ver- nachlässigt hat, sind in ihrem Verhalten zu den bekannteren Haupt- typen kaum je geprüft worden. Es ist nun aber unbedingt er- forderlich, auch die Zwischenstufen zu untersuchen, um zu einem bestimmten Urtheil über den Werth der aus den Kreuzungsver- hältnissen entlehnten Artmerkmale zu gelangen. Sicher muss aber die aus der Untersuchung von Nymphaea alba entnommene Lehre dahin führen, dass man entweder die durch morphologische Cha- raktere und die Umgrenzbarkeit gewonnenen Arttypen in Frage 26* \ 3gQ W. (). Focke, zieht, oder dass man die Verhältnisse der Kreuzung nicht als ent- scheidend über den Artwerth betrachtet. Unsere Kenntnisse über die Kreuzungen sind noch äusserst lückenhaft, so dass ein botanischer Versuchsgarten, ganz abgesehen von der bereits bezeichneten einzelnen Frage, in der Vornahme von Kreuzungsversuchen ein grosses Arbeitsfeld* finden würde. Die zahlreichen Aufgaben, welche die sexuelle Affinität der Arten, die Beständigkeit der Hybriden, die Fixirbarkeit gekreuzter Racen und andere wichtige Probleme stellen, werden erst durch sehr zahlreiche genaue und vielfach abgeänderte Versuche der Lösung nahe geführt werden können. Eine unbefangene Würdigung der bis jetzt bekannten Thatsachen wird kaum ein anderes Ergebniss liefern, als dasjenige, zu welchem bereits Naudim gelangt war, nämlich, dass zwischen den einzelnen Formenkreisen alle mög- lichen Abstufungen der sexuellen Vewandtschaft vor- kommen. Wir müssen nachdrücklich betonen, dass die her- kömmlichen Meinungen über die Bastarde, ihre Unfruchtbarkeit, Unbeständigkeit und ihr baldiges Erlöschen durch zahlreiche Er- fahrungen aufs Tiefste erschüttert oder vollständig unhaltbar ge- macht worden, sowie, dass die Thatsachen der Bastardbefruch- tung, wie Naudin erkannte, mit der Idee der absoluten und.con- stauten Species völlig unvereinbar sind. Ehe wir nun diese Untersuchungen abschliessen, wollen wir noch einige Artengruppen aus der europäischen, insbesondere der deutschen Flora zusammenstellen, welche wir denjenigen Botani- kern zum speciellen Studium empfohlen haben möchten, welche glauben, dass die schlecht umgrenzten Arten so selten sind. Eii- phrasia, Thymus, Rosa, Rubus und die verschiedenen Baumgattun- gen sind bereits mehrfach erwähnt worden; ausserdem seien ge- nannt: Thalictrum, Anemone (Pulsatilla, alpina, coronaria u. s. w.), Batrachium, Ranunculus montanus Willd. R. acer L., R. polyanthe- mos L. u. s. w., Helleborus, Caltha, Aconitum, Aquilegia, Papaver alpinum L., P. Rhoeas L., P. dubium L., Fumaria, Cardamine hir- suta L., Erysimum, Brassica, Gochlearia, Draba, Alyssum, Iberis, Thlaspi, Helianthemum vulgare Gaertn., Viola odorata L., V. hirta L., V. canina L., V. tricolor L., Polygala, Frankenia, Dianthus, Cerastium, Arenaria, Alsine, Lepigonum, Erodium, Genista, Cytisus (Tubocytisus) , Ononis, Anthyllis vulneraria, Medicago, Trifolium filiforme L., Vicia (Cracca), V. sativa L., Prunus, Potentilla, Pirus Malus, Sorbus, Crataegus, Scleranthus, Sempervivum, Sedum Tele- phium L., Saxifraga (Dactyloides), Bupleurum, Galium, Scabiosa, lieber die Begriffe Species uud Varietas im Pflanzenreicbc. 381 Aster spec. American., Filago, Senecio nemorensis L., S. Jacobaea L., Gentaurea, Taraxacum, Lactuca, Grepis, Gampanula rotundifolia L., Pulmonaria, Myosotis, Solanum, Scrofularia, Yeronica latifolia L., V. agrestis L., Alectorolophus, Orobanche, Mentha, Galamintha, Lamium, Galeopsis, Armeria, Atriplex, Salicornia, Salsola, Suaeda, Polygonum, Rumex obtusifolius L., Tbesium, Parietaria, Grocus, Colchicum, Ornithogalum , Luzula campestris, Scirpus lacustris, Garex caespitosa L., G. acuta L., Aira, Avena, Poa laxa Haenke, Festuca, Lolium, Triticum (Agropyrum). Das Verzeichniss könnte, wenn man die weniger bekannten Fälle mitrechnet, leicht verdop- pelt und verdreifacht werden. Das schliessliche Frgebniss dieser Untersuchungen über die Merkmale, durch welche man „Arten'' und „Varietäten'' unter- scheiden zu können glaubt, besteht darin, dass weder in den morphologischen Kennzeichen, noch in der Umgren- zung der Formenkreise, noch in dem Grade der Be- ständigkeit, noch in den sexuellen Beziehungen eine wirkliche und natürliche Scheidung der Formenkreise in Species und Varietäten gefunden werden kann. Eine unzweifelhafte Varietät kann durch wichtige Merkmale geschieden sein (Raphanus sativus), sie kann scharf abgegrenzt sein (Datura Tatula L. var. inermis), sie kann in hohem Maasse samenbestän- dig sein (Ranunculus arvensis L. var. inermis) sie kann sehr un- empfänglich sein gegen Kreuzung durch andere Varietäten dersel- ben Art (Zea). Man hat nun eingewandt, dass man bei Abwägung des Artwerthes einer Form nicht eins jener Merkmale sondern die Gesammtheit berücksichtigen müsse. Dieser Grundsatz ist voll- kommen richtig für Deqjenigen, der nur den Betrag der Unter- schiede festzustellen wünscht, welche einen Formenkreis von den nächstverwandten trennen und der je nach der Grösse dieses Be- trages dem Formenkreise seinen Rang anweist, ein Verfahren, bei dem eine gewisse Willkür selbstverständlich ist. Dagegen ist es durchaus widersinnig, jedes einzelne Merkmal als un- zuverlässig zu bezeichnen und trotzdem zu behaupten, die durch solche unsichere Zeichen zu erkennenden Arten seien gegebene und unveränderliche Realitäten. Man würde in diesem Falle (Wigakd zeigt grosse Neigung die einzelnen Artkeunzeichen der Reihe nach als unsicher zu bezeich- nen) Gesetz und schrankenlose Willkür verwechseln. Die Anhän- ger des „absoluten" Artbegriffs haben sich bald durch weite, bald durch enge Arten, sowie durch stärkere Betonung bald des einen 382 W- ^' Pocke, bald des andern Kennzeichens für die Arten za helfen gesacht. Es ist indess offenbar, dass der Umfang der Arten sehr verschieden ausfällt, je nachdem man die morphologischen Merkmale oder die Bestandlgkißit oder die Fruchtbarkeit der Kreuzungsprodukte zur Abgrenzung benutzt Was wir bisher über die sexuellen Beziehungen der verschiedenen Päanzenformen za einander wissen, ist ziemlich ungenügend, macht jedoch die Brauchbarkeit dieses Verhaltens für die Zwecke der Systematik äusserst unwahrscheinlich. Die Benutzung der morphologischen Merkmale zur Umgrenzung der Arten wird immer der Willkür der Auffassung weiten Spielraum lassen. Viel- fach werden Convenienz oder^ wenn man lieber will, jener vielge- rühmte „Tact^^ den Umfang der Arten bestimmen. Man findet genau dieselben Schwierigkeiten vor, welche sich bei Umgrenzung der Gattungen und Familien herausgestellt haben. Da man allgemein darüber einverstanden ist, dass unbeständige Formen nicht als Arten zu betrachten sind, so würden sich die natürlichsten Ai*ten auf den ersten Blick bei ausschliesslicher Rücksichtnahme auf die Be- ständigkeit ergeben. Das Unpraktische, diesen Gesichtspunkt als einzig maassgebcnd für die Nomenclatur zu betrachten, liegt indess auf der Hand. Soll man nur die Beständigkeit bei Inzucht prü- fen? Dann wird sich vielleicht manches Merkmal als beständig erweisen, welches nur unter ganz besondern Umständen walimehm- bar ist; noch schwieriger wird es sein, umgekehrt die Unbestän- digkeit solcher Merkmale nachzuweisen. Prüft man die Beständig- keit bei freier Kreuzung, so kommen wieder die verwickelten und wahrscheinlich in hohem Grade von Nebenumständen abhängigen Erscheinungen der Bastardbefruchtung in Frage. Ferner kann es wohl kaum zweifelhaft sein, dass enge Formenkreise, welche in einer Gegend als beständige Racen erscheinen, in einer andern durch zahllose Uebcrgänge in einander üiessen. Wir mögen die Sache anfangen, wie wir wollen, so werden wir doch niemals solche Arten erhalten, welche wirklich der Doctrin entsprechen. Der Lokalbotaniker wird freilich nicht begreifen können, wie man eine solche Behauptung aufzustellen wagen kann. Er sieht, wie oben erwähnt, fast lauter gute Arten um sich herum und glaubt, dass die wenigen Ausnahmefälle die Regel nicht zu erschüttern vermögen. Allein jede Gegend bedingt Abänderungen, eine Thatsache, von der sich die sammelnden Botaniker bald über- zeugen würden, wenn sie sich auf Reisen mehr mit den ihnen ver- traut scheinenden, als mit den ihnen völlig fremden PÜanzeuformen beschäftigen wollten. Je weiter man die einzelnen bekannten Ueber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 383 „Arten" in ihrer Verbreitung verfolgt, um so grösser wird die Zahl jener eben erwähnten „Ausnahmefälle" werden; die schlecht um- grenzten Arten zeigen sich in andern Ländern auch in vielen sol- chen Gattungen, in denen man in der Heimath nur „gute Arten" zu sehen gewohnt war. Allerdings bleibt immer noch eine erhebliche Anzahl „guter Arten" übrig , aber doch nicht genug, um darauf irgend welche Hypothesen von allgemeiner Gültigkeit zu bauen. Die Systematiker, welche sich mit der Untersuchung ausländischer Pflanzen beschäftigen, von denen sie nur getrocknete Exemplare zu sehen bekommen, sind bei ihren Bestimmungen nur auf morpholo- gische Merkmale angewiesen und halten daher unbedingt an dem weiten Artbegriff fest. Die Botaniker dagegen, welche sich vor- zugsweise dem Studium der einheimischen Flora zuwenden, sind sehr geneigt, die Racen für die wahren Arten zu halten. Man wird schliesslich bei genügender Formenkunde von jedem Stand- punkte aus zu der Einsicht gelangen, dass ein grosser Theil der vorhandenen Pflanzenformen sich nur künstlich und willkürlich in Arten eintheilen lässt, dass es aber andererseits wirklich gut um- grenzte natürliche Arten giebt, dass dieselben jedoch nicht relativ häufiger sind als die natürlichen Gattungen und Familien. Man wird demnach aus dieser Thatsache keine Schlussfolgerungen zie- hen dürfen, welche nicht auch auf Gattungen und Familien an- wendbar sind. Wenn Thalictrum aquileglfolium L. und Rosa alpina L. absolute und constante Species sind, so sind Thalictrum und Rosa auch absolute und constante Gattungen, die Ranuncu- laceen und Rosaceen absolute und constante Familien. Die Species hat somit vor den weiteren Formenkreisen Nichts voraus, aber ebenso wenig vor den engeren. Wir werden nämlich zugeben müssen, dass sich der Beweis für den genetischen Zusammenhang der verschiedenen unter den weiten Artbegriff zusammengefass- ten Formen nicht auf experimentalem Wege führen lässt; man erinnere sich an Homo sapiens und ähnliche Formenkreise. Wer die Species als einen in sich geschlossenen Bildungstypus festhalten will, wird den Artbegriff auf die engeren constanten Formenkreise zu übertragen suchen. Es ist indess erforderlich, sich über diese Auffassungsweise und ihre Consequenzen vollkom- men klar zu werden. H. Hoffmann (Untersuchungen zur Bestim- mung des Werthes von Species und Varietät S. 22) erkennt, gleich JoBBAN, in der BestäiMigkeit das einzige entscheidende Merkmal der Art, so dass jeder Formenkreis, der eine genetische Einheit darstellt, also jede constante Race, eine besondere Species bildet 384 ^' ^' Focke, Diese Auffassung hat den Vorzug der theoretischen Klarheit, Ein- fachheit, Bestimmtheit und Folgerichtigkeit. Allein es entsteht nun die Frage, wie die Beständigkeit erkannt werden soll. Hoff- mann erklärt die Adonis aestivalis citrina und Atropa Belladonna lutea ihrer Beständigkeit wegen für besondere Arten (a. a. 0. S. 169); es ist indess nicht abzusehen, wie diese Pflanzenformen , deren Entstehung man nicht kennt, mit irgend welcher Sicherheit von solchen samenbeständigen Abänderungen unterschieden werden sollen, deren zufälliges plötzliches Entstehen wirklich beobachtet worden ist. Wenn man die beständigen Racen als Arten betrach- tet, so wird man auch die Racen der Gattung Homo als ver- schiedene Arten anerkennen müssen. Sollte man glauben, dass etwa die Zwischenformen ein Hinderniss für diese Trennung seien, so würde mit dem Aussterben der Uebergangsglieder dies Hinder- niss verschwinden, man würde also entweder die Möglichkeit des Verschwindens von Zwischenformen leugnen .oder die Thatsache anerkennen müssen, dass eine Stammart sich in zwei neue Species spalten kann. Homo ist übrigens nur ein Paradigma für zahlreiche andere minder allgemein bekannte Fälle; dahin gehören z. B. Euphrasia officinalis, Viola tricolor, Campanula rotundifolia, Thy- mus Seppyllum, Draba verna u. s. w. — Man wird ferner die Frage nicht umgehen können, aus wie viel Arten oder Racen denn eigent- lich ein solcher weiter Formenkreis besteht. Sind Neger und Weisse verschiedene Arten, so tritt die Frage an uns heran, was denn eigentlich diejenigen Menschen sind, welche weder zu den Negern noch zu den Weissen gehören. Genau dieselbe Schwierig- keit finden wir auch in der Plianzenwelt , wenn wir z. B. vom weissblüthigen Papaver dubium der Douauländer zum rothblüthigen P. coUinum Bogenh., zu P. modestum Jord., P. Laniottei Bor., P. Lecogii Lmtte., P. intermedium Beck., P. strigosum Boenningh., P. Rhoeas L., P. Rhocas var. hispidissima Gaud., P. Rhoeas var. Cormiti Hort., P. sinense Weinm. fortschreiten. In überaus zahl- reichen Fällen wird man solche Uebergangsformen und Zwischen- formen antreffen, die eine klare Abgrenzung der Racen unmöglich machen; man sieht die Formenkreise hier ineinanderüiessen, dort auseinandergehen. Auch über das Schlussergebniss darf man sich nicht täuschen: man wird selbstverständlich auch in der Race keinen wirklich einheitlichen Typus erhalten. Man erinnere sich z. B. an die weissblüthigen und die gelbblüthigeu Formen, .welche sich bei mehreren Verbascum-Typen finden; dieselben sind m Allgemeinen sameubestäudig und kreuzen sich nur schwierig. lieber die Begriife Species und Yarietas im Pflanzenreiche. 385 Der Anhänger des engen Artbegrififs wird meistens nach solchen Kennzeichen den Artwerth abwägen. Nun sollen nach einzelnen Beobachtern die Farbenvarietäten nicht auf allen Bodenarten con- staut sein ; es fragt sich freilich, ob die bemerkten Schwankungen vielleicht durch Kreuzung bedingt waren. Die Thatsachen mögen sich nun verhalten wie sie wollen, sie stimmen jedenfalls schlecht zu der Idee von der Unwandelbarkeit der Art. Sind die weissen und gelben Yerbasca verschiedene Arten, so wird die Thatsache, dass verschiedene Sammelarten sich ganz gleichmässig in je zwei genau analoge Racen-Arten spalten, die Idee eines genetischen Zu- sammenhanges dieser Racen unabweislich nahe legen; man wird zugleich an die bereits besprochenen Farbenabänderungen bei Poly- gala und ähnliche Variationen (Raphanus, Brassica, Phyteuma, Thalictr. aquilegifolium) erinnert. Nimmt man umgekehrt an, dass die weissen und gelben Formen derVerbasca nur eine Art bilden, so fehlt jeder genügende Grund, die Farbenabänderungen bei Atropa, Adouis, Zea u. s. w. als verschiedene Arten zu betrachten ; man wird ferner einsehen müssen, dass man für die Theorie der Constanten Art wenig gewinnt, wenn man trotz der Annahme enger Formeiikreisc keine einheitliche aus gleichwerthigen Organismen zusammengesetzte Species erhält. Der Pollen wie die Samen der weissen und gelben Formen von Verbascum sind ungleichwerthig. Ebenso wenig homogen sind die Arten zusammengesetzt, welche aus zahlreichen, fast beständigen Varietäten bestehen, so z. B. die cultivirten Bohnen, Mais, Waizen u. s. w. Die absolute und con- stante Species ist daher auch in den Racen -Arten schwerlich zu finden und wenn man sie gegenwärtig noch darin sucht, so wird dies nur dadurch möglich, dass über das Wesen der Varietäten noch so viel Unklarheit herrscht. Die Aufgabe der Zukunftssyste- matik ist das Studium der Racen und der wandelbaren Abände- rungen; es ist keine Kunst, die durch deutliche Merkmale ausge- zeichneten Sammelarten von einander zu unterscheiden, während die Erforschung der biologischen Eigenschaften der engsten Formen- kreise nothwendig zu klaren Vorstellungen über das Wesen der organischen Typen und die Entwickelungsgeschichte der organi- schen Natur führen muss. OIFenbar werden aber sehr vielseitige Untersuchungen über die Wirkung von Boden, Klima und Kreuzung erforderlich sein, um die gegenseitigen Beziehungen ähnlicher For- men zu einander vollständig kennen zu lernen. Es lassen sich den heutigen Botanikern, abgesehen von zahl- reichen vermittelnden Richtungen, vier verschiedene Auffassungen 386 W. 0. Pocke, des ArtbegrifEiB anterscheiden, indem sowohl Diejenigen, welche an die Umwandlungsfahigkeit der Arten glauben, als auch die An* banger des Begrifiis der constanten Species entweder weite oder engbegrenzte Arten annehmen können. Die Frage nach dem Um> fange der Arten haben aber fär die Darwinianer eigentlich nur eine formale Bedeutung. Was Kerner Arten nennt, bezeichnet HooKBR als Unterarten; es handelt sich hier um eine Zweckmäs- sigkeitsfrage , die der Systematiker verschieden zu beantworten pflegt, je nachdem er sich mit einheimischen oder mit ausländischen Gewächsen beschäftigt. — Durchaus unvereinbar sind aber die Ansichten Derer, welche entweder die weiten oder die engbegreuz- ten Arten für die constanten Species halten. Der Umfang der Arten ist nach Hooker und nach Regel ziemlich derselbe , und ' ebenso nach Kbrner und nach Jordan. Die Principien Jordan's und Begel's sind aber einander völlig entgegengesetzt. Sind Jor- dan's Arten die wahren constanten Species, so können es die Rb- GEL'schen nicht sein und umgekehrt. Die Argumente, welche diese beiden Botaniker für die Constanz ihrer Species vorbringen, heben sich gegenseitig auf, während die Entwickelungstheorie alle diese Gegensätze vermittelt und erklärt. Noch ein Wort ist über den sogenannten mittleren Art- begriff zu sagen, der im Grunde Nichts weiter ist, als eine Ac- commodation an das mittlere Unterscheidungsvermögen der Syste- matiker. Man unterscheidet, was sich bequem unterscheiden lässt und was nicht durch allzu zahlreiche Uebergäoge verbunden scheint. Für dies Verfahren lassen sich praktische, der Anpassung an das menschliche Fassungsvermögen entlehnte Gründe geltend machen ; eine andere wissenschaftliche Rechtfertigung dieses Standpunktes ist aber nicht möglich , auch wohl kaum je ernstlich versucht worden. Es ist Nichts dagegen einzuwenden, wenn man mittel- weite Arten als Hülfsmittel für das Gedächtniss für nützlich hält, nur darf man nicht glauben, dass solche Formenkreise sofort ein wirklich einheitliches und unveränderliches Ganzes bilden, sobald man sie in die Bücher aufgenommen hat. Eine feste Regel für die Grenzen solcher mittelweiter „Arten" giebt es nicht, so dass der vielgerühmte „Tact" der Meister der Systematik vollen Spiel- raum findet, sich zu bewähren, indem er nur solche Formenkreise unterscheidet, die den meisten seiner Zeitgenossen als annehmbare „Species" erscheinen. Was man bisher Varietäten genannt hat, besteht aus Formen von höchst ungleichem Werth und ungleicher Constanz. Will man üeber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 387 den Ausdruck Varietät als einen generellen beibehalten, so darf man wenigstens nicht mehr die constanten ßacen darunter be- greifen. Ich halte es für zweckmässig, den weiteren Artbe- griff, wie er bisher in der Kegel aufgefasst wurde, beizubehalten. Allerdings scheint in einigen Zweigen der beschreibenden Natur- forschung, z. B. in der Ornithologie, der Kacenbegriff an die Stelle des Artbegriffs getreten zu sein. Es mag dieses Verfahren eine Folge mit vorgeschrittener Specialkunde sein, ist aber doch in an- dern Zweigen der Zoologie und in der Botanik schwerlich als nach- ahmungswerth zu empfehlen. Für die Botanik eignet sich am meisten das von Hookbb und Cblakovsky vorgeschlagene Ver- fahren, nämlich die Annahme weiter, morphologisch abgegrenzter Species und innerhalb derselben das Festhalten constanter Bacen, seien sie nun durch bedeutende, seien sie durch unerhebliche Merkmale geschieden. Die Bacen erhalten vollgültige Speciesbe- nennungen, die in der nämlichen Gattung nicht für andere Bacen oder Arten benutzt werden dürfen. Scrofularia aquatica L. wird z. B. die Bacen S. Balbisii Hörnern., S. cinerea Du M., S. Neesii Wirtg., S. umbrosa Du M. umfassen; Quercus Bobur L. die Ba- cen Q. sessilitlora Sm., Q. pedunculata £hrh. und Q. pubescens Willd. einschliessen, jede dieser Bacen hat nun aber unzählige Spiel- arten, über deren Samenbeständigkeit freilich wenig bekannt ist und die man daher vorläufig eiiifach als Varietäten aufführen muss. Die BEMTUAü'schen, BEGEL'schen oder NsiLREicH^schen Arten wer- den nach diesem Grundsatze die Species, die JoBPAN^schen, Kbriier'- schen oder HoFFMANN'scheu werden die Bacen. Die praktische Durchführung des Gedankens, freilich ohne theoretische Begrün- dung, ist von J. D. Hookbb vei-sucht, er sagt darüber: „The adop- tion of sub-species will, J hope, prove generally acceptable, though open to abundant criticism in detail ; indeed in a good many cases this subdivisiou is aluiost purely arbitrary'^ (Hook. Stud. Fl. Brit. Isl. 1870 pag. VI). Man wird indess zugeben, dass die Willkür in der Anwendung des Verfahrens wesentlich vermindert wird, wenn man nach den hier entwickelten Ansichten völlig verschiedene Grundsätze für die Abgrenzung von Arten und von Bacen an- nimmt. Kein anderes Verfahren giebt irgend mehr Aut^sicht auf Durchführbarkeit ohne Willkür. Sollte ein derartiges die Willkür ausschliessendes Schema erfunden werden, so könnte allerdings der Beweis für die Existenz der Species als geführt betrachtet werden ; der Mangel eines genetischen Zusammenhanges würde da- mit freilich noch nicht erwiesen sein, weil bekanntlich auch die 388 W. (). Pocke, Abänderungen häufig sprungweise auftreten. Ein entschiedener Vorzug des HooKBR'schen Verfahrens besteht darin, dass es völlig voraussetzungslos einfach den beobachteten Thatsachen gerecht zu werden sucht, also streng empirisch ist, während die Doctrinäre durch ihre Hypothese von der absoluten und constanten Species von vornherein eine Fälschung in die Natur hineintragen. Wir werden uns keineswegs die Schwierigkeiten verhehlen, die einer Durchführung der hier vorgeschlagenen Gruppirung der Formen entgegenstehen. Es giebt Formenkreise, die durch ihr örtlich beschränktes Vorkommen, durch ihre gemischten morpho- logischen Charaktere, durch biologische Eigenthümlichkeiten u. s. w. einerseits als unselbständig und gewissermaassen unfertig erschei- nen, andererseits sich auch den weiteren Arttypen nicht unge- zwungen als Racen einordnen lassen, ohne den Artcharakter zu verwischen. Man mag diese Nebenarten, die vielleicht meistens „Blendarten", d. h. beständige Arten hybriden Ursprungs, sind, behandeln, wie man will ; es wird möglich sein, sie zu kennzeichnen ohne all zu viele Stufen des Artwerths in die Systematik einzu- führen, wodurch die üebei'sichtlichkeit leiden würde. Im Uebrigen wird festzuhalten sein, dass die Gattung durch den Bau von Blüthe und Frucht, die Art durch andere morphologische Merkmale, die Race dagegen durch die Beständigkeit in der Folge der Genera- tionen charakterisirt wird. Die biologischen Merkmale lassen sich noch nicht genügend in der Systematik verwenden ; erst ein streng wissenschaftliches Studium, wie es ein Versuchsgarten ermöglichen würde, kann uns über ihre Bedeutung aufklären. Wir dürfen nun aber nicht glauben, dass die heutige Systematik bereits einiger- maassen dem wirklichen genealogischen Zusammenhange der For- menkreise entspricht. Die ausschliessliche Benutzung der von Blüthe und Frucht entlehnten Merkmale für die Umgrenzung der Gattungen ist unstreitig wenig naturgemäss ; Niemand wird z. B. glauben, dass Potentilla Fragariastrum Ehrh. mit der P. fruücosa L. oder F. anserina L. in einem näheren genetischen Zusammenhange steht, als mit der zu einer andern Gattung gerechneten Fragaria vesca L. Ungleich schwieriger gestalten sich die Verhältnisse bei den Verwandtschaftsbeziehungen der Familien. Empetrum z. B. zeigt eine unverkennbare physiognomische Aehnlichkeit mit den Ericineen; bis vor Kurzem wurde nun der Systematiker dringend davor gewarnt, zu glauben, dass diese Aehnlichkeit mehr als eine Zufälligkeit sei, da Empetrum den Euphorbiaceen augereiht wer- den müsse. Neuerdings hat man sich aber doch wieder überzeugt^ lieber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 389 dass die Vorwandtschaft zu den Ericineen eine ziemlich innige ist. Ferner ist es sehr zweifelhaft, ob nicht Aenderungen im Blüthen^ und Fruchtbau eben so leicht vor sich gehen, wie Aenderungen im übrigen typischen Aufbau der Gewächse. Beispielsweise zeigt die Gattung Wcinmannia habituell eine grosse Aehnlichkeit mit Lycopus oder Mentha, also eine Saxifragacee mit einer Labiate. Nach dem Blüthenbau ist Weinmannia unzweifelhaft eine nahe Verwandte von Saxifraga, aber es darf durch Anerkennung dieser Thatsache nicht die Untersuphung darüber abgeschnitten werden, welche Bedeutung die Aehnlichkeit des ganzen vegetativen Auf- baues von Weinmannia und Lycopus hat Eine nähere Erörterung dieser Fragen würde vom Thema abführen; es scheint jedoch wünschenswerth, darauf hinzuweisen, dass unser heutiges Pflanzen- system noch weit davon entfernt sein dürfte, ein Ausdruck für die wahren genealogischen Beziehungen zu sein. Es gilt diese Be- hauptung namentlich von den Dicotyledonen. Der Artwerth (sp^ci^it^ nach NAm>iN) eines Formenkreises kann niemals an und für sich, sonderen stets nur unter Bezug- nahme auf andere Formenkreise bestimmt werden, er ist daher kein absoluter, sondern ein relativer Begriff. Beispiels- weise stehen die deutschen Nieswurzarten Helleborus niger L., H. viridis L., H. odorus W. et K., H. atrorubens W. et K., H. dumetorum W. et K. und H. foetidus L. nicht gleichwerthig neben einander, sondern Jedermann weiss, dass Helleb. niger L. und H. foetidus L. sich viel weiter von den vier andern Formen entfernen als diese unter sich. Man kann dies Verhältniss dadurch aus- drücken, dass man diese letzten als Subspecies einer einzigen Sammelspecies auffasst. Nun stehen sich aber H. atrorubens W. et K. nnd H. odorus W. et K. einander wiederum näher als den andern beiden Formen; man kann also auch aus den vier Formen- kreisen drei Species machen, von denen die eine zwei verschiedene Racen umfasst H. atrorubens W. et K. würde somit den gering- sten Artwerth haben, aber dies ist nur der Fall, weil H. odorus W. et K. existirt. Würde von jenen 4 Subspecies H. atrorubens allein vorhanden sein, so würde der Artwerth dieses Formenkrei- ses derselbe sein wie der von H. niger L. und H. foetidus L. Der Artwerth bezeichnet somit nur die Verwandtschaftsstufe zweier Formenkreise. Nun giebt es aber nach den vorstehend vertrete- nen Anschauungen alle denkbaren Stufen der Verwandtschaft, eine Thatsache, für welche am entschiedensten die Versuche der Hybri- denzüchter Hbrbebt und Naudik sprechen, die sich beide — bevor 390 W. 0. Focke, von Darwin's Lehre die Rede war — tiberzeugten, dass alle Mittel- stufen zwischen den Begriffen der Art und der Varietät vorhanden sind und dass es durchaus willkürlich ist, wo man die Grenzlinie annimmt. Für die formale Darstellung werden wir stets künstlicher Unterscheidungen bedürfen, also Grenzen in die Natur hineintragen müssen, welche in Wirklich- keit nicht vorhanden sind. Es lässt sich nun einmal nicht verhindern, dass jeder Gewinn an Uebersicht- lichkeit einen Verlust an Wahrheit bedingt. Wir wer- den indess unsere Systeme möglichst so einzurichten haben, dass nicht, wie es bisher der Fall war, die Meinung Wurzel schlagen kann, das System sei die Wahrheit selbst. Gleichwie der Artwerth einer Species ist auch ihre Beständig- keit nur relativ. Die Unterschiede, welche sich innerhalb kurzer, insbesondere historischer Zeit zwischen zwei Formenkreisen heraus- bilden können, erlangen nicht leicht den erforderlichen Grad von Beständigkeit, um die Fofmenkreise als wesentlich verschieden erscheinen zu lassen. Nur im Laufe vieler Generationen, und unter dem Einflüsse der (relativen) Inzucht und längerer Accom- modation an unveränderte äussere Verhältnisse, vermögen die Cha- raktere eines Formenkreises sich hinreichend zu befestigen. Die Organismen jedes Formenkreises hängen nicht allein genealogisch zusammen, sondern sie gehören auch zu einem sexuellen Verbände, indem die einander functionell entsprechenden Individuen ein- ander morphologisch und sexuell gleichwerthig sind. Die mor- phologische und sexuelle Gleichwerthigkeit ist nicht mehr vorhan- den zwischen Organismen, die verschiedenen Formenkreisen ange- hören, aber die Betrachtung der bekannten vorstehend besproche- nen Thatsachen führt uns mit zwingender Nothwendigkeit zu der Vorstellung, dass die verschiedenen Formenkreise nicht unver- mittelt neben einander bestehen, dass vielmehr ein enger geneti- scher Zusammenhang zwischen ihnen vorhanden ist. Wie bereits hervorgehoben ist, erscheinen innerhalb enger geographischer Bezirke die Formenkreise meistens als scharf gegen einander abgegrenzt, weil in jeder einzelnen Gegend die nächst- verwandten Modificationeti, mögen sie an Ort und Stelle entstehen oder einwandern, im Laufe der Zeit zu einer einzigen unter den gegebenen Umständen besonders lebensfähigen Race verschmelzen werden. Es bilden sich aber häufig auch desshalb grössere Lücken zwischen den Formenkreisen, weil bei den wechselnden Schicksalen, welche die Arten im Laufe geologischer Epochen erlitten Ueber die Begriffe Species und Varietas im Pflanzenreiche. 391 haben, vielfach zahlreiche Typen grosser und weite Formenkreise zu Grunde gegangen sind, so dass bald gar keine, bald nur ver- einzelte Repräsentanten sich bis zur Gegenwart erhalten haben. Die gegenwärtig isolirt erscheinenden Typen sind als die letzten Vertreter tertiärer Artengruppen aufzufassen. Bei der verhältniss- massigen Seltenheit fossiler Reste wird die Richtigkeit dieser Vor- stellung für die isolirten Pflanzenformen allerdings nicht oft im speciellein Falle auf directem Wege nachgewiesen werden können. Man darf sich indess mit vollem Rechte zunächst auf die ent- sprechenden Erscheinungen in der Thierwelt berufen und kann die Erfahrungen, welche z. B. das Studium der Bären, Pferde und Elephanten liefert, zur Erklärung analoger Thatsachen in der Pflan- zenwelt verwerthen. Es ist femer nicht zu verkennen, dass mit der fortschreitenden Kenntniss der Tertiärflora immer deutlichere Streiflichter auf die Beziehungen der ehemaligen Arten zu den heutigen fallen. Der genetische Zusammenhang der lebenden Arten ist nur verständlich, wenn man die Stammformen, die in früheren geologischen Epochen vegetirten, berücksichtigt. Aller- dings werden wir nur einen Theil derselben nach und nach wirk- lich kennen lernen; die Mehrzahl ist verschwunden und es lässt sich nur nach Analogieen auf ihre Eigenschaften schliessen. Die Entwickelungslehre liefert uns die allgemeinen Gesichtspunkte, durch welche es allein möglich ist, zahlreiche Reihen von That- sachen verständlich zu machen. Manche Naturforscher sträuben sich zwar noch gegen diese Schlussfolgerungen. H. HomcAUM z. B. stellt auf S. 25 seiner Untersuchungen die Resultate zusam- men, welche er durch seine Culturen erhalten hat und welche im Wesentlichen die bekannten Erfahrungen der Züchter bestätigen. Er betrachtet diese Resultate als „keineswegs günstig für die De- scendenz-Hypothese^^ Weshalb dies der Fall sein soll, ist nicht angegeben, und die Behauptung, dass Hoffhamn's Versuche genau so ausgefallen sind, wie sie nach den Anschauungen der Descen- denztheorie erwartet werden können, wird schwerlich zu wider- legen sein. Ohne den Werth und die Bedeutung der Hoffmamn'- schen Versuche irgendwie herabzusetzen, kann man doch wohl behaupten, dass sie zu der Descendenzlehre in gar keiner Bezie- hung stehen. Zur Prüfung des Artbegriffs werden ganz andere Versuchsreihen nothwendig sein und zwar solche aus Formenkrei- sen, in denen die Grenzen von Racen und Arten nur willkürlich bestimmt werden können. In der Regel ist die verneinende Stellung, welche manche 392 W. O. Focke, Naturforscher der Entwickelungslehro gegenüber einnehmen, auf psychologische Gründe zurückzuführen. Die Zähigkeit, mit welcher anerzogene Vorurtheile haften, und der^Widerspruchsgeist, welcher manchen Personen eigenthümlich ist, erklären dies Verhalten we- nigstens in vielen Fällen. Es ist vorstehend bereits mehrfach Wigand's „Darwinismus" erwähnt worden. So viel der Verfasser auch über die absolute und constante Art mittheilt, so ist doch durchaus nicht zu ersehen, welche Forraenkreise er denn eigent- lich für die wirklichen Arten hält. Bald ist es der enge Artbegriff, dem "er Lobsprüche spendet (S. 33, Adonis citrina S. 69), bald erklärt er mit positiver Sicherheit Rubus fruticosus, im denkbar weitesten Sinne genommen, für eine gute Art (S. 23) bald feiert er gar Rosa canina als „scharf begrenzten Typus" (S. 211). Be- zeichnend für Wigand's Verfahren ist die Erörterung auf S. 28 — 38, wo die ganze Argumentation auf der stetigen Verwechselung des allgemeinen Artbegriffs und des Begriffs der absoluten und con- stauten Art beruht, von denen der erste allerdings aus der Er- fahrung stammt, der letzte dagegen am Studirtische ersonnen ist. — Von der Meisterschaft, mit welcher Wiqand die Phrase hand- habt, noch ein Pröbchen: „So wird durch die Speculation die er- fahrungsmässig constante Species veränderlich, und die erfahrungs- mässig veränderliche Varietät constant gemacht — kurz die Species zur Varietät, die Varietät zur Species umgekehrt" (a. a. 0. S, 38). Dieser Satz, der gegen den Darwinismus gerichtet sein soll, passt .vortrefflich auf die WiGANn'schen Constanz - Speculationen. Zum Beispiel: Rubus fruticosus in weitestem Sinne ist, wie erwähnt, von WiGAND besonders häufig als Muster einer wahren Species auf- geführt worden; folglich sind die engeren Formenkreise, wie R. suberectus, R. villicaulis, R. Bellardii u. s. w., in Wigand's Sinne Varietäten. Nun ist der R. fruticosus aber nach Wigand's Angabe (S. 1 7) erfahrungsmässig variabel, während die genannten engeren Formenkreise nach allen bisherigen Versuchen erfahrungsmässig constant sind. Also sagen wir: „So wird durch Wigand's Specu- lation der erfahrungsmässig constante Rubus Bellardii für eine veränderliche Varietät und der erfahrungsmässig vielgestaltige R. fruticosus für eine constante Art ausgegeben", und wie die Worte weiter lauten. Die Hohlheit der Phrasen, von denen Wigand's Buch wimmelt, ist augenscheinlich, und können dieselben nur dem Un- kundigen imponiren. Für die Vorstellung von der absoluten und Constanten Species ist in der Natur kein Anhalt zu finden; nur im Zusammenhange üebor die Bogriffe Species und Varietas im Pflanzonreiche. 393 mit einer andern nicht minder abenteuerlichen Idee, nämlich der BuFFON'schcn Eataklysmentheorie, konnte sie zu allgemeinem An- sehen gelangen. Die Fabel, dass bereits Linn£ an die dauernde Unveränderlichkeit der Art geglaubt habe, Hess sich durch einige aus dem Zusammenhange gerissene Sätze seiner Schriften einiger- maassen glaubwürdig machen, obgleich sie in Wirklichkeit völlig grundlos ist. Allerdings war es die LiNN^'sche Nomenclatur, welche die Entstehung jenes Artbegriffs möglich machte, jedoch nur durch Vermittelung der Denkträgheit, welche stets geneigt ist, das We- sen der Dinge mit ihrer sprachlichen Darstellung zu verwechseln. Ein bekanntes Manöver der Gegner der Entwickelungstheorie, welches mehr von Rechthaberei als von Wahrheitsliebe zeugt, be- steht darin, dass sie hervorheben, es sei noch keine Species in eine andere umgewandelt worden. Wiqand drückt sich ziemlich vorsichtig folgendermaassen aus: „Es ist kein Fall 'bekannt, wo selbst durch Veränderung der Lebensbedingungen und durch künst- liche Zuchtwahl eine Pflanzen- oder Thierform so weit abgeändert wäre, dass dadurch die scharfe Grenze zwischen ihr und einer andern Species verwischt würde" (Darwinismus S. 81). Um den Sinn zu verstehen, muss man das vieldeutige Wort Species erläutern. Auf S. 28 definirt Wiqand die Species als einen „geschlechtlichen Formenkreis, welcher durch einen bestimmten Charakter ohne Uebergänge zu andern Formenkreisen scharf umschrieben ist". Der eigentliche Sinn des obigen Satzes ist also: „es ist noch nie gelungen, eine organische Form in eine solche andere Form umzu- wandeln, in welche sie sich nicht verwandeln lässt." Diese Sentenz würde zwar nicht sehr geistreich sein ; sucht man aber eine andere Bedeutung in Wigand's obigem Satz, so kommt einfach Unsinn heraus. Rapbanus sativus und Lactuca sativa galten über ein Jahrhundert lang als „gute LiMNis'sche Arten"; man hat sie in andere LiNN^'sche Arten verwandelt und dadurch sind sie sofort zu Varietäten degradirt. Dasselbe Schicksal steht unabwendbar allen andern „guten Arten" bevor, die man in Zukunft in einander überführen wird. Der Paläontologie muss es vorbehalten bleiben, nach und nach das Material zu sammeln, durch welches die Um- wandlung der Arten anschaulich dargelegt wird ; auch jetzt schon . werden z. B. v. Ettinqshausen's Nachweise auf besonnene Beob- achter ihren Eindruck nicht verfehlen. « Es ist in neuester Zeit von verschiedenen Seiten geäussert worden, dass man zwar die Richtigkeit der Descendenzlehre aner- kenne, dass man dagegen die DABwiN'sche Selectionstheorie ver- Bd. IX, N. F. n. 27 394 W. O. Pocke, werfe oder nur mit Vorbehalt annehme. Es ist nicht recht ein- zusehen, welche Vorstellungen eigentlich mit solchen Redensarten verbunden werden. Der Kampf um's Dasein ist keine Theorie, sondern eine Thatsache; die nothwendige Folge dieses Kampfes ist die Erhaltung der unter den jeweiligen gegebenen Verhältnissen lebenskräftigen, so wie der Untergang der unter den nämlichen Verhältnissen lebensschwaehen Individuen. Den Ausdruck „Kampf um's Dasein'^ kann man kritisiren, demonstrirt damit aber die Thatsache nicht weg. Wenn die heutigen Stuben-Biologen, deren Gesichtskreis nicht über den zufälligen Inhalt ihrer Bücherreole hinausreicht, sich keinen Begriff von diesen Vorgängen machen können, so ist dieser Umstand nur als eine unvermeidliche Folge der Papiergdehrsamkeit zu betrachten. Wer mit offenen Augen die Vorgänge in der Natur oder im Völkerleben beobachtet, wird in der Selection eine Macht erkennen, welche auf die belebte Na* tur mit derselben Nothwendigkeit einwirkt, wie die Schwerkraft auf die unbelebte. Die Auslese (Selection) kann indess nur da in Wirksamkeit treten, wo es etwas auszulesen, wo es also Unter^ schiede giebt; sie kann keine Aenderungen schaffen, sondern nur unter den gegebenen Abänderungen die geeignetsten begünstigen. Das Problem in der Geschichte der Artbildung liegt nicht in der Selection, sondern vielmehr auf dem Gebiete der Variation. Die Abänderungsfähigkeit ist eine unleugbare Thatsache, aber die Ur- sachen, welche die Abänderungen bedingen, entziehen sich grossen- theils unserer Beurtheilung. Wigand hat eine „richtungslose Va- riabilität" erfunden, hat dann die absonderliche Behauptung auf- gestellt, diese richtungslose Variabilität sei eine unerlässliche Vor- bedingung des Darwinismus, und hat schliesslich die Existenz der richtungslosen Variabilität, seines eigenen Himgespinnstes , mit grossem Erfolge bestritten. Es ist nicht der Mühe werth, sich mit derartigen Donquixoterieen näher zu beschäftigen; vielmehr genügt es, darauf hinzuweisen, dass die Abänderungen jedes ein- zelnen Formenkreises in der Regel in einem oder dem andern be- stimmten Sinne zu erfolgen pflegen. Zur Erläuterung des Verhält- nisses von Variation und Selection diene folgendes Beispiel. Man wird es für wahrscheinlich halten dürfen, dass die Entstehung der zygomorphen Blüthen durch Druckverbältnisse in den Knospen, d. h. ^urch stärkeres Wachsthum der Blüthentheile in der Rich- tung des geringeren Druckes, bedingt ist. Es würde ntm aber eine Lächerlichkeit sein,, wenn Jemand behaupten wollte, die zygo* morphen Blüthen seien nicht durch Selection, sondern durch ^Drack (Jeber die Begriffe Species nnd Varietas im Pflanzenreiche. 395 entstanden. Die erste Ursache der Abänderung ist nach unserer Auffassung allerdings der Druck, allein darüber, ob die so ent- standene Abänderung erhalten bleibt oder nicht, entscheidet die Auslese. Ist die zygomorphe Abänderung ebenso lebensfähig oder lebensfähiger als die aktinomorphe Stammform, so wird sie er- halten bleiben, ja unter Umständen an die Stelle der Stammform treten. Dies Verhältniss von Abänderung und Auslese lässt an Einfachheit und Klarheit Nichts zu wünschen übrig. Wahrschein- lich richtet sich indess jene vornehme Zurückhaltung, welche man der Selectionstheorie gegenüber beobachtet, eigentlich gegen die Theorie der Summirung kleinster Abänderungen durch die natürliche Auslese. Es würde Viel zur Läuterung der Ansichten beitragen, wenn man dies bestimmt aussprechen wollte. Nach jener Theorie tritt die Auslese durch die ursprünglich vorhandenen geringfügigen Unterschiede in Wirksamkeit und erzeugt dann vermittelst der- selben beträchtlichere Abänderungen. Mag sich dies verhalten wie es will; kein Darwinianer hat geleugnet, dass es auch andere Ursachen der Variation giebt. Die Frage nach den wahrschein- lich sdir mannichfaltigen Ursachen der Abänderungen kann noch als eine offene betrachtet werden; da aber die Variation selbst eine Thatsache ist, so wird die Beantwortung jener Frage niemals einen entscheidenden Einfluss auf die Lehren von der Descendenz und Selection gewinnen. Die bis jetzt bekannten Thatsachen der Variation scheinen mir mehr für die Ansichten Nagbli's und Albx. Braun's zu sprechen, welche das Auftreten der Abänderungen auf innere Ursachen zurückführen, als für die gewöhnliche darwinistische Meinung, welche die Abänderungen für die directe Folge der äus- seren Bedingungen erklärt. In der Selection üben diese letzten jedenfalls ihre Wirkung. Schliesslich mag hier noch ein Punkt berührt werden, der vielfach zu den sonderbarsten Irrthümem Anlass giebt. Es ist die Frage der geologischen Zeitrechnung. Wir wissen, dass viele unserer Culturgewächse, die grossentheils einjährig sind, sich seit Jahrtausenden unverändert erhalten haben. Man wird daher 1000 Generationen für keinen übermässig langen Zeitraum im Leben einer Species halten. Wenn wir nun unsere Bäume betrachten, so sehen wir, dass im gewöhnlichen Laufe der Dinge eine Wald- generation erst nach Jahrhunderten auf den Trümmern ihrer Vor- gängerin erwächst. Bei Eucalypten und Sequoien lässt sich das mittlere Alter der Bäume mindestens auf 1000 Jahre anschlagen, so dass 1000 Generationen dieser Pflanzen eine Million Jahre er- 27 • 396 W. O. Focke, fordern. Vom phytobiologischen Standpunkte kann man also eine Million Jahre nicht für einen besonders langen Zeitraum halten. — Es ist eine Art Mode geworden, gegen die unbegrenzte Verschwen- dung, welche die geologischen Hypothesen mit der Zeit treiben sollen, zu protestiren. Es wird vielfach behauptet, dass nur die Entwickelungslehre, nicht die Geologie so unermessliche Zeiträume erfordere. Man sollte indess eine beliebige Rechnung anstellen, um zu erkennen, wie viel Zeit für einen geologischen Vorgang er- forderlich sein möchte, etwa zur Erosion eines Thaies, das seit der Miocänzeit oder seit der Ablagerung des Wälderthones oder irgend einer andern Periode entstanden ist. Oder man überlege einfach Folgendes. Neubildung von Schichten erfolgt stets aus bereits vorhandenem Material (ursprünglich aus der Erstarrungs- kruste); sie ist daher abhängig von Erosion und Verwitterung. Das Land wird durch Abspülen fortwährend erniedrigt und dem Meere werden theils durch die Flüsse, theils durch immittelbaren Abbruch an den Küsten die Stofife zugeführt, welche zur Bildung der neuen Ablagerungen verwendet werden. Es ist sehr schwer zu berechnen, wie gross der durchschnittliche Verlust des Landes an Höhe ist, allein die Annahme, dass die Erniedrigung 2 Cm. im Jahrhundert beträgt, ist jedenfalls hoch gegriffen. Durch das dem Lande entführte Material wird der Meeresgrund natürlich ent- sprechend aufgehöht, nämlich um nahezu ^1^ Cm. ; um so viel wird also das Meer steigen. Berechnet man nun darnach den Betrag der durchschnittlichen Neubildung von Schichten, vertheilt über die ganze Erdoberfläche, so beläuft sich derselbe auf etwas mehr als Vi ^^' Setzt man der Einfachheit wegen genau 0,5 Gm. und nimmt an, dass die neugebildeten Schichten an gewissen Stellen liegen bleiben, ohne Erosion zu erleiden, so findet man, dass zur Bildung einer 5000 M. dicken Ablagerung sedimentärer Gesteine durchschnittlich 100 Millionen Jahre erforderlich sind. Die mitt- lere Dicke der Sedimentärgesteine, wo dieselben nicht durch Ero- sion beträchtliche Verluste erlitten haben, wird man übrigens wahrscheinlich auf viel mehr als 5000 M. schätzen. Selbstver- ständlich machen alle solche Rechnungen nicht den mindesten An- spruch auf Genauigkeit; man wird bald diesen, bald jenen Factor grösser annehmen können , wird sich aber auch die Gonsequenzen solcher Annahmen nac}i andern Richtungen hin klar machen müs- sen. Man wird sich übrigens, wenn man mit Ernst an die Sache herantritt, bald genug tiberzeugen, dass die Geologie sehr viel Zeit zur Erklärung der rein geologischen Vorgänge bedarf. Ueber die Begriffe Species uüd Varietas im Pflanzenreiche. 397 Für die Descendenztheorie ist es aber gar nicht erforderlich, die Zeit nach Jahren zu berechnen; es genügt vollständig, wenn man die nachgewiesenen Verändernngen als Maassstab benutzt. In geschichtlicher Zeit sind die geographischen Umrisse der Länder, so weit uns bekannt, nur an vereinzelten Punkten merklich verändert worden. In den meisten Gegenden ist nicht zu constatiren, dass entschiedene Aenderungen in der Höhenlage stattgefunden haben; einige Küsten haben sich etwas gehoben, einige etwas gesenkt ; an einigen Stellen lässt sich nachweisen, dass Senkungen und Hebun- gen mit einander gewechselt haben. Das Klima der meisten Gegenden hat sich nicht merklich verändert; die Beobachtungen an einzelnen Orten sprechen für eine Zunahme, an andern für eine Abnahme der Temperatur. In den Alpen sehen wir die Gletscher bald schwinden, bald wachsen, eine Erscheinung, die auf periodische Schwankungen des Klimans (Feuchtigkeit oder Wärme) deutet Wir können aus diesen Beobachtungen auf die Beständigkeit der topographischen und klimatischen Verhältnisse auf der Erde schlies- sen, wenigstens für den Zeitraum, über welchen sich unsere Er- fahrungen erstrecken. Betrachten wir nun unsere Kenntnisse über die gegenwärtige Pflanzenwelt, so haben wir die Beständigkeit der meisten Formen, geringe Schwankungen und Abänderungen ande- rer zu constatiren. Wir können somit wohl eine Analogie zwischen der Constanz der physischen Verhältnisse der, Erdoberfläche und der Constanz ihrer Vegetation annehmen. Gehen wir bis in die Eiszeit zurück, so finden wir in mittle- ren Breiten eine gewaltige Verschiedenheit der Zustände. Ein grosser Theil der Ebenen Norddeutschlands und Englands unter Wasser, Skandinavien und die Alpen mit ungeheuren Gletschern bedeckt, überall Zeichen eines rauhen Klimas. Während eines andern Abschnittes der Quartärzeit war wiederum die ganze Nord- see trocken. Diesen gewaltigen physischen Veränderungen schei- nen die Aenderungen in der Vegetation kaum zu entsprechen. Viele Pflanzen der Alpen und des hohen Nordens, die damals ein zusammenhängendes Wohngebiet inne hatten, sind noch heute seit ihrer Trennung genau übereinstimmend. Sollten die physischen Veränderungen, welche seit der Eiszeit eingetreten sind, nicht hin- gereicht haben, um im Laufe der Jahrtausende die alpinen Racen von Papaver alpinum L., Poa arctica R. Br., einiger Draben, Al- sinen u. s. w. ausgebildet zu haben? Gehen wir nun weiter zu- rück in die Pliocänperiode, so wird der Schluss derselben von der Eiszeit durch eine Aenderuug der physischen Verhältnisse geschie- W ^.. Ti 4es ruoxiMies zvisckn EsboI caEXBt kkbem wir Lar eszjse Aricmc^ziCcs tbcr Ae Jti^hzjsse: vir fäj&Den es.£::-:& zxr Xiocäpaivdc. als 4is Ge- bir^i£j3Cc& ier A^<£ :.^x£ wecig ertvidoü wmi mad als es «mlir- sdKxzJica EiM^ ksne OfCse« gab« als tbenii ia da köUcrcB Gn^e&dea der £rüe tii. ssibcrciisdkes Kfima hefncktCL Wir Aar- üea es nicht n&dcriiar CLdea . vena vir sdiea, das seit jeaer Zeit, seit vckiier seh so grosse phT^sdse YoiadeivifgcB Mmge- tragen haben« aach die Vegelation,^etke der Eide ohdiliciie WandhmgeB doTcfagemaeht haL Die snbtropiseheB ^iof InpfliHn ii stnaiiieii nicht mehr gesaa überebi mit d&k entynrbfuden For- men der Gegenvart; Tiele Typen sind Teischvmdeo, ^mtnfbr siiid in ^vas modiäciiter Gestah« einzelne anscheinend miTeiiiideft erhallen. Die innigai Beödrangoi zwischen der miocänen und do* jetzigen Pflanzenwelt Termag aber Niemand zn leognen, der sich etwas genauer mit der Flora der Tertiärperiode beschäftigt hat Wenn wir nun ein Becht haben anzonehmea, dass sich zwischen Miocänperiode und Eiszeit, zwischen Eiszeit und Gegenwart ge- waltige physische Umwälzungen vollzogen haben, von deren Grösse uns die Betrachtung der in historischer Zeit wahigenommeneo Veränderungen keine Vorstellung giebt, so steht audi Nichts im W^e anzunehmen, dass im Laufe der nämlichen Zeit Umänderun- gen der Pflanzenformen erfolgt sind, welche in entsprechender Weise diejenigen übertrefien, die wir in der Gegenwart beobach- ten. Der Unteischied zwischen der heutigen Vegetation und der miocänen entspricht etwa dem Unterschiede zwischen der gegen- wärtigen Flora Hitteleuropa's und derjenigen Japan's oder Oregon's oder Pennsf Ivaniens. Ein Theil der Arten ist identisch, ein Theil bietet geringfügige Unterschiede, ein Theil ist deutlich verschieden, ein Theil zeigt entfernte Analogieen, der Best endlich ist in jedem Lande durchaus eigenthümlich entwickelt Damit wollen wir diese Betrachtungen abbrechen. Das Er- gebniss, zu welchem wir gelangt sind, macht auf Neuheit keinen Anspruch. „Wir können nicht ohne willkürliche Voraus- setzungen sagen, was Art und Abart ist'' — so drückte sich bereits vor mehr als 40 Jahren 6. R. Trevirands (Erschein, u. Ges. d. organ. Lebens I S. 160) aus. Wenn diese einfache Wahrheit noch gegenwärtig eine eingehende Beweisführung zu er- fordern scheint, so ist dies nur dadurch erklärlich, dass die ein- geführte Nonienclutur und die in der Systematik übliche analytische üeber die Begriffe Specied und Varietas im Pflanzenreiche. 399 • Methode sich viel genauer an die entgegengesetzten Vorstellungen von dem Wesen der organischen Art anschliessen. Die Beschrei- bungen streben nach Präcision und erwecken daher in dem Leser die Meinung, als seien die beschriebenen Formenkreise nun auch wirklich präcis geschieden. Selbst solche Naturforscher, welche gewohnt sind in der freien Natur zu untersuchen, pflegen diejeni- gen Beobachtungen, welche zu Zweifeln Anlass geben, als unsicher und verwirrend gänzlich zu unterdrücken. Sobald es einmal Sitte werden wird, den Aftbeschreibungen einen Abschnitt über „Ab- änderungen, Uebergangsformen und Verwandtschaften^' hinzuzu- fügen, wird eine überwältigende Menge von Thatsachen bekannt werden, welche Licht auf die Beziehungen der verschiedenen For- menkreise zu einander werfen. Die Betrachtungen, welche wir über den Begriff der organischen Art angestellt haben, führen ferner zu der Ueberzeugung , dass die JoRDAN'schen und HoFFiiANN'schen Arten bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft nicht einfach bei Seite geschoben werden dürfen. Die Beibehaltung des weiten morphologischen Artbegriffs hat namentlich im Interesse der Uebersichtlichkeit grosse und wichtige Vorzüge, deren Aufopferung zu Gunsten eines doch nicht consequent durchführbaren Princips schwerlich empfohlen werden kann. Die JoBDAN'schen Arten werden zu ihrem vollen Rechte ge- langen, wenn sie als Subspecies oder Racen mit festen Namen in's System eingefügt werden. Dagegen kann der gedankenlose und bequeme Schlendrian, welcher diese Racen ebenso behandelt, wie die halbbeständigen oder die zufälligen Abänderungen und Zustände, nicht scharf genug gerügt werden. 4 Endlich werden die vorstehenden Betrachtungen noch ein Be- dürfniss dargelegt haben, nämlich das nach botanischen Versuchs- gärten. Die Methodik und die Regeln der botanischen Experi- mentirkunst sind noch viel zu wenig bekannt und erprobt, um bei gelegentlichen Versuchen genügende Berücksichtigung zu finden. Daher die zahlreichen Zweifel, zu denen die bisher vorliegenden Erfahrungen Anlass geben, daher die Unsicherheit der meisten Angaben über Bastarde, Varietäten und Abänderungen. Wie wenig wissen wir über die Lebensbedingungen der meisten Pflan- zen, über die Ursachen vieler chorologischen Erscheinungen 1 So finden wir z. B. in den meisten Gegenden Mitteleuropa'» einzelne versprengte Formen, die südlicheren Zonen angehören und unwill- kürlich als die letzten übrig gebliebenen Reste der Flora einer ehemaligen wärmeren Periode aufgefasst werden. Und doch wis* 400 W. 0. Focke, sen wir, dass der Gegenwart nicht eine wärmere, sondern eine kältere Zeit voraufging. Es sind somit die Lebensbedingungen solcher unter anscheinend abnormen Verhältnissen vorkommenden Gewächse zu erforschen. Die Frage über den Einfluss des Bodens auf die Vegetation bedarf dringend einer experimentalen Prüfung. Die wichtigste Aufgabe für die Versuchsgärten wird aber noth- wendig in der Erforschung der zahlreichen Probleme* zu suchen sein, welche die Verhältnisse der Abänderung und Kreuzung bieten. Wie wirken Boden, Klima, Feuchtigkeit, Varietätenkreuzung, In- zucht? Wie lassen sich neue Racen erzeugen, fruchtbar machen und fixiren? Die Wissenschaft bedarf dringend Aufklärung über diese Fragen; statt der zahllosen unzusammenhängenden That- Sachen, die ihr neuerdings geboten werden, verlangt sie eine^Be- arbeitung der Lehre vom Leben der Arten nach klaren Grund- sätzen und strengen Methoden. Es wird gegenwärtig unendlich viel Zeit, Papier und Tinte vergeudet mit Erörterungen und Be- trachtungen über zweifelhafte Fragen, die sehr wohl einer experi- mentalen Prüfung fähig sind und einzig und allein durch eine solche endgültig entschieden werden können. Die Biologie der Arten kann und muss ein vollberechtigter Zweig der exacten Naturwissenschaft werden, während sie gegenwärtig so vernach- lässigt und daher so unsicher begründet ist, dass sie die Miss- handlungen der unwissendsten Doctrinäre zu erdulden hat. Aber auch die praktische Bedeutung der Sache ist nicht gering anzu- schlagen. Die Methoden, welche die einzelnen Blumenzüchter be- folgen, um samenbeständige Varietäten und Hybride zu erhalten, werden gegenwärtig als eine Art Geschäftsgeheimniss behandelt, so dass es einigen „Gelehrten" sogar zweifelhaft erschienen ist, ob Varietäten überhaupt durch Auswahl und Inzucht flxirt werden können oder nicht. Es ist aber leicht einzusehen, dass es für Blumenzucht, Gartenbau und Ackerbau von der höchsten Wichtig- keit ist, bestimmt zu wissen, nach welchen Grundsätzen man zu verfahren hat, um möglichst sicher Abänderungen zu erzielen und die nützlichen tinter denselben samenbeständig zu machen. Wie gross die praktische Tragweite der wissenschaftlichen Untersuchun- gen über die Arten und deren Abänderungen sein wird, vermag selbstverständlich Niemand im Voraus zu ermessen ; die Erfahrung lehrt indess, dass die Ergebnisse der Naturforschung fast auf allen Gebieten sehr bald eine Verwerthung im Dienste des Menschen zu finden pflegen. Es wird daher schwerlich bestritten werden können, dass bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse Ueber die Begriffe Species and Varietas im Pflanzenreiche. 401 die Begründung von Versuchsgärten eine ausserordentliche wissen- schaftliche Bedeutung hat. Es kann allerdings fraglich sein, wel- ches Land die Ehre haben wird, den ersten selbständigen Ver- suchsgarten einzurichten, dagegen ist es nicht zweifelhaft, dass der ersten derartigen Anstalt sehr bald zahlreiche andere folgen werden. Wenn auch die auf den vorstehenden Blättern bekämpfte doctrinäre Auffassung des Speciesbegriffs sich mehr und mehr als unhaltbar erweisen dürfte, so wird doch die Ermittelung des Grades der Beständigkeit und der Veränderlichkeit der Pflanzenformen noch für viele Jahrzehnte ein fruchtbares Feld für wichtige grund- legende Untersuchungen bilden. Die Gastrnla und die Eifnrcliiuig der Thiere. Von (Hiem Taf. XIX->XZT.) (Fortsetzung der „Gastraea-Theone^n. s. w.,-Bd. VIU dieser Zeitsehr. S. 1 — 57.) Inhalt: 9. Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie. 10. Die vier Haapt- formen der Eifurchung und Gastrulabildung. 11. Die Eifurchung und Gastrulabildung in den Hauptgruppen des Thierreichs. 12. Die phylo- genetische Bedeutung der fünf ersten ontogenetischen Knt¥dckelung88tafi». 9. Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie. Die Gastraea-Theorie bat sich in den drei Jahren, welche seit Publication ihrer Grundzüge in meiner Monographie der Kalk- schwämme (1872) verflossen sind, als ein leitendes Princip bewährt, welches nach vielen Richtungen hin geeignet ist, Ordnung in das bunte Chaos der massenhaft angehäuften zoogenetischen Beobach- tungen zu bringen und die causale Erkenntniss der wichtigsten Vorgänge in der Entwickelungsgeschichte der Thiere wesentlich zu fördern. Zu diesem Schlüsse bin ich berechtigt einerseits durch die vielfache fruchtbare Verwendung, welche die Folgerungen der Gastraea-Theorie inzwischen bei zahlreichen Anhängern der moni- stischen Entwickelungslehre gefanden haben; anderseits durch die nicht minder zahlreichen und lebhaften Angriffe, welche dieselbe durch die dualistischen Gegner der letzteren erfahren hat. Wie Jene bestrebt gewesen sind, mittelst der Gastraea-Theorie und der daran geknüpften Consequenzen den einheitlichen Zusammen- hang der Entwickelungs-Vorgänge im ganzen Thiej- r eiche zu erkennen, so haben sich Diese umgekehrt bemüht, durch Widerlegung unserer Theorie darzuthun, dass ein solcher einheit- licher Zusammenhang nicht existirt, und dass die verschiedenen Entwickelungserscheinungen im Thierreiche ein zusammenhangloses Aggregat unverständlicher und wunderbarer Thatsachen bilden. Inzwischen bin ich ununterbrochen bestrebt gewesen, die mannichfaltigen Folgerungen der Gastraea-Theorie weiter zu ent- n)ie Gastrala and die Eifärchnng der Thiere. 403 wickeln und ihre Anwendung auf die phylogenetische Classification des Thierreichs, auf die Feststellung der Homologien in den ver- schiedenen Thierstämmen u. s. w. durchzufahren. Wie fruchtbar dieselbe sich für die zusammenhängende Erkenntniss der Keimes- und Stammesgeschichte sowohl im Ganzen als im Einzelnen erweist, habe ich an dem Beispiele des menschlichen Organismus in meiner, im vorigen Jahre veröffentlichten Anthropogenie darzuthun versucht. Doch blieben trotz dieser unausgesetsten Bemühungen zur Befesti- gung der Gastraea-Theorie immer noch manche dunkle Stellen und schwache Seiten übrig, welche den Gegnern Gelegenheit zu mannich- fachen Angriffen darboten. In der Absicht, diese Dunkelheiten und Schwächen möglichst zu beseitigen, habe ich eine neue Reihe von vergleichenden Beobachtungen über die ersten Entwickelunga- Yorgänge in den verschiedenen Hauptgruppen des Thierreichs angestellt Um dieselben, vorzüglich durch Untersuchung niederer Seethiere, zu einem vorläufigen Abschlüsse zu bringen, unternahm ich im Frühling dieses Jahres eine Reise nach Gorsica, wo ich in Gesellschaft meiner beiden Schüler und Freunde, ' der Doctoren Oscar und Richard Hbrtwio, während der Monate März und April verweilte. Der felsenreiche Strand von Ajaccio, der Hauptstadt der Insel, bot uns für unsere Zwecke eine reiche Fülle von nie- deren Seethioren aus allen Hauptgruppen, und auch die pelagische Fischerei mit dem MoLLSR'schen Netze an der Oberfläche des wei- ten Golfes von Ajaccio lieferte uns manches werthvoUe Material, unter diesem namentlich pelagische Eier von Knochenfischen, welche für mehrere streitige Fragen in der Ontogenie dieser Thiere von entscheidender Bedeutung sind. Auf den ausgedehnten Strand- felsen, welche bei niederem Wasserstande weit entbldsst werden, wuchert eine reiche Algen-Flora, und mit dieser gemischt eine nicht minder üppige Vegetation von Spongien, Hydroiden, Alcyona- rien und anderen Zoophyten. Audi an Würmern, Mollusken, Echinodermen und Grustaceen war kein Mangel und ich konnte die Entwickelung der Eier wenigstens von einzelnen Repräsentan- ten dieser Gruppen in den ersten, mir vorzugsweise wichtigen Stadien vergleichend verfolgen. Zugleich gelang es mir, eine Reihe von früheren ontogenetischen Beobachtungen zu ergänzen, welche ich 1865 auf Helgoland, 1867 auf der canarischen Insel Lanzerote, 1869 an der Küste von Norwegen, 1871 auf der dalmatischen Insel Lesina und 1873 im Hafen von Smyrna angestellt hatte. Indem ich über verschiedene Resultate dieser und früherer Unter- suchungen mir spätere Berichterstattung vorbehalte, beschränke Die Oastrula und die Eifurchung der Thiere. 405 fünf primitiven Entwickelungästufen nachzuweisen, welche ich bereits in der Monographie der Kalkschwämme (Bd. I, S. 465) als gemeinsame ontogenetische Urformen sämmtlicher Metazoen hingestellt und nach dem biogenetischen Grundgesetze phylogene- tisch gedeutet hatte (Vergl. die V. synoptische Tabelle S. 406). Jeder, der unter den verschiedenen, gegenwärtig möglichen, phylo- genetischen Hypothesen über den Ursprung des Thierreichs die einfachste vorzieht, und demgemäss eine monophyletische Descen- denz sämmtlicher Metazoen von der Gastraea anm'mmt, der kann jetzt auch noch weiter gehen, und fussend auf dem gemein- samen, nunmehr nachgewiesenen Entstehungsmodus der Gastrula (durch Einstülpung der Blastula u. s. w.) auch jene fünf Ur- stufen der thierischen Formbildung bei allen Metazoen für homolog halten; oder — mit anderen Worten — den ersten gemeinsamen Ursprung aller Thiere bis zum denkbar einfachsten Organismus, bis zum Moner hinab verfolgen. Denn bei gehöriger Berücksich- tigung der verschiedenen cenogenetischen Veränderungen, welche der Nahrungsdotter in dem paUngenetischen Processe der primor- dialen Eifurchung hervorgebracht hat, ist es in der That möglich, nicht nur die Gastrula, sondern auch die vorhergehenden vier Bildungsstufen dieser wichtigsten Keimform, auf das gemeinsame Urbild der primordialen Eifurchung bei allen Metazoen zu reduci- ren (Vergl. die VI. synoptische Tabelle S. 407). Was die vier Hauptformen der Furchung betrifft (die primor- diale, inaequale, discoidale und superficiale) so sind es dieselben, welche ich bereits in der Anthropogenie (S. 166) unterschieden habe. Ich hatte dort ausserdem noch zwei andere Hauptformen als pseudototale und seriale Furchung aufgeführt Indessen lassen sich diese beiden Formen unter die inaequale Furchung subsumi- ren. Das Verhältniss dieser vier wichtigsten Furchungsformen zu den beiden, bisher allein unterschiedenen Hauptformen der totalen und partiellen Furchung gestaltet sich so, dass die primordiale und inaequale Furchung (rein äusserlich betrachtet) unter den Begrifif der totalen, hingegen die discoidale und superficiale unter den Begriff der partiellen Furchung fallen (Tabelle VII). Jedoch sind scharfe und abschliessende Grenzen ebenso wenig zwischen unseren vier Hauptformen, als zwischen der totalen und partiellen Furchung zu ziehen. Vielmehr sind alle durch Ueber- gänge verbunden, und alle lassen sich auf die ursprüngliche Form der primordialen Eifurchung phylogenetisch zurückführen. 406 Ernst Haeckel, Synoptische Tabelle über die fünf ersten Eeimungsstufen der Metazoen, verglichen mit ihren fünf ältesten Ahnenstufen. Formwerth der fünf ersten Entwicke- lungsstufen der Metazoen. Ontogenesis: Die fünf ersten Stufen der Keimes-Entwickelung. Phylogenesls : Die fünf ersten Stufen der Stammes-Entwickelong. Erste Formstofe: Gytoda. I Eine einfachste Cytöde ! (kernlose Plastide). U. Zweite Formstufe: Gellnla. Eine einfachste, indiffe- rente, amoeboide Zelle (kernhaltige Plastide). III. Dritte Formstufe: Polycyttnm. Ein einfachstes Aggregat von einfachen, gleichar- tigen, indifferenten Zellen. IV. Vierte Formstufe: Blastosphaera. Eine einfache, mit Flüs- sigkeit gefüllte Hohlkttgel, deren Wand aus einer einzigen Schicht gleich- artiger Zellen besteht. V. Fünfte Formstufe: Metaxoarchas. Ein einfacher, einaxiger Hohlkörper mit.diner Oeffnung, dessen Wand aus zwei yerschiedenen ZeUenschichten "besteht. I. Erste Eeimungsstufe: Monemla. Das befruchtete Ei nach Verlust des Keimbläs- chens. II. Zweite Keimungsstufe: Gytnla. I. Erste Ahnenstufe: Maneres. Aelteste, durch Urzengong entstandene Stammform der Metazoen. U. Zweite Ahnenstufc: Amoeba. , J)ie erste Furchungs- I Einfachste, älteste, indif- kugeP (das befruchtete Ei mit neugebüdotem Zellenkem). m. Dritte Keimungsstufe: ■omla. „Maulbeerdotter**, kuge- liger Haufen von ein- fachen gleichartigen Fur- chungskugeln. IV. Vierte Keimungsstufe : Blastnla. „Keimhautblase" oder „Keimblase** (Vesicula blastodermica oder Bla- stosphaera) oft auch „Planula" genannt. V. Fünfte Keimungsstufe: Gastmla. Einfacher einaxiger Dann- schlauch (Ürdarm) mit Urmund; Wand aus den beiden primären Keim- blättern gebildet. ferente StammzeUe. UI. Dritte Ahnenstufe: SynamoeUun. Einfachste älteste Ge- meinde von gleichartigen indifferenten Zellen. IV. Vierte Ahnenstufe: Planaea. Hohlkugel, deren Wand aus einer Schicht von Flimmerzellen besteht (ähnlich der heutigen Magosphaera). V. Fünfte Ahnenstufe: Oastraea. Gemeinsame Stammform aller Metazoen, gleich der Archigastrula des Amphioxus, der Ascidic n. 8. w. Die Gastrula und die Eifurchung der Tbiere. 407 YI. Synoptische Tabelle über die fünf ersten Keimungsstufen der Metazoen, iint Rücksicht auf die vier verschiedenen Hauptformen der Eifurchung. A. Totale Foreliung. (Uvula holoblaita) a. Primordiale Fnrcliniig. (0. archihUuta). b. Inaeqnale Farchung. (0. amphibfasia). B. PartioUo Farchnag. (Ovuim merobktsta). c. Discoidale Farchimg. (0, discobUuta). d. Si^rfldalo Forchung. (O. peMiasta), I. Archimonemia. J)as befruchtete Ei ist eine Cytode, in der Bildungsdotter und Nahrungsdotter nicht zu unterscheiden sind. n. ArcUcytola. Eine Zelle, aus der Archimonemia durch Neubildung eines Ker- nes entstanden. in. AreUmomla. Eine solide (meist kugelige) Masse, aus lauter gleichartigen Zellen gebildet. lY. Arcbiblutula. Eine (meist kugelige) hohle Blase, deren L Amphimonenla. Eine Cytode, die am animalen Pole Bil- dungsdotter, am ve- getativen Pole Nah- rungsdotter besitzt, beide nicht scharf ge- trennt. E AmphloytuU. Eine Zelle, aas der Amphimonerula durch Neubildung eines Kernes entstanden. m. Amphimonla. Eine rundliche Masse aus zweierlei Zellen zusammengesetzt : Bildungszellen an animalen, Nahnmgs- zellen am veget. Pole. IT. Amphiblaitola. Eine rundliche Blase, deren Wand am ani- Wand aus einer ein-lmalen Pole aus klei zigcn Schicht gleich- Inen Exoderm-Zellen, artiger Zellen besteht.! am vegetativen Pole I aus grossen Enlo- I dermzellen besteht. I y. Archlgastmla. • T. AmphigMtrala. Die ursprflngUche Glockenförmige Ga- rcine Gastrula- Form stmla, deren Urdarm mit leerem (Jrdarm, zumTheil von ge- ohne Nahrungsdotter ; furchtem Nahrungs prim&re Keimblätter dotter erfüllt ist. einschichtig. L DtscoiiwBMVla. Eine Cytode, die am animalen Pole Bil- dungsdotter, am ve- getativen Pole Nah- rungsdotter besitzt, beide scharf von ein ander getrennt. E Dlseoeytola. Eine Zelle, aus der Discomonenüa durch Neubildung eines Kernes entstanden. DL Dficomomla. Eine flache Scheibe, aus gleichartigen Zel- len zusammengesetzt) dem animalen Pole L PeriiMBonila. Das befruchtete £1 ist eine Cytode, die an der Peripherie Bildungsdotter, im Centmm Nahrongs- dotter enthalt. U. ForiCTiiila. Eine Zelle, aus der Peiimonerula durch Neubildung eines Kernes ent- standen. DL Perlnomla. Eine geschlossene Blase, ans einer Zel- lensehicht bestehend, die den ganzen Nah- des Nahrungsdotters ' nugsdotter um- aufliegend, schliesst. lY. Dbeoblaitola. Eine rundliche BUse deren kleinere Hemi- sphäre aus den Fur- chungszellen besteht; grössere Hemisph&re aus dem ungefnrchten Nahrungsdotter. T. Dtoeogaitmla. Scheibenförmige aus- gebreitete Gastrula, deren Urdarm ganz von ungefnrchtem Nahrungsdotter er- fallt ist. IT. Perlblutola. Eine geschlossene Blase, aus einer Zel- lenschicht bestehend, die den ganzen Nah- rungsdotter nm- schüesst (= Peri- momla). ?. Ferigastmla. Blasenförmige Gastm- la, deren Urdarm klein, deren grosse Forchnngshöhle von Nahrungsdotter er- fallt ist. 1 1 408 Ernst Haeckel, yn. Synoptische Tabelle über die wichtigsten Verschiedenheiten in der Eifurchung und Gastruiation der Thiere. (Die sechs Stämme der Metajsoen sind durch die Buchstaben a--f bezeichnet: a Zoophyten (Coelenteraten), h Würmer, c Mollusken, d Echinodermen, e Ar- thropoden, f Vertebraten.) 1. Totale Fnrchnag^. (Ovula holo« blasta). Primäre Gastrula. (Hohgastrula). II. Partielle Fnrcliang. (Ovula mero- blasta). ( Secundäre Gastrula. {Merogattrula), 1. Primordiale Farchang. (Ovula archiblasta). a. 6. {- Archigastrula. Taf. XXV. d. e. f- Die meisten Pflanzeuthiere (Niedere Schwämme, Hydroi- den, Medusen, Coralleu). Viele niedere Würmer (Sagitta, Phoronis, Ascidien, viele Nematoden u. s. w.). Einige niedere Mollusken (Spirobranchien u. s. w.). Die meisten Echinodermen. Einige niedere Gliederthiere (Einige Branchiopoden , Pte- romalinen ?). Die Acranier (Amphioxus). 2. Inaeqaale Farchang. (Ovula amphiblasta). ( Amphigattrula, Taf. XXIV. c. d. Viele Pflanzeuthiere (Manche Spongien, Medusen und Corallen ; Siphonophoren, Ctenophoren). Die meisten Würmer (Acoe^ lomier, Anneliden u. s. w.). Die meisten Mollusken. Einzelne Elchinodermen. Niedere Arthropoden (sowohl Crustaceen, als Xracheaten). Cyclostomen, Ganoiden, Am- phibien, Piacentalien (?). 3. Discoidale Farchang. (Ovula discoblasta). Discogastrula, Taf. XXI, XXII. c.Die meisten Cephalopoden. «.Manche Arthropoden. (Sowohl Crustaceen, als Tra- cheaten). ' f, Selachier, Teleostier, Repti- lien, Vbgel, Monotremen u. . Didelphien (?). 4. Saperflciale Farchang. (Ovula periblasta). Ferigastrula, Taf. XXIII. / \ 6. Einige höhere Würmer (?). e. Die meisten Arthropoden, sowohl Crustaceen als Xra- cheaten. Jtmztttltittchnft.lU. Bt. S ®; Vi)- m m Die Gastrula und die Eifnrcbang der Thiere. 409 I. Das phylogenetische Verhältniss der Palingenie zur Cenogenie. Die Unterscheidung zwischen Palingenie und Cenogenie, die Erkenntniss der ganz verschiedenen Bedeutung dieser beiden onto- genetischen Erscheinungs - Gruppen und insbesondere die Fest- stellung des phylogenetischen Verhältnisses derselben zu einander , scheint mir von ganz fundamentaler Wichtigkeit für das Verständ- niss der Gastraea-Theorie, wie für die causale Beurtheilung und mechanische Begründung der Eeimesgeschichte überhaupt zu sein. Denn diejenigen ontogenetischen Processe, welche unmittelbar nach dem biogenetischen Grundgesetze auf eine frühere, vollkommen entwickelte, selbständige Stammform zu beziehen und von dieser durch Vererbung übertragen sind, besitzen offenbar eine primäre Bedeutung für die Erkenntniss der causalen phylogene- tischen Verhältnisse; dagegen können diejenigen keimesgeschicht- lichen Vorgänge, welche erst später durch Anpassung an die Bedingungen des Embryolebens oder des Larvenlebens entstanden und demgemäss nicht als Wiederholung einer früheren selbst- ständigen Stammform gelten dürfen, offenbar für die Erkenntniss der Stammesgeschichte nur eine ganz untergeordnete, secundäre Bedeutung beanspruchen. Die ersteren habe ich als palingene- tische, die letzteren als cenogene tische bezeichnet. Von diesem kritischen Gesichtspunkte aus betrachtet wird die gesammte Ontogenie in zwei verschiedene Haupttheile zerfallen : erstens Pa- lingenie oder „Auszugsgeschichte'^ und zweitens Ceno- genie oder „Fälschungsgeschichte'^ Die erstere ist der wahre ontogenetische Auszug oder die kurze Recapitulation der alten Stammesgeschichte; die letztere ist gerade umgekehrt eine neuere, fremde Zuthat, eine Fälschung oder Verdeckung jenes Aus- zuges der Phylogenie. Um sofort an einem Beispiele klar zu machen, was ich durch diese Unterscheidung zu erreichen wünsche, brauchen wir bloss einen Blick auf die Ontogenie des Menschen oder irgend eines anderen Amnioten zu werfen. Als palingenetische Processe, welche unmittelbar auf eine frühere selbständige Stammform zu beziehen, und offenbar getreu durch Vererbung übertragen sind, müssen wir bei allen Amnioten unter Anderen folgende betrachten : die Sonderung der beiden primären Keimblätter, das Auftreten einer einfachen Chorda zwischen Markrohr und Darmrohr, die Erscheinung des einfachen knorpeligen Urscbädels, der Eiemen- B4. IX» K F. n. 28 410 firnst Haeckel, bogen und ihrer Gefässe, der ürnieren, die einfache Anlage der fünf Hirnfolasen, die einkammerige Urform des Herzens, das Auftreten der primitiven Aorten und der Cardinal- Venen, die hermaphrodi- tische Anlage der inneren und äusseren Geschlechts-Organe u. s. w. Hingegen werden wir als cenogenetische Processe, welche keineswegs auf eine frühere selbständige und völlig entwickelte Stammform zu beziehen, vielmehr durch Anpassung an die Be- dingungen des Eilebens oder Embryolebens entstanden sind, zu betrachten haben: die Bildung des Nahrungsdotters und der Ei- hüllen, des Amnion, der Allantois, die Verhältnisse des embryona- len Dotter-Ereislaufs und AUantois-Kreislaufs, die vorübergehende embryonale Trennung von Urwirbelplatten und Seitenplatten, den secundären Verschluss der Bauchwand und Darmwand, die Nabel- bildung, die zusammengekrümmte Keimform u. s. w. Oder um ein Beispiel aus der Entwickelungsgeschichte der Crustaceen anzuführen, für die uns Fritz Mollsr-Dbstbbro durch seine bahnbrechende Schrift „Für Darwin'^ (1864) ein so bedeu- tungsvolles und alle Theile der Biogenie erhellendes Licht ange- zündet hat, so werden wir für die Palingenie dieser Thier- klasse vor Allen zu verwerthen haben: die wesentlich übereinstim- mende Bildung und Zusammensetzung der iVatip&'att-Larven in den verschiedenen Ordnungen der Crustaceen, die ursprüngliche, ein- fache Bildung ihres Darmcanals, ihres unpaaren Stimauges, ihrer drei Paar Schwimmfüsse u. s. w. Ebenso stellt für die höheren Crustaceen, insbesondere die Malacostraca , die charakteristische „Zoäa" mit ihrer typischen Gliederung und Gliedmaassenbildung eine palingenetische Keimform dar. Hingegen wird durch die Cenogenie der Crustaceen zu erklären sein: die partielle Ei- furchung und die Bildung des Nahrungsdotters bei der Mehrzahl der Gruster, die Umwachsung desselben durch das Blastoderm, der secundäre Verschluss der Rückenwand, die Krümmung des Embryo innerhalb der Eischale, sowie die Bildung jener mannichfaltigen, sonderbaren Embryonalformen und Larvengestalten, die nicht von den Stammformen ererbt, sondern vielmehr „in dem Kampfe um's Dasein erworben sind, welchen die frei lebenden Larven zu be- stehen haben/^ (Fritz Müllbr 1. c. p. 77.) Offenbar ist die Unterscheidung jener primären palingeneti- sehen und dieser secundären cenogenetischen Processe für daa phylogenetische Verständniss und somit für die mechanische Er- klärung der ontogenetischen Thatsachen von der grössten Bedeu- tung; und zwar um so mehr, je mehr der primäre ursprüngliche Die Oastrula und dip Eifurchung der Thiere. 41 1 Entwickelnngsgang des Embryo durch die secundftre Ausbildung von EihüUen, von Nahrungsdotter u. s. w. gefälscht, und je mehr durch andere Ursachen die getreue Wiederholung der langen Stammesentwickelung durch die kunse Keimesentwickelung abge- kürzt oder verdeckt ist. Wenn man diese höchst wichtigen, aber bisher fast ganz vernachlässigten Verhältnisse nicht gehörig in's Auge fasst, so wird man weder das wahre Gausal-^Verhältniss zwi* sehen jenen beiden Entwickelungs-Reihen verstehen, noch über- haupt die Bedeutung des biogenetischen Grundgesetzes begreifen können. Schon in der „Generellen Morphologie'' (1866), und ein- gehender später in der Anthropogenie (1874) habe ich darauf hin- gewiesen, „wie wichtig es für die richtige und kritische Anwendung des biogenetischen Grundgesetzes ist, stets beide Seiten dessel- ben im Auge zu behalten. Die erste Hälfte dieses fundamentiden Entwickelungsgesetees öffnet uns die Bahn der Phylogenie, indem sie uns lehrt, aus dem Gange der Keimesgeschichte denjenigen der Stammesgeschichte annährend zu erkennen: Die Eeimform wiederholt durch Vererbung die entsprechende Stamm- form (Palingenesi»). Die andere Hälfte desselben schränkt aber diesen leitenden Grundsatz ein, und macht uns auf die Vor- sicht aufmerksam, mit welcher wir denselben anwenden müssen ; sie zeigt uns, dass die ursprüngliche Wiederholung der Phylogenese durch die Ontogenese im Laufe vieler Millionen Jahre vielfach ab- geändert, gefälscht und abgekürzt worden ist: Die Keimform hat sich durch Anpassung von der entsprechenden Stammform entfernV^ (CenogeneBis). Anthropogenie S. 626. Für die Palingenesis oder die „Auszugs-Entwickelung*^ sind demnach von hervorragender Bedeutung die Gesetze der un- unterbrochenen (continuirlichen) , der befestigten (constituirten), der gleichörtlichen (homotopen) und den gleichzeitlichen (homo- chronen) Vererbung (Generelle Morphologie, Vol. U, p. 180—190). Diese höchst wichtigen Vererbungs- Gesetze gestatten uns noeh heute, aus den vorliegenden Thatsachen der Keimesgeschichte ganz positive Schlüsse auf den ursprünglichen Gang der Stam- mesgeschichte zuthun. Hingegen sind für die Genogenesis oder die „Fälschungs-Entwickelung'* ganz besonders wichtig die Gesetze der abgekürzten (abbreviirten) und der gefälschten (modificirten), ganz besonders aber der ungleichörtlichen (heterotopen) und der ungleichzeitlichen (heterochronen) Vererbung. Diese Vererbungs* gesetze haben für die- Phylogenie nur einen negativen Werth. Für die gesammte Morphologie, und speclell für die Phylogenie, 28* 412 ' SruBt Haeckel, ist selbstverständlich die Palingenesis von ganz anderer Bedeutung, als die Cenogenesis. Die Morphologie, welche ihre Aufgabe rich> tig begriffen hat, wird den versteckten Pfad der Phylogenie in dem schwierigen Gebiete der Ontogenie nur dann finden, wenn sie die palingenetischen Processe möglichst hervorsucht, die ceno- genetischen möglichst eliminirt. Die Physiologie wird umge- kehrt an der näher liegenden Cenogenie in vielen Fällen ein weit höheres Interesse haben, als an der Palingenie. IL Ontogenetische Heterochronien und Heterotopien. Unter den mannichfaltigen secundären Erscheinungen, welche uns die Cenogenesis darbietet und welche in mehr oder minder ausgeprägtem Gegensatze zu den primären Phänomenen der Palin- genesis stehen, sind von besonderer Wichtigkeit vor Allen die Ausbildung des Nahrungsdotters und was damit zusammenhängt; demnächst aber diejenigen Entwickelungs -Vorgänge , welche ich in der Anthropogenie als „ontogenetische Heterochronien und He- terotopien^^ bezeichnet habe. Gerade diese Processe der Eeimes- entwickelung, welche zu den entsprechenden Vorgängen der Stam- mesentwickelung in einem diametralen Gegensatze zu stehen, die Palingenesis zu negiren und das ganze biogenetische Grundgesetz zu erschüttern scheinen, lassen sich durch die Cenogenesis befrie- digend erklären. Wie ich in der Anthropogenie bemerkte, „sind die ontogenetischen Heterochronien, welche durch Verschie- bung der phylogenetischen Succession entstehen, nicht minder be- deutungsvoll als die ontogenetischen Heterotopien, die durch frühzeitige phylogenetische Wanderung der Zellen aus einem secun- dären Keimblatt in das andere bewirkt werden; dort wird die Zeitfolge, hier die Baumfolge gefälscht''. Als wichtigste Leuchte zur Erkenntniss dieser cenogenetischen Processe dient uns die vergleichende Anatomie, ohne deren Hülfe wir über- haupt die Räthsel der Cenogenesis nicht lösen und den ursprüng- lichen Pfad der Palingenesis nicht erkennen würden. Einleuchtende Beispiele solcher Processe liefert uns die Eei- mesgeschichte der verschiedensten Metazoen in Menge. Was zu- nächst die Heterochronie betrifft, die ontogenetische Zeit- verschiebung, oder die cenogenetische Abänderung der palin- genetischen Zeitfolge, so können wir im Allgemeinen Fälle von ver- frühtem und von verspätetem Auftreten der- Organe unterscheiden. Fälle von ontogenetischer Aficeleration oder Verfrühung Die Gastrala ond die Eifurchung der Thiere. 4x3 (wo in der Keimesgeschichte das Organ viel früher erscheint, als es im Verhältniss zu den übrigen Organen ursprünglich in der Stammesgeschichte der Fall war) bietet z. B. bei den Wirbelthie- ren: das frühzeitige Auftreten der Chorda, die auffallend frühe Entstehung des Gehirns und der Augen (besonders bei den Kno- chenfischen), der Kiemenspalten, des Herzens (vor den Gelassen) u. s. w. Die Gliederthiere zeigen solche ontogenetische Accelera- tion besonders in der frühzeitigen Ausbildung gegliederter Extre- mitäten und der Metamerenkette (des „Primitivstreifs") ; die Tra- cheaten in dem frühen Auftreten der Tracheen, die Crustaceen in der vorzeitigen Ausbildung einer mächtigen Leber. Unter den Mollusken erscheinen in Folge beträchtlicher cenogenetischer Ver- frühung auffallend bald die Kalkschalen und die Gehörbläschen ; bei den Muscheln die Byssus-Drüse, bei den Schnecken die Radula. Bei den Echinodermen bilden sich oft unverhältnissmässig ffüh in der Ontogenese die Kalktheile des Skelets aus , die in der Phylo- genese sicherlich späteren Ursprungs sind. Umgekehrt erkennen wir eine ontogenetische Retarda- ti on oder Verspätung (wo in der Ontogenie das Organ ver- hältnissmässig später auftritt, als es ursprünglich in der entspre- chenden Phylogenie der Fall gewesen sein muss) z. B. in folgenden Vorgängen : das späte Auftreten der Sexualdrüsen bei den meisten Metazoen, die sehr verspätete Ausbildung des Darmcanals und des Coeloms bei Vielen derselben. Ein sehr auffallendes Beispiel lie- fert die späte Bildung der Vorkammer - Scheidewand (Septum atriorum) im embryonalen Herzen der höheren Wirbelthiere, welche der Entstehung der Kammerscheidewand (Septum ventriculorum) nachfolgt. In der Phylogenie der Wirbelthiere ist umgekehrt die erstere der letzteren vorausgegangen, wie die Dipneusten, Amphi- bien und Reptilien beweisen. Eine nicht minder wichtige Rolle spielen in der Keimesge- schichte der Wirbelthiere die ontogenetischen Ortsver- schiebungen oder Heterotopien, die cenogenetischen Ab- änderungen der palingenetischen Raumfolge. Vor Allen kommen hierbei die Zellenwanderungen und Zellenverschiebun- gen innerhalb der primären und secundären Keimblätter in Be- tracht, sowie die secundären Ortsveränderungen der aus den Keimblättern entstehenden Organe. Eine grosse Rolle spielen die ersteren z. B. bei der Entstehung des „mittleren Keimblattes'S des Mesoderms.^ Als das ursprüngliche palingenetische Verhältniss der Mesodermbildung habe ich in der Anthropogenie die Bildung der 414 Ernst Haeekel, vier secundären Keimblätter hingestellt, indem ich dasHaut- faserblatt vom Exoderm, das Dannfaserblatt vom Entoderm ab* leitete. Beide Faserblätter zusammen, obwohl verschiedenen Ur- Sprungs, verbinden sich secnndär zum scheinbar einheitlichen Meso- derm. Die bekannte Spaltung des letzteren in Hautfaserblatt und Darmfaserblatt ist demnach ein tertiärer, kein primärer Vorgang. Wenn also jetzt (wie die meisten Ontogenisten annehmen) das Me- soderm als Ganzes aus einem der beiden primären Keimblätter allein entsteht und wenn das andere daran keinen Antheil nimmt, so ist das meiner Ansicht nach durch Heterotopie zu erklären, und zwar durch sehr frühzeitige (vielleicht schon während der Furchung ein- tretende) Zellenwanderung aus einem primären Keimblatt in das andere. Ebenso muss ich auch die (von den Meisten angenom- mene) ontogenetische Entstehung der Sexualdrüsen im Mesoderm als einen cenogenetischen Vorgang deuten, weil diese ursprünglich auf eines der beiden primären Keimblätter zurückzuführen und palingenetisch aus diesen entstanden sind. Auch die vorübergehende Trennung der Urwirbelplatten von den Seitenplatten, sowie viele auffallende Unterschiede in der Bildung der ersten Organ- Anlagen, welche wir bei ontogenetischer Vergleicbung der verschiedenen Wirbelthier-Klassen wahrnehmen, dürften durch solche Heteroto- pien zu erklären sein. Für Jeden, der das biogenetische Grundgesetz anerkennt und einen tiefen inneren Gausalnexus zwischen Ontogenie und Phylo- genie annimmt, bedarf es wohl kaum noch eines besonderen Hin- weises darauf, welche ausserordentliche Bedeutung diesen bisher noch gar nicht gewürdigten Heterochronien und Heterotopien in der Ontogenie zukommt. Erst wenn man über diese merkwürdi. gen, bisher unbeachtet bei Seite gelassenen Thatsachen reiflich nachdenkt und den cenogenetischen Charakter derselben aner- kennt, wird man das scheinbare Paradoxon verstehen, dass oft bei nahe verwandten Thieren die Ontogenie so beträchtliche Differen- zen zeigt, und der Verlauf derselben so bedeutend von dem ent- sprechenden Verlauf der Phylogenie sich entfernt. Das letztere muss um so mehr .der Fall sein und die ursprüngliche Palingenesiis muss um so mehr in den Hintergrund treten, je zahlreicher und bedeutender sich jene cenogenetischen Zeitverschiebungen und Ortsverschiebungen im Laufe der Jahrtausende allmählig ausge- bildet und zu complexen Phänomenen zusammengeballt haben. Ein solches complexes Phänomen ist z. B. die Bildung eines soge- nannten „Primitivstreifs"' d. h. das frühzeitige und imponirende Die Gastnila und die Eiitircliimg der Thiere. 415 Auftreten einer Summe von axialen Körpertheilen, welche an der Oberfläche des Keimes in der Hauptaxe derjenigen dipleuren (oder „bilateral-symmetrischen'^) Metazoen erscheinen, deren Körper den Formwerth einer Metamerenkette oder einer „gegliederten Person'' besitzt *). Als solche höchst complexe Gesammt-Kesultate, die sich aus zahlreichen und mannichfaltigen cenogenetischen Heterochro- nien und Heterotopien zusammensetzen, sind femer offenbar viele Fälle von sogenannter „Zusammenziebung und Vereinfachung*' der Ontogenesis zu deuten, wie sie z. B. Gsobnbaur in der Bildung des Schädels und Gehirns bei den Wirbelthieren, Fritz Moller in der Gliederung und Differenzirung des Crustaceen-Körpers so einleuchtend nachgewiesen haben. Auch die scheinbar „directe Entwickelung'S ist so zu erklären, welche die Cephalopoden (das Yeliger-Stadium der Schnecken ttberspringend) uns darbieten; und ebenso diejeni- gen Echinodermen, welche den ursprtlnglichen Generationswechsel (oder die sogenannte „Metamorphose'') der Mehrzahl dieses Stam- mes gegenwärtig nicht mehr besitzen. Von besonderer Bedeutung dttd'te für die richtige Würdigung der cenogenetischen Heterochronien und Heterotopien der Um- stand sein, dass durch sie im Laufe der Zeit immer auffallen- der diejenigen Organe in den Vordergrund der Onto- genie gedrängt werden, welche für die betreffenden Hauptgruppen (Stamm, Classe, Ordnung) vorzugsweise cha- rakteristisch und wichtig sind. So treten bei den Wirbel- thieren unverhältnissmässig früh und mächtig die Chorda dorsalis und die Kiemenbogen auf; bei den Gliederthieren der sogenannte „Primitivstreif', die Metamerengrenzen und die Anlagen der ge- gliederten Extremitäten; bei den odontophoren Mollusken die Ra- dula ; bei vielen Echinodermen die Kalktheile des Skelets und die Anlagen des Ambulacral - Systems. Umgekehrt werden im Laufe der Jahrtausende immer mehr diejenigen Organe in den Hintergrund der Ontogenie gedrängt, welche die allgemeinste Bedeutung für sämmtliche Metazoen be- 1) Der sogenannte „Primitivstreif^^ hat demnach in den verschiedenen Thieratämmen eine ganz verschiedene Bedeutung, so namentlich bei den An- neliden und Arthropoden einerseits, bei den Vertebraten anderseits. Immer aber ist der Terminus „Primitivstreif ^ ein sehr unklarer Ausdruck für eine complexe Summe von Phänomenen, die theils palingenetischen , theils ceno- genetischen Ursprungs sind. Die Unterscheidung von ,,Eutwickeluug mit oder ohne Primitivstreifs ^i"^ ^i^ 2. B. Leuckabt, Claus und viele Andere für sehr wichtig halten, ist im Grunde ganz unwichtig und werthlos. j 416 Ernst Haeckel,, . sitzen, vor AUem also Urdarm und Urmnnd in ihrer ursprüngli- chen Gestalt. Desshalb ist auch die reine, primordiale Gastrula ( Jrchigastrula)^ Welche durch Invagination einer einfachsten Bla- stuleL (Archiblasiulä) entsteht, vorzugsweise bei den niedersten, indifferentesten und ältesten Formen der verschiedenen Gruppen bis heute am getreuesten conservirt werden (Gastrophysema, Hartea, Sagitta, Phoronis, Argiope, Terebratula, Uraster, Toxo- pneustes, Ascidia, Amphioxus). III. Palingenetischer Bildungsdotter und cenogene- tischer Nahrungsdotter. Die auffallendste und für die frühesten Keimungs - Processe der Metazoen weitaus wichtigste von allen cenogenetischen Er- scheinungen ist die Ausbildung eines sogenannten „Nahrungsdotters""* im Gegensatze zu dem „Bildungsdotter". Bei sehr vielen Thieren der verschiedensten Gruppen, namentlich aber bei den niederen und unvollkommneren (also phylogenetisch älteren) Formen fehlt ein separater Nahrungsdotter ganz und der Embryo entsteht einzig und allein aus dem ,, Protoplasma^^ der Eizelle, dem Bildungs- d Ott er (Morpkoblaatus oder Proiolecithua, Vitellus formatwus). Zu diesem primären Bildungsdotter tritt nun aber bei vielen an- deren Thieren, namentlich höheren und vollkommneren (also phylo- genetisch jüngeren) Formen in sehr verschiedenen Klassen die be- sondere, zur Ernährung des Embryo dienende Vorrathsmasse, welche als ,,l)eutopla8ma^^ (van Benbden) sich zum Protoplasma der Ei- zelle hinzugesellt, der Nahrungsdotter (Tropkoblastus oder Metalecithus^ Fitellus nutritivus). Diese Sonderung von Bildungsdotter und Nahrungsdotter be- dingt von Anfang der Keimesentwickelung an höchst auffallende Unterschiede bei den verschiedenen, oft nahe verwandten Thier- klassen (ja selbst oft bei nahe verwandten Thieren einer Klasse); Unterschiede, welche ihre Wirkung bald auf kürzere, bald auf län- gere Zeit des Embryolebens erstrecken, die palingenetische Identität der Keimesentwickelung bei nahe verwandten Thieren oft ganz verdecken und überhaupt eine Masse von Täuschungen hervorrufen. Wenn man das Chaos von widersprechenden Beobachtungen, unver- einbaren Ansichten und entgegengesetzten- Meinungen überblickt, welches gegenwärtig die Keimesgeschichte der Thiere darbietet, — besonders in Betreff der frühesten und wichtigsten Stadien der Ent- wickelung, — so wird man wohl nicht irre gehen , wenn man in Die Gastrnla und die Eifurchung der Thiere. 417 der grossen Mehrzahl der Fälle die eigentliche Urquelle dieser Verwinning in dem Auftreten des Nahrungsdotters und den davon abhängigen cenogenetischen Veränderungen sucht. Je auffallender nun diese Unterschiede in den ersten Stadien der Keimesentwickelung sich darstellen, je mehr die Anwesenheit oder Abwesenheit eines Nahrungsdotters selbst nahe verwandte Thiere zu trennen scheint, desto wichtiger ist es, den cenogeneti* sehen Charakter aller dieser secundären Veränderungen im Auge zu behalten und sich das ursprüngliche Bild der dadurch ver- deckten palingenetischen Processe nicht trüben zu lassen. Denn in allen Fällen ist der Nahrungsdotter ein secundäres cenogenetisches Product, welches den primären palingene- tischen Entwickelungsgang des Keimes zwar vielfach abändern und verdecken, aber dessen morphologische Bedeutung nicht im Min- desten abschwächen kann. Während viele Ontogenisten, geblendet durch die Grösse und die oft sehr complicirte Zusammensetzung des Nahrungsdotters, einen höchst wichtigen und selbst die Form- bildung des werdenden Thieres unmittelbar beeinflussenden Kör- per in demselben erblicken, werden wir umgekehrt denselben stets nur als einen ganz untergeordneten Factor der Keimesgeschichte ansehen, der zwar für die Physiologie des Embryo höchst bedeu- tungsvoll sein kann, für die Morphologie hingegen werthlos ist Um das Verhältuiss des Nahrungsdotters zur Eifurchung rich- tig zu beurtheilen, müssen wir uns stets an drei wichtige Grund- sätze erinnern, erstens, dass das Ei ursprünglich stets eine einfache Zelle ist, zweitens, dass die Eifurchung nichts anderes als eine einfache oft wiederholte Zellenthei- lung ist, und drittens, dass der Nahrungsdotter zur primären Ei- zelle stets als ein secundäres Product hinzutritt, welches an den activen Veränderungen der ersteren nur einen, mehr oder minder ausgedehnten passiven Antheil nimmt')* Als actives Element der Eifurchung können wir überall nur das Protoplasma und den / 1) Die gegenwärtig zur Geltung gelangte Vorstellung, dass das Thier-Ei eine einfache lebendige Zelle und die Eifurchung eine wiederholte Zellenthei- luug ist, stellt mit der Zelleiitbeurie wie mit der Phylogenie in bestem Einklang. Die ganz uutgegeusetzten, wunderlichen, allgemeinen Ansichten, welche Goettb kürzlich in seiner Keimimgsgeschichte der Unke publicirt hat, werden jene fundami*ntale Ueb<;rzeugung nicht erschüttern. Obwohl es kaum nöthig it»t, meinen priucipiellen Gegensatz zu den meisten allgemeinen Anschauungen Goettk's hier zu constatiren , tliue ich es doch, weil seine speciellen An> schauungen über Gastrulabildung (und besonders über die Invagination der Gastruia) wesentlich mit den meiuigeu übereinstimmen. 418 Ernst Haeckel, Kocleus der Furchungsz eilen betrachten. Der Nahrungsdotter hingegen ist nnr ein passiver Bestandtheil des Eies, eine Vorraths- katnmer oder ein Proviant-Magazin, aus dem der entstehende Em- bryo den Nahrungsstoff entnimmt. Allerdings kann bisweilen der Nahrungsdotter noch längere Zeit nach der erfolgten primären Furchung des Bildungsdotters einer secundären Zerklüftung unter- liegen« Aber auch die so entstehenden wirklichen „Dotterzellen'' spielen nur eine untergeordnete und passive Rolle gegenüber den formbildenden activen „Bildungszellen'' der Keimblätter. Je nach dem verschiedenen Massen-Yerhältniss , in welchem das „Deuto- plasma" des Nahrungsdotters zu dem ursprünglichen „Protoplasma" der Eizelle hinzukommt, und je nach der verschiedenen Vertheilung des ersteren im letzteren wird derselbe an der Furchung einen sehr verschiedenen passiven Antheil nehmen. Die Verhältnisse des Nahrungsdotters zur Eizelle und zur Ei- furchung sind in den beiden Preisschriften von Ei>ouard va» Bb- nxdbn') und von Hubbrt Ludwig *) so ausführlich erörtert worden, dass wir hier nicht weiter darauf einzugehen brauchen, sondern einfach auf letztere verweisen können.* Wenngleich unsere Auffas* sung in einigen Einzelheiten abweicht, stimmt sie doch in allem Wesentlichen mit derjenigen von van Bbnbdbn und Ludwig überein. Die zahlreichen neuen Beobachtungen über die verschiedenen Arten der Eifurchung, welche in jüngster Zeit angestellt worden sind, scheinen übrigens geeignet, die von van Bbnbdbm unterschiedenen Kategorien der Eifurchung, welche auf der (1. c. p. 260) von ihm gegebene Tabelle übersichtlich zusammengestellt sind, wesentlich zu vereinfachen. Wenn man die Gastrula als das gemeinsame End- resultat der Furchung bei sämmtlichen Metazoen im Auge behält, so dürfte die Unterscheidung derjenigen vier Hauptformen der Ei- furchung und Gastrulabildung vorläufig genügen, welche ich in den beiden synoptischen Tabellen VI und VII (S. 407 und 408) zusammengestellt habe. Nur bei der „primordialen Eifurchung*' bildet der active Bildungsdotter für sich allein, als primärer palin- genetischer Organismus, das ganze Ei und den daraus hervor- gehenden Keim. Bei den drei übrigen Furchungsformen hingegen, bei der inaequalen, discoidalen und superficialen Eifurchung tritt der passive Nabrungsdotter, als secundäres cenogeneüsches Pro- 1) Edouabo van Bbnebbn, Recherches bur la Composition et la Signifi- cation de Toeuf. Bruxelles 1870. 2) Uubbbt Ludwig, Ueber die Eibüduug im Thierrciche. Würzburg 1874. Die Gastrula und die Eifürchang der Thiere. 41g duct, zu ersterem hinzu, bald nur theilweise und nicht scharf ge- schieden (inaequale Furchung), bald vollständig und scharf getrennt discoidale und superficiale Furchung). 10. Die vier Hauptformen der Eifurchung und Oastrula- blldnng. I. Die primordiale Furchung und die Archigastrula (Tat XXV). Bei Beurtheilung der zahlreichen verschiedenen Formen, unter* welchen die Eifurchung und die erste Anlage des embryonalen Körpers bei den . verschiedenen Thieren auftritt , wird zuerst die Frage zu stellen und zu beantworten sein, ob wir eine einzige Form derselben als die ursprünglichste und als gemeinsamen Aus- gangspunkt für die übrigen Formen betrachten dürfen. Wie die vergleichende Anatomie als Phylogenie der Organe die Aufgabe hat, alle stammverwandten entwickelten Formen einer natürlichen Uauptabtheilung, z. B. alle Wirbelthiere, auf eine gemeinsame ur- sprüngliche Stammform zurückzuführen, so stellt sich die verglei- chende Ontogenie die entsprechende Aufgabe, auch die verschie- denen Formen der Eifurchung und Keimbildung bei allen Gliedern einer solchen Hauptabtheilung aus einer gemeinsamen ursprüng- lichen Grundform abzuleiten. Wer aber die monopbyletische Descendenz nicht nur für alle Glieder eines Stammes fordert, sondern auch, unserer Hypothese folgend, die gemeinsame Ab- stammung aller Metazoen-Stämme von einer einzigen Stammform, der Gastraea annimmt, der muss auch dem entsprechend alle verschiedenen Keimformen sämmtlicher Metazoen auf eine ur- sprüngliche gemeinsame Gastrula zurückzuführen suchen. Die Entstehung dieser einfachen, ursprünglichen und unver- fälschten Gastrula liegt noch heute in der Keimesgeschichte zahl- reicher niederer Thiere klar vor Augen und beweist sowohl durch die auf einander folgenden, überall wesentlich gleichen Stufen ihrer Bildung, wie durch ihre Verbreitung bei den niedersten, indifferen- testen und ältesten Thierformen der verschiedenen Stämme, dass sie als der Ausgangspunkt für das Verständniss an die Spitze ge- stellt werden muss. Ich bezeichne daher diese älteste und wich- tigste Form der Eifurchung als die primordiale, und die daraus hervorgegangene ursprüngliche Gastrula -Form als die Archi- gastrula (Taf. XXV>. 420 Srost Haeckel, Wir finden diese primordiale Form der Furehang and der reinen Gastrulabildung noch heute in vollständiger Uebereinstim- mang wohl erhalten bei den niedersten Repräsentanten särnrnüicher Thierstämme: a) unter den Zoophyten (Coelenteraten) bei den Gastraeaden (Gastrophysema, Taf. XXV), bei verschiedenen Spon- gien, Hydroiden, Medusen undCorallen; b) unter den Würmern bei vielen niederen Wurmformen verschiedener Classen, z. B. Sa- gitta, Phoronis, Ascidia; c) unter den Mollusken bei den mei- sten (?) Spirobranchien, sowie vielleicht bei einigen Muscheln und Schnecken; d) unter den Echinodermen bei der grossen Mehr- zahl dieses Stammes, soweit man nach den jetzt vorliegenden Untersuchungen schb'essen darf; e) unter den Arthropoden bei einigen niederen Formen, sowohl Crustaceen (einige Branchiopoden) als Tracheaten (Pteromalinen ?) ; f) unter] den Wirbelthieren einzig und allein bei den Acraniem (Amphioxus). Um den Nach- weis der weiten Verbreitung dieser primordialen Furchungsform und der daraus entstehenden Archigastrula hat sich vor Allen A. KowALEvsKT vcrdicut gemacht, der sie u. A. zuerst beobachtet hat bei Amphioxus, Phallusia, Asteracanthion, Ophiura, Echinus, Argiope, Phoronis, Sagitta, Actinia, Gereanthus, Pelagia, Cassiopeja, Khizostoma u. s. w. Wir dttrfen es als eine ontogenetische Thatsache von höch- stem morphologischen Interesse und von grösster phylogenetischer Bedeutung hervorheben, dass bei allen diesen Thieren, also bei Angehörigen sämmtlicher Metazoen - Stämme , ganz dieselbe Form der primordialen Furchung sich ebenmässig wiederholt und auf ganz gleiche Weise zur Entstehung einer und derselben Archi- gastrula - Form führt (Fig. 119, 120). In allen FäUen führt uns hier der palingenetische Process fünf auf einander folgende Haupt- stadien der Keimbildung vor Augen, welche beim Mangel jeglicher cenogenetischen Störung unmittelbar auf die ältesten phylogene- tischen Entwickelungsstufen sämmtlicher Metazoen bezogen werden können. Ich habe diese fünf ontogenetischen Stadien bereits frü- her, in der Natürlichen Schöpfungsgeschichte (S. 444) und in der Anthropogenie (S. 396) mit den fünf ersten Stufen der systema- tischen Entwickelung in Parallele gesetzt und demgemäss phylo- genetisch gedeutet (VergL die V. Tabelle). Es scheint mir jetzt, mit Rücksicht auf das phylogenetische Verhältniss der primordia- len Furchung zu den drei anderen Furchungs-Formen, zweckmäs- sig, die besonderen Eigenthümlichkeiten jener fünf ältesten Form- stufen bei den archiblastischen Eiern auch in deren Benennung Die Oastrulft und die Eifurchang der Thiere. 421 zum Ausdruck zu bringen und cilurch ein vorgesetztes „^rcAi'^ zu bezeichnen. Ich nenne demnach jene fünf pal in genetischen Keimstufen der archiblastischen Eier, aus denen die entsprechen- den cenogenetischen Keimfbrmen der amphiblastischen, disco- blastischen und periblastischen Eier erst secundär entstanden sind : 1. Archimonerula^ 2. Archicytula^ 3. Archimontla, 4. Archiblasiula und 5. Arckigaairula (Vergl. die VI. Tabelle, S. 407). Die Archimonerula (Taf. XXV, Fig. 111), das erste Sta- dium der primordialen Furchung, zeigt uns das befruchtete Ei, nach Verlust des Keimbläschens und nach Verschmelzung der Sperma- zellen mit der Dottermasse, in jenem denkbar einfachsten Form- zustande, welcher der phylogenetischen Stammform des Moneres vollkommen entspricht Ich habe schon früher wiederholt darauf hingewiesen, welche hohe Bedeutung in dieser Beziehung die Mo- nerula besitzt und komme später nochmals darauf zurück. Hier sei nur noch besonders hervorgehoben, dass unter den vier Haupt- formen derMonerula die Archimonerula allein das primordiale Formverhältniss vollkommen rein wiederholt. Da ein vom Bil- dungsdotter gesonderter Nahrungsdotter nicht nachzuweisen ist« müssen wir die Archimonerula als eine Gytode von denkbar ein- fachster morphologischer Beschaffenheit betrachten. Ebenso stellt sich uns die Archicytula (Fig. 112), die zweite Keimungsstufe der archiblastischen Eier, als eine ganz einfache, indifferente Zelle dar; aus der Archimonerula durch Neubildung eines Nucleus entstanden. Diese Zelle, die sogenannte „erste Furchungszelle" zeigt in ihrem Protoplasma ebenfalls keiner- lei Differenz von Morpholecithus und Tropholecithus. Bei der weitern Entwickelung unterliegt diese Zelle einer vielfach wieder- holten, vollkommen regelmässigen Zeilentheilung, so dass zuerst 2, dann 4, darauf 8, 16, 32, 64, 128 Zellen u.s. w. entstehen. Diese Furchungszellen bleiben bis zur Beendigung des Furchungs- Processes völlig gleich und lassen keinerlei Unterschiede er- kennen (Fig. 113, 114). Die Archimorula, das dritte Stadium des primordialen Furchungs-Processes (Fig. 115), zeigt uns demzufolge eine „maul- beerförmige oder brombeerformige'' solide Kugel, welche aus lauter gleichen indifferenten Zellen zusammengesetzt i s t. Irgend welche Differenzen zwischen plastischen und trophischen Furchungskugeln, zwischen „Bildungszellen'* und „Nahrungszellen", sind auch nach vollständig beendigter Furcbung an diesem kuge- ligen Zellenbaufen durchaus nicht wahrzunehmen. 422 Ernst Haeckel, * Dasselbe gilt auch noch voa den sämmtlichen Zellen, welche den Keim der vierten Stufe, die Archiblastula zusammensetzen (Tal XXV, Fig. 116; Taf. XIX, Fig. 20, 29, Taf. XV, Fig. 41). Die gleichartigen Zellen welche bisher dicht zusammenge- drängt die solide Morula bildeten, sind jetzt durch Ansamm- lung von Flüssigkeit oder Gallert im Inneren der Maulbeer- kugel aus einander getreten und haben sich sämmtlich an die Peripherie derselben begeben. Der Keim stellt demnach jetzt eine mit Flüssigkeit gefüllte Hohlkugel dar, deren Wand aus einer einzigen Schicht von gleichartigen Zellen besteht Die davon um- schlossene Höhle ist die F u r c h u n g s h ö h 1 e oder BASR'sche Höhle ; Bladocoeloma^ Cavum 9€gmeniationia), Die einfache, gleichartige, epithelförmige Zellenschicht ist die Keim haut oder das BlaBto- derma. Irgend welche formbestimmende Axen und überhaupt irgend welche Differenzen verschiedener Körpertheile sind an dieser Keim- form noch nicht vorhanden. Zwar dürfen wir auf Grund der nachfolgenden Invagination annehmen, däss physiologische (resp. physikalische und chemische) Differenzen zwischen animalen und vegetativen- Zellen an den beiden Hälften der Hohlkugel bereits bestehen. Aber morphologisch sind diese virtuellen Verschieden- heiten noch nicht ausgeprägt und treten erst bei der nun folgen- den Bildung der Archigastrula actuell in die Erscheinung. Die Archigastrula bildet die fünfte Stufe der primordialen Furchung (Taf. XIX, Fig. 17, 21, 22, 23, 25, 31, 33; Taf. XX, Fig. 43, 44; Taf. XXV, Fig. 119, 120). Der einaxige blasenförmige Keim umschliesst eine einfache einaxige Höhle, den Urdarm (Pro- gast er oder Pratogaater^ a). Dieser ist an dem einen (animalen) Pole der Axe geschlossen ; an dem anderen (vegetativen) Pole der- selben mündet er durch eine einfache Oeffnung nach aussen: Ur- mund (Broatama oder Protoatoma^ o). Die Wand der Urdarm- höhle (die Darmwand und Leibeswand zugleich ist), besteht aus zwei verschiedenen, eng an einander liegenden Zellenschichten, den beiden primären Keimblättern: aussen Hautblatt oder Exoderma (auf Taf. XIX und XX blau gezeichnet); innen Darmblatt oAet Entoderma (auf beiden Tafeln roth gezeichnet). Die Zellen des Hautblattes oder die „animalen Keimzellen'' sind gewöhnlich zahlreicher, kleiner, heller und weniger reich an Körn- chen, als die Zellen des Darmblattes oder die „vegetativen Keim- zellen". Die Entstehung der Archigastrula aus der Archiblastula er- folgt ursprünglich stets durch Einstülpung oder Invagina- Die Oastrula und die Eifurcfaiing der Thiere. 428 tion {Gadrula intaginata^ Ray-Lahksstbk). Diese bedeutungsvolle Einstülpung hat zuerst Kowalbvsky bei den angeführten Repräsen- tanten aller Typen beobachtet. Ausserdem ist sie aber auch von vielen anderen Beobachtern bei den verschiedensten Metazoen nach- gewiesen worden. Ich selbst habe diesen Process in ganz ttberein- stimmender Form bei Gastropkysema (Fig. 118), bei mehreren Gorallen (Actinia, Hartea), bei Echinus und bei Phallusia beob- achtet, und mich, von der Richtigkeit der übereinstimmenden Be* obachtungen von Carl Rabl bei Limnaeus überzeugt (Fig. 29 — 31). Die Invagination beginnt stets damit, dass an einer bestimmten (physiologisch determinirten, aber morphologisch noch nicht diffe- renzirten) Stelle der Oberfl&che sich im Blastoderm eine kleine kreisrunde Orube bildet. Diese vertieft sich durch fortschreitende Einstülpung zu einer Höhle, die sich auf Kosten der dadurch verdrängten Furchungshöhle vergrössert Letztere schwindet zu- letzt ganz und nunmehr ist der Urdarm der einzige Hohlraum des Gastrula-Körpers. Jedoch bleibt bei mancher Archigastrula (z. B. von vielen Echinodermen, Fig. 33) die Einstülpung unvollständig und bleibt auch noch ein Rest der Furchungshöhle («) neben der Urdarmhöhle (a) bestehen. Mit der Einstülpung der Blastula tritt die erste Axenbildung im Keim auf, der Gegensatz zwischen oralem und aboralem Körperende. Da der Urmund der Gastrula bei allen Metazoen an dem späteren aboralen Ende der Längsaxe zu liegen scheint, so muss auch dieser vegetative Pol eigentlich als aboraler bezeichnet werden. Indem durch die fortschreitende, vom Protostom-Pol gegen den Oral-Pol gerichtete Einstülpung der Blastula die Furchungshöhle Schritt für Schritt sich verengt und schliesslich verschwindet, legt sich zugleich das eingestülpte, innere, vegetative Blatt (Entoderma) unmittelbar an das nicht eingestülpte, äussere, animale Blatt (Exoderma) an. Der höchst bedeutungs- volle fundamentale Gegensatz zwischen den beiden primären Keim- blättern, der in den beiden Hemisphären der Archiblastula phy- siologisch jedenfalls schon vorhanden war, also potentiell existirte, tritt durch die Invagination der Archigastrula zuerst actuell in die Erscheinung und wird morphologisch offenbar. Von ganz besonderer Bedeutung für die Organogenie und Histogenie der Metazoen ist der Mundrand der Archigastrula, oder genauer gesagt der Urmundrand (fVopert«fomii). So nenne ich den kreisförmigen Ring, in welchem das Entoderm in das Exoderm 424 Ernst Haeckel, unmittelbar übergeht. Er ist identisch mit dem viel besprochenen und höchst wichtigen „Randwulst oder Keimwulst'' derdisco- blastischen Metazoen und verdient als erster Ausgangspunkt für die ältesten Anlagen der wichtigsten Mesoderm-Producte ganz besondere Berücksichtigung. Innerhalb dieses Urmundrandes, in dem ringförmigen Falze zwischen Entoderm und Exoderm, sondern sich von den primären Keimblättern zuerst einige grosse Zellen ab, welche die friüieste Grundlage des Mesoderm bilden. n. Die inaequale Furchung und die Amphigastrula (Taf. XXIV). An die primordiale Segmentation schliesst sich zunächst die- jenige Form an, die ich in der Anthropogenie als inaequale Furchung bezeichnet habe, und deren Product die Amphigastrula ist. Bisher hat man diese wichtige Form der Eifurchung mit der primordialen unter dem GesammtbegriflF der „totalen Furchung*' vereinigt, obleich sie sehr wesentlich von der letzteren verschie- den ist. Allerdings sind beide Furchungsformen durch eine con- tinuirliche Beihe von vermittelnden Zwischenformen mit einander verbunden ; wie auch zweifellos die inaequale aus der primordialen phylogenetisch entstanden ist. Allein nicht nur das Endproduct ist sehr verschieden, sondern auch der Furchungs-Process selbst schlägt entweder von Anfang an oder doch während seines Ver- laufes eine wesentlich verschiedene Richtung ein. Am längsten bekannt und am genauesten untersucht ist die inaequale Furchung bei den Fröschen und anderen Amphibien; in ganz gleicher Form ist sie später bei Petromyzon und bei Acci- penser wiedergefunden worden. Wahrscheinlich dürfte sie auch bei den Dipneusten sich finden. Auch die Furchung der meisten Säugethiere (wahrscheinlich aller Placentalthiere) ist in diese Gruppe zu rechnen. Somit besitzt die inaequale Furchung unter den Wirbelthieren eine ausgedehnte Verbreitung. Unter den Wir- bellosen finden wir ganz dieselbe ungleiche Segmentation zunächst bei der grossen Mehrzahl der Mollusken wieder; bei den mei- sten Schnecken und Muscheln, wahrscheinlich auch bei einigen Gephalopoden und vielen Brachiopoden. Unter den Arthropo- den ist dieselbe, wie es scheint, bei den niederen Grustaceen und Tracheaten ziemlich verbreitet, jedoch in den meisten Fällen nicht hinreichend genau untersucht. Im Stamme der Echinodermen scheinen nur wenige Formen (z. B. einzelne Ästenden und Holo- Die Qastnila und die Eifurchung der Thiere. 425 thurien mit abgekürzter, sogenannter ,,direeter*' Entwickelung) die- selbe zu besitzen. Dagegen ist sie unter den Würmern sehr verbreitet und wahrscheinlich der grossen Mehrzahl derselben eigen (Anneliden, Gephyreen, Botatorien, Nematoden, Acoelomen u. s. w.). Wie weit die inaequale Furchung unter den Pflanzenthieren verbreitet ist, lässt sich zur Zeit noch nicht übersehen ; die Cteno- phoren und Siphonophoren liefern ausgezeichnete Beispiele; doch scheint sie auch bei anderen Hydromedusen , bei Corallen und Spongien häufig vorzukommen. Meine eigenen Untersuchungen über inaequale Furchung und Amphigastrula-Bildung betreffen vorzugsweise einige Siphonophoren, Anneliden, Grustaceen, Gasteropoden und Amphibien. Als vorzugs- weise geeignete Paradigmata stütze ich mich in der folgenden Dar- stellung hauptsächlich auf einen röhrenbewohnenden Borstenwurm {Fabricia, aus der FamiUe der SabelUden; Taf. XXIV, Fig. 91— 102), und auf eine gasteropode Schnecke (wahrscheinlich Trochus oder ein verwandtes Genus, Tal XXIV, Fig. 103 — 110. Der Laich beider Thiere war auf den Strandfelsen von Ajaccio nicht selten und eignete sich bei der geringen Grösse der Eier und der mas- sigen Undurchsichtigkeit der Nahrungszellen besonders zur Ver- folgung der Gastrulabildung. Insbesondere gewährten Präparate, welche mit Carmin und Hämatoxylin gefärbt waren und dann län- gere Zeit in Glycerin gelegen hatten, sehr befriedigende Ansichten. Obgleich die inaequale Furchung sich einerseits an die pri- mordiale eng anschliesst und durch zahlreiche vermittelnde Zwi- schenstufen unmittelbar mit ihr verbunden ist, so erscheint sie doch anderseits früher oder später wesentlich verschieden und bietet eben so allmähliche Uebergangs - Formen zur discoidalen Furchung. Ihre wesentliche Eigenthümlichkeit besteht darin, dass sich früher oder später, entweder schon im Beginn oder im wei- teren Verlaufe des Furchungsprocesses, jedenfalls vor Ablauf des- selben, ein Gegensatz zwischen der animalen und der vegetativen Hälfte des Eies offenbart und somit auch eine durch diesen Gegen- satz beider Pole charakterisirte Axe entsteht Bei der primordia- len Furchung tritt dieser Gegensatz und die Bildung der ersten Axe erst viel später auf, nämlich nachdem die Blastula ausgebildet ist und sich einzustülpen beginnt. Bei sehr vielen amphiblastischen Eiern ist der Gegensatz zwischen animaler und vegetativer Hemi- sphäre sogar schon vor Beginn der Furchung erkennbar, indem diejenige (meist untere, weil schwerere) Hälfte der Eizelle, aus der später die Entodermzellen hervorgehen, sich durch besondere Fär- Bd. IX, M. F. u. 29 426 ISnsX Baeckri, bang (Anhaofiing von PigmeDtkörnem) oder durch Ansammlung einer grösseren Menge von Fettkömeni oder von eigenthümlichen Formelementen des Dotters anszeiehnet; hingegen vermisst man diese in der entgegengesetzten (meist oberen und helleren) Hälfte der Eizelle, welche den Kern umschliesst, und welche spater das Material für die Exodermzdlen liefert Stets offenbart sich bei den amphiblastischen Eiern der Antagonisnms zwischen jenen ve- getativen and diesen animalen Zellen früher oder später dadurch, dass die ersteren sich langsam, die letzteren rascher vermehren. Immer aber ist trotzdem die Farchang vollständig, and es bleibt kein Best von angefarchtem Nahrangsdotter zurück, wie bei den discoblastischen und cryptoblastischen Eiern. In jenen Fällen, wo das Deutoplasma der vegetativen Eihälfte sich durch Pigmentirung oder Reichthum an dunkeln Fettkömem u. dergl. auffallend von dem hellen Protoplasma der animalen Ei- hälfte unterscheidet, wie bei unserer Fabricia, ist auch schon der Cytoden-Zustand der befruchteten Eizelle als Amphimonerula deutlich charakterisirt (Tat XXIV, Fig. 91). Vom Amphibien-Ei hat GoETTE dieselbe Amphimonerula abgebildet (Ontogenie der Unke, Atlas Tat I, Fig. 13). Die Amphicytula (Fig. 92), die „erste Furchungskugel" des amphiblastischen Eies, ist in diesen Fällen natürlich gleicherweise schon an der Differenz der animalen und vegetativen Hemisphäre erkennbar. In der ersteren liegt der neugebildete Kern. Ge- wöhnlich spricht sich dann die Differenz beider Hemisphären auch schon beim Beginne der Furchung darin aus, dass die erste Thei- lungs-Ebene die Amphicytula in zwei ungleiche Hälften theilt, eine kleinere animale Zelle (die Mutterzelle des Exoderm) und eine grössere vegetative Zelle (die Mutterzelle des Entoderm). Das ist bei vielen Anneliden der Fall (Fabricia, Fig. 93), und ebenso bei Botatorien und Gephyreen. Gewöhnlich theilt sich dann zunächst bloss die kleinere animale Zelle weiter (in 2, 4, 8 u. s. w.), wäh- rend die grössere vegetative Zelle erst später nachfolgt (Fig. 94, 95, 96). Bei vielen anderen amphiblastischen Eiern (besonders von Mollusken) sind die ersten vier oder acht Furchungskugeln von gleicher Grösse und erst bei der weiteren Theilung der Fur- chungskugeln treten allmählich die Unterschiede zwischen den animalen und vegetativen Zellen hervor. Sehr häufig sind hier namentlich die vier ersten Furchungszellen, welche durch zwei auf einander senkrechte Meridianfurchen getrennt werden, gleich gross (Fig. 103). Dann aber entsteht eine Ringfürche nicht im Aequator Die Gastnila und die Eifurchung der Thiere. 427 des Eies, sondern diesem parallel, näher dem animalen Pol, so dass jede dieser vier Furchungskugeln (eigentlich Kugel-Quadran- ten) in zwei ^ verschiedene Hälften zerfällt , eine obere (animale) kleinere, und eine untere, (vegetative) grössere Hälfte (Fig. 104, 105). Die vier kleineren Zellen bilden die erste Grundlage des Exoderms, die vier grösseren diejenige des Entoderms (Fig. 34). Im weite- ren Verlaufe theilen sich die ersteren stets rascher als die letzte- ren, so dass am animalen Pole der Eiaxe eine grössere Anzahl von kleineren Zellen, am vegetativen eine kleinere Anzahl von grös- seren Zellen zu finden ist. So folgt z. B. bei unserem Trochus-Ei (wie bei sehr vielen anderen Schnecken-Eiern) auf das achtzollige Stadium (Fig. 104, 105) ein Stadium, in welchem acht animale auf vier vegetativen Zellen liegen (Fig. 106, 107); später ein Sta- dium mit sechzehn animalen und acht vegetativen Zellen (Fig. 108). Wenn die Theilungsfahigkeit der vegetativen Zellen schon früh- zeitig erlahmt, während diejenige der animalen Zellen fortdauert, so geht die inaequale Furchung allmählich in die discoidale über. Im Uebrigen bietet dieselbe eine grosse Anzahl specieller Ver- schiedenheiten dar, auf welche einzugehen nicht im Bereiche unseres Zieles hier liegt. Die bekannten zahlreichen Arbeiten über die Eifurchung der Amphibien, der Schnecken, Anneliden, Rotatorien u. B. w. schildern eine Fülle von mehr oder minder auffallenden, meist aber unwichtigen Modificationen. Die Amphimorula, welche aus dieser inaequalen Furchung des amphiblastischen Eies hervorgeht, erscheint stets bereits als ein einaxiger (monaxonier) Körper, dessen beide Pole meist schon äusserlich, immer aber auf einem durch die Axe gehenden Meridian-Schnitt eine wesentlich verschiedene Zusammensetzung zeigen (Fig. 97 und 108). Die animale Hemisphäre zeigt sich aus einer bedeutenden Anzahl kleiner (meist helleren) Zellen („Bildungszellen"), die vegetative Hemisphäre hingegen aus einer geringen Anzahl grosser (meist dunkleren) Zellen zusammengesetzt („Nahrungszellen"). Erstere repräsentiren den animalen „Bildungs- keim'\ die Exoderm-Anlage, letztere den vegetativen „Nahrungs- keim", die Entoderm-Anlage. In vielen Fällen der amphiblastischen Furchung tritt schon frühzeitig im Inneren der Zellenmasse die „Furchungshöhle (•) auf, so dass die Amphimorula unmerklich in die Amphiblastula übergeht; so z. B. bei den Amphibien (Fig. 51) und Cyclostomen (Fig. 45, 46). Die Amphiblastula, das vierte Stadium der inaequalen Furchung, ist von der Amphimorula wesentlich nur durch die voll- 29* 428 ^^^^oai HaeckeU ständige Ausbildong jener excentrischen, mit Flüssigkeit gefüllten „Furchungshöhle" verschieden. WlUirend diese „Segmentationshöhle oder BABR'sche Höhle^^ häufig, wie bemerkt, schon frühzeitig oder selbst im Beginne des Furchongsactes zwischen den aus einander weichenden Furchungskugeln erscheint, so gelangt sie dagegen in vielen anderen Fällen erst nach beendigter Furchung zur selbst- ständigen Abrundung und Abgrenzung (Fig. 26, 27, 98, 109). Es treten dann die Furchungszellen an die Peripherie der im Inneren sich ausdehnenden Höhle, deren Wand sie bald in einschichtiger, bald in mehrschichtiger Lage zusammensetzen. Einschichtig ist z. B. die Wand der Amphiblastula bei Unio (Fig. 26, 27), wo eine einzige colossale, erst später sich theilende Entodermzelle den Schlussstein eines Gewölbes von zahlreichen kleinen Exodermzel- len bildet. Mehrschichtig ist dagegen die Wand der Amphiblastula bei den Amphibien und Gyclostomen, wo der animale Eipol nach oben, der vegetative nach unten gerichtet ist, und wo die Furchungs- höhle (s) eine fast halbkugelige Form hat (Fig. 45, 46, 47 von Petromyzon, Fig. 51, 52 von Bombinator). Hier wird die halb- kugelig gewölbte „Decke der Furchungshöhle" von den kleineren Exodermzellen, der ebene „Boden" derselben von den grösseren Entodermzellen in mehrfacher, oft vielfacher Schicht gebildet Je nachdem eine grössere oder geringere Menge von Flüssigkeit sich im Inneren ansammelt, wird die Furchungshöhle grösser oder klei- ner. In vielen Fällen ist sie von so geringer Ausdehnung, dass sie bisher übersehen worden ist, und nicht selten kommt sie gar nicht zur Erscheinung, indem die Furchungszellen bis nach be- endigter Segmentation überhaupt nicht aus einander weichen. Solche Fälle sind durch abgekürzte Vererbung zu erklären. Die Amphimorula geht dann direct in die Amphigastrula über. Die Amphigastrula, das fünfte Stadium der inaequalen Furchung, ist ebenso wie die Amphiblastula und die Amphimorula bei den verschiedenen amphiblastischen Eiern von sehr mannich- faltiger Beschaffenheit (Fig. 18, 19, 24, 28, 32, 47, 48, 53, 100, 101, 110). Diese inaequale oder amphiblastische Gastrula ist bald kugelig, bald ellipsoid; bald einaxig, bald kreuzaxig (und zwar dipleurisch) ; sie umschliesst einen primitiven Urdarm (Broto- gaster)^ welcher bald leer, bald theilweise oder selbst ganz nut Entodermzellen erfüllt ist. Am vegetativen Pole der primären Axe öffnet sich der Urdarm meistens durch eine Mündung nach aussen. Jedoch kann dieser Urmund (Protostofna) auch fehlen, wenn er durch einen „Dotterpfropf* von Entoderm -Zellen verstopft Die Gastrola nnd die Eifurchnng der Thiere. 429 ist (Fig. 53). Die FurchuDgshöhle kann eine Zeitlang noch neben der Urdarmhöhle, mit der sie nicht communicirt, fortbestehen. In diesem Falle wird fortdauernd ein Theil ihrer Wand (die „Decke") von Exoderm-Zellen, der andete Theil (der „Boden") von Entoderm- Zellen gebildet (Fig. 47, 53). Die Amphigastrula entsteht aus der Amphiblastula entweder durch Einstülpung (Embole, richtiger Entobole) oder durch Um- wachsung (Epibole). Durch Einstülpung (Entobolie oder In- vagination) bildet sich die Amphigastrula bei der inaequalen Furchung ganz ebenso, wie die Archigastrula bei der primordialen Furchung. Der Unterschied ist nur der, dass schon bei der Amphi- blastula der Einstülpungspunkt am vegetiven Pole derEiaxe durch die grösseren Zellen ausgesprochen ist, während dies bei der Archiblastula noch nicht der Fall ist. Die erstere steht der letz- teren um so näher, je geringer die Grössen-DifFerenzen zwischen den beiderlei Furchungszellen sind. Werden diese Differenzen sehr bedeutend, und überwiegt das Volum der grossen vegetativen „Nahrungszellen" ganz unverhältnissmässig das Volum der kleinen animalen „Bildungszellen", so scheint bei der Gastrula-Bildung das peripherisch sich ausdehnende Exoderm die voluminöse Masse der „Dotterzellen" zu umwachsen und der ganze Vorgang imponirt äusserlich als Umwachsung (Epibolie oder Gircumcrescenz). In Wahrheit ist aber dieser Process nicht wesentlich von der „Einstülpung" zu unterscheiden, vielmehr lässt er sich stets auf letztere zurückführen. Die Ampkigastruia circumcreta der Am- phibien und Cyclostomen, sowie mancher Schnecken, welche mit- telst „Umwachsung der Dotterzellen durch die Keimzellen" entsteht, und die Amphigastrula invaginaia vieler Schnecken, Würmer und Zoophyten, welche durch „Einstülpung der Dotterzellenmasse in die Keimhöhle" entsteht, sind wesentlich nicht verschieden. Ueberall ist der Process ursprünglich und wesentlich eine „Einstül- pung" oder Invagination ; nur durch die unverhältnissmässige Grösse der Nahrungszellen wird diese Entobolie oft verdeckt und imponirt dann , äusserlich betrachtet, als „äussere Umwachsung" oder Epibolie. Am längsten bekannt und am genauesten untersucht ist die Amphigastrula der Amphibien, über welche schon vor 20 Jahren Reuak in seinen classischen „Untersuchungen über die Knt- Wickelung der Wirbelthierc" höchst wichtige Aufschlüsse und neuer- dings GoBTTE in der Ontogenie der Unke die genauesten Darstel- lungen gegeben hat (Fig. 52, 53). Die „sichelförmige oder elliptische ütr j;_Lr»r- ' ^ .-- ^0^ ^- «.^ -.-► -4**- ^,- r" t^LrrniffT <>^ V. •••• ,'./ .*n ;-'..■ , ••: -»^ -/-«-a- ^.ä- «h <^Y* ;f ». ! .<•..><»:; .a >f r..r Wrr-t^ ' -nrat-siu: '^-r/'/i**'/'?^ //»vU*'''« ^?n >!"•>»• ii*> j ir rnuntf^üiitm*: /.,^4/^fV ;r*/V.*^/>'jv '^^ör/z-u A^A la«! I^;r3«-J*n.arAl-A«- «^sbtfa f^'fu '///f^r^^/i^/Mr,/ ^^('••' **«f-1rv/^^,, Hin^jßgcxk bai*öc bei viekc hfh^\iHf, f9\4 fUj ^/'f^k/l^ t.rflinatt tJOiinl eiogestülpl wird, äcioe A/^' wii th'f P\iftX4', /juHiftfufrftlMit^ nufi somit die AB^ögi^tnib /^|/)/f^ /l^'f AtfhiiCHiii'MiwiiiHl MeibHt verwendet, während bei Die Gastrnla and die Eifurchung der Thiere. 431 einer anderen (wohl viel grösseren) Abtheilung derselben nur ein Theil des Entoderms zur Bildung der Darmwand („Darmdrüsen- zellen") direct verwendet wird, ein anderer Theil nur indirect be- nutzt, nämlich von den ersteren aufgezehrt und als „Dotterzellen^' verbraucht wird. Hierin verhalten sich aber wiederum die amphi- blastischen Eier zweifach verschieden, indem die „Proviantzellen" bald nach innen, bald nach aussen von den Darmdrttsenzellen liegen, welche in der Bildung der Darmwand aufgehen. Im ersteren Falle liegen die Proviantzellen in der Urdarm- höhle, welche sie oft ganz ausfüllen, und werden von den ringsum die Darmwand bildenden äusseren Entodermzellen aufgezehrt (z. B. Euaxes, Purpura). Im letzteren Falle hingegen liegen die Proviant- zellen in der Furchungshöhle, welche sie bald theilweise, bald ganz ausfüllen, und werden durch die äussere Fläche der innen anliegenden Darmdrüsenzellen resorbirt (so bei vielen Würmern, Mollusken und bei den meisten (?) amphiblastischen Arthropoden). Sehr verschieden ist femer das Verhältniss der Zellenschich- tung in den beiden primären Keimblättern der Amphigastrula. Bei den älteren und ursprünglicheren Formen derselben, welche sich am nächsten an die Archigastrula anschliessen, besteht sowohl Exoderm alsEntoderm (gleichwie bei der letzteren) nur aus einer einzigen Zellenschicht (z. B. Unio Fig. 28, Fabricia Fig. 100). Häufiger besteht schon von Anfang der Gastrulabildung an jedes der beiden primären Keimblätter (oder auch nur eins von beiden) aus zwei, drei oder mehreren Zellenschichten (z. B. Petromyzon Fig. 47, Bombinator Fig. 53, Trochus Fig. HO). Wie weit alle diese verschiedenen Modificationen der Amphi- gastrula bei den verschiedenen Metazoen-Gruppen verbreitet sind, lässt sich heute noch nicht ermessen, da die bezüglichen Beob- achtungen (hauptsächlich wegen der Undurchsichtigkeit der gros- sen dunkeln Proviantzellen) schwierig und in den meisten Arbei- ten nicht hinreichend klar dargestellt sind. Dasselbe gilt auch von der sehr wichtigen Frage, wie sich hier der primäre Urdarm (Protoga$ier) zum secundären N ach dar m (Metagaster\ sowie die Oefihung des ersteren (der RuBcoNi'sche After) zum bleibenden After verhält. Wir kommen später hierauf zurück. Als besondere Modification der inaequalen Furchung dürfte wohl diejenige der Säugethiere und mancher Würmer zu betrach- ten sein. Auf die eigenthümliche Segmentation der Säugethiere, welche ich in der Anthropogenie (S. 166) als pseudo totale unterschieden habe, werde ich nachher (bei specieller Besprechung 432 Ernst Haeckel, der Gastrula der Wirbelthiere) näher eingehen. Diejenige Form, die ich ebendaselbst als seriale Furchung bezeichnet habe, und die sich im Beginne durch die Vermehrung der Furchungszellen in arithmetischer Progression auszeichnet (so z. B. bei vielen Räderthieren und anderen Würmern) ist durch unmittelbare Zwi- schenformen mit der gewöhnlichen (in geometrischer Progression beginnenden) inaequalen Furchung verknüpft. Ausdrücklich muss endlich nochmals hervorgehoben werden, dass die inaequale Fur- chung mit allen drei übrigen Hauptformen der Eifurchung durch vermittelnde Z.wischenformen verbunden ist; so zwar, dass sie gegenüber der primordialen als spätere, gegenüber der discoidalen und superficialen Segmentation als frühere Furchungsform erscheint Die Amphigastrula ist daher einerseits mit der Archigastrnla, an- dererseits mit der Discogastrula und Perigastrula durch eine Reihe von Uebergangsformen eng verknüpft. III. Die discoidale Furchung und die Discogastrula (Taf. XXI, XXn). Wie man die beiden vorstehend untersuchten Formen der Ei- furchung, die primordiale uud inaequale, trotz ihrer bedeutenden Verschiedenheit bisher allgemein als totale Segmentation zusam- menfasste, so hat man auch die nunmehr folgenden beiden Formen der discoidalen und superficialen Furchung stets unter dem Be- griffe der partiellen Furchung vereinigt. Die letzteren beiden sind aber nicht weniger von einander verschieden, als die ersteren beiden. Gemeinsame Eigenthümlichkeit der discoidalen und super- ficialen Furchung ist die Ausbildung eines selbständigen grossen „Nahrungsdotters", der mehr oder minder scharf gesondert von dem „eigentlichen Keime'' oder Bildungsdotter sich absetzt. Bei der primordialen und inaequalen Furchung soll nach der herrschen- den Ansicht dieser Gegensatz noch fehlen. Indessen gilt das eigent- lich nur für die primordiale Furchung. Bei der inaequalen Fur- chung ist, wie wir gesehen haben, derselbe vielmehr ebenfalls vor- handen; nur ist die Sonderung des Bildungs- und Nabrungs-Dot- ters nicht so vollständig. Bei vielen amphiblastischen Eiern, son- dern sich bereits von den Darmdrüsenzellen der Darmwand andere Entodermzellen ab, welche die beginnende Bildung eines selbst- ständigen Nahrungsdotters einleiten. Auch sind zwischen jenen Formen der Amphigastrula, welche eine sehr ansehnliche Masse von Proviantzellen besitzen und jenen Formen der Discogastrula, Die Gastrula and die Eiforchong der Thiere. 43S ^bei denen der Nahrangsdotter noch relativ klein ist, so zahlreiche Zwischenstufen zu finden, dass eine scharfe Grenze gar nicht zu ziehen ist. Die discoidale Furchung spielt die grösste Rolle im Stamme der Wirbelthiere, wo sie sich bei den meisten echten Fischen, insbesondere allen (?) Selachieren und Teleostiem findet, femer bei sämmtlichen Reptilien und Vögeln, und wahrscheinlich auch bei den niederen Säugethiern, den Monotremen und Pidelphien (?). Ausserdem finden wir sie im Stamme der Mollusken bei den Cephalopoden ; auch die eigenthümliche Furchung einer Anzahl von höheren Arthropoden, welche nicht die vorherrschende super- ficiale Furchung dieser Gruppe theilen, ist als discoidale aufzu- fassen (z. B. unter den Grustaceen bei vielen Copepoden und Iso- poden, unter den Tracheaten beim Scorpion, einigen Spinnen und einer Anzahl von Insecten). Bei allen Eiern, welche der discoidalen Furchung unterliegen und demgemäss eine Discogastrula ausbilden, sehen wir den Ge- gensatz zwischen „Bildungsdotter'' und „Nahrungsdotter'' schon sehr frühzeitig während der Ausbildung des Eies im Eierstock sich entwickeln. Das reife unbefruchtete Ei zeigt uns stets eine voluminöse Masse von Nahrungsdotter (Deutaplasma) und auf dieser aufliegend eine verhältnissmässig geringe Menge von Bildungs- dotter, das eigentliche Protoplasma der Eizelle, welches deren Kern, das Keimbläschen, umschliesst Die genauere Untersuchung lehrt jedoch, dass ursprünglich stets eine dünne Schicht des Proto- plasma die gesammte Masse des voluminösen Deutoplasma über- zieht, so dass das Ei trotz seiner ausserordentlichen Grösse doch den morphologischen Werth einer einzigen Zelle behält. Mag der Nahrungsdotter der discoblastischen Eier noch so mächtig sein und mag derselbe noch so viele verschiedene Formbestandtheile (Dotterplättchen, Fettkugeln u. s. w.) einschliessen, so wird dadurch die einzellige Natur der ganzen grossen Zelle doch nicht aufge- hoben, so wenig als der einzellige Charakter der Infusorien dadurch vernichtet wird, dass sie andere einzellige Organismen oder Be- »tandtheile von solchen gefressen haben. An demjenigen disco- blastischen Objecto, welches am häufigsten und genauesten unter- sucht wurde und trotzdem die meisten Irrthümer und Missver- ständnisse hervorgerufen hat, am Vogel-Ei hat schon Gbgbnbaur') 1) Groknbaur, Ueher den Bau und die Eutwickelung der WirbelUiier-£ier mit partieller iiutterfurchung (Archiv für Anat. Pbys. 1861, b. 491). Die Au- 434 Ernst Haeckel, (1861) die Einzelligkeit klar dargethan; Edouard van Beneden und H. Ludwig (in den citirten Preis-Arbeiten) haben dieselbe noch ausführlicher begründet. Die noch gegenwärtig herrschende irrthümliche Auffassung der discoblastischen Eier und ihrer discoidalen Furchung beruht offenbar wesentlich darauf, dass der gewaltige Nahrungsdotter theils wegen seiner unverhältnissmässigen Grösse, theüs wegen seiner eigentbümlicfaen Zusammensetzung den meisten Beobachtern nicht als das erschien, was er wirklich ist: nämlich ein unterge- ordneter secundärer Bestandtheil der Eizelle; — sondern vielmehr als ein dem „Bildungsdotter oder Keime" coordinirter oder gar superordinirter Körper; ja viele ältere Beobachter, stets von der grossen gelben Dotterkugel des Hühner-Eies mit ihren verschieden- artigen Form-Bestandtheilen ausgehend, hielten denselben für das Wichtigste am ganzen Ei. In der That aber ist der ganze grosse Nahrangsdotter mit allen seinen Einschlüssen doch nur ein Inhalts- Bestandtheil (ein passives „inneres Protoplasma-Product") der Eizelle, und bei der Furchung, wie bei der Gastrulabildung spielt er zwar eine wichtige physiologische, aber nur eine ganz untergeordnete morphologische Rolle. Wenn man die zahlreichen Modificationen der amphiblastischen Eier vergleichend betrachtet, welche sich einerseits an die archiblastischen, anderseits an die discoblastischen Eier unmittelbar anschliessen, so erhält man eine ununterbrochene Stufenleiter von zusammenhängenden Formen und wird dann kein Bedenken mehr tragen, auch die grössten disco- blastischen Eier mit ihrem „colossalen Nahrungsdotter" als ein. fache Zellen, homolog der ursprünglichsten und einfachsten Formen der Eizellen, aufzufassen. Wie wir diese einheitliche Auffassung durch das vergleichende Studium des unbefruchteten discoblastischen Eies gewinnen, so werden wir sie selbstverständUch auch auf das befruchtete Ei über- tragen müssen. Wie bei den archiblastischen und amphiblastischen, so scheint auch bei den discoblastischen Eiern (nach den überein- stimmenden Angaben der meisten Beobachter) zunächst nach er- folgter Befruchtung das Keimbläschen zu verschwinden und dem- nach das Ei auf das kernlose Cytoden-Stadium zurückzuschlagen, welches als Recapitulation des phylogenetischen Moneren-Stadiums griife vou Klbbs und Andereu, welche Geoenbaub's uaturgemässe Aiifiassiiug zu widerlegen suchteu, habeu dieselbe iiicht im Mindesten zu erscbüttern ver> mocht. Die Gastrula und die Eifürchong der Thiere. 435 zu deuten ist. Wir würden dem entsprechend diese Ausgangsform der discoblastischen Keimung, mit welcher der neuerzeugte Orga- nismus seine individuelle Existenz beginnt, als Discomonerula zu bezeichnen haben. Diese specielle Cytoden-Form unterscheidet sich von den Monerula-Formen der übrigen Eier dadurch, dass am einen (animalen) Pole der einaxigen Cytode eine relativ geringe Menge von Bildungsdotter auf dem unverhältnissmässig grossen Nahrungsdotter aufliegt ; beide mehr oder minder scharf gesondert. Auch die Discocytula, die „erste Furchungszelle^* der disco- blastischen Eier ist durch diese monaxonie Grundform und durch die einseitige Anhäufung des „Bildungsdotters*^ am animalen Pole der Eiaxe ausgezeichnet. Die Discocytula unterscheidet sich von der Discomonerula wesentlich nur durch den neugebildeten Kern, welcher ihr wieder den Zellencharakter verleiht. Dieser Kern ist der Stammvater sämmtlicher Kerne der „Furchungskugeln^^ und somit auch der aus ihnen hervorgehenden Kerne der Keimblätter- zellen. lieber den discoidalen Furchungsprocess dieser Discocytula, sowie über die daraus hervorgehende Discogastrula lauten die zahl- reichen Angaben der verschiedenen Beobachter nur in den ersten Stadien übereinstimmend, in den späteren Stadien dagegen sehr abweichend. Meine eigene Auffassung desselben stimmt im We- sentlichen mit derjenigen überein, welche in neuester Zeit Goettb und B.AUBBB über die discoidale Furchung und Gastrulation des Hühnchens gegeben haben (S. unten). Ich stütze mich dabei vor allen auf meine eigenen Beobachtungen über discoblastische Fisch- Eier, welche ich kürzlich auf Corsica angestellt habe. Unter den verschiedenen Teleostier-Eiem , welche wir während unseres Aufenthaltes in Ajaccio erhielten, waren von besonderem Interesse einige vollkommen durchsichtige pelagische Laich- Arten, welche wir mit dem feinen MoLLBa'schen Netze von der Oberfläche des Meeres fischten. Jedoch war nur eine von diesen Laich-Arten so häufig, dass ich sie genauer untersuchen konnte. Dieser Laich bildet kleine weiche Gallertklumpen, in welche zahlreiche, kleine, vollkommen durchsichtige Eier eingebettet sind. Leider gelang es nicht, die daraus hervorgehenden, ganz durchsichtigen Fiscbchen so lange zu züchten, dass sich mit Sicherheit Genus und Species, oder auch nur die Familie hätte bestimmen lassen. Ich vermuthe jedoch, dass dieselben entweder der Lota selbst oder einem Lota verwandten Gadoiden angehören, angesichts der auf unsere Eier passenden Schilderung, welche Rxtzius von den ähnlichen Eiern 436 Ernst Haeckel, desGadus Iota gegfeben hat*). Ich werde daher dieselben in Fol- gendem kurz als Gadoiden-Eier bezeichnen, jedoch mit dem aus- drücklichen Vorbehalt, dass diese Vermuthung nicht vollständig begründet ist. Uebrigens finden sich diese und ähnliche pelagische Teleostier-Eier, deren Entwickelung meines Wissens bisher noch nicht untersucht ist, und welche ein ganz vorzügliches Object für viele wichtige Fragen in der Ontogenie der discoblastischen Eier bilden, auch an anderen Orten des Mittelmeeres nicht selten vor. Ich kenne dieselben seit dem Jahre 1856, wo ich sie zuerst in Nizza beobachtete und habe sie seitdem gelegentlich meiner Untersuchungen über Radiolarien und andere pelagische Thiere auch in Messina und in Gibraltar wiederholt gesehen, ohne sie jedoch näher zu untersuchen. Die fraglichen, vorläufig als Gadoiden-Eiei^ zu. bezeichnenden, pelagischen Teleostier-Eier sind vollkommen farblose und durch- sichtige Kugeln von 0,64—0,66 Mm. Durchmesser (auf Taf. XXI sind sie 60 Mal vergrössert). Das jüngste von wir gesehene Stadium zeigt die befruchtete Eizelle bereits in 4 Furchungszellen zerfallen (Fig. 55, 56). Die äussere Eihaut ist vollkommen homogen und structurlos, sehr dünn, aber fest und elastisch. Den grössten Theil des Innenraums erfüllt der Nahrungsdotter, welcher aus zwei völ- lig getrennten Theilen besteht, einer grossen wasserhellen Ei- weisskugel und einer kleinen glänzenden Fettkugel. Da die Fettkugel der specifisch-leichteste Theil des Eies ist, so ist sie an dem schwimmenden Ei stets nach oben gekehrt, während der kleine, am entgegengesetzten Pole der Eiaxe befindliche „Bildungsdotter^' nach unten gekehrt ist. In den Abbildungen auf Taf. XXI und XXII habe ich das Ei jedoch umgekehrt dargestellt (den Bildungs- dotter nach oben, die Oelkugel nach unten gerichtet), um die Ho- mologie mit den übrigen, auf Taf. XXIII und XXIV dargestellten Eiern nicht zu stören. Die Eiweisskugel des Nahrungsdotters, wel- cher mit gelber Farbe gedruckt ist, besitzt an beiden Polen der Ei- axe eine kleine, grubenförmige Vertiefung. In der seichteren Grube am animalen Pole (welcher in den Figuren 55 — 76 aufwärts, in natürlicher Lage abwärts gekehrt ist), liegt der Bildungsdotter; hingegen ist die tiefere, fast kugelige Grube der Eiweisskugel am entgegengesetzten vegetativen Pole der Eiaxe, von der stark licht- brechenden Oelkugel ausgefüllt. Die Oelkugel ist nicht vollständig 1) Retziüs, Ueber den grossen Fetttropfeu in den Eiern der Fische. Müllbb's Archiv f. Anat Phys. 1655, S. 34. Die Gastrula und die Kifttrchung der Thierc. 437 von der Eiweisskugel eingeschlossen, sondern berührt mit dem ober- sten Drittel ihrer Peripherie die äussere Eihaut. Beide Bestand- theile des Nahrungsdotters, sowohl die Eiweisskugel, als die Fettkugel, sind völlighomogen, durchsichtig und structurlos. Von dieser wichtigen Tbatsache, dass der gesammte Nahrungsdotter durchaus keine geformten Bestandtheile einschliesst, auch keinerlei Unterschied von „centraler Dottermasse und Rindensubstanz^^ zeigt, davon kann man sich sowohl an den frischen Eiern als auch durch Behandlung der conservirten Eier mit den verschiedendsten Rea- gentien bestimmt überzeugen. Am frischen Ei erscheint der ganze Nahrungsdotter so klar und homogen wie ein Wassertropfen oder wie eine Glasperle. Sticht man das Ei an oder zerdrückt das- selbe, so tritt der kugelige Eiweisstropfen als zähflüssige homogene Masse heraus und trennt sich von der Oelkugel. Gegen Reagen- tien verhält sich diese ganze homogene Eiweisskugel wie gewöhn- liches Eiweiss aus dem Vogel-Ei, und gerinnt namentlich auf Ein- wirkung aller Substanzen, welche letzteres zur Gerinnung bringen. Die geronnene Masse erscheint bei starker Vergrösserung fein granulirt, von äusserst feinen und kleinen dunkeln Pünktchen durch- setzt. Von „Dotterplättchen, Dotterkugeln, Dotterzellen, Dotter- kemen'^ und wie sonst die geformten Inhaltsbestandtheile bei an- deren Fisch-Eiern genannt werden, ist, — ich wiederhole es aus- drücklich ~ keine Spur zu finden. Ebenso vollkommen homogen und structurlos ist auch die am vegetativen Pole befindliche Oel- kugel, ein Fetttropfen von 0,16— 0,17 Mm. Durchmesser (also un- gefähr V« tudien an Würmern und Arthropoden. Mem. de l'Acad. Petersb. 1871. 3) BoBRKTZKY, llusbiscbe Abhandlung über die Keimesgeschichte von Asta- cus uud ralaenioii. Kiew 1878. 4) BoBRETZKT) Zur Kmbryologie des Üuiscus muracius. Zeitschr. f. wiai. Zool. 1874, Bd. XXIV, t>. 180. 4i6 Ernst Haeckel, festen Chorion umschlossen ist, zeigt zwei auf einander senkrechte Ringforchen , eine aequatoriale (dem längsten Durchmesser des Ellipsoids entsprechend) und eine meridianale (dem kürzesten Ihirch- messer correspondirend). Eine ganz undurchsichtige Markmasse (mehr als die innere Hälfte des Badius einnehmend), geht nach aussen, ziemlich scharf abgesetzt, in eine hellere Rindenschicht über, und in dieser liegen sehr oberflächlich, deutlich durchschim- mernd, die kugeligen Kerne der vier Zellen; jeder Kern ungefähr in der Mitte der Oberfläche seines Quadranten (Fig. 81). Auf Querschnitten (Fig. 82) zeigt sich deutlich, dass die Trennnngs- Ebenen der vier Zellen (die ,JFurchen'' der Oberfläche) nicht durch die ganze Eimasse hindurchgehen, sondern bloss die helle, äus- sere, feinkörnige Rindenschicht, den „Bildungsdotter^^ in yier Por- tionen theilen, während die centrale Markmasse, der dunkle, grob- kömige, an kleinen Fettkugeln reiche, undurchsichtige „Nahrungs- dotter'^, eine völlig ungetheilte ellipsoide Centralmasse darstellt Ganz dasselbe Verhältniss der oberflächlichen „Furchungs- zellen^^ zu dem centralen ungetheilten Nahrungsdotter bemerken wir an den folgenden Fiirchungsstadien, mit acht, sechzehn, zwei- unddreissig Zellen u. s. w. Das letztgenannte Stadium zeigt Fig. 83 von der Oberfläche, Fig. 84 im Meridianschnitt Das Ei wird von acht Meridianfurchen und drei darauf senkrechten Parallel- kreisen geschnitten. Die Furchen gehen auch hier nur durch die Rindenschicht des Bildungsdotters hindurch, und lassen die centrale Markmasse des Nahrungsdotters unberührt Der Bildung der Fur- chen geht immer die Theilung der Kerne vorher, welche aus ein- ander rücken, aber ihre oberflächliche Lage beibehalten. Auch alle folgenden Furchungen durchschneiden bloss die Rindensdiicht, und so erhalten wir nach vollendeter Furchung die Perimorula, welche in Fig. 85 von der Oberfläche, in Fig. 86 im Meridian- schnitt dargestellt ist Die gesammte Masse der gleichartigen Furchungskugeln, welche nunmehr aus der wiederholten Theilung xier Eizelle entstanden sind, bildet eine einzige oberflächliche Zellen- lage, welche als geschlossene „Keim ha ut^' (Btastoderma) blasen- förmig den gesammten ungefurchten Nahrungsdotter umgiebt Die „Furchen'S d. h. die Grenzlinien der einzelnen Blastoderm-Zellen die den morphologischen Werth der Morula-Zellen haben, gehen nur durch die helle Rindenschicht hindurch. Eine scharfe Grenze zwischen den bellen, feinkörnigen Zellen der letzteren, und der dunkeln, grobkörnigen Centraliiiasse des Nahruugsdottcrb ist nicht wahrnehmbar. Die Gastrula und die EifnrchuDg der Thierc. 449 Da der ganze centrale Nahrangsdotter an dem Furchungspro- cesse keinen Antheil nimmt, so müssen notbwendig die Furchongs- Zellen, welche aus der fortgesetzten Theilung des superficialen Bil- dungsdotters hervorgehen, an der Oberfläche des ersteren sich in eine epithelartige Schicht neben einander stellen, statt sich zu einer wirklichen Morula zusammenzuballen. Eine nothwendige Folge dieses Verhältnisses ist aber, dass bei der superficialen Ei- furchung das dritte und vierte Stadium des Furchungs-Processes zusammenfallen, dass also die Perimorula zugleich Peri- blastula ist. Denn die centrale ungefurchte Masse des fett- reichen Nahrungsdotters verhält sich nunmehr zu der einschichtigen Zellenhülle des Blastoderms gerade so, wie die wasserhelle, klare Flüssigkeit oder Gallertmasse der Archiblastula zu der umschlies- senden Zellenschicht der letzteren. Der Raum, in welchem dort der Nahrungsdotter, hier das klare Fluidum sich befindet, ist in beiden Fällen die Furchungshöhle, Keimhöhle oder BABR'sche Höhle, das ^^Blastocoeloma^^. Aus dieser Periblastula (Fig. 85, 86) entsteht nun die Ga- strula der periblastischen Eier wiederum auf diejenige Weise, welche wir als die ursprüngliche ansehen, nämlich durch eine Einstül- pung des Blastoderms, welche mit Bildung einer Grube an dessen Oberfläche beginnt. Diese höchst wichtige und interessante Invagination hat zuerst Bobrbtzky bei Astacus und Palae- mon genauer geschildert und ich kann die Richtigkeit seiner Dar- stellungen im Wesentlichen nur bestätigen. Was ich bei Peneus sah, schliesst sich unmittelbar an des Letzteren Angaben von Pa- laemon an. An einer bestimmten Stelle der Ei-Oberfläche, und zwar nicht an einem der beiden Pole der Längsaxe, sondern in der Mitte der letzteren bildet sich eine kleine, anfangs sehr seichte, grubenförmige Vertiefung, welche sich rasch ausdehnt und als ra- dial gerichteter Blindsack in den Nahrungsdotter, gegen die Mitte des Eies, hineinwächst (Fig. 87, 88). Dieser cylindi'ische , am blinden Ende etwas kolbig erweiterte Blindsack ist der Urdarm (a), seine äussere Oefihung der Urmund (o). Die einfache Zel- lenschicht, welche denselben auskleidet und deren Zellen sich durch bedeutendere Höhe von denen des übrigen Blastoderms auszeich- nen, sind die ersten Entoderm-Zellen, denen sich alle anderen nunmehr als £ x od er m- Zellen gegenüberstellen. Die Perigastrula, welche so entsteht, und welche Fig. 87 von der Oberfläche, Fig. 88 im Meridianschnitt zeigt, unterscheidet sich von der Archigastrula eigentlich nur durch die ansehnliche 450 Ernst Haeckel, Maase des die Furchungshöhle erfüllenden Nahrungsdotters, welche zwischen den beiden primären Keimblättern liegen bleibt, und welche die vollständige Annäherung des eingestülpten Entoderms an das nicht eingestülpte Exoderm verhindert. Dieser Nahrungs- Dotter wird von den Entoderm-Zellen des wachsenden Urdarms resorbirt; theilweise scheint derselbe auch noch später einer se- cund&ren Zerklüftung zu unterliegen. Die Exoderm - Zellen (e), welche den Nahrungsdotter von aussen umschliessen, sind kleine. helle Zellen mit centralem Kern, welche anfangs noch cylindrisch sind, später sich abplatten. Die Entoderm-Zellen hingegen (t) sind schlanke Gylinderzellen oder Pyramiden , deren Kern in der nach aussen gerichteten Basis der Pyramiden, ganz nahe am Nah- rungsdotter, sich befindet. Durch fortgesetzte Theilung werden die Entoderm-Zellen immer dünner und schlanker; zugleich werden sie aber auch länger, indem ihre äusseren kernhaltigen Enden (die Basen der schlanken Pyramiden) immer tiefer in den Dotter hin- einwachsen. Das Properistom, der Umschlagsrand des Blastoderms, an welchem das Exoderm («) in das Entoderm (t) übergeht, und wel- cher den Mundrand der Perigastrula darstellt, ist auch hier der erste Ausgangspunkt für die Bildung des Mesoderms (Fig. 89 m). Hier erscheinen schon kurz nach Beginn der Darm-Ein- stülpung die ersten Spuren eines mittleren Keimblattes in Gestalt von wenigen grossen Zellen, von denen sich namentlich die un- mittelbar in dem Falze des Umschlagsrandes gelegenen durch be- sondere Grösse auszeichnen. Zugleich geht die e i n a x i g e Grund- form der Perigastrula in die dipleure Grundform über, indem der Urmund seine centrale Lage verlässt und nach demjenigen Pole der Längsaxe hinrückt, welcher dem späteren Hinterende des Körpers entspricht. Es wird dies durch überwiegendes Wachs- thum des späteren Vordertheils , resp. durch eine Zellenverschie- bung im Exoderm bewirkt, welche mit der Bildung einer vor dem Urmund auftretenden Hautgrube, der ersten Anlage des Vorder- darms (g) im Zusammenhang steht. Vor der letzteren erscheint ein klappenartiger Vorsprung, die Anlage der Oberlippe (0; hin- ter derselben sprossen drei Paar kleine stumpfe Höcker als Aus- wüchse des Exoderms hervor, die ersten Anlagen der drei Paar Nauplius-Gliedmaassen (Fig. 89 I, II, III). Wie durch das Auftreten dieser äusseren Theile die dipleure oder bilateral-sym- metrische Grundform sich bereits deutlich ausspricht, so geschieht «s auch innerlich durch die weitere Fortbildung des Darmcanales. Die Gastrula und die EifiircLnng der Thiere. 451 Die Anlage des Vorderdarms (g) wächst dem blinden Vorderende des Urdarms entgegen. Der Nahrungsdotter zwischen beiden ver- schwindet und beide Darmhöhlen sind nur noch durch eine dünne Scheidewand getrennt, welche aus zwei Zellenschichten besteht, dem Exoderm der Schlundwand und dem Entoderm der Urdarm- wand. Später wird diese Scheidewand (Rachenhaut) durchbrochen und der Vorderdarm communicirt nunmehr frei mit dem Urdarm. Aus letzterem geht bloss der Mitteldarm hervor, und vielleicht auch der Enddarm, falls sich (was noch unentschieden ist) der Urmund hier in den bleibenden After verwandelt. Der durch se- cundäre Einstülpung des Exoderms entstandene Vorderdarm bildet nicht nur die Mundhöhle und den Schlund, sondern auch die ganze Speiseröhre und den Kaumagen des Krebses. Beiläufig sei noch bemerkt, dass die Anlage des Postabdomen, welches bei Astacus und Palaemon frühzeitig hinter dem Urmund als Verlängerung des hinteren Körperendes hervorsprosst, bei unserm Peneus erst spä- ter aufzutreten scheint Die in Fig. 89 und 90 dargestellte Keim- form (die älteste, welche ich beobachtete) ist ein reiner Nauplius und möglicherweise schlüpft bei dieser Peneus- Art, wie bei der von Fritz Müller beobachteten, das Thier als Nauplius aus dem Ei. Die superficiale Furchung und die Perigastrula-Bildung, wie ich sie hier nach meinen eigenen Beobachtungen an Peneus ge- schildert habe, scheint in wesentlich übereinstimmender Form bei vielen Arthropoden verschiedener Gruppen, sowohl Grustaceen, als Tracheaten, wiederzukehren. Bei vielen anderen Thieren dieses Stammes weicht sie dagegen mehr oder minder von jenem Typus ab und unterliegt vielfachen Modificationen. Schon die wenigen sicheren Angaben, die wir gegenwärtig besitzen, deuten darauf hin, so namentlich diejenigen von Wbismanm Ober die Museiden, von BoBRBTZKY über Astacus und Palaemon, von Kowalbvskt über Uydrophilus und Apis. Auch die zahlreichen Beobachtungen von Mbtschnikoff über die Ontogenie verschiedener Arthropoden schei- nen diese Annahme zu stützen. Nur sind leider die meisten An- gaben dieses fieissigen, aber kritiklosen Beobachters wegen ihrer Oberllächlichkeit und wegen der Unbekanntschaft desselben mit den wichtigsten Grundbegri£fen der Morphologie, und besonders der Histologie nicht sicher zu verwerthen. Als die auffallendste Modification der superficialen Furchung müssen wir wohl Diejenige ansehen, welche zuerst Weismann bei den Dipteren beschrieben hat und als weit verbreitet bei den Arthropoden betrachtet. Es sollen hier in der Rindenschicht der 452 Ernst Haeckel, Pericytula, überall in dem „peripherischen Eeimhautblastem das rings den Nahrungsdotter umschliesst^S gleichzeitig und plötzlich zahlreiche Zellkerne neben einander auftreten und so das ein- schichtige peripherische Blastoderm erzeugen. Höchst wahrschein- lich haben wir es hier mit einer sehr beschleunigten super- ficialen Furchung zu thun, bei welcher die Kerntheilung ent- weder innerhalb des undurchsichtigen Nahrungsdotters verläuft und sich so dem Blick entzieht, oder aber innerhalb des durchsichtigen Nahrungsdotters (der „Blastemschicht") so rasch vor sich geht, dass die zahlreichen Kerne alle gleichzeitig aufzutreten scheinen; vielleicht ist auch das gleiche Lichtbrechungsvermögen der Kerne und des umgebenden Protoplasma der „Blastemschicht^^ die Ursache, dass die fortschreitende Theilung der ersteren nicht beobachtet wurde. Jedenfalls ist das Endresultat der Eifurchung auch hier dieselbe Perigastrula, wie bei Peneus. Die Vermuthung, dass sich jene auffallendste Modification der superficialen Furchung in dieser oder in einer anderen Weise auf die von uns geschilderte Form derselben bei Peneus zurückführen lasse, wird dadurch bekräftigt, dass auch die übrigen Modificatio- nen, welche theils das Verhalten des Nahrungsdotters, theils das- jenige des Bildungsdotters bei verschiedenen Grustaceen und Tra- cheaten darbietet, sich in gleicher Weise durch secundäre ceuo- genetische Abänderungen erklären lassen. Auch verdient der Um- stand noch besonders hervorgehoben zu werden, dass von nahe verwandten Arthropoden einer Familie (oder selbst einer Gattung, z. B. Gamn^arus) die einen Arten superficiale, die anderen inae- quale oder discoidale Furchung besitzen. Endlich bietet uns die superficiale Eifurchung so viele Uebergänge zur discoidalen so- wohl als zur inaequalen Eifurchung, dass wir sie als aus der letz- teren hervorgegangen betrachten und demnach in letzter Instanz wiederum auf die primordiale Furchung zurückführen dürfen. 11. Die Eifurchung und Gastrulabiidung in den Uauptgrup- pen des Thierreichs. I. Gastrula und Eifurchung der Zoophyten. Der Stamm der Zoophyten (oder der Coeienteraten im weite- ren Sinne), der niederste und älteste unter den sechs Metazoen- Phylen, besitzt noch heute, wie von vornherein zu erwarten ist, die primordiale Furchung in vielen verschiedenen Gruppen; Die Gastrula and die Eifurchung der Tbierc. 453 und wir finden daher auch deren Endproduct, die ursprüngliche reine Arehigastrula, bei sehr vielen Pflanzenthieren — wahr- scheinlich bei der Mehrzahl derselben — getreu conservirt. Da die Urform der Metazoen, die Gastraea, selbst im zoologischen Systeme zu den Zoophyten gestellt werden muss, und da selbst die völlig ausgebildeten Pflanzenthiere der niedersten Stufe (Haliphysema, Olynthus, Hydra) nur sehr wenig von der Gastraea sich entfernt haben, so erscheint die weite Verbreitung der Arehigastrula in der Ontogenie dies Stammes sehr natürlich. Von besonderem Interesse ist es dabei, dass eines der niedersten unter den bekannten Zoophyten, Gastrophysema, uns die ursprüng- liche Entstehung der Arehigastrula (durch Einstülpung der Archiblastula) noch heute in typischer Form zeigt (Taf. XXV). Wie bei diesem Gastraeaden so ist die primordiale Furchung aucli bei mehreren Spongien (Calcispongien '), Fig. 17, und Myxospon- gien) von mir beobachtet worden, ebenso gelegentlich bei Hydroi- den und Medusen verschiedener Gattungen. Bei den Myxospongien {Ualisarca) hat Giard die Arehigastrula zuerst nachgewiesen*). Bei verschiedenen Hydroiden ist dieselbe von C. Gbgsnbaur'), Aqassiz*), Aluun^), Himcks^), A. Kowalbvsky^) u. A. beobachtet worden. Der Letztere hat auch die reine primordiale Furchung und die typische Entstehung der Arehigastrula durch Einstülpung der Archiblastula bei mehreren höheren Discomedusen genau ver- folgt (Gassiopeja, Rhizostoma, Pelagia, 1. c. Tab. I — III). Vergl. Taf. XIX, Fig. 22. Unter den Corallen hat derselbe sie ebenso bei Actinia (ibid. Taf. IV), Caryophyllia, Gorgonia und Cereanthus gesehen (ibid. Taf. V, VI). Vergl. Taf. XIX, Fig. 20, 21. Ich selbst habe die typische Form der primordialen Furchung und die Entstehung der echten Arehigastrula durch Einstülpung der Archi- blastula bei einer Actinia und bei der solitären Octocoralle Mono- xenia verfolgt (Vergl. meine „Arabische Korallen'', Berlin 1875). 1) £. Haeckbl, Monographie der Kalkschwämme, 1872. Taf. 18, 80, 44. 2) GiABD, Archives de Zoologie exp^rimentale. 1878. Vol. II. PI. XIX, Fig. 15, 16. 8) Gbqbnbaüb, Zur Lehre vom Generationswechsel und der Fortpflanzung der Medusen und Polypen. Würzburg 1854. 4) Louis äoassiz, Contributions to the nat. hist etc. Vol. IV. 1868. 5) Allman, Monograph of the tubularian Uydroids. 1871. 6) Thomas Hinckb, History of the British Hydroid Zoophytes. London 1868. 7) A. KowALBTBKT, Russische Abhandl. über Ontogenie der Coelenteraten. Moskau 1873. 454 Ernst Ilaeckel, Dass demnach bei sehr vielen Zoophyten aus verschiedenen Classen die primordiale Furchung in der typischen ursprüng- lichen Weise, wie bei Gastrophysema (Taf. XXV) verläuft und die echte Archigastrula der Pflanzenthiere sehr oft sich durch Ein- stülpung oder Invagination der Archiblastula bildet, steht also unzweifelhaft fest. In vielen Fällen soll allerdings statt dieser Gasirula invaginata vielmehr eine Gastrula delaminata entstehen, d. h. es soll sich das einschichtige Blastoderm der Blastula in der Fläche spalten und so zweischichtig werden. Die Mund- öfihung soll sich dann erst später bilden, indem die Wand dieser „Planula^^ durchbrochen wird. So soll durch „Delamination oder Abspaltung^^ namentlich die Gastrula mancher Spongien und Hy- droid-Polypen , z. B. Cordylophora '), Campanularia *) entstehen. Gerade dieses Verhältniss haben die Gegner der Gastraea-Theorie mit besonderem Nachdruck als vernichtendes Argument gegen die- selbe geltend gemacht. Allein erstens sind die bezüglichen Beob- achtungen keineswegs immer vollkommen klar und zweifellos; zweitens lassen dieselben — ihre volle Richtigkeit vorausgesetzt — die Deutung zu, dass die Gastrula delaminata eine secundäre Keimform ist, durch cenogenetische Abänderung aus der pri- mären Gastrula invaginata entstanden; und drittens wird jener scheinbar so wesentliche Unterschied dadurch als völlig bedeutungs- los erwiesen, dass von ganz nahe verwandten Thieren einer na* türlichen Familie, oder selbst von nächststehenden Arten einer Gattung (z. B. Actinia) die Gastrula der einen durch primäre „Invagination^S die Gastrula der anderen angeblich durch secundäre „Delamination^^ entsteht. Schon IUy-La.nkb8T£b ^) hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die letztere sich auf die erstere zurück- führen lässt; und ebenso hat sich neuerlichst Gobttb ausgespro- chen^). Ich selbst bin gegenwärtig ganz überzeugt, dass auch diejenigen Gastrula-Formen , welche heute wirklich ontogenetisch durch „Delamination'' oder Abspaltung sich bilden, ursprüng- lich (phylogenetisch) durch „Invagination" entstanden sind. Sehr viele Angaben über Delamination sind auch wohl auf Beobachtungs- fehler zurückzuführen, die bei den sehr schwierigen und delicaten 1) Fbanz £ilhabd Schulze, Ueber den Bau und die Entwickelung von Cordylophora lacustris. 1871. S. 38. Taf. Y. 2) EowALBYSKY, Russ. Abhaudl. ttber Ontogenie der Coelenteraten. 1873. Taf. I. 8) E. Rat-Lankb8tbb, Ann. Mag. nat. bist. 1873, YoL XI, p. 830. 4) Gobttb, Keimesgescbicbte der Unke. 1875, S. 870. Die Gastrnla and die Eifurchung der Thiere. 455 Objecten sich leicht einschleichen. Wird doch z. B. bei den 6e- ryonien die Einstülpung der Blastula, aus der die Magenhöhle hervorgeht, von Kowalbvsky (1. c.) klar beschrieben, während Fol und Mbtschnikofp von einer solchen Nichts wissen. Bis demnach ganz genaue und unzweifelhafte Angaben über die wahre Gastrula delaminaia geliefert sind, dürfen wir deren Existenz einstweilen noch bezweifeln ; und selbst wenn sie erwiesen sein sollte, würden wir sie auf die ursprüngliche Gastrula invaginata zurückführen und annehmen , dass sie aus dieser durch gefälschte oder abge- kürzte Vererbung, oder durch andere cenogenetische Processe se* cundär entstanden ist. Auch die Gastrula der Spongien, welche in sehr mannich- faltigen und stark abweichenden Modificationen vorzukommen scheint, dürfte durch Annahme solcher cenogenetischen Verände- rungen sich erklären und auf den einheitlichen Gastrula * Typus zurückführen lassen. Diese Annahme ist vorläufig um so mehr ge- stattet, als bei einzelnen Schwämmen die Archigastrula in reiner Form sicher gestellt zu sein scheint (Fig. \1\ während in anderen Fällen sehr abweichende Formen von Amphigastrula sich finden. Die ausführliche Darstellung der Eifurchung und Gastrulabildung der Spongien, welche ich zuerst in meiner Monographie der Kalk- schwämme gegeben habe '), ist später von Mbtbchnikoff auf das Heftigste angegriffen worden '). Auch Oskar Schmidt hat in einer kürzlich erschienenen Arbeit sich gegen meine Auffassung, gleich- zeitig aber auch gegen diejenige von Metscbnikopf ausgesprochen '). 1) E. Uaeckel, Monographie der Kalks chw&mme, 1872, Bd. I, p. 328— 846. 2) Eliab Metschnikoff, Zur Entwickelungsgeschichte der Kalkschw&mme. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1874. Bd. XXIV, p. 1. Taf. I. Die ausserordentliche Geringschätzung und ingrimmige Erbitterong, mit welcher sich Mstscbnikoff in diesen und den daran angeschlossenen Aufsätzen über meine wissenschaft- lichen Arbeiten ausspricht, erklart sich ganz einfach und befriedigend aus den diametral entgegengesetzten allgemeinen Standpunkten, welche wir Beide in der Zoologie einnehmen. Für Elias Metschkikoff ist die Natur ein grosses Curiositäten-Museum, welches um so ^^interessanter und merkwürdiger^* ist, Je wunderbarer und uuerklftrlicher die tausendÜItigen Formbiklungen anverbun- den und unvermittelt neben einander stehen. Er sucht daher auch möglichst zahlreiche und grosse Unterschiede zwischen verwandten Formkreisen aufzu- finden. Meine eigenen Bestrebungen sind gerade auf das Gegentheil gerichtet, indem ich diese Unterschiede auszugleichen und jene Mannichfaltigkeit bunter Erscheinungen auf eine geroeinsame Einheit zurückzofOhren und so zu erklären suche. Die herzliche Verachtung, welche Mstsgunzxoff diesem Bestreben be- zeigt, erwidere ich natürlich mit gleicher Innigkeit. 3) OsKAB Schmidt, Zar Orientirung über die Entwickelang der Spongien. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1875. Suppl. Bd. XXV, p. 127; Taf. Vm— X. 456 Ernst Haeckel, Da ausserdem 0. Schmidt selbst bei nahe verwandten Spongien sehr verschiedene ' Keinmngsformen beschrieben hat, bedarf die gesammte Ontogenie der Schwämme, wie er auch selbst hervor- hebt, dringend neuer ausgedehnter Untersuchungen. Uebrigens acheinen mir sowohl die Beobachtungen von 0. Schmidt als von Mbtschnikoff (ihre Richtigkeit vorausgesetzt I) einer Deutung fähig, welche ihre Zurückführung auf die inaequale Amphigastrula-Bil- düng wohl gestattet, demnach auch mit der Oastraea-Theorie sich vereinbaren lässt. Ich werde später darauf zurückkommen und will vorläufig nur hervorheben^ dass die beiden genannten Autoren mit keinem Worte des Olynthus gedenken, jener wichtigsten und lehrreichsten Spongien-Form , welche ich als die Urform der Ealkschwämme betrachte und auf welche sich meine ganze Be- trachtungsweise vorzüglich stützt. Der Olynthus ist wesent- lich nur eine festsitzende Gastrula, welche geschlechtsreif geworden ist, Hautporen und Kalknadeln gebildet hat. Der junge, noch nicht geschlechtsreife Olynthus (ohne Hautporen und Kalk- nadeln) ist die Ascula (von der Mbtschnikoff behauptet, dass ich sie nie gesehen habe!). Sowohl der Olynthus als die Ascula sind sehr häufige und äusserst wichtige Schwammformen, die jeder- zeit leicht zu haben sind. Es kann sich also nur um die Frage handeln, wie diese, der Gastrula ganz nahe stehenden, festsitzen- den Formen aus der freischwimmenden Flimmerlarve entstanden sind? Wenn diese letztere eine Invagination erleidet (wie Mbtschnikoff angiebt) und keine Delamination (wie ich an- nahm) so ist mir das für die Gastraea-Theorie natürlich nur um so lieber 1 Die inaequale Furchung, welche zur Bildung der Amphi- gastrula führt, scheint unter den Zoophyten nicht selten vorzu- kommen, wenn auch im Ganzen viel weniger verbreitet als die. primordiale Furchung und die Archigastrula. Unter den Spongien ist die inaequale Furchung möglicherweise ziemlich verbreitet, namentlich bei den Kieselschwämmen. Schon bei einigen Kalk- schwämmen (die meistens archiblastisch zu sein scheinen), finden wir Uebergänge zur amphiblastischen Form, so z. B. bei Sycyssa Huxleyi (Fig. 18) und Sycandra raphanus (Fig. 19). Unter den Hydromedusen finden wir sie bei vielen Siphonophoren*); sonst scheint sie in dieser Classe selten zu sein. Häufiger ist sie vielleicht bei den Korallen (Kowalevsky 1. c. Taf. IV, V). In ganz 1) £. Haeckel, Entwickelungsgeschichte der Siphonophoren. Utrecht 1869. Die Gastrnla and die Eifarchung der Tbiere. 457 exquisiter Form aber findet sie sich bei den meisten (oder allen ?) Ctenophoren, wo sie von A. Kowalevsky '), Hbriiann Fol') und Alexander Aoassiz") genau beschrieben und durch zahlreiche Ab- bildungen erläutert worden ist. Ob die discoidale Furchung und die daraus hervorgehende Discogastrula im Zoophyten-Stamme vorkommt, ist heute noch zweifelhaft. Vielleicht findet sie sich bei einigen Siphonophoren und Ctenophoren. Die ansehnliche Grösse, welche die Masse der grossen „Dotterzellen'' des Entoderms bei einigen Siphonophoren erreicht, so dass dem gegenüber der kleine „Blastodiscus*' der Exo- dermzellen nur eine flache Keimscheibe am animalenPole der Ei- axe bildet, vermittelt den Uebergang zur Discogastrula. Dagegen ist es sehr zweifelhaft, ob die superficiale Fur- chung und deren Endproduct, die Perigastrula, unter den Zoophyten sich findet. Nach einigen Abbildungen scheint es, als ob sie bei manchen Spongien, bei einigen Siphonophoren und Korallen (Alcyonien) vorkommt II. Gastrula und Eifurchung der Würmer. Im Stamme der Würmer finden wir die ursprüngliche Form der primordialen Furchung und die daraus hervorgehende Urform der Archigastrula bei niederen Helminthen sehr ver- schiedener Gruppen noch heute wohl erhalten. Unter den Pla- thelminthen ist dieselbe wahrscheinlich bei den Turbellarien (deren Keimesgeschichte leider nur sehr wenig untersucht ist) weit verbreitet, ebenso bei einer Anzahl Trematoden und wahr- scheinlich auch bei vielen Cestoden ^). Bei den Nemertinen ist sie von Mstschnikofp^) und Dibck^) beschrieben worden. Auch bei den Enteropneusten (Balanoglossua) scheint sie in ganz rei- ner Form erhalten zu sein. Ebenso finden wir sie bei den Ghae- 1) KowALBYBKT, EntwickeloDg der Rippenquallen. M6m. de TAcad. 8. Petersb. Tom.X. 1866. 2) HBBMAim Fol, Anatomie und Entwickelung einiger Rippenquallen. Berlin 1869. 8) Albz. Aoassiz, £mbryolQgy of the Ctenopborae. Cambridge 1874. 4) £i>oüABD YAK BxNBDBK, Recherches 8ur la composition et la aignifica- tion de Toeuf. Bruxelles 1870. 6) MBTBCHimcow, Ueber die Entwickelung der Ecbinodermen und Nemer- tinen. M6m. de FAcad. de S. Petersb. Tom. XIV, 1869, No. 8. Taf. IX. 6) Gbobo DncK, Beitrftge zur Entwickelungsgescbichte der Nemertinen. JenaiBche Zeitschr. f. Nat Bd. VIU, 1674. Taf. 2CX. Bd. IX, H. F. II. 81 458 Ernst Haeck^, togButhen ^) (SagUta) vor (Fig. 23). Ferner scheint dieselbe auch bei den Nematoden verbreitet zu sein; wenigstens geht dies aus einer kürzlich erschienenen Mittheilung von Bütbchli hervor, der sie bei CucuUanus genau beschreibt*). Bei anderen Nematoden- Gruppen dürfte gewöhnlicher die Amphigastrula auftreten. Gleiches gilt wohl auch von der Mehrzahl der Bryozoen. Unter den Tuni- caten kennen wir die reine Archigastrula durch Kowalevsky's ') und Kupffbr's '^) Untersuchungen über verschiedenen Ascidien ; der erstere hat sie auch bei Phoroms unter den Gephyreen nachgewiesen. Weit häufiger als die primordiale findet sich im Stamme der Würmer die inaequale Furchung, die zurBildung der Amphi- gastrula führt (Fig. 91 — 102). Soweit es der heutige beschränkte Zustand unserer Kenntnisse zu beurtheilen erlaubt, ist diese Form der Eifurchung unter den Würmern bei weitem am meisten ver- breitet und namentlich unter den höheren Helminthen die herr- schende Eeimungsform. Alle verschiedenen Modificationen der- selben finden sich hier vor, bald unten bei den niederen Würmern in Anschluss an die primordiale, bald oben bei den höheren Wür- mern in Anschluss an die discoidale und superficiale Furchung. Dabei ist das Verhältniss der zahlreichen kleinen, hellen Zellen des animalen Bildungskeimes zu den wenigen grossen, dunkeln Zellen des vegetativen Nahrungskeimes äusserst mannichfaltig. Bald erscheint die aus den letzteren gebildete vegetative Hemi- sphäre in die von den ersteren formirte animale Hemisphäre „ein- gestülpt^' (Entobole, Amphigastrula invaginata) ; bald scheint viel- mehr die letztere die erstere zu „umwachsen" {Efibole^ ArnfM- gaatrula circumcreia). Gerade hier lässt sich (wie auch bei den Mollusken) sehr schön zeigen, dass beide Formen der inaequalen Furchung nur durch die relative Grösse und Masse der „Nahrungß- zellen" im Verhältniss zu den „Bildungszellen" verschieden und durch unmerkliche Uebergänge verbunden sind. Unter der PIa- thelminthen*) scheinen solche Uebergänge sehr verbreitet zu 1) A. KowALBvsKT, Embryol. Stud. an Würmern und Arthropoden. M^d- de PAcad. de S. Petersb. 1871. Tom. XVI, N. 12. Taf. I. 2) BüTSOHLi, Zur Entwickelungsgeschichte des CucuUanus elegans. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1875; Bd. XXVI, S. 103. Taf. V. Fig. 5—7 Archigastrula. 8) A. KowALEVSKT, Eutwickelungsgeschlchte d. einfachen Ascidien. Mein- Acad. Petersb. Tom. X. Nr. 15. 1866. Taf. I. 4) KüP^BB, Die Stammverwandtschaft zwischen Ascidien und Wirbel- thieren. Archiv f. mikr. Anat. 1870. Vol. VI, Taf. Vin. 5) A. Kbfebstbik, Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte d. Seeplanarien. 1868. Die Gastrala und die Eiforehung der Thiere. 459 sein; wahrscheinlich auch unter den Nematoden und namentlich bei den Anneliden. Unter den letzteren hat sie vorzüglich ÜLAPARiiDs') schon 1869 in ausgedehnter Verbreitung nachgewie- sen und später Kowalsvsky^) auf Querschnitten genauer studirt (1. c). Bei den meisten Ghaetopoden verläuft die inaequale Fur- chung nach demselben Modus, den ich oben nach meinen eigenen Beobachtungen bei Fabricia geschildert habe (Taf. XXIV, Fig. 91— 102). In gleicher oder ähnlicher Form entwickelt sich dieAmphi- gastrula aber auch bei vielen anderen Würmern, namentlich den Räderthierchen, wo sie von Lbtdio'), Salbnbkt*) u. A. beschrie- ben worden ist. Sie tritt hier meistens, wie bei vielen Anneliden, in derjenigen Modification auf, welche ich in der Anthropogenie (S. 166) als „seriale Furchung^' unterschieden habe, ausge- zeichnet durch die arithmetische Progression, in der sich die Fur- chungszellen anfänglich vermehren. Andere Modificationen der inaequalen Furchung scheinen bei Gephyreeu, Tunicaten und an- dern Würmern vorzukommen, müssen jedoch noch genauer unter- sucht werden. Von Phascolosoma hat kürzlich Selbmka eine aus* führliche Darstellung gegeben^). Die discoidale Furchung und die daraus entstehende Discogastrula scheint zwar in so reiner Form, wie bei den Gephalopoden, Scorpionen, Vögeln u. s. w. bei den Würmern nicht vorzukommen. Aber vollständige Uebergänge zu derselben bildet die Amphigastrula der Würmer nicht selten. Einen solchen hat K0WALBV8KT bei Euaxes sehr genau beschreiben (1. c. Tab. III); und ähnliche werden sich wahrscheinlich auch noch bei manchen anderen Würmern mit sehr voluminösem Nahrungsdotter finden. Offenbar führt hier die starke Massenzunahme des letzteren zu einer Modification der Amphigastrula, welche sich unmittelbar der Discogastrula anscbliesst ^). Ob wahre superficiale Furcbung 1) Ed. Clapabädb, Beiträge zur Kenntniss der Entwickelungsgeschicbte der Chaetopoden. Zeitschr. für wies. Zool. Bd. XIX. 1869. Taf. XII~XVII. 2) KowALXVBKT, Embryol. Stud. an Wttrmom etc. Taf. III— V Euaxes; Taf. VI, VII LumbricuB. 8) Letdio, Ueber den Bau und die systematiBche Stellung der R&derthiere. Zeitschr. f. wies. Zool. Bd. VI, 1864. 4) Salsmbkt, EntWickelung des Brachionus. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1872. Bd. XXn, Taf. XXXVUI. 5) Sblxkka, Eifurchung und Larvenbildung von Phascolosonia. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1876, Bd. XXV, Taf. XXIX. 6) A. KowALKVBKT, Embryol. Studien an WOrmem etc. (L c. Tab. III, IV). Auf den Querschnitten seiner Tafel IV könnte man Fig. 26 und 26 als Pisco- 31* 460 Ernst Haeckef , and die daraus entstehende Perigastrula, wie wir sie bei den meisten Arthropoden finden, auch bereits bei höheren Würmern, namentlich Anneliden, vorkommt, ist gegenwärtig noch nicht sicher bekannt, jedoch nicht unwahrscheinlich. in. Gastrula und Eifurchung der Mollusken. Der Stamm der Weichthiere schliesst sich bezüglich seiner Ei- furchung und Gastrulabildung auf das Engste an die Gruppe der höheren Würmer an, aus der er phylogenetisch hervorgegangen ist Die primordiale Furchung mit der Archigastrala scheint im Ganzen nur selten rein conservirt zu sein; so nament- lich bei den niedersten Mollusken, den Spirobranchien oder Bra- chiopoden (Fig. 25). Hier hat sie Kowalevsky neuerlich von ^r- giapey Terebratula u. A. beschrieben '). Unter den Schnecken hat sie schon 1862 LebbAoüllbt bei Lymnaeus richtig erkannt*); und kürzlich haben sie bei derselben Bay-La.nkb8ter ') und am sorg- fältigsten Carl Babl^) beschrieben. Das Vorkommen der reinen Archigastrula ist hier um so interessanter, als die primordiale Furchung einen vorübergehenden Anlauf zur inaequalen nimmt. Nachdem nämlich die ersten vier Furchungszellen von gleicher Grösse gebildet sind, werden dieselben durch eine dem Aequator parallele Ereisfurche in vier grössere und vier kleinere Zellen ge- theilt, wie bei sehr vielen Würmern und Mollusken (Fig. 104). Dann aber ,,theilen sich die grossen Furchungskugeln rascher und öfter als die kleinen, so dass schliesslich alle Zellen ungefähr die gleiche Grösse besitzen.'^ (Rabl I. c). Viel häufiger als die primordiale tritt. bei den Mollusken die inaequale Furchung mit der Amphigastrula auf, welche in diesem Thierstamme, wie bei den Würmern, die bei weitem häu- figste Keimungsform zu sein scheint. Die meisten älteren Be- morala, Fig. 27 a. 28 als Discoblastula, Fig. 29 u. 30 als Discogastrula deuten, mit Bücksicht auf die entsprecheDden Fläch enansichten der Td£. III. 1) KowALEVBKT, Russische Abhandl. über Ontogenie der Brachiopodeu. Kasan 1873. Taf. I. 2) Lebbboüllet, Embryologie du Lymn^e. Annales d. sciens. nat. Vol. XYIII, 1862, Taf. 11. Fig. 25 Archiblastula. Fig. 26 Archiblastula invaginata. Fig. 26 Archigastrula. 3) Ray-Lankebteb, Observations on the development of the Poad-SnaiL Quart. Journ. of microsc. Science, Vol. XIV, 1874. 4) Gabl Rabl, Die Ontogenie der SüBSwasser-Pulmonaten. Jen. Zeitschr. f. Naturw. 1875. Vol. IX, Taf. VU. Die Gastrula und die Eifiirchnng der Thiere. 46 1 Schreibungen der Keimung von Muscheln und Schnecken sind auf diese Form zu beziehen, obwohl die Mehrzahl derselben nicht hin- reichend genau ist. Auch diejenigen Brachiopoden , welche viel Nahrungsdotter im Ei angehäuft haben (z. B. Tkecidium), haben an Stelle der ursprünglichen primordialen allmählich die inaequale Furchung angenommen, lieber die Amphigastrula der Muscheln hat die genauesten (noch nicht veröffentlichten) Untersuchungen Carl Rabl an Unio angestellt. Ich habe mich von deren Richtig- keit an sehr guten, von Rabl angefertigten Querschnitten mit eigenen Augen Überzeugt. Seiner freundlichen Mittheilung ver- danke ich die in Fig. 26 — 28 auf Taf. XIX gegebenen Abbildungen. Das eingestülpte Entoderm der Amphigastrula zeigt sehr hohe schmale Cylinderzellen im Gegensatze zu den niederen Platten- zellen des Exoderm. An der Amphiblastula von Unio (Fig.' 26) ist das ganze Entoderm nur durch eine einzige sehr grosse Zelle re- präsentirt, während das Exoderm bereits ein Gewölbe von vielen kleinen Zeilen bildet '). Von den Schnecken hat die Amphigastrula besonders genau Sblbnka bei Purpura beschrieben '). Der Nahrungs- dotter ist hier so gross, dass die primär gefurchte Schicht der klei- nen hellen Bildungszellen am animalen Bildungspole des Eies eine fast halbkugelige Kappe bildet Diese „umwächst^^ die grosszellige, eoit secundär gefurchte, subsphärische Masse der grossen dunkeln Nahrungszellen: „Epibolie*' (Amphiblastula, 1. c. Fig. 3). Hierauf schlägt sich der verdickte Rand der primären hellen Eeimschicht am untern „Nahrungspole^^ nach innen um und seine eingestülpte Verlängerung wächst als „secundäre Eeimschicht'^ (Entoderm) zwi- schen den grossen Dotterkugeln und der „primären Keimschicbt'^ (Exoderm) nach dem oberen „Bildungspole'' zurück (Amphigastrula circumcreta, 1. c. Fig. 4, ö). Vergl. Fig. 32. Wird der Nahrungs- dotter noch grösser, wie es bei einigen höheren Cochliden der Fall ist, so breitet sich die primäre Keimschicht noch flacher, scheiben- förmig auf dem Nahrungsdotter aus, den sie später umwächst. Die Amphigastrula geht so in die Discogastrula über. Die discoidalo Furchung mit der Discogastrula wird 1) Paul Flbmmino bemerkt in deu kürzlich erschieneueu „Studien in der £utwickelung8ge8chichte der Najaden*^ (Wien. Acad. Sitzungsber. 1675. Vol. liXXl), dasä eine eigentliche Gastrula hier nicht vorkomme. Er hat dieselbe offenbar desshalb übersehen, weil er keine Querschnitte durch das Gastrula- Stadium angefertigt hat. 2) Sslbmka, Die Anlage der Keimblätter bei Purpura iapillus. Uaarlem 1872. Taf. XVU. 462 ' ^1^^ Haeckel, dergestalt schon bei den höheren Schnecken durch die znnehmende Yergrösserung des Nahrungsdotters allmählig eingeführt. Sie findet sich allgemein bei der höchsten MoUusken-Classe, den Gephalopo- den vor, und verläuft hier in einer Form, welche im WesentDchen mit derjenigen der Vögel und Reptilien, wie der meisten Fische, identisch zu sein scheint. Bekanntlich ist diese Bildung einer Keimscheibe {BlaHodiscus) bei den Cephalopoden schon 1844 von Köluksr') entdeckt und neuerdings von E. Ray-Lankbstbb *) und Ussow ^) auf Querschnitten studirt worden. Die Abbildung, welche Ray-Lankb8teb (1- c- Taf. IV, Fig. 1 x) von einem Meridianschnitt durch die Keimscheibe eines Loligo-Eies giebt, scheint mir keinen Zweifel zu lassen, dass die Discogastrula sich auch hier bei den Cephalopoden, ganz ebenso wie bei den discoblastischen Wirbel* thieren , durch Invagination bildet. Die linsenförmige Keim- scheibe {Discomorula) verdünnt sich in der Mitte, während die Ränder sich verdicken, und hebt sich in der Mitte von dem darun- ter liegenden Nahrungsdotter ab (Diacoblastula). Hierauf schlägt sich der verdickte „Randwulst^', das Properiston, nach innen um, wächst als secundäre Keimschicht (beginnendes Entoderm) zwischen den Nahrungsdotter und die primäre Keimschicht (Exoderm) cen- tripetal hinein und bildet schliesslich mit letzterer zusammen eine flach kappenförmige zweiblätterige Discogastrula^ welche darauf den ganzen Nahrungsdotter umwächst. Die superficiale Furchung mitder Perigastrula scheint unter den Mollusken nicht vorzukommen. IV. Gastrula und Eifurchung der Echinodermen. Im Stamme der Echinodermen überwiegt ganz vorherr- schend, soweit sich nach den bisherigen, immer noch relativ wenig zahlreichen Beobachtungen schliessen lässt, die primordiale Furchung und die Archigastrula. Die Keimung derselben, welche ganz dem primitiven, auf unserer Tafel XXV von Gastro- physema abgebildeten Typus entspricht, ist neuerdings bei den Ästenden von Alex. Agassiz'*), bei den Holothurien von Kowa- 1) KöLi^iKER, Entwickelungsgescbichte der Cephalopoden. Züricii 1844. 2) £. Kat-Lahks8teb, Obsenr. on the Development of the Cephalopodft- Quart. Joum. Micr. Sc. 1875. No. 57. PI. IV, V. 3) M. UsBow, Zoologisch-embryologische Untersuchungen. Arch. f. Naturg. 1874. Bd. 40, S. 340. 4) Alex. Aoassiz , On the Embryology of the Starfish. Contributions etc. Vol. V, 1864. Die Gastrula und die Eifmrclinng der Thiere. 463 LBV6KT ') genau verfolgt worden. Die Oastrulation eines Ecbiniden, des Toxopneustes lividus, habe ich selbst kürzlich in Ajaccio, ge- legentlich der Untersuchungen, welche mein Reisegefährte, Herr Dr. Oscar Hsrtwig, über die Eibildung desselben anstellte, verfolgt, und mich dabei überzeugt, dass sie in nichts Wesentlichem von der primordialen Furchung und der Archigastrula-Bildung der Ästen- den und Holothurien abweicht. Der Umstand, dass bei vielen Echino'dermen die Einstülpung der Archiblastula nicht vollständig wird und zwischen Entoderm und Exoderm der Archigastrula ein ansehnlicher, mit klarer Flüssigkeit oder Gallertmasse („Gallert- kern'^ Heksek) gefällter Hohkaum, der Rest des Blastocoeloms, längere Zeit bestehen bleibt, ist natürlich nicht von Belang (Fig. 33 a). Dass die primordiale Furchung unter Echinodermen aller Gruppen weit verbreitet ist, lässt sich aus der Vergleichung der verschiedenen Larven- oder Ammenformen erschliessen. Neben der vorherrschenden primordialen Furchung scheint bei vielen Echinodermen inaequale Furchung und Amphi- gastrula vorzukommen; insbesondere bei jenen Formen, welche der sogenannten „directen Entwickelung'^ unterliegen und den ur- sprünglichen Generationswechsel sehr stark abgekürzt oder ganz verloren haben. Da hier offenbar keine ursprüngliche „directe Entwickelung^^ vorliegt, sondern vielmehr eine cenogenetische Ab- kürzung und Fälschung des ursprünglichen palingenetischen Ent- wickelungsganges ( — wie unter Anderem der „provisorische Lar- venapparat" der Embryonen bei der lebendig gebärenden Amphi- ura squamata deutlich beweist — ), so ist von vornherein zu er- warten, dass auch die ursprüngliche Form der primordialen Ei- furchung secundäre Modificationen erlitten haben wird. Wahr- scheinlich wird sich hier bei Vielen im Laufe der Zeit eine mehr oder minder bedeutende Quantität von Nahrungsdotter gebildet haben und die Furchung mehr oder minder inaequal geworden sein. Zwar ist eine deutliche Amphigastmla bisher erst bei weni- gen Echinodermen beobachtet worden, allein ihre weitere Ver- breitung lässt sich aus den obigen Gründen vermuthen. Insbe- sondere dürften die lebendig gebärenden oder sonst in der Kei^ mung vom gewöhnlichen Typus des Generationswechsels abweichen- den Arten darauf zu untersuchen sein: anter den Asteriden Urar ster MüUeri, Echinaster Sarsii, Pteraster militaris, Amphiura squa- 1) KowALEvsKT, Beiträge zur Kntwickeluugsgetokichte der Holothurien. M^m. Acad. Fetersb. 1867. 464 ErBBt Haeckel, mata und die verwandten viviparen Arten ') ; unter den Crinoidett wahrscheinlich viele Specjes; unter den Echiniden der lebendig gebärende Anochanus chinensis und verwandte Arten; unter den Holothurien Thelenota tremula, Phyllophorus uriia, Synaptula vivi- para und vielleicht noch viele Andere. Die genaueste Darstellung der inaequalen Furchung hat kürzlich Selenka von Cucumaria doliolum gegeben. Bei der Amphiblastula dieser Holothurie ist die Invagination ebenfalls nicht vollständig und zwischen Entoderm und Exoderm der Amphigastrula bleibt ein „glasheller Gallertkern zurück, welcher die Rolle eines ungeformten Nahrungsdotters spielt. Während hinten die Beste dieses Gallertkerns allmählig eingeengt und endlich durch Resorption ganz zum Verschwinden gebracht werden, bleibt im vorderen Drittel derselbe noch lange bestehen. Es kommt hier zur Bildung eines grossen Oeltropfens, welcher die Larve schwimmend an dem Meeresspiegel hält, den hinteren Pol nach unten gewendet Erst später tritt ein Schwund dieses Ge- bildes und damit der .Furchungshöhle überhaupt ein"^). Ob bei einigen von denjenigen Echinodermen , bei denen der palingenetische Gang der Keimung durch cenogenetische Anpas* sungen abgekürzt und gefälscht worden ist, die Ansammlung des Nahrungsdotters einen höheren Grad erreicht und somit zur dis- coidalen Furchung und zur Discogastrula hinüber führt, ist aus den bisherigen, sehr unvollständigen Beobachtungen nicht sicher zu ersehen; indessen keineswegs a priori unwahrscheinlich. Dagegen ist es nicht wahrscheinlich, dass bei irgend einem Echinodermen die superficiale Furchung und die Peri- gastrula sich findet. V. Gastrula und Eifurchung der Arthropoden. Im Stamme der Arthropoden, sowohl bei den Crustaceen, wie bei den Tracheaten, scheint die primordiale Furchung und die Archi gastrula nur in sehr wenigen Fällen rein conservirt zu sein. Wahrscheinlich findet sie sich noch heute bei einzelnen Crustaceen aus den Ordnungen der Branchiopoden und Copepoden, bei denen vor der ursprünglichen Nauplius-Form eine rasch vor- übergehende zweiblätterige Keimform auftritt, welche als Archi- 1) ÖABs, Fauna littoraUs Norvegiae. Vol. I, 1846, Taf. VI; Vol. II, 1856, Taf. VIII. 2) Selenka, Embryologie voo Cucumaria doliolum. SitzuugBber. der pby- Bik. medic. Soc. zu Erlaugen. 1875. Die Gastrula und die Eiforchung der Thiere. 465 gastrula zu betrachten ist'). Als solche ist wahrscheinlich auch der Keim der Tardigraden oder Arctisken zu deuten, welchen Kauf- mann beschrieben hat'). Ebenso ist vielleicht auch der einfache, von Nahrungsdotter ganz entblösste Embryo der merkwürdigen Fteromalinen (Platygaster, Polynema, Ophioneurus, Teleas), welchen wir durch Ganin') kennen gelernt haben, als Archigastrula zu deuten und vermuthlich durch Invagination einer primordialen Archiblastula entstanden. Allerdings beschreibt Ganin die „totale Furchufig'^ dieser parasitischen Hymenopteren in abweichender Weise. Indessen dürfte dieser Unterschied entweder durch ge- nauere histologische Untersuchung des Furchungsprocesses aus- zugleichen oder auf eine geringfügige cenogenetische Modification zurückzuführen sein. Möglich bleibt es immerhin, dass hier keine ursprüngliche Archigastrula-Bildung vorliegt, sondern eine eigen- thümliche Modification der Eifurchung, welche durch den tertiären cenogenetischen Verlust des secundären, bei den Vorfahren der Pteroiiialinen noch vorhandenen Nahrungsdotters bedingt ist. Ziemlich verbreitet unter den niederen Arthropoden, und jeden- falls viel häufiger als die primordiale, ist die inaequale Fur- chung und die daraus hervorgehende Amphigastrula. Unter den Crustaceen scheint dieselbe in den allermeisten Fällen auf- zutreten, in denen der echte Nauplius noch heute conservirt ist; jene bedeutungsvolle Keimform, welche zuerst Fritz Mollbr in seiner ideenreichen Schrift „Für Darwin" als Wiederholung der gemeinsamen Stammform aller Crustaceen nachgewiesen hat^). Die Entstehung des Nauplius und der zweiblätterigen, der Gastrula entsprechenden Keimform scheint in der Mehrzahl der Fälle durch inaequale Furchung zu geschehen. Wird die Masse des Nahrungs- dotters, die den Nauplius-Darm erfüllt, beträchtlich, so kann die inaequale Furchung bald in die discoidale, bald in die superficiale Furchung übergehen. Die genauesten Untersuchungen, die Wir bisher über diesen Vorgang besitzen, namentlich diejenigen von Ed. van Beneden und Emil Bessbls^), lassen vermuthen, dass hier 1) Ed. van ]Jbn£den et Emil Bbssels (1. c). 2) Joseph Kaufmann, Ueber die Entwickdung und System. Stellung der Tardigraden. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 1851. Vol. III, S. 220, Taf. VI. 3) M. Ganin, Beiträge zur Erkountuiss der Eutwickeluugsgeschichte beiden Insecteu. Zeitschr. f. wissensch. Züol. 1869. Vol. XIX, Taf. 30—38. 4) Fhitz Müller, Für Darwin. Leipzig 1864. 6) Edouard van Bbmedbit et Emil Bbsskls, Hur la Formation du Blasto- derme cliez les CrusUces. Bulletins et Memoires de TAcad. Beige. 1868, 1869. 466 Ernst Haeekel, eine ziemMeb ausgedehnte Stufenreihe von Uebergangsformen der inaequalen Eifurchung bestehen wird, welche sich einerseits unten an die frühere primordiale, oben an die spätere discoidale und superficiale Furchung anschliessen. Dasselbe ist auch von den niederen Tracheaten zu vermuthen, sowohl Insecten, alsnament- lieh Spinnen. Auch hier scheinen manche (vorzüglich kleine Arten, deren kleine Eier wenig Nahrungsdotter enthalten) eine inaequale Eifurchung durchzumachen, die sich bald mehr an die primordiale, bald mehr an die discoidale, bald endlich U)iniittelbar an die super- ficiale Furchung anschliesst. Wie weit die discoidale Furchung und die Diseo- gastrula unter den Arthropoden verbreitet ist, lässt sich heutzu- tage noch nicht annähernd bestimmen. Nur so viel scheint sicher, dasa sie sowohl unter den Grustaceen ais unter den Tracheaten ziem- lieh häufig vorkommt, insbesondere bei grösseren, differenzirteren Formen, die einen ansehnlichen Nahrungsdotter erworben haben. Sie muss hier überall vorkommen, wo sich „an einem Pole des Eies eine Keimscheibe (Blastodiscus) bildet, welche den Nahrungsdotter umwächst, indem sie sich allmählich bis zu dem entgegengesetzten Pole hin ausdehnt'^ So finden wir sie bei der Nauplius - Bildung von grösseren Grustaceen verschiedener Ordnungen (van Bbnedsn et Bessels 1. c). Vom Oniscus hat sie Bobrbtzky ') sehr genau besehrieben (Fig. 35, 36, 37). Ebenso sehen wir sie bei verschie- denen Tracheaten, insbesondere bei den Scorpionen verlaufen. Die Diseogastrula des Scorpions, welche auf unserer Fig. 40 copirt ist, entspricht derjenigen der Vögel und Reptilien^). Die grösste Rolle spielt im Stamme der Gliederthiere, sowohl unter den Grustaceen, als unter den Tracheaten, die superficiale Furchung und die daraus resultirende Perigastrula (Fig. 38). Ja diese eigenthümliche Keimungs-Form ist sogar recht eigentlich für diesen Stamm charakteristisch und wir müssen es noch dahin gestellt sein lassen, ob dieselbe in einem der anderen Stämme (ins- besondere bei den Würmern), in derselben ausgeprägten Form sich findet. Bei vielen niederen und bei der grossen Mehrzahl der höheren Grustaceen (namentlich der Malacostraken), bei den Poecilopoden (Limulus), bei der Mehrzahl der Araclmiden und Myriapoden und namentlich bei den allermeisten Insecten scheint 1) BoBBBTZKT, Zur Embryologie des Oniscus murarius. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1874. Bd. XXrV, S. 178, Taf. XXI. 2) MsTSCHKiKOFF, fioibryologie des Scorpions. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 1871, Vol. XXI, S. 204. Die Gastrula and die Eifurchung der Thiere. 467 sich der Embryo auf diesem eigentbümlichen Wege zu entwickeln. Als die genauesten Beobachtungen, welche wir darttber besitzen, wurden bereits vorher diejenigen von Bobrbtzkt ^), £. van Bbnbdbn und Bbbsels (1. c. 1. c), Weismann*) und Kowalbvskt ') hervorge- hoben. Aber auch die Angaben von Clapakbdb^), Mbtschnikoff und vielen anderen Beobachtern lassen sich wohl auf jene zu- rückführen. Soweit man nach den zahlreichen, gegenwärtig vorliegenden — allerdings bei dem ungeheuren Umfang des Arthropoden*Stam- mes immer noch relativ spärlichen — Angaben urtheilen darf, ist die echte superficiale Furchung mit derjenigen Perigastrula- bildung, welche ich von Peneus geschildert habe (Taf. XXIII) unter den höheren Crustaceen und Tracheaten allerdings die vorherr- schende Form. Allein es scheinen unter den zahlreichen Modifi- cationen derselben auch viele Zwischenformen vorzukommen, welche als vermittelnde Uebergänge thieils zwischen der superficialen und discoidalen, theils zwischen der superficialen und inaequalen, theils zwischen der superficialen und primordialen Fnrchung zu deuten sind. Selbst bei nahe verwandten Gliederthieren finden sich in dieser Beziehung höchst auffallende Unterschiede vor, wie schon VAN Bbnbdbn und Bbssbls (1. c.) mit Recht hervorgehoben haben. Sie fanden z. B. bei verschiedißnen Species das Genus Oammarus die Furchung und das Verhalten des Nahrungsdotters höchst ver- schieden. Aus diesen Gründen dürfen wir schliessen, dass die superfi- ciale Furchnng und die Perigastrula-Bildung der Arthropoden bald direct aus der primordialen, bald indirect aus der discoidalen, oder aus der inaequalen Furchung (wie sie bei anderen Thieren dieses Stammes vorkommt) sich phylogenetisch entwickelt hat. Da wir aber sowohl die discoidale als die inaequale Furchnng als secun- däre Proccsse nachgewiesen haben (aus der primordialen Furchungs- form durch cenogenetischc Abänderungen entstanden), so werden wir auch die superficiale Furchung direct oder indirect auf letztere zurückzuführen haben. Sehr oft wird die superficiale Furchnng 1) BoBBETZKT, Russiscfae Abhandlungen über Oatogeoie der Arthropoden. Kiew 1873. 2) Wkismann, Die Kutwickeluug der Dipteren. Leipsig 1864. 3) KowAi/KVBKY, £mbryol. Studien an Würmern und Arthropoden. Mem. Acad. Petcrsb. 1871. 4) Kb. Clafabedb, Recherchcs Bur Tevolution des Araignees. Gen^TO 1862. Studien an Acariden. Zeitscbr. f. wisflensch. ZooL 1868^ VoL XTllI^ 8. 486. 468 Ernst Haeckel, aus der primordialen direct entstanden sein, indem der im Centram der Eizelle angesammelte Nahrangsdotter sich an der Theilang des peripherischen Bildangsdotters zu betheiligen aufhörte. VL Gastrula und Eifurchung der Wirbelthiere. Im Stamme der Yertebraten ist die Eifurchung und die daraus resultirende Keimblätterbildung seit mehr als einem halben Jahr- hundert von zahlreichen Beobachtern auf das Genaueste unter- sucht worden, und es sind darüber mehr verschiedene und ein- gehende Darstellungen veröffentlicht worden, als über die ersten Keimungs-Vorgänge in allen übrigen Thierstämmen zusammenge- nommen. Ja die betreffenden Verhältnisse der Wirbelthiere bil- deten eigentlich noch bis vor wenigen Jahren den Mittelpunkt der gesammten Keimblätter- Theorie ; und als man dann anfing, diese auch auf die Wirbellosen auszudehnen, lieferten die Vertebraten das ausgebildete Schema, von welchem ausgehend man die ver- schiedenen Verhältnisse der Wirbellosen zu beurtheilen versuchte. Bekanntlich haben viele Zoologen noch bis vor zehn Jahren die Bildung und Sonderung der Keimblätter überhaupt als einen den Wirbelthieren eigenthümlichen Differenzirungs-Process aufgefasst. Als man dann aber auch bei den Wirbellosen diesen Vorgang in grosser Ausdehnung nachzuweisen begann, war es ein verhängniss- voller Umstand, dass man die am häufigsten und am genauesten untersuchte Keimung des Hühnchens zum Ausgangspunkt wählte. Die hier auftretende discoidale Furchung und Discogastrula-BU- dung, eine sehr stark modificirte secundäre Keimungsform, wurde unglücklicher Weise als Erklärungs-Basis für die viel einfacheren, primären Keimungsformen niederer Thiere hingestellt und das Verhältniss des kleinen Bildungsdotters zum grossen Nahrungs- dotter völlig verkehrt aufgefasst.' Die wichtigsten Keimungspro- cesse, die Bildung der Blastula und die Entstehung der Gastrula durch Invagination der letzteren wurden dabei ganz übersehen, und erst in neuester Zeit gelang es, diese auch hier nachzuweisen. Soweit sich gegenwärtig die Keimungsverhältnisse der Verte- braten übersehen lassen, finden wir von den vier Hauptformen der Eifurchung und Gastrulation die superficiale hier gar nicht vor, die primordiale nur beim Amphioxus. Dagegen findet sich die inaequale Furchung bei den Gyclostomen, Amphibien, Ganoiden, Marsupialien (?) und Placentalien (wahrscheinlich auch bei den Die Gastrula und die Eifurcbnng der Thiere. 469 Dipneusten); die discoidale Furchung bei den Selachiem, Teleo- stiem, Reptilien, Vögeln nnd Monotremen (?). Die ursprüngliche reine Form der primordialen Furchung und die daraus hervorgehende Archigastrula hat unter den Wirbelthieren bis auf den heutigen Tag einzig und allein der A m - phioxus getreu conservirt (Tat XX, Fig. 41—44). *Wie wir durch Kowalbysky's epochemachende Entdeckung 1866 erfahren haben, durchläuft das Ei dieses ältesten Wirbelthieres eine voll- kommen reguläre totale Furchung, die sich in keiner Weise von derjenigen anderer archiblastischer Eier unterscheidet '). Aus der Archimorula entsteht eine echte Archiblastula (Fig. 41); diese stülpt sich unipolar ein (Fig. 42); das eingestülpte Entoderm legt sich an das nicht eingestülpte Exoderm an (Fig. 43) und wir er- halten somit eine ellipsoide Archigastrula (Fig. 44). Wie wir den Amphioxus aus vergleichend-anatomischen Gründen als den letzten überlebenden Repräsentanten einer untergegangenen formenreichen Glasse von schädellosen Wirbelthieren (Jcrania) betrachten müssen, so müssen wir auch aus vergleichend-ontogenetischen Gründen den Schluss ziehen, dass die von ihm conservirte primordiale Furchung diesen letzteren (wenigstens zum Theil) gemeinsam war. Aus der primordialen Furchung und der Archigastrula der Acranier, welche unter den Wirbelthieren der Gegenwart nur noch der Amphioxus besitzt, hat sich zunächst die inaequale Fur- chung und die Amphigastrula entwickelt, welche wir bei vie- len niederen Wirbelthieren in bemerkenswerther Uebereinstimmung antreffen : bei den Cyclostomen, den Ganoiden und den Amphibien, höchstwahrscheinlich auch bei den Dipneusten. Die inaequale Furchung der Cyclostomen hat zuerst Max Schültzb') von Petromyzon beschrieben (Fig. 45 — 48) ; vermuthlich wird sich die- selbe Form auch bei den Myxinoiden finden, deren wichtige Kei- mesgeschichte leider noch ganz unbekannt ist Die Amphimorula von Petromyzon (Fig. 46) zeigt eine geräumige Keimhöhle («), deren gewölbte Decke von der animalen Hemisphäre, deren ver- tiefter Boden von der vegetativen Hemisphäre der Furchungszellen gebildet wird. Bei der daraus hervorgehenden Amphiblastula (Fig. 47) ist die Keimhöhle (a) noch bedeutend erweitert, während schon die Einstülpung des Urdarms beginnt (a). Später verschwindet 1) A. KowALBVBKT, EütwickelangsgeBchichte des Amphioxus lanceolatos. Möm. Acad. Petersb. 1867. Tom. XI. No. 4. 2) Max Sohultzb, Die Entwickelungsgeschicbte von Petromyson Planeri, Haarlem 1866. 470 Ernst* Haedcel, mit der fortschreitenden Einstülpung des Urdarms die Furefaungs- höhle ganz und die typische Amphigastrula ist fertig (Fig. 48). Der Urmund der letzteren oder der „RuecoNi'sche After" (o) geht nach Max Schultzb, „bestimmt in den definitiven After des Em- bryo über". lieber die inaequale Furchung der Oanoiden besitzen wir bis jetzt bloss die vorläufige Mittheilung, welche Kowalevskt, Owsjan- NiKow und Wagkbb über die Keimung der Störe 1869 g^eben haben. Demnach stimmt dieselbe im Wesentlichen mit derjenigen des Petromyzon und der Amphibien überein. Auch die Amphi- gastrula des Accipenser scheint von derjenigen des Petromyzon und der Amphibien nicht wesentlich verschieden zu sein '). Am längsten bekannt und am genauesten untersucht ist die inaequale Furchung bei den Amphibien, über welche vor allen die höchst sorgfaltigen Beobachtungen von Bbmak ^) und Goettb ^) vollständigen Aufschluss gegeben haben (Fig. 51 — 53). Als Eigen- thümlichkeiten derselben sind besonders hervorzuheben: das lange Bestehen der Furcfaungshöhle (s) neben der Urdarmhöhle (a), welche zum grössten Theile mit Dotterzellen ausgefüllt ist, und deren Urmund (o) durch den BASK'schen Dotterpfropf (gewöhnlich mit Unrecht nach Eckbr benannt) ausgefüllt wird. Daher ist eine scharfe Grenze weder zwischen der Amphimorula (Fig. 51) und der Amphiblastula (Fig. 52), noch zwischen dieser letzteren und der Amphigastrula (Fig. 53) zu ziehen. Eine ganz eigenthümliche Modification der inaequalen Fur- ehung und der Amphigastrula-Bildung scheinen die Säugethiere darzubieten. Seit den ersten genauen Beobachtungen, welche uns Bischoff ^) über die Eifurchung der Säugethiere gegeben hat, nimmt man allgemein an, dass dieselbe als „reguläre totale Für- chung*' verläuft, in derselben primordialen Form, welche unter den Wirbelthieren sonst nur beim Amphioxus zu finden ist. Als Endproduct der wiederholten Eitheilung wird eine reguläre Archi- morula geschildert, ein solider kugeliger Zellenhaufen, der aus 1) A. KowALEVflKT, P. OwBJANNiKow Und N. Waonbb, Die Entwickeltingg- geschichte der Stöm. Bulletin Acad. Petersb. 1870. Tom. XIY, S. 818. 2) EoBEET B]i¥AK, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbel- thiere. 1855. Taf. IX. 8) Albzandxb Goettb, Entwickelungsgeschichte der Unke (Bombinator). 1876. Taf. I, IL 4) BisoBOTF, Entwickelungsgeschichte des Kanlnchea-Eies. 1842. — des Hunde-Eies. 1845. Die Gastrula und die Eifurcfatmg der Thiere. 471 lauter gleichartigen Zellen zusammengesetzt ist'). Aus diesem soll dann eine reguläre „Keimblase oder Vesicula blaatodermica^^ also eine Archiblastula entstehen, indem im Innern desselben sich Flüssigkeit ansammelt und sämmtliche Zellen zur Bildung einer einschichtigen Wand der Hohlkugel zusammentreten'). Wäre diese „Keimblase'^ der Säugethiere wirklich, wie man fast allge- mein annimmt, der einfachen Archiblastula des Amphioxus, der Ascidien und anderer archiblastischer Thiere homolog, so müsste der mit klarer Flüssigkeit gefüllte Hohlraum die Furchungs- höhle sein. Nun ist derselbe aber vielmehr, wie sich aus der späteren Entwickelung zweifellos ergiebt, die Höhle des mit Flüs- sigkeit gefüllten Dottersacks, oder — mit anderen Worten — die Urdarm höhle. Unmöglich aber kann sich die Furchun^höhle, welche zwischen Exoderm und Entoderm liegt, unmittelbar in die ganz davon geschiedene, bloss vom Entoderm umschlossene Ur- darmhöhle umwandeln. In derThat liegen aber die Furchungs- Verhältnisse der Säuge* thiere nicht so einfach, wie man bisher annahm, sondern vielmehr zi^nlich compli'cirt Das lässt sich schon a priori »warten aus dem Yerwandtschafts-Verhältniss der Säugethiere zu den übrigen Yerte- braten. Unmöglich können die Mammalien als höchst entwickelte Classe des Stammes den ursprünglichen einüadisten Process der primordialen Furchung bis heute conservirt haben, den allein der Amphioxus noch besitzt, während alle übrigen Wirbelthiere modi* ficirte Furchungsformen zugleich mit dem Nahrungsdotter erwor- ben haben. Auch ist ja in der That die Archigastrula, die das Resultat der primordialen Furchung sein müsste, nirgends bei den Säugethieren nachzuweisen und ich habe desshalb schon in der Anthropogenie (S. 166) ihre Eifurdiung als „pseudototale^^ be- zeichnet. Ausserdem lässt sich aber schon aus den wenigen und lückenhaften Beobachtungen, die überhaupt über die Furchung der Säugethiere vorliegen, mit Sicherheit sehliessen, dass hier nirgends primordiale, sondern überall abgeleitete und modificirte Furchunes- Verhältnisse sich finden. Leider sind die höchst wichtigen Vorgänge, welche die Ei- furchung der Säugethiere begleiten, bisher noch viel zu wenig er- forscht, und neue, umfangreiche und mit Bttcksicht auf die leitende 1) Die angebliche Archimorula des S&ugethieres ist von Buohoff abge- bildet: „Kaninchen-Ei" Taf. IV, Fig. 28, 80; „Hunde-Ei" Taf. U, Fig. 16, 19. 2) Die angebliche Archiblastula des Sftugethieres ist von BwmowF abge- bUdet: ,4(aninchen-£i'S Taf. VI, Fig. 85. 86; Taf. VII, Fig. 87. 472 Ernst Haeckel, Gastraea-Theorie angestellte Untersuchungen sind das dringendste Bedürfiiiss. Von den drei Hauptgruppen der Säugethiere sind die beiden niederen, Monotremen und Didelphien, überhaupt noch gar nicht auf die Furchung untersucht, und nur über einige wenige Piacentalien besitzen wir unvollständige und unzureichende Beob- achtungen. Von den grossen Eiern der Monotremen, die einen mächtigen Nahrungsdotter besitzen, lässt sich mit Sicherheit ver- muthen, dass sie discoidale Furchung besitzen und eine Disco- gastrula bilden werden wie die Vögel und Reptilien. Dasselbe gilt vielleicht auch von einem Theile der Marsüpialien (?), während ein anderer Theil derselben (und wohl die grosse Mehr- zahl) sich vermuthlich an die Placentalien anschliessen wird. Die Piacentalien der Gegenwart besitzen wahrscheinlich sämmt- lieh inaequale Furchung und bilden eine eigenthümlich modi- ficirte Amphigastrula. Man könnte versucht sein, diese un- mittelbar von deijenigen der Amphibien abzuleiten, da ja die Säuge- thiere überhaupt — direct oder indirect — jedenfalls als Descen- denten der Amphibien aufzufassen sind. Viel wahrscheinlicher ist es aber, ^ass die Amphigastrula der Piacentalien (und Didelphien ?) durch Rückbildung — insbesondere durch Reduction und Verflüs- sigung des Nahrungsdotters — aus der Discogastrula der Mono- tremen und somit die inaequale Furchung der ersteren nicht pri- mär, sondern tertiär aus der secundären discoidalen Furchung der letzteren entstanden sein wird. Dass in der That die Eifurchung der Piacent allen die inaequale und nicht die primordiale ist, lässt sich schon aus den Angaben und Abbildungen von Bischoff über die Keimung des Meerschweinchens und des Rehes entnehmen. Bereits in frü- hen Stadien der Furchung treten hier Furchungszellen von sehr ungleicher Grösse und Beschaffenheit neben einander auf). Aber auch schon die früheren Beobachtungen desselben Forschers über die Keimung des Kaninchens und des Hundes führen zu demselben Schlüsse. Denn jener bekannte hügelformige oder halbkugelige ,Jtest von dunkeln Furchungskugeln an einer Stelle der Innen- fläche der hellen Keimblase'^ beweist allein schon, dass diese „Vesicula blastodermica^' keine wahre primäre Archigastrula, son- dern eine modificirte secundäre oder tertiäre Amphiblastula ist, und dass schon während des Furchungsprocesses eine Differenz!- 1) BiscHOFF, EntwickeluDgsgescbicbte des Meerschweinchens, 1852 (Taf. I, Fig. 7—12). — des Rehes, 1854 (Taf. I, Fig. 5—10). Die Gastrula und die Eifurchung der Tbiere. 473 rung zwischen zweierlei Zellen, kleineren, hellen, animalen (Exo- derm-) Zellen, und grösseren, dunkeln, vegetativen (Entoderm-) Zellen eingetreten ist. Daraus lässt sieh dann auch femer schlies- sen, dass die Annahme einer Spaltung oder Delamination des Blastoderms in die beiden primären Keimblätter unbegründet ist. Meines Wissens hat bis jetzt nur ein einziger Beobachter diese wichtigen Verhältnisse in der inaequalen Furchung des Sänge- thier-Eies richtig ins Auge gefasst und den Weg angedeutet, auf welchem das schwierige Verständniss der eigenthümlichen Säuger- Furchung gesucht werden muss. In der kurzen vorläufigen Mit- theilung, welche Alexander Gobtte „Zur Entwickelungsgeschicbte des Kaninchens'' 1869 veröffentlichte, sagt derselbe wörtlich Fol- gendes: „An Eiern von 2 — 8 Mm. Durchmesser sah ich an der Innenfläche der hellen Keimblase einen dunkeln Fleck, oder den eigentlichen Zellenhaufen, und in weitem Umfang um denselben einen liellen Hof, welcher von einer dünnen Zellenanhäufung her- rührt (vegetatives Blatt der Keimblase der Autoren). Von dem kreisförmigen Bande dieser zarten Schichte wächst alsdann ein Ring gegen das Innere der Keimblase vor und schliesst sich bald zu einer continuirlichen Haut, welche sich an jene Zellenschichte, aus deren Umschlage sie hervorging, anlegt."*) Offenbar ist dies ganz derselbe Vorgang, den ich oben vom discoblastischen Teleo- stier-Ei (Taf. XXI, XXII) näher geschildert habe. Der Unter- schied ist nur der, dass statt des soliden grossen Nahrungsdotters hier die mit Flüssigkeit gefüllte Keimblase der Säugethiere sich findet. Diese sogenannte Keimblase ist aber nicht homolog der wahren primären Archiblastula, sondern vielmehr als eine secon- däre Amphiblastula aufzufassen, vielleicht sogar richtiger als eine Discoblastula , bei welcher der hügelförmig innen vorspringende „Rest von dunkeln Furchüngskugeln'' die Grundlage des Frucht- hofs, den wahren Blastodiscus darstellt. Wie Oobttb in seiner Keimesgeschichte der Unke wohl richtig bemerkt (S. 144) „muss man sich dazu die Dotterzellenmasse des holoblastischen Eies nach- träglich aufgelöst und verflüssigt denken", und man muss femer annehmen (S. 866 Ann).), „dass die während der Auflösung des Nahrungsdotters secundär entstehende einschichtige Keimblase in keiner unmittelbaren Beziehung zur Gastrula steht, sondern eine von dem eigentlichen Eie sich ablösende zellige EihüUe darstellt, 1) Albxandeb Gobttx, CeutralbUtt fttr die medic. Wissensch. Berlin 1669. No. 66. B4. iz, M. F. n. 32 474 Ernjst Haeckel, welche auch thatsächlich in der Bildung des Chorion aufzugehen scheint". Die Abbildung, welche Bischofp (1. c. Tab. U, Fig. 19—24) von der Blastula und Grastrula des Hunde-Eies giebt, scheint diese Auffassung lediglich zu bestätigen. Offenbar entsteht auch hier die eigenthümliche Amphigastrula durch Invagination^aus der Amphiblastula ; und höchst wahrscheinsch gilt dies für den Men- schen ebenso wie für alle übrigen Placentalthiere. Ich fasse dem- nach die inaequale Eifurchung der Placentalien (die ich in der Anthropogenie als „pseudototale" bezeichnet habe) als eine beson- dere Modification auf, welche durch Verflüssigung und Rückbildung des Nahrungsdotters phylogenetisch aus der discoidalen Furchung der Monotremen und überhaupt der älteren Vorfahren der Säuge- thiere (insbesondere der Protamnien) entstanden ist. Demgemäss ist auch die Amphigastrula der Placentalien aus der Discogastrula der Monotremen (resp. der Promammalien) phylogenetisch hervor- gegangen. Die grösste Rolle spielt im Stamme der Wirbelthiere die dis- coidale Furchung und die daraus hervorgehende Disco- gastrula (Taf. XXI, XXII). Die grosse Mehrzahl aller jetzt lebenden Vertebraten scheint diesem Furchungsprocesse unterwor- fen zu sein, nämlich : alle echten Fische mit Ausnahme der Oanoi- den (also sämmtliche Selachier und Teleostier), wahrscheinlich ein Theil der Amphibien (Salamandra ?), und die umfangreichen Klas- sen der Reptilien und Vögel, vermuthlich auch die Monotremen und ein Theil der Didelphien (?). Bei weitem am häufigsten und genauesten ist der Furchungs-Process hier beim Hühnchen unter- sucht worden, und dieser Umstand war insofern sehr verhängniss- voU, als gerade dieses Object zu den schwierigsten gehört. Daher ist die grosse Mehrzahl aller Untersuchungen über die Keim- blätter des bebrüteten Hühnchens fehl gegangen. Erst in neuester Zeit ist es den sorgfaltigen Untersuchungen von Gobtte ') und Raubbr') gelungen, auch hier das wahre Sachverhältniss klar zu er- kennen und auf die Gastrulabildung durch Einstülpung zurückzu- führen ; sowie die wesentliche Uebereinstimmung nachzuweisen, die in der Gastrulabildung der Vögel und der Fische besteht. Uebri- gens hat schon vor 22 Jahren der Strassburger Embryologe Lere- 1) Albxanobb Gobttb, Die Bildung der Keimblätter und des Blutes im Hühner-Ei. Arch,- für mikr. Anat. 1874. Bd. X, S. 145. 2) A. Baübbb, lieber die embryonale Anlage des Hühnchens. II. Die Gastrula des Hühnerkeims. Berlin. Medicin. Centralblatt 1874 No. 60. 1675 No. 4, 17. Die Gastrula und die Eifarchang der Thiero. 475 BouLLET die Gastrulabildung bei den meroblastischen Fisch-Eiern richtig erkannt und hat die Discogastrula der Knochenfische (z. B. vom Hecht) ganz klar beschrieben und abgebildet (Taf. XXI, Fig. 50) »). Wenn man von diesem, nunmehr endgültig gewonnenen festen Boden aus die zahlreichen und sehr divergirenden, oft sich direct widersprechenden Angaben der Autoren über die Eifurchung der discoblastischen Wirbelthiere vergleicht, so gewinnt man die lieber* Zeugung, dass auch hier wieder unter der Fülle mannichfaltiger Erscheinungen überall ein und derselbe discoidale Keimungs^Pro* cess, die Bildung der Discogastrula, verborgen ist. Theils die Schwierigkeit des Objectes, theils die mangelhaften Untersuchungs* Methoden der Beobachter, theils und vor Allem aber der Mangel der leitenden phylogenetischen Gesichtspunkte, welche durch die Qastraea*Theorie gegeben sind, verschulden hier die Masse der Irrthümer, mit denen die bezügliche umfangreiche Literatur ange- füllt ist. Die Schwierigkeiten, alle die verschiedenen Vorgänge, die hier bei den verschiedenen discoblastischen Wirbelthier-Eiem vorkommen sollen , auf die fundamentale Entstehung der Disco- gastrula durch Invagination der Discoblastula (Taf. XXI, XXII) zurückzuführen, sind vom Standpunkte der Gastraea-Theorie aus nicht grösser, als die leicht lösbaren Schwierigkeiten, welche sich der Zurückfahrung aller verschiedenen Formen der amphiblasti- sehen Keimung auf die ursprüngliche Urform der archiblastischen Keimung entgegenstellen. Dabei ist noch besonders zu berück- sichtigen, dass die verschiedenen Modificationen der Discogastrula- 1) Lereboüllet, Recherches d^Embryologie compar^c sur le developpement du Urochet, de la Percbe et de l'Ecrevisse. M6m. de TAcad. des sc. (sav. etrang.). Paris 1853. Tom. XVII. Brochet, PI. I, Fig. 17—27. Die Entste- hung der Discoblastula des Hechtes durch Einstülpung ist hier ganz deaUich mit folgenden Worten beschrieben (p. 488) : „Vers la fin du premier jour le germe embryonuaire a pris la forme d'une v^sicule plus ou moius aplatie, re- posant sur le vitellus (,^Discoblastuia^ !). Pendant la prämiere moiti^ du se- cond jour la vesicule blastodermique s'aplatit de plus en plus ; ses deux parois oppos^es se touchent, et eile se moulc comme une s^reuse autour de la por- tion de Toeuf, qu^elle recouvre, comme le ferait on verre de montre. Cette nouvelle calotte est d'abord plus cpaisse k son centre; mais, qaand eile com- mcnce ä s'etendrc^ eu s'aplatissant de plus en plus, c^est le contraire qui a lieu : sa partie centrale s'amiocit^ tandis que son robord circulaire devient plus 6pais et forme un v^ritablc bourrelct autour de Toeuf. On peut encore, k cette cpoque, reconnaitre et s^parer les deux feuillcts qui composent la calotte blastodermique („Diirogai^rtf 2a** I). 32* 47« 7 eoe gucz daroB TeRcüM^»? li^JiÜhiMlirtf Kei- ■■■l^itwi z« baden ^AasL Wihmd d«xt wick 4er Xaknn^ 4Mer 9m Furniookf^roctsst mAr c4er dinder AsdtfB ammt nH er kier zvktzt i^nz darcm a^gfs^hkä&cB. Bei diM Selaehiern eatslefat offenbar die DiseogBirBfai dnrdi Imr^ffsatiim der DiscoUastnla rTalXX. Fig.49f: vir kmuem dies um ßALfoctCB widitigen Mittheilnngen ober die O^ngeaie der Hu- hkche MAheaetk, obwohl dieser Aator eine eigatlidie .Jniroiation'* hier mdd zm^t^ ^ Ebenso lassen sich die sehr mamiidijEütigen «od «iderqiredienden Angaben über die Keimnng der Teleostier bei i$org0Uliger fcritiseher Veif^eichang sämmdich anf die discoi- dale Forebong znrfidcffihren, wie ich sie oben Yom Gad mals bei Begründung der Gastraea-Theorie nach mancherlei wich- tige Thatsachen, die ei*st durch die Forschungen der letzten Jahre an das Licht gefordert worden sind ; und es blieben damals ver- schiedene Lücken und dunkle Stellen übrig, die ich erst jetzt be. friedigend auszufüllen und aufzuhellen im Stande bin. Doch werde ich mich bei dieser Ausführung kurz fassen, um so mehr, als bereits meine 1874 erschienene „Anthropogenie" das Wichtigste enthält (vergl. namentlich den VI. und XVI. Vortrag). Die V. synoptische Tabelle (S. 406), auf welcher „die fünf ersten Keimungsstufen der Metazoen mit ihren fünf ältesten Ahnenstufen verglichen" sind, ist eine verbesserte Wiederholung der entsprechenden Tabelle, welche ich schon seit Jahren in der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte'^ (S..444) gegeben habe und welche auch in der „ Anthropogenie'' (S. 396) verwerthet worden ist. Um die fünf primordialen Entwickelungs- stufen des Thier-Körpers , welche hier in natürlicher Reihe auf einander folgen, als gemeinsames Erbgut sämmtlicher Metazoen, von den Spongien und Korallen bis zu den Affen und Menschen hinauf anzuerkennen, ist es nothwendig, zunächst nur die ur- sprüngliche palingenetische Form derselben in's Auge zu fas- sen, wie sie uns die archiblastischen Thiere darbieten (Erste Spalte, a, in der VI. Tabelle, S. 407). Das Verständniss der entsprechen- den Stufen bei den amphiblastischen , discoblastischen und peri- blastischen Thieren (zweite, dritte und vierte Spalte in der VI. Tabelle, b, c, d) ergiebt sich erst, wenn man diese sämmtlich als cenogenetische betrachtet und sie als secundäre Modifica- tionen auf die erstere, palingenetische Form zurückführt. Die erste Stufe der Metazoen-Keimung , die Mouerula, ist vor Allem desshalb von hohem Interesse, weil sie nach dem biogenetischen Grundgesetze als die ontogenetische Wiederholung der primordialen Urform aller Organismen, des Moneres zu deu- ten ist (Vergl. Kalkschwämme, Bd. I, S. 330, 342 ; Anthropogenie, S. 143, 384). Jede natürliche Entwickelungs-Theorie, welche kein Wunder, keinen übernatürlichen Eingriff zweckthätiger Schöpfer- kräfte in den natürlichen und nothwendigen Ejitwickelungsgang der Körperwelt zulässt, ist gezwungen, die erste Entstehung lebender Organismen auf unserem Erdball durch die unentbehrliche Hypo- Die Gastrula unrl die Eifurchung der Thiere. 481 these der Urzeugung zu erklären. Vernunftgemäss ist aber nur diejenige speeielle Form dieser Hypothese zulässig, welche ich als „Autogonie der Moneren" im VI. Capitel der „Generellen Morphologie" (S. 167—190) und in den ,^tudien über Moneren" (1870) eingehend erörtert habe. In letzterer Arbeit ist insbesondere der Abschnitt über „Bathybius und das freie Protoplasma der Meerestiefen" (S. 86—106), sowie über „Die Moneren und die Ur- zeugung" (S. 177—182) zu vergleichen. Wenn nun demgemäss die Moneren, als die denkbar einfach- sten unter allen Organismen, diejenigen Urformen des Lebens sind, auf die wir den ältesten Ursprung aller übrigen Organismen phylo- genetisch zurückzuführen gezwungen sind, so ist es offenbar eine ontogenetische Thatsache vom allerhöchsten Interesse, dass auch die meisten, wenn nicht alle, höheren Organismen ihre individuelle Existenz in einer Form beginnen, welche denselben morphologischen Werth besitzt, wie das Moner, in der Form der Cytode. Die iiUerm eisten unter den neueren und genaueren Untersuchungen über die Ontogenie der Metazoen stimmen darin überein, dass die thierische Eizelle entweder vor oder nach der Befruchtung il)j;en Kern (das „Keimbläschen") verliert und somit von der höheren Plastiden-Form der kernhaltigen Zelle auf die niedere Plastiden- Form der kernlosen Cytode zurücksinkt. Wenn diese höchst merkwürdige und bedeutungsvolle Thatsache richtig ist, so kann sie nach dem biogenetischen Grundgesetze nur als „Bückschlag der einzelligen Urform in die primordiale Stammform des Moneres" gedeutet werden, wie ich bereits bei verschiede- denen Gelegenheiten, insbesondere in der Ontogenie der Kalk- schwämme (Bd. I, S. 330) hervorgehoben habe. Allerdings ist ausdrücklich zu bemerken, dass jene merkwür- dige Thatsache, auf die wir diesen Schluss gründen, keineswegs unbestritten dasteht Bekanntlich haben verschiedene Beobachter — und darunter Zoologen ersten Ranges : Baer, Johannes Mollek, Geuenbaur, Leydig — behauptet, dass das Keimbläschen nicht ver- schwinde, sondern persistire und der directe Stammvater aller „Furchungszellen" sei, die durch wiederholte Theilung aus dem- selben hervorgehen. Ich selbst habe mich in meiner „Entwicke- ln ngsgeschichte der Siphonophoren" (Utrecht, 1869) auf Grund eigener Beobachtungen dieser Ansicht angeschlossen, „welche für die theoretisch wichtige Frage von der Continuität der Zellen- gt'nerationen von hoher Bedeutung ist" (1. c. p. 18). Diesen „po- sitiven" Beobachtungen gegenüber stellt nun allerdings die grosse 484 Ernst Haeckel, Ausdrucke wir ein für alle Mal kurz die sogenannte „erste Fur- chungskugel" oder richtiger „die erste Furchungszelle" be- zeichnen. Die gros'^e Mehrzahl aller besseren Beobachter stimmt gegenwärtig in der Annahme überein, dass eine solche „erste Furchungskugel" existirt, gleichviel ob diese Cytula als eine neue, aus der Monerula durch Neubildung eines Kernes entstandene Stammzelle, oder als die modificirte und durch die Befruchtung veränderte Eizelle mit persistentem Keimbläschen zu betrachten ist. Alle Zellen, welche die Keimblätter und den daraus ent- stehenden Organismus der Metazoen aufbauen, sind Descendenten jener Stammzelle und durch wiederholte Spaltung, entweder Thei- lung oder Knospung aus der Gytula entstanden. Wenn die Be- griffe der „Theilung und Knospung^' so gefasst werden, wie es in der Generellen Morphologie geschehen ist (Bd. II, S. 37 — 49), so müssen wir die beiden Formen der primordialen und superficialen Furchung als wahre Theilung der Eizelle, hingegen die beiden Formen der inaequalen und discoidalen Furchung als Knospung derselben auffassen (Anthropogenie, S. 153, 166). Zweifellos durchläuft also jeder vielzellige Organismus im Be- ginne seiner individuellen Entwickelung eine einzellige Form- stufe, und ebenso zweifellos ist die entsprechende phylogenetische Annahme berechtigt, dass auch alle vielzelligen Organismen von einzelligen ursprünglich abstammen müssen. Jede einzellige Keimform ist die palingenetische Wiederholung einer entsprechenden einzelligen Stammform. Dieser wichtige Satz ist für jeden consequenten Anhänger der Descendenz-Theorie so selbstverständlich klar und nothwendig, dass wir hier wohl auf eine weitere Begründung desselben verzichten können. Da- gegen haben wir kurz die weitere Frage zu erörtern, ob wir aus der Existenz der Gytula bei sämmtlichen Metazoen nach dem bio- genetischen Grundgesetze auf eine einzige gemeinsame einzellige Stammform derselben schliessen dürfen und ob wir die Beschaf- fenheit dieser letzteren annähernd zu bestimmen im Stande sind. Einen gemeinsamen Ursprung sämmtlicher Meta- zoen aus einer einzigen einzelligen Stammform sind wir desshalb anzunehmen berechtigt, weil unter allen hier möglichen Hypothesen diese Annahme die einfachste ist. in dem grossen Hypothesen-Gebäude der Phylogenie muss uns ganz ebenso wie in dem ähnlichen Hypothesen-Gebäude der Geologie der Grund- satz leiten, dass die einfachste Hypothese die beste ist. So lange keine bestimmten Thatsachen vorliegen, welche eine ver- Die Gastnila und die Eifurchung der Thiere. 485 wickeitere oder zusammengesetztere Hypothese wahrscheinlicher machen, ist die einfachste stets vorzuziehen. Und wie oft schon hat uns die Natur, die stets den einfachsten Gang geht, gelehrt, dass unter vielen aufgestellten Hypothesen die einfachste der Wahrheit am nächsten kam. Ich erinnere nur wiederholt an die allgemein anerkannte Wissenschaft der Geologie, die bei ihrem grossartigen und verwickelten Hypothesenbau ganz ebenso zu Werke geht, ganz nach denselben logischen Methoden der Induction und Deduction verfährt, wie ihre jüngere Schwester, die noch so viel- fach verkannte und angefeindete Phylogenie. Es kann nicht genug betont werden, dass diese beiden Schwestern ganz denselben Weg gehen und ganz denselben philosophischen und naturwissen- schaftlichen Werth haben. Nur ist die Aufgabe der jüngeren Phylogenie ungleich schwieriger und verwickelter, als diejenige der älteren Geologie. „Sie ist in demselben Maasse schwieriger und verwickelter, in welchem sich die Organisation des Menschen über die Structur der Gebirgsmassen erhebt^' (Anthropogenie, S. 297). Um nun demgemäss die gemeinsame Abstammung sämmt- licher Metazoen von einer einzigen einzelligen Stammform mit Sicherheit zu behaupten, wäre nur noch nachzuweisen, dass die beträchtliche und mannichfache Verschiedenheit der Cytula bei den verschiedenen Metazoen kein Argument gegen jene monophy- letische Hypothese bildet. Dieser Nachweis ist aber unseres Er- achtens bereits dadurch geliefert, dass wir unter den vier ver- schiedenen, in der VI. Tabelle (S. 407) aufgeführten Hauptformen der Cytula nur diejenige der archiblastischen Eier, die Archi- cytula, als die ursprüngliche, palingenetische, einzellige Keim- form nachgewiesen haben. Die drei übrigen Gytula-Formen sind aus dieser primordialen Urform erst cenogenetisch entstanden, durch den Erwerb des Nahrungsdotters. Bei der Amphicytula und bei der Discocytula hat sich der Nahrungsdotter an einem Pole (dem vegetativen Pole), bei der Pericytula hingegen im Centrum der Keimzelle angesammelt und von dem Protoplasma derselben gesondert. Diese Sonderung ist bei der Amphicytula noch unvollständig geblieben, hingegen bei der Discocytula und Pericytula vollständig geworden, so dass bei diesen beiden letzteren (meroblastischen) Keimzellen der Nahrungsdotter theilweise oder ganz vom Furchungsprocess ausgeschlossen wird. Da die cenogenetische Scheidung des Nahrungsdotters vom Bildungsdotter bei den meroblastischen Eiern durdi eine immer 486 Ernst Ilaeckel, stärker sich geltend machende Heterochronie immer weiter in die früheste Zeit der Eibildung zurückverlegt wird, so ist dieselbe gewöhnlich schon innerhalb des Eierstockes an den jungen Eiern desselben frühzeitig wahrzunehmen. Um das richtige Verständniss dieses Schwierigen Verhältnisses zu erlangen, (welches den meisten damit beschäftigten Autoren wegen des Mangels phylogenetischer Gesichtspunkte ganz abgeht), ist es durchaus erforderlich, das pri- märe Ür-Ei (Protomm) von dem secundären Nach-Ei (Meiomm) scharf zu unterscheiden (Anthropogenie, S. 152). Nur da& amoe- boide Ur-Ei, welches noch keinen Nahrungsdotter besitzt, die ganz junge und indifferente Eizelle, erscheint bei sämmtlichen Metazoen im Wesentlichen gleich. Diese Gleichheit wird später durch das ansehnliche Deutoplasma verdeckt, welches zum Protoplasma der Eizelle hinzutritt. Aber auch dann noch ist die Homologie, sämmt- lieber Nach -Eier festzuhalten, weil sie ursprünglich überall im Entoderm entstehen, und weil offenbar die amphiblastiscben so- wohl als die discoblastischen und periblastischen Eier erst secundär aus den archiblastischen Eiern durch den cenogenetischen Erwerb des Nahrungsdotters entstanden sind. Wollte man gegen diese Homologie der Eier bei sämmtlichen Metazoen geltend machen, dass dieselben nicht überall aus demselben Eeimblatte ihren ersten Ursprung nehmen, so ist zu erwidern, dass dieser verschiedene Ursprung ( — wenn überhaupt richtig — ) sich durch Heterotopie, durch frühzeitige Wanderung der Eizellen aus einem ^eimblatt in das andere erklären lässt, wie ich sie z. B. bei den Kalk- schwämmen thatsächlich beobachtet habe (Bd. I, S. 157 — 160). Wie die palingenetische Archicytula als die gemeinsame Ur- form aller einzelligen Keimstufen, so ist auch in gleicher Weise die Archimonerula als die palingenetische Urform aller Cytoden- Keimstufen zu betrachten, aus welcher sowohl die Amphimonerula als die Discomonerula und die Perimonerula durch die cenogene- tische Bildung des Nahrungsdotters erst secundär hervorgegangen sind. Durch die Neubildung eines Zellen-Kernes verwandeln sich diese vier Hautformen der Monerula in die entsprechenden vier Hauptformen der Gytula. Wie wir im Stande sind, demgemäss sämmtliche Cytula-For- men aller Metazoen auf die palingenetische Urform der Archi- cytula zurückzuführen, so können wir auch durch die einfachste Hypothese die Frage beantworten, von welcher Beschaffenheit die gemeinsame einzellige Stammform der Metazoen gewesen sein mag, welche durch die einzellige Keimform der Archicytula Die Gastnila und die Eifurchung der Tfaiere. 487 noch heute wiederholt wird. Offenbar wird jene einzellige Stamm- form ursprünglich einen möglichst einfachen und indifferenten Cha- rakter besessen haben^ da alle differenzirten Formen von einzel- ligen Organismen wieder aus einer ganz indifferenten Stammform abgeleitet werden müssen. Nun sind aber unzweifelhaft die ein- fachsten und indifferentesten unter allen selbständigen einzelligen Organismen, welche wir kennen, die Amoeben. Die nackten „amoeboiden Zellen'', welche weder irgend eine Hülle, noch diffe- renzirte „Plasma- Producte'' in ihren ganz einfachen Zellenleibe besitzen^ sind die indifferentesten und primitivsten von allen Zel- len-Arten. Demgemäss dürfen wir denn auch phylogenetisch die Amoebe als die gemeinsame, der ontogenetischen Cytula ent- sprechende, einzellige Stammform sämmtlicher Metazoen betrach- ten, wie ich bereits in der Anthropogenie ausführlich gezeigt habe (S. 93—114 und 383, 396). UI. Das Synamoebium und die Morula. Die dritte Formstufe in der Keimesgeschichte der Metazoen bildet die Morula oder die Maulbeerform des Keims, das nächste Resultat der Eifurchung. Mit der Ausbildung dieser Keimform beginnt der Metazoen-Organismus sich zu einem Individuum zwei- ter Ordnung, einem vielzelligeti „Idorgan^' zu erheben, während die beiden ersten Formstufen, Gytode und^ Zelle, als isolirte „Indi- viduen erster Ordnung'' unter den Begriff der „Plastide oder des Elementar-Organismus" fielen. Welcher wichtige Fortschritt für die Individualitätslehre, für die tectologische Auffassung des thie- rischen Organismus damit gegeben ist, habe ich in der Tectologie der Kalkschwämme erläutert (Bd. I, S. 89—124). Zugleich habe ich daselbst die im dritten Buche der Generellen Morphologie (Bd. I, S. 239 — 374) aufgestellten Kategorien des organischen In- dividuums einer näheren Bestimmung und einfacheren Begrenzung unterzogen, so dass alle verschiedenen Erscheinungsformen der thierischen Individualität sich folgenden vier Hauptstufen unter- ordnen lassen : I. Plastide. II. Idorgan. III. Person und IV. Stock. Die morphologische Bedeutung, welche demnach die Morula, als das nächste Product der Eifurchung, für das Metazoen-Indivi- duum besitzt, muss gleicherweise auch die entsprechende phylo- genetische Stammform beanspruchen, die wir als Synamoebium bezeichnet haben. Auch die Annahme dieser Stammform bedarf kaum einer näheren Begründung, da sie bei einigem Nachdenken - 488 Ernst Haeckcl, sich als noth wendige Entwickelungsstufe von' selbst ergiebt. Denn die ersten vielzelligen Organismen, -welche in früher lauren- tischer Urzeit auf unserem Erdballe auftraten, werden einfache Colonien von gleichartigen indifferenten Zellen gewesen sein und eine solche einfachste Gemeinde von amoeboiden Zellen ist auch unser hypothetisches Synamoehium. Wenn anfänglich nur antogone Moneren entstanden und später sich aus diesen die ersten Zellen, einzeln lebende Amoeben entwickelten, wird der nächste weitere Fortschritt des organischen Lebens darin bestanden haben, dass die Nachkommenschaft dieser Einsiedler - Zellen sich zu kleinen Gemeinden versammelte und die erste „Zellen Golonie", den ersten vielzelligen Organismus bildete. Anfangs werden alle Mitglieder dieser ältesten Zellengemeinden noch von gleicher Beschaffenheit gewesen sein, wie uns ja auch noch heute die Labyrinthuleen, viele Diatomeen, die socialen Myxodictyen und Microgromien, viele Desmidiaceen u. s.' w. gleiche einfache Zellengeschaften vor Augen führen, deren Mitglieder noch keine Differenzen zeigen. Das Synamoebium, als eine ganz indifferente Gemeinde von gesellig lebenden, ganz gleichartigen Amoeben, dürfte demnach in der Stammesgschichte der Metazoen, als die erste Stufe der vielzelli- gen Ahnenreihe, wohl keinem Bedenken unterworfen sein. Die getreue ontogenetische Wiederholung dieser dritten phylo- genetischen Formstttfe führt uns noch heute die Archimorula der archiblastischen Thiere vor Augen: ebenfalls ein einfacher Haufen von ganz gleichartigen und indifferenten Zellen (Fig. 115). Wäh- rend diese palingenetische Keimform vollständig dem hypotheti- schen 8ynamoebium entspricht, weichen dagegen die drei anderen Hauptformen der Morula, die Amphimorula, Discomorula und Peri- morula mehr oder minder von jenem palingenetischen Urbilde des „Maulbeerkeimes'' ab. Auch diese Abweichung erklärt sich ganz leicht als eine cenogenetische Wirkung des Nahrungsdotters, der von Anfang an einen mehr oder minder modificirenden Einfluss auf den Furchungs-Process ausübt. Die Differenzen, welche hier schon bei der inaequalen Furchung sich zwischen kleineren, aaimalen und grösseren vegetativen Zellen geltend machen, und welche bei der discoidalen und superficialen Furchung in einer sehr abwei- chenden Morula-Bildung zu Tage treten, sind selbstverständlich nicht als palingenetische Wiederholungen entsprechender selbst- ständiger Stammformen, sondern als cenogenetische Modificationen der Archimorula aufzufassen, durch die Ausbildung des Nah- rungsdotters bedingt. Die Gastnila und die Rifurcbttng der Thicre. 489 Diese Auffassung ist um so mehr zu betonen, als die mannich- faltigen Morula-Formen der verschiedenen Metazoen allerdings bei blosser ontogenetischer Yergleichung sehr beträchtliche Verschie- denheiten darzubieten scheinen. Diese Differenzen betreffen nament- lich die Grundform. Nur die palingenetische Archimomla (Fig. 115) hat die homaxonie Grundform der Kugel meistentheils con- servirt, da die Lagerungs- Verhältnisse der völlig gleichen Morula- Zellen hier noch ganz gleichartig sind. Auch die Perimorula hat in vielen Fällen di6 ursprüngliche Kugelgestalt noch beibehalten, während in vielen anderen Fällen bereits eine Axe ausgebildet und demnach die homaxonie Promorphe in die monaxonie (meist ellipsoide) Grundform übergegangen ist (Fig. 83—86). Die Amphi- morula ist ganz allgemein deutlich monaxon, weil der polare Gegensatz zwischen Bildungs- und Nahrungsdotter immer schon während des Furchungs - Processes in der Lagerung der beiderlei Zellen an beiden Polen der Urdarm-Axe sich geltend macht (Fig. 93—97; 104—108). Ebenso ist auch die Discomorula in allen Fällen von Anfang an ausgesprochen einaxig (meist linsenförmig), wie das bei der unipolaren Lagerung des Bildungsdotters nicht anders sein kann (Fig. 55—60 und 73). Alle diese und die sonst noch vorkommenden Differenzen in der Morulabildung sind selbstverständlich cenogenetischer Natur, und offenbar wieder durch den Nahrungsdotter direct oder indirect bewirkt. Dieser allein bedingt auch bei den periblastischen Eiern das eigenthümliche Verhältnis», dass das dritte und vierte Stadium der Keimung, Perimorula und Periblastula, in Eines zusammen- fallen ; die Furchungshöhle ist hier von Anfang an mit Nahrungs- dotter erfüllt (Fig. 81—86). Wenn die Furchungshöhle sich sehr frühzeitig während der Furchung ausbildet, so ist eine scharfe Grenze zwischen drittem und viertem Stadium überhaupt nicht zu ziehen. So geht namentlich die Discomorula (durch Heterochronie) oft ganz unmerklich in die Discoblastula über (Fig. 45,46, 51, 52). Alle diese cenogenetischen Modificationen lassen sich auf die palin- genetische Archimorula zurückführen und sind durch diese auf das Synamoebium phylogenetisch zu beziehen. IV. Die Planaea und die Blastula. Mehr Angriffen und verschiedenen Ansichten als die vorher- gehende dritte und als die nachfolgende fünfte Entwickelungsstufe der Metazoen, dürfte die vierte Keimungsstofe derselben begegnen, Bd. IX, N. F. II. 33 490 Ernst Haeckel, dieBlastosphaera oder Blastula, deren entsprechende Stamm- form wir Planaea genannt haben. Auch hier wieder kömmt Alles darauf an, sich nicht durch die mannichfach verschiedenen, secundären, cenogenetischen Formen beirren zu lassen, sondern die ursprüngliche, primäre, palingenetische Form au&usuchen, und die ersteren auf die letztere zurückzuführen. Als diese palingenetische Urform der Blastula ist ohne Zwei- fel die Archi blastula der archiblastischen Eier aufzufassen, wie sie uns bei den niedersten und ursprünglichsten Formen der verschiedensten Klassen vorliegt, z. B. bei Gastrophysema (Fig. 116, 117), Actinia (Fig. 20), Limnaeus (Fig. 29), Amphioxus (Fig. 41). üeberall, wo die primordiale Eifurchung in ihrer ursprüng- lichen palingenetischen Form rein abläuft und zur Bildung der Archigastrula führt, da sehen wir auch zunächst aus der Archi- morula die Archiblastula hervorgehen, aus der dann weiterhin die Archigastrula durch Invagination entsteht (Fig. 118). Üeberall scheint ursprünglich diese Archiblastula dadurch zu Stande zu kommen, dass die zusammenhängenden, meist dicht an einander liegenden, gleichartigen Zellen der Archimorula Flüssigkeit nach innen ausscheiden, durch welche sie auseinander und an die Peri- pherie des kugeligen Morula-Körpers gedrängt werden. Hier bil- den sie dann schliesslich eine einzige, zusammenhängende, einfache Zellenschicht, die Keim haut oder das Blastoderma, Der mit Flüssigkeit oder Gallerte gefüllte Hohlraum der so gebildeten Hohlkugel ist „die BiBB^sche Höhle, Keimhöhle, Furchungshöhle, Segmentationshöhle oder das Blastocoeloma^'^ (s). Eine störende Ausnahme scheinen hier nur diejenigen archi- blastischen Eier zu machen, bei welchen die Archigastrula nicht durch Invagination, sondern durch Delamination entstehen soll; so namentlich die Eier mancher Zoophyten, sowohl Spongien, als Hydroiden. Hier soll sich theils eine einfache, echte Archiblastula bilden, die nicht durch Einstülpung, sondern durch Flächenspaltung des Blastoderms und secundären Durchbruch der MundöShung an einem Pole der „Keimhöhle" entsteht, so dass letztere unmittel- bar zur „Urdarmhöhle" würde. Theils sollen sich die Zellen der Archimorula schon während der Ausbildung einer centralen Höhle von Anfang an in zwei verschiedene Zellenschichten ordnen, die zu den beiden primären Keimblättern sich gestalten, so dass also jene centrale Höhle von Anfang an nicht das Blastocoelomt sondern die Protogaster ist. In diesem letzteren Falle liegt oifenbar eine cenogenetische Abkürzung der Ontogenie vor^ bei Die Gastnila und die Eifurchung der Thiere. 491 welcher das Blastula - Stadium einfach übersprungen wird und so die Archimorula direct in die Archigastrula übergeht Aber auch im ersteren Falle dürfen wir wohl eine cenogenetische Mo- dification der ursprünglichen palingenetischen Bildung vermuthen — vorausgesetzt^ dass überhaupt die bezüglichen, schwierig an- zustellenden Beobachtungen richtig sind. Da ich diese Verhältnisse schon früher wiederholt erläutert habe, ist es nicht nöthig, hier von Neuem darauf einzugehen, und soll nur nochmals ausdrück- lich hervorgehoben werden, dass bei einer vergleichenden Ueber- sicbt aller archiblastischen Keimungsverhältnisse sich die Archi- blastula mit befriedigender Sicherheit als das ursprüngliche palin- genetische Mittelglied zwischen der Archimorula und der Archi- gastrula herausstellt Eine andere Schwierigkeit für die Auffassung der Blastula als gemeinsamer ursprünglicher Entwickelungsform aller Metazoen er- giebt sich aus den sehr abweichenden Formen, welche dieselbe in Folge verschiedener, oft sehr weit gehender, cenogenetischer Ab- änderungen angenommen hat Diese Schwierigkeit wird aber durch die vergleichende Zusammenstellung aller der verschiedenen Stu- fen cenogenetischer Modification gelöst, welche uns in ununterbro- chener Kette von der ursprünglichen palingenetischen Archiblastula bis zu den auffallendsten, am weitesten entfernten Modificationen der Blastosphaera-Form hinführen. Da sind wieder besonders in- structiv die mannichfaltigen Abstufungen der inaequalen Furehung, welche sich einerseits unten an die primordiale, oben an die dis- coidale und superficiale Furchung anschliessen. Bei vielen amphi- blastischen Eiern ist die Amphiblastula nur dadurch von der palin- genetischen Archiblastula verschieden, dass die Zellen des Blasto- derms nicht alle von ganz gleicher Beschaffenheit sind. Am einen (animalen) Pole der Amphiblastula finden wir kleinere, meist hel- lere, am anderen (vegetativen) Pole grössere, meist dunklere Zellen. Der Unterschied in der Grösse und molecularen Zu- sammensetzung der beiderlei Zellen ist in vielen Fällen nur sehr unbedeutend, kaum bemerkbar; in anderen Fällen tritt er schon auffallender hervor; und endlich begegnen wir bei der Mehrzahl der amphiblastischen Eier einer so starken Diff^en- zirung der animalen und vegetativen Zellen, dass erstere sofort als Bildungszellen, letztere als Nahrungszellen erkennbar sind und sich scharf von einander scheiden (so z. B. bei Unio Fig. 26, 27 ; bei Petromyzon Fig. 45, 46; bei Bombinator Fig. 61, 52; bei Fabricia Fig. 98; bd Trochus Fig. 109 u. s. w.). Hier ist oft BS* 492 Ernst Hacckel, schon der Hohlraum des Blastocoeloms sehr reducirt durch die sich hineindrängenden mächtigen „Dotterzellen" des Nahrungsdot- ters; und statt des einschichtigen Blastoderms finden wir oft von Anfang an ein mehrschichtiges. Ein Theil der letzteren Formen bildet bereits den unmittelbaren Uebergang zur Discoblastula der discoblastischen Eier, bei denen meist nur eine enge und kleine Furchungshöhle sich findet. Die gewölbte Decke der letzteren wird von den Zellenschichten des gefurchten „Bildungsdotters^S ihr ebener oder vertiefter Boden von dem voluminösen, ganz oder grösstentheils ungefurchten „Nahrungsdotter" gebildet (Fig. 49, 54). Sehr klar liegt dies Verhältniss bei unserem pelagischen Gadoiden- Ei vor (Fig. 61, 62, 74). Dass auch bei dem am stärksten mo- dificirten discoblastischen Vogel-Ei die Furchungshöhle nicht fehle und somit auch der Hühnerkeim vorübergehend eine bedeutungs- volle Blase bilde, hat neuerdings namentlich Rauber hervorge- hoben (I.e.). Er bemerkt mit Recht: „damit ist nicht etwa Gleich- gültiges behauptet; denn mit dieser Veränderung tritt das Hühn- chen in Beziehung zu weit niedriger stehenden Geschöpfen". Gleicherweise ist nun auch die Periblastula auf die palin- genetische Urform der Archiblastula mit Sicherheit zurückzuführen (Fig. 83 — 86). Denn diese cenogenetische Blastosphaera der peri- blastischen Eier ist ja eigentlich nur dadurch von der Archibla- stula verschieden, dass der Hohlraum der Keimhautblase, das Blastocoelom, nicht mit klarer Flüssigkeit oder Gallertmasse, son- dern mit dem massiven Nahrungsdotter erfüllt ist. Da dieser schon vor Beginn der Keimung das Centrum des Eies erfüllt, muss hier nothwendig die Periblastula mit der Perimorula zusammen- fallen. Wenn demnach alle verschiedenen Modificationen derBlastula sich als cenogenetische Abänderungen der ursprünglichen palin- genetischen Archiblastula nachweisen lassen, so ist uns auch nach dem biogenetischen Grundgesetze die einfachste Hypothese gestat- tet, welche diese wichtige ontogenetische Thatsache phylogenetisch deutet und verwerthet. Wir dürfen dann sagen, dass sämmtliche Metazoen von einer gemeinsamen uralten Stammform abstammen, welche im Wesentlichen der Archiblastula gleichgebildet war : diese längst ausgestorbene laurentische Stammform ist die Planaea. Selbständige entwickelte Organismen, welche dieser hypothe- tischen Planaea im Wesentlichen gleich gebildet sind, leben zahl- reich auch noch in der Gegenwart. Vor allen dürften hier die coloniebildenden Flagellaten, und namentlich die Volvocinen Die Gastrnla nnd die Eifarchung der Thiere. 493 zum Vergleich herbeizuziehen sein: frei schwimmende Gallertku- geln, deren Peripherie durch eine Schicht von gleichartigen Geissel- zellen gebildet wird. Auch die von mir an der Norwegischen Küste beobachtete Magosphaera planula, die wahrscheinlich den Volvocinen, z. B. der Synura nahe verwandt ist, tritt hier als eine der ausgestorbenen Planaea sehr ähnliche Protisten-Form in den Vordergrund '). Gleich diesen Catallacten und Volvocinen werden höchstwahrscheinlich auch die ausgestorbenen Planaeaden, die verschiedenen der Planaea nächststehenden Genera und Species, sich mittelst eines Flimmerkleides schwimmend im laurentischen Urmeere umher bewegt haben. Wenn ich hier die Bezeichnung ^^Planaea^^ für diese vierte Ahnenstufe der Metazoen beibehalte, und sie nicht durch die pas- sendere Benennung ^^Blastaea^^ ersetze, so geschieht es, um nicht noch einen neuen Namen gerade für diese Entwickelungsstufe ein- zuführen, die ohnehin schon verschiedene andere Bezeichnungen früher erhalten hat. Die Bezeichnung Blastula für die entspre- chende Keimungsstufe hat bereits in mehreren andern Aufsätzen Eingang gefunden und ist der Kürze wegen der früher von mir gebrauchten Benennung Blaatoayhaera vorzuziehen ; und ebenso der älteren Bezeichnung : Fesica blastodertnica. Der an anderen Orten dafür gebrauchte Name Planula wird ^wohl am besten ganz zu eliminiren sein, da er von vielen verschiedenen Autoren in einem ganz abweichenden Sinne verwendet wird. Dalyell, der 1847 den Ausdruck „Plannla^^ zuerst eingeführt hat, verstand darunter wei- ter Nichts, als kleine (meist mikroskopische) flimmernde Larven von Zoophyten auf sehr verschiedenen Entwickelungszuständen. Spätere Autoren haben dann darunter bald frei bewegliche und flimmernde Formen von Morula, bald ebensolche Formen von Bla- stula, bald echte Gastrula-Formen verstanden. Ausserdem sind auch oft verschiedene, weiter entwickelte Jugendformen niederer Thiere als „Planula'' bezeichnet worden, die weiter Nichts mit einander gemein haben, als geringe Grösse, einfache Körperform und eine flimmernde Körperbedeckung. Auch der sogenannte „infusorienartige Embryo'* vieler anderen Autoren gehört in die Kategorie dieser falschen „Planula". Da demnach augenblicklich gar keine allgemein anerkannte Bestimmung des Planula-Begriffes nach Inhalt und Umfang existirt, und da noch in neuester Zeit 1) K. IJAECKEL, Die CatuUactcii, eiue neue Protisteu-Gruppe. Jeu. Zeitschr. f. Naturw. Vol. VI, lb71, S. 1 Tal'. I. 494 Ernst Haeckel, viele Autoren denselben in ganz verschiedenem Sinne gebrauchen, so ist es wohl am besten, ihn ganz fallen zu lassen. Will man ihn trotzdem beibehalten, so kann man ihn vielleicht am zweck* massigsten zur Bezeichnung jener cenogenetischen Eeimform ver- wenden, die ich in der Monographie der Ealkschwämme Planula genannt habe (Bd. I, S. 332). Mit dem weitschauenden Blicke des genialen Naturphilosophen hat schon im Jahre 1828 der grosse Baeb die hohe allgemeine Bedeutung der Blastula erkannt. Im ersten Bande seiner classi- sehen „Entwickelungsgeschichte der Thiere*' (S. 223; § 4 des V. Scholions) findet sich folgender Satz: „Je weiter wir in der Ent- wickelung zurückgehen, um desto mehr finden wir auch in sehr verschiedenen Thieren eine üebereinstimmung. Wir werden hier- durch zu der Frage geführt: ob nicht im Beginne der Entwicke- lung alle Thiere im Wesentlichen sich gleich sind, und ob nicht für alle eine gemeinschaftliche Urform besteht Da der Keim das unausgebildete Thier selbst ist, so kann man nicht ohne Grund behaupten, dass die einfache Blasenform die gemein- schaftliche Grundform ist, aus der sich alle Thiere nicht nur der Idee nach, sondern historisch entwickeln.'^ Der Abschnitt, in dem dieser merkwürdige Satz enthalten ist, trägt die Ueberschrift: „Beim ersten Auftreten sind vielleicht alle Thiere gleich und nur hohle Kugeln.'^ y. Die Gastraea und die Gastrula. Die fünfte ontogenetische Entwickelungsstufe der Metazoen, die Gastrula, ist zugleich die letzte, welche allen diesen Thieren ursprünglich gemeinsam zukommt. Denn von hier an scheiden sich die Wege der Keimesentwickelung ; sie führen von der mona- xonien Gastrula einerseits zu den monaxonien Spongicn und den stauraxonien Acalephen, anderseits zu den dipleuren oder bilatera- len Bilaterien; und zwar zunächst zu den Würmern, aus denen sich die vier typischen Stämme der Mollusken, Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten erst später hervorgebildet haben. Da aber in der Keimesgeschichte aller dieser verschiedenen Tliiere die Gastrula entweder als reine palingenetische Archigastrula oder als mehr oder weniger modificirte, auf die letztere aber zurück- führbare, cenogenetische Gastrula nachzuweisen ist, so dürfen wir nach dem biogenetischen Grundgesetze auf eine geraeinsame Ahnen- form aller Metazoen schliessen, welche der Archigastrula im We- sentlichen gleich gebildet war; und das ist die Gastraea. Die Gastrala und die Eifurchung der Thiere. 495 Da diese phylogenetische Hypothese den Kern unserer ganzen Gastraea-Theorie bildet und da alle die anderen, hier vertretenen allgemeinen Ansichten über Entwickelung der Thiere jene funda- mentale Hypothese stützen und durch sie zugleich erklärt werden sollen, so ist es nicht nöthig, an dieser Stelle nochmals die phylo- genetische Bedeutung der ontogenetischen Gastrula - Form zu be- gründen und die Gastraea als wahre Urquelle der Metazoen-Bil- dung, als wirklichen „Metazoarchus^* nachzuweisen. Nur auf einige der wichtigsten Punkte, auf deren richtiges Yerständniss es vor- zugsweise ankommt, möchte ich hier schliesslich wiederholt hin- weisen und damit zugleich die erheblichsten, gegen die Gastraea- Theorie erhobenen Einwendungen widerlegen. In erster Linie ist es auch hier wieder vor Allem erforder- lich, sich nicht durch die mannichfaltigen cenogenetischen Modifi- cationen der Keimform beirren zu lassen, sondern die ursprüng- liche palingenetische Keimform scharf und bestimmt in's Auge zu fassen. Diese liegt uns ganz rein und unverfälscht in der ein- fachen Archigastrula vor, wie sie sich in identischer Form bei den niedersten Angehörigen aller Typen findet : bei Gastrophysema Fig. 119, 120; Olynthus Fig. 17; Actinia Fig. 21; Pelagia Fig. 22; Sagitta Fig. 23 ; Argiope Fig. 25 ; Limnaeus Fig. 31 ; Uraster Fig. 33; Amphioxus Fig. 48, 44. Wenn wir uns vorstellen, dass wir diesen verschiedenen Gastrula-Formen im Meere begegneten, ohne ihre Herkunft zu kennen, so würden wir sie ganz gewiss als unbe- deutende Modificationen einer einzigen Entwickelungsform betrach- ten; und wenn wir sie geschlechtsreif anträfen und also als selbst- ständige Thierarten zu beurtheilen hätten, so würden wir sie ganz gewiss nur als leichte Varietäten einer einzigen „bona Species^' oder höchstens als nahe verwandte Species eines einzigen Genus betrach- ten. Jeder Anhänger der Entwickelungstheorie würde kein Be- denken tragen, sie als wenig divergirende Descendenten einer ein- zigen gemeinsamen Stammform zu betrachten. Und doch liegen uns in diesen verschiedenen, so wenig von einander abweichenden Archigastrula -Formen in Wahrheit Repräsentanten sämmtlicher Metazoen-Typen vor : Zoophy ten, Würmer, Mollusken, Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten. Das ist eine Thatsache von gröss- ter Bedeutung 1 In jedem dieser Thierstämme sind es nur noch einzelne ur- alte Formen der niederen Klassen, welche die palingenetische Archi- gastrula seit Millionen von Jahren rein bis auf den heutigen Tag bewahrt haben. Bei der grossen Mehrzahl, und namentlich bei 496 Ernst Haeckel, allen höher entwickelten Metazoen ist an deren Stelle eine modi- ficirte cenogenetische Gastrula - Form getreten. Da finden wir zunächst im engsten Anschluss an die erstere die Amphigastrula, deren Urdarmhöhle bald noch leer, bald schon mit Dotterzellen erfüllt ist (Fig. 18, 28, 48, 53, 100, 110). Die Amphigastrula geht ganz allmählich, indem der Nahrungsdotter mächtig anwächst und damit die Theilungsfähigkeit der Dottermasse erlahmt, in die Discogastrula über. Obgleich nun diese in ihrer extremen Ausbildung sich zu einer so abweichenden Keimform gestaltet, lässt sie sich dennoch stets durch Vermittelung einer Reihe von Zwi- schenformen auf die Amphigastrula zurückführen; und selbst in jenen extremen Fällen, wie sie uns die Cephalopoden, Teleostier und Vögel darbieten, ist diese Reduction durch die neuesten Be- obachtungen möglich geworden (Fig. 37, 40, 49, 50, 54, 65, 66, 75, 76). Ebenso lässt sich auch auf der anderen Seite die Peri- gastrula gleichfalls auf die Archigastrula zurückführen, und die Schwierigkeit, welche gerade diese cenogenetische Gastrula-Forni vorzugsweise der Gastraea-Theorie entgegen zu halten schien, exi- stirt gegenwärtig nicht mehr (Vergl. Fig. 87—90). Demgemäss können wir zunächst eine allgemeine Homologie der Gastrula bei sämmtlichen Metazoen behaupten, und diese Be- hauptung wird begründet theils durch den gleichen morphologischen Werth, den die beiden primären Keimblätter überall besitzen, theils durch den nunmehr gelieferten Nachweis, dass der ursprüngliche Bildungsmodus der Gastrula überall die Einstülpung oder luva- gination der Blastula ist. Wenn es uns nun so mit Hülfe der vergleichenden Ontogenic gelungen ist, alle die verschiedenen Gastrula-Modificationen, alle die verschiedenen Formen des „zweiblätterigen oder zweischichtigen Keimes" auf die eine gemeinsame Urform der Archigastrula zurückzuführen, so ist uns die einfachste phylogenetische Hypothese gestattet, welche diese bedeutungsvolle ontogenetische Thatsache mechanisch-causal zu deuten vermag. Diese einfachste hier mög- liche Hypothese lässt sich in dem monophyletischen Satze zusam- menfassen : Alle Metazoen stammen von einer einzigen gemeinsamen Stammform ab, welche im Wesentlichen doi* Archigastrula gleich gebildet war. Diese uralte, längst ausgestorbene Stammform, die schon während der laurentischen Periode gelebt haben muss und damals wahrscheinlich durch viele verschiedene Genera und Spe- cies vertreten war, ist unsere Gastraea. Die ganze hypothetische Gruppe von ausgestorbenen ältesten Metazoen, welche durch die Die Gastrula and die Eiftirchaiig der Thiere. 497 nächsten Descendenten der Gastraea gebildet wnrde, habe ich als Gastraeaden bezeichnet Diese ältesten Gastraeaden werden der heutigen Archigastrula im Wesentlichen ganz gleich gebildet und wahrscheinlich nur darin wesentlich verschieden gewesen sein, dass sie bereits sexuelle Dif- ferenzirung besassen. Vermuthlich werden sich bei ihnen einzelne Zellen des Entoderms zu Eizellen, einzelne Zellen des Exoderms zu Spermazellen umgebildet haben, wie es auch bei den niederstea Zoophyten (Spongien, Hydroiden) noch heute der Fall ist Gleich den frei im Meere schwimmenden Formen der Archigastrula wer- den auch jene Gastraeaden sich mittelst Flimmerhaaren, Geissein oder Wimpern bewegt haben, welche als Fortsätze der Exoderm- zellen sich entwickelten. Ob noch heute echte, frei schwimmende Gastraeaden exi- stiren, ist nicht bekannt, indessen durchaus nicht unwahrscheinlich. Vielleicht sind manche, als Infusorien beschriebene Thierformen nicht echte, einzellige Infusionsthiere, sondern Gastraeaden. Wohl aber existlren noch heute einige festsitzende, höchst einfache Zoophyten^ welche ihrer ganzen Organisation nach als Gastraeaden zu beurtheilen sind, die jedoch bisher im System einen ganz an- deren Platz besassen. Das eine von diesen noch lebenden Ga- straeaden ist das merkwürdige, von Bowbbbank beschriebene Ha- liphysemaOt eine andere nahe verwandte Form ist die von üarteh') unter dem Namen Squamulina scopula zu den Poly- thalamien (1) gestellte interessante Thierform, die ich Gastro- physema nenne, und deren Ontogenie auf Taf. XXV abgebildet ist Beide Genera sind gegenwärtig noch durch mehrere Arten vertreten. Ich werde die genaue Beschreibung dieser beiden Gastraeaden der Gegenwart, UaUphysema und Gastrophy- stma^ demnächst folgen lassen. Wenn die Archigastrula, wie ich für sicher halte, die getreue palingenetische Wiederholung der Gastraea ist, dann muss auch die letztere ursprünglich eben so aus der Plauaea (oder Blastaea) entstanden sein, wie die ersterenoch heute aus derBlastula (oder Blastosphaera) entsteht Die Gastraea muss dann durch Ein- stülpung (oder Invagiuation) aus der Planaea hervorgegangen sein. In der That ist auch diese phylogenetische Hypothese eben- 1) BowERBANK, Mouograph of tbc British bpuugiadat;, Vol. I, p. 179; PI. XXX, Fig. :{:>}»; Vol. 11, p. 7ü. 2) C'abtrk, Ou twu iiew specit'H of tlic Koramiaiferous geuus äquamuliua. Auu. Mag. uat. bibt. Ib70, Vol. V, p. 309. PI. IV, Fig. 1-11. 4% Ernst Haeckel, SO durch die nachweisbare Invagination der Archiblastula für die morphologische Auffassung sicher zu begründen , wie sie für die physiologische Betrachtung durch Erwägung der bezüglichen Causal- Verhältnisse durchaus wahrscheinlich wird. Denn wenn wir uns fragen, welche phylogenetischen Veränderungen die Entstehung der zweiblätterigen Gastraea aus der einblätterigen Planaea hervorrie- fen, so ist als die wichtigste causa efflciens derselben unzweifelhaft jene älteste Arbeitstheilung der Zellen hervorzuheben, welche die Differenzirung der beiden primären Keimblätter bewirkte, die Arbeitstheilung der Planaea-Zellen (oder „Bl&stoderm^^-Zellen) in locomotive und nutritive Zellen. Die locomotiven Zellen der Planaeaden, welche vorzugsweise deren schwimmende Ortsbewegong besorgten, bildeten die animale Hemisphaere derselben, die zum Exoderm wurde; die nutritiven Zellen hingegen, welche vorzüglich der Nahrungsaufnahme und Assimilation sich hingaben, bildeten die vegetative Hemisphäre, die sich zum Entoderm gestaltete. Nuu war es aber für die letzteren offenbar von grossem Vortheil, wenn sie nicht mehr eine convexe Oberfläche (wie bei der Planaeaj zur Nahrungsaufnahme und Assimilation bildeten, sondern an deren Stelle eine concave Vertiefung an der Oberfläche der Flimmer- kugel herstellten. Hier konnten Nahrungsmittel längere Zeit ver- weilen und besser assimilirt werden. Diese concave Vertiefung, welche die Invagination der Planaea einleitete, war der erste Anfang zur Bildung des Urdarms. Die Vervollständigung derselben war die einfache Wirkung der natürlichen Züchtung. Denn je tiefer die Einstülpung und je ausgedehnter damit die nutritive Epithelfläche wurde, desto besser war für die Ernährung der sich bildenden Gastraea gesorgt. Mit der vollständigen Einstülpung verschwand das Blastocoelom der Planaea und an dessen Stelle trat die Protogaster der Gastraea. Gleiche einfache physiologische Reflexionen geben uns Aufschlus^ über die Causalverhältnisse der historischen Veränderungen, welche überhaupt die älteste Reihe der Metazoen-Ahnen vom Moner bi^^ zur Gastraea durchlief (Anthropogenie XVI. Vortrag). Diese phy- siologischen Erwägungen über die Phylogenie der ältesten Functio- nen erläutern zugleich die mechanische Phylogenie der niedersten Thierformen, welche uns in den fünf ersten Keimungsstufen der Metazoen noch heute als ontogenetische Wiederholung jener fünf ältesten Ahnenstufen entgegen treten. Indem wir hier die ganze Mannichfaltigkeit der ccnogenetischen Keiniformen auf die ursprüng- liche palingenetische Eeimform zurückführen und diese phylogeue- Die Gastrula uiid die Eifurcbang der Thiere. 499 tisch deutep, gelangen wir zu einem wahren Verstäadniss vom ältesten Entwickelungsgang des Thierreichs, und dies Yerständniss gewinnen wir nur durch die Gastraea-Theorie. Jena, den 18. August 1875. Nachschrift, Ueber die Eifurchung und Gastrulation der Spon- gien erhalte ich so eben, nachdem vorstehende Arbeit bereits ge- druckt ist, eine sehr interessante Mittheilung von Franz Eilhard ScuuLzs, welche in erfreulichster Weise die Uebereinstimmung der Spongien mit den übrigen Metazoen bezüglich der wichtigsten Eeimungs- Vorgänge bestätigt *). Obwohl Schulzb denselben Kalk- schwamm (Sycandra raphanus), wie Oskar Schmidt und Mbtachni- KOFF untersucht hat, ist er doch zu ganz anderen Resultaten ge- kommen. Nach vollendeter Eifurchung entsteht eine echte B la- st ula, zusammengesetzt „aus 48 Zellen, welche zusammen in einschichtiger Lage einen linsenförmigen Hohlkörper formiren. Bei weiter fortschreitender Zellenvermehrung nimmt der Embryo die Gestalt einer Hohlkugel an. Ferner tritt eine Differenzirung ein zwischen acht keilförmigen, den späteren Entodermzellen, und sämmtlichen unregelmässig polyedrischen, helleren, den Ekto- derm -Zellen. An der nun zum Verlassen ihrer Entstehungsstätte befähigten Larve ist die Furchungshöhle stark verkleinert, während die Entodermzellen, stark aufgeblüht und mit groben dunkeln Körnchen erfüllt, sich nach aussen vordrängen und etwa die Hälfte der nun eiförmigen Larve ausmachen. Später tritt dann wieder eine Abdachung des halbkugelig vorspringenden Entoderm- lagers und bald darauf sogar eine Einstülpung desselben gegen die convexe Ektodermkuppe ein, wobei die Furchungshöhle gänz- lich schwindet und sich das Entodermzellenblatt unmittelbar an die Innenfläche des Ektodermes anlegt. Durch Ausweitung der so entstandenen doppelblätterigen hohlen Halbkugel und Umgreifen des Ektodermzellenlagcrs am Oeffnungsrande entsteht eine sackförmige, zweiblätterige Larve mit äusserer flimmernder und innerer nicht flimmernder Zellenlage: eine Gastrula.'' 1) Franz Eilbard Schclze, Ui;l)4!r den Bau und die Eutwickclung eines Kalkschwamnus, Sycandra rapbauus (Tageblatt der 48. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Graz 1875. S. 101). 500 Ernst HaecM, Die Eiforchang und Gastrulation der Sycandra raphanus ver- läuft nach dieser wichtigen, wörtlich wiedergegebenen Mittheilang also ganz in der typischen Form aller Metazoen, indem zu- nächst eine echte Blastula und durch deren Einstülpung oder Invagination eine echte Gastrula (und zwar eine Amphigastrula) entsteht. An der Genauigkeit dieser werthvoUen und detaillirten Angaben zu zweifeln, liegt bei der bekannten Beobachtungs-Schärfe und histologischen Erfahrung von Franz Eilhaed Schulze kein Grund vor. Daraus ergiebt sich aber bezüglich der früheren, damit nicht übereinstimmenden Angaben über die Spongien-6a- strula (welche oben, S. 455, 456 erwähnt wurden) in Kürze Fol- gendes: 1) Die Angaben von Mbtschnikoff sind (gleich so vielen anderen Behauptungen dieses oberflächlichen Beobachters) bezüg- lich der angeblichen Beobachtungen sowohl als der daraus gezo- genen Schlüsse ganz falsch; sogar Exoderm und Entoderm sind darin verwechselt 1 2) Die Mittheilungen von Oskar Schmidt sind, was die Beobachtungen betrifift, grösstentheils richtig, aber un- vollständig; bezüglich der Deutungen grösstentheils unrichtig. 3) Meine eigenen Angaben über die Ontogenie der Ealkschwämme sind insofern unvollständig und unrichtig, als ich die Blastula und deren Invagination nicht erkannt, und statt deren zwischen Morula und Gastrula die Bildung einer Planula und Planogastrula angenommen hatte (Monographie der Kalkschwämme, Band I, S. 333). Dagegen sind sie richtig und werden vollkommen durch F. E. ScHüLze bestätigt in dem wichtigsten Punkte, darin näm- lich, dass auch die Keimung der Schwämme mit der Bildung einer echten Gastrula und der beiden primären Keimblätter verläuft Dass diese Gastrula der Spongien durch Invagination einer echten Blastula entsteht, und nicht durch Delamination (wie ich irrig angenommen hatte) ist mir natürlich nur höchst erwünscht, weil dadurch die wesentliche Uebereinstimmung der Spongien mit den übrigen Metazoen hergestellt wird. Höchst wahrscheinlich wird auch in den wenigen anderen Fällen, in denen die Gastrula durch Blätterspaltung des Blastoderms entstehen sollte, sich schliess- lich die Einstülpung der Blastula als ursprünglicher Entstehungs- Modus herausstellen. Von welcher hohen principiellen Bedeutung die Beobachtun- gen von Franz Eilhard Schulze für die ganze Naturgeschichte der Spongien sind, brauche ich schliesslich wohl kaum besonders her- vorzuheben. Ich hatte bei Ausarbeitung meiner Monographie der Kalkschwämme in erster Linie mich bestrebt zu zeigen, dass diese Die Gastrula und die Eifurchang der Thiere. 501 Thiere, und die Spongien überhaupt, keine Protozoen, son- dern Metazoen sind; dass ihre beiden Gewebsschichten den bei- den primären Keimblättern der übrigen Metazoen homolog sind, und dass die Spongien durch die Bildung ihres Gastrocanal-Systems sich als echte Zoophyten (oder Goelenteraten) ausweisen. Oskak Schmidt hatte dagegen in seinem oben citirten Au&atze: „Zur Orientirung über die Entwickelung der Spongien'^ sich zu zeigen bemüht, dass jene Auffassung falsch sei und dass somit auch alle die wichtigen, daran geknüpften allgemeinen Schlussfolgerungen hin- fällig seien '). Die Mittheilungen von F. E. Schulze bestätigen nicht allein die Richtigkeit meiner Auffassung; sondern sie verstärken sie zugleich bedeutend dadurch, dass sie die typische Bildung der Gastrula durch Einstülpung der Blastula auch bei den niedersten Metazoen nachweisen, bei den Spongien. Jena, den 4. October 1875. 1) OsKAB Schmidt (I.e. p. 180) sagt: „Ich habe diese Beobachtungen über den Bau der Flimmcrlarven von äycandra raphanus und glabra mit peinlicher Sorgfalt wiederholt. Ich kann nur behaupten, dass unsere beiden Arten keine Gastrulae bilden, und dass damit leider die vermeintliche durchgreifende VSlchtigkeit der Gastrula fttr die Kalkspongien mit allen den so schönen theo- retischen Folgerungen nicht mehr existirt.*' Die Figuren 1, 2, 8 und 4, 5, 6, welche 0. Schmidt (1. c.) auf Taf. VIU und IX mittheilt, sind wohl als Amphiblastula zu deuten. Die folgende Einstülpung derselben hat er offenbar nicht beobachtet, und ebenso nicht die daraus hervorgehende Amphi- gastrula. 502 EinBt Haeckel, Erklärang der Tafeln. Taf. XIX. Eiftircliaiig und Crastnüa yerschiedener Wirbellosen (Coplea). [Id allen Figuren ist das Eutoderm dorch rothe, das Exoderm durch blaue Farbe bezeichnet. Der Nahrungsdotter ist meistens roth schraüfirt. s Furchungs- höhle (Blastocoeloma). a Urdarmhöhle (Protogaster), o Unnund (Protostoma).] Fig. 17. Archigastrula eines Kalkschwammes (Asculmis armata). Copie nach Habckbl, Monographie der Kalkschwämme, Taf. 18, Fig. 6. Fig. 18. Amphigastrula eines Kalkschwammes (Sycyssa Huxleyi) . Copie nach Habgksl, Monographie der Ealkschwämme, Taf. 44, Fig. 15. Fig. 19. Amphiblastula eines Kalkschwammes (Sycandra raphanus). Copie nach Oskab Schmidt (Zoitschr. lür wissensch. Zool. Vol. XXV, Suppl. Taf. IX, Fig. 5). Die Furchungshöhle ist in dieser Figur fälsch- lich mit 0 (statt mit s) bezeichnet, o muss wegfallen. Fig. 20. Archiblastula einer Koralle (Actinia). Copie nach Kowalbvsky (Russische Abhandlung über die Ontogenie der Coelenteraten. 1873. Taf. IV, Fig. 1). Fig. 21. Archigastrula derselben Koralle (Ibid. Taf. IV, Fig. 2). Fig. 22. Archigastrula einer Meduse (Pelagia). Copie nach Kowalkvsky (Ibid. Taf. III, Fig. 2). Fig. 23. Archigastrula eines W urms (Sagitta). Copie nach Kowalevski (Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden, Petersburg 1871, Taf. I, Fig. 2). Fig. 24. Amphiblastula eines Wurms (Euaxes). Copie nach Kowa lb vbxi (Ibid. Taf. IV, Fig. 27). Fig. 25. Archigastrula eines Brachiopoden (Argiope). Copie nach Ko- WALBVBKT (Russlsche Abhandlung über die Ontogenie der Brachiopoden. Moskau 1874. Taf. I, Fig. 3). Fig. 26. Amphiblastula einer Muschel ([Jnio). Copie nach einer noch nicht publicirten Abhandlung von Cabl R^lbl über die Ontogenie der Muscheln. Fig. 27. Amphiblastula derselben Muschel in einem folgenden Stadium. Copie nach Cabl Rabl (Ibid.). Fig. 28. Amphigastrula derselben Muschel. Copie nach Cabi« Ra&l (Ibid.). Links ist eine grosse Mesoderm-Zelle sichtbar. Fig. 29. Archiblastula einer Schnecke (Limnaens). Copie nach Cabl Rabl (die Ontogenie der Süsswasser-Pulmonaten. Jenaische Zeitschrift für Naturw. 1876. Vol. IX, Taf. VII, Fig. 9). Fig. 30. Archiblastula invaginata derselben Schnecke. Copie nach Cabl Rabl (Ibid. Taf. VU, Fig. 10. Die Gastrula und die Eifarchnng der Thiere. 503 Fig. 31. Arcbigastrula derselben Schnecke. Copie nach Gabl Kabl (Ibid. Taf. VII, Fig. 11). Fig. 32. Amphigastrula einer Schnecke (Purpura). Copie nachSBLBRXA (Keimblätter bei Purpura. Niederl. Arch. f. Zool. 1871. Heft II, Taf. XVII). Fig. 33. Arcbigastrula eines Seestems (Asteracanthion). Copie nach Alex. Aoasbiz (Embryology of the Starfisb. 1864. Taf. I, Fig. 27). Fig. 34. Amphimorula eines Rhizocephalen (Sacculina). Copie .nach £d. VAN Bbnsden (Recherches sur PEmbryogenie des Cmstac^es, 1870.^ PL I, Fig. 21). Fig. 35. Discomorula einer Assel (Oniscus). Copie nach Bobbbtzkt (Zur Embryologie des Oniscus murarius. Zeitschr. fdr vissensch. Zool. Vol. XXIV, Taf. XXI, Fig. 3). Fig. 36. Discoblastula desselben Oniscus. Copie nach Bobbbtzkt (Ibid. Fig. 5). Fig. 37. Discogastrula desselben Oniscus. Copie nach Bobbktzkt (Ibid. Fig. 7), Fig. 38. Discogastrula eines Wasserkäfers (Hydrophilus). Copie nach KowALBYBKT (Embryolog.Studieu an Wtkrmern und Arthropoden. Pe- tersburg 1871, Taf. IX, Fig. 23). Fig. 39. Arcbigastrula (?) eines Pteromalinen (Platygaster). Copie nach Gaiqn (Entwickel. der Insecten. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1869. Bd. XIX Taf. XXX). Fig. 40. Discogastrula des Scorpions. Copie nach Mbtscbhikoff (Em- bryologie des Scorpions. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1871, Taf. XIV, Fig. 9). Taf. XX. EUtarchoBg und Gastrula venchledener Wirbolthlere (G«pien). [In allen Figuren ist das Entoderm durch rothe, das Exoderm durch blaue Farbe bezeichnet Der Nahrungsdotter ist meistens roth schraffirt. $ Furchungs- höble (Blastocoeloma). a Urdarmhöhle (Protogaster), o Urmand (Protostoma).} Fig. 41. Archiblastulades Amphioxus. Copie nach Kowalbvskt (Ent- wickelungsgeschichte des Amphioxus. Mem. Petersb. Akad. 1867. Vol. XI, Tab. I, Fig. 9). Fig. 42. Archiblastulainvaginata des Amphioxus. Copie nach Ko- WALBYSKT (Ibid. Flg. 13). Fig. 43. Arcbigastrula des Amphioxus im ersten Anfang. Copie nach KowALBVsKT (Ibid. Fig. 14). Fig. 44. Arcbigastrula des Amphioxus, vollständig ausgebildet. Copie nach KowALBvsKT (Ibid. Fig. 16). Fig. 45. A m p h i m 0 r u 1 a des Petromyson. Copie nach Max Schültbb (Ent- wickelungsgeschichte yon Petromyzon. Haarlem 18&6. Tab. IV, Fig. 1). Fig. 46. Ampbiblastula des Petromyzon. Copie nach M. Schültzx (ibid. Taf. IV, Fig. 2). Fig. 47. Amphigastrula des Petromyzon, in erster Anlage. Copie nach M. SoHULTZB (ibid. Taf. IV, Fig. 5). Fig. 48. Amphigastrula des Petromyzon, ToUständig entwickelt. Copie nach M. Sohultzb (ibid. Taf. IV, Fig. 7). 504 Ernst Haeckcl, Fig. 49. Discogastrnla eines Haifieches (Mustelus). Copie nach Bal- FOUB (Development of the Elasmobranch Fishes. Quarterly Journ. of microsc. Sc. 1874. Vol. XIV, PI. XIII, Fig. 1). Fig. 50. Discogas trula eines Knochenfisches (Esox). Copie nach Lbbe- BouLLBT (Recherches d^Einbryologie compar^e sur le Dcveloppement du Brochet etc. 1853. PI. I, Fig. 27. Fig. 6i. Amphimorula des Bombinator. Copie nach Gobttb (Entwicko- lungsgeschichte der Unke, 1875. Taf. II, Fig. 27). Fig. 52. Amphiblastula des Bombinator. Copie nach Oojsttx (ibid. Taf. II, Fig. 28). Fig. 53. A m p h i g as t r u 1 a des Bombinator. Copie nach Gobttb (ibid. Tai . II, Fig. 33). Fig. 54. Discogastrula des Hühnchens. Copie nach Gostte (Die Bil- dung der Keimblätter im Hühnerei. Archiv für mikrosk. Anat Vol. X, 1874, Taf. X, Fig. 4). Taf. XXI. Discoidale Fnrchlmg und Discogastrnla eines pelaglschen KnochenlBisches (Gadolden, Hotella?). [Innerhalb der structurlosen Eihülle (c) ist ausser den (am animalen Pol be- findlichen) Furchungszellen und dem daraus entstehenden Fischkeime nur der Nahrungsdotter zu. sehen, bestehend aus einer wasserbellen structurlosen Ei- weisskugel und einer kleineren (am vegetativen Pol befindlichen) stark licht- brechenden Oelkugel. Der homogene Nahrungsdotter, der keinerlei geformte Bestandtheile enth<, ist mit gelber Farbe gedruckt. . e Exodcrm. t Entoderm. 10 Keimwulst (Randwulst oder Properistom). c Chorion. k Embryo. $ Kur- chungshöhle. Alle Figuren dieser Tafel sind (H) Mal vergrössert.] Fig. 55. Zweite Furchungsstufe: Ei mit vier Furchungszellen. Fig. 56. Dasselbe Ei (Obere Hälfte) im Meridianschnitt. Fig. 57. Vierte Furchungsstufe: Ei mit 16 Furchungszellen. Fig. 68. Dasselbe Ei (Obere Hälfte) im Meridianschnitt. Fig. 59. Discomorula. Ei nach vollendeter Furchung. Die gleichartigen Furchungskugeln bilden eine kreisrunde Keimscheibe (Discoblastus), eine bicönveze Linse, welche in eine kleine Vertiefung am animalen Pol des Nahrungsdotters eingesenkt ist. Fig. 60. Dieselbe Discomorula im Meridianschnitt Fig. 61. Discoblastula. Die Keimscheibe hat sich peripherisch ausge- dehnt, in der Mitte bedeutend verdtlnnt, am Rande rings umgekehrt .ver- dickt (w Keimwnlst oder Randwulst). Zwischen der abgehobenen Mitte und dem Nahningsdotter hat sich die Keimhöhle (i) gebildet. Fig. 62. Dieselbe Discoblastula im Meridianschnitt. Fig. 63. Discoblastula invaginata. Uebergang der Discoblastula in die Discogastrula durch Einsttllpung der ersteren. Der untere Theil des verdickten Randwulstes schlägt sich nach innen um und wächst centri- petal gegen die Mitte der Keimscheibe in die Keimhöhle hinein. Letz- tere wird enger. Die Gastrula und die Eifurchung der Tbiere. 505 Fig. 64. Dieselbe Discoblast u«la invaginata im Meridianscfanitt. Fig. 65. Discogastrula. Die Einstülpung der Discoblastula ist voll- ständig geworden, indem die vom Randwulste in dieKeimhöble hereinge- wacbsene Zellenschicht (^^secundäre Keimschicht^*) das Centrum der letz- teren erreicht hat und nunmehr als zusammenhängendes ,,£ntoderm" den Boden der Keimhöhle bedeckt. Letztere verschwindet, indem das Ento- derm sich an das Exodenn (die ,,primäre Keimschicht'', welche die Decke der Furchungshöhle bildet) eng anlegt. Die Keimscheibe bedeckt als Gastrula wie eine Kappe den animalen Pol des Nahrungsdotters. Fig. 66. Dieselbe Discogastrula im Meridianschnitt. Fig. 67. Discogastrula mit der ersten Anlage des Axoblast. An einer Seite des verdickten Gastrula-Mundrandes (des „Properistoms") erscheint die erste Anlage der Axenplatte und des „Primitivstreifs'' (Ansicht von der Rückenseite. Der optische Meridianschnitt geht durch die Lateral- Ebene (von rechts nach links). Fig. 68. Dieselbe Discogastrula, um 90^ gedreht, im optischen Längs- schnitt (Meridianschnitt durch die Median-Ebene). Fig. 69. Fi seh keim, weiter entwickelt, mit deutlicher Trennung von Kopf und Rumpf, und Anlage der Augenblasen. Die Keimscheibe (Disco- gastrula) hat bereits ungefähr */• der Peripherie des kugeligen Nahrungs- dotters umwachsen, so dass kaum V« des letzteren am vegetativen Pole aus dem Gastrula-Munde frei vorragt. Ansicht von der Rttckenseite. Fig. 70. Derselbe Fischkeim, um 90"^ gedreht, im Sagittalschnitt, von der linken Seite gesehen. Fig. 71. Fischkeim, noch weiter entwickelt. Der aborale Körpertheil ist beträchtlich verlängert. Beiderseits der Chorda markiren sich die Me- tameren (Urwirbel-Segmente). Die Keimscheibe (Discogastrula) hat den Nahrungsdotter fast ganz umwachsen, so dass nur noch ein kleines Seg- ment des letzteren am vegetativen Pole frei aus dem Gastrula-Munde vorragt. Fig. 72. Derselbe Fischkeim, um 90*^ gedreht, im Sagittalschnitt von der linken Seite gesehen. Taf. XXn. DliGOgastrnla desselben pelagischen Knochenflsches (Gadeiden, Hotellal). « Fig. 73. Discomorula im Meridianschnitt. Stärkere Vergrösserung (200) des animalen Segments von Fig. 60. Fig. 74. Discoblastula im Meridianschnitt. Stärkere Vergrösserung (200) des animalen Segments von Fig. 62 (linke Uälfte) und Fig. 64 (rechte Hälfte). Rechts beginnt die Einstülpung der Blastula, indem die grossen Zellen des Raudwulstes oder Properistoms (w) centripetal gegen die Mitte der Keimhöhle ($) hineinwachsen (t). Fig. 75. Discogastrula im Meridianschnitt. Stärkere Vergrösserung des animalen Segments von Fig. 66. Fig. 76. Discogastrula, vom lebenden Fisch-Ei, nach kurzer Einwirkung einiger Tropfen höchst verdünnter Osmiumsäure. Stärkere Vergrösse- rung (200) von Flg. 65. Bd. IX, N. F. n. 84 ~^ 506 Ernst Ilaeckel, Fig. 77. Zehn Exoderm-Zelleü derselben Discogastrnla, in Chromsanre. Vergr, 600. Fig. 78. Ajcht Entoderm-Zellen derselben Discogastrola, in Chromsanre. Vergr. 600. Fig. 79. Drei Mesoderm-Zellen; amoeboide, mit dunkeln Pigmentkör- nem versehene Wanderzellen des Darm£a£erblattes, welche in dem Winkel des Umschlagsrandes zwischen Exoderm und Entoderm aus letzterem entstehen und nach verschiedenen Orten binwandern. Vergr. 600. Fig. 80. Der junge Knochenfisch (Gadoide, Motella?), welcher so eben die Eihüllen verlassen hat^ von der linken Seite gesehen, h Hirn, n Auge, g Gehörbläschen, i Herz, a Darm, d Eiweisskugel des Nahruiigs- dotters. f Fettkugel des Nahrungsdotters, y After, x Chorda, m Sei> tenrumpfmuskeln. Taf. XXm. Snperflclaie Farchang and Perigastnüa eines Crnstaceen (Peneus). Fig. 81. Zweite Furchungsstufe: Ei mit vier Furchungszellen , von der Oberfläche gesehen. Durch zwei auf einander senkrechte Riugfur- eben, eine aequatoriale und eine meridiaue, werden im peripheriscLcn Theil des Eies vier Zellen geschieden, während der centrale Nabrungs- dotter ungetheilt bleibt. Fig. 82. Dasselbe Ei im Meridianschnitt. Fig. 83. Fünfte Furchungsstufe: Ei mit 32 Furchungszellen, von der Oberfläche gesehen. Fig. 84. Dasselbe Ei im Meridianschnitt. Fig. 85. Pcrimorula (und zugleich Periblastula), von der Oberfläche gesehen. Nach vollendeter Furchung bilden die sämmtlicheu Furebung^- zellen an der Oberfläche des Eies eine einzige zusammenhängende Schicht von gleichartigen Zellen (Blastoderma), welche den inneren ungefurchleii Kahrungsdotter umschliesst. Fig. 86. Dieselbe Perimorula im Meridianschnitt. Fig. 87. Pe^igastrula, von der Oberfläche gesehen; in der Mitte ist der Urmund lo) sichtbar, welcher in die Einstülpung des Urdarms führt. Fig. 88. Dieselbe Perigastrula im Medianschnitt, a Urdarm. o Urmund. e Exoderm. t Entoderm. m Mesoderm. Fig. 89. N au pH US- Stadium y von der Bauchfläche gesehen. 2 Oberlippe. I, II, III die Anlagen der drei Beinpaare. Fig. 90. Das selbe N a u p 1 i u s - Stadium, im bagittalschnitt (von der liiiken Seite gesehen), a ürdarm. o Urmund m Mesoderm-Zellen. l Oberlippe. p Einstülpung des Schlundes und Kaumagens, e Exoderm. i Elutoderiu. Taf. XXIV. Inaeqnale Farchong und Amphlgastmla. Fig. 91 — 102. Inaequale Furchung und Amphigastrula eini^s chaetopoden Anneliden (Fabricia). Fig. 91. Amphimonerula. Nach der Befruchtung ist das Keiiiiblasclit?n verschwunden und aus der Copulation von Spermazelle und Eizelle eiiit Cytode entstanden. Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. 507 Fig. 92. Aiaphicytula, die erste Furchungskugel. Fig. 98. Erste Farchungsstufe: Die Amphipytula ist in zwei Zellen getheilt, eine obere, kleinere und hellere animale Zelle (Mutterzelle des Exoderms) und eine untere, grössere und dimklere vegetative Zelle (Mutterzelle des Entoderms). Fig. 94. Zweite Furchungsstufe: Die obere animale Zelle ist in zwei Zellen zerfallen; die untere vegetative Zelle ist ungetheilt. Fig. 95. Dritte Furchungsstufe: Die obere animale ZeUe ist durch zwei Meridianfurchen in vier Zellen zerfallen. Die untere vegetative Zelle ist ungetheilt. Fig. 96. Spätere Furchungsstufe: Die obere animale Zelle istin zahl- reiche kleine helle Zellen, die untere vegetative Zelle ist in drei grosse dunkle Zellen (eine untere grössere und zwei obere kleinere) zerfallen. Fig. 97. Amphimorula. Nach beendigtem inaequalen Furchungsprocesse findet sich oben am animalen Pole eine hemisphftriscbe Masse von zahl- reichen kleinen hellen Zellen (Exoderm), unten am vegetativen Pole eine dunkle Masse von wenigen (sechs?) grossen dunkeln Zellen (Entoderm). Fig. 98. Amphiblastttla im Meridianschnitt. Im Innern hat sich durch Flttssigkeits- Ansammlung eine Furchungshöhle (i) gebildet; in der oberen (animalen) H&lfte Olierwölbt von einer hemisphAriscben Schicht kleiner heller Exoderm-Zellen , in der unteren (vegetativen) Hälfte geschlossen von wenigen grossen dunkeln Entoderm-Zellen. Fig. 99. Amphiblastula in i